STRESS IST NICHT GLEICH STRESS

6. KMU-TAGUNG ZUR BETRIEBLICHEN GESUNDHEITSFÖRDERUNG
STRESS IST NICHT GLEICH STRESS
Gesunde Herausforderung oder Überforderung?
Tagungsdokumentation
Tagungsmappe
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MITTWOCH, 24. JUNI 2015, 9.45–16.15 UHR
IM SCHWEIZER PARAPLEGIKER-ZENTRUM IN NOTTWIL
Selbst- und Fremdverantwortung im Umgang mit Stress
Sehr geehrte Damen und Herren
Gemäss einer Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft
SECO hat Stress bei Erwerbstätigen innerhalb von nur zehn Jahren um
rund 30 Prozent zugenommen, gegenwärtig fühlt sich ein Drittel häufig oder sehr häufig gestresst. Hinzu kommen Anforderungen in der Familie, die ebenfalls Stress verursachen können. Stress ist jedoch nicht
gleich Stress, wie der Titel der 6. KMU-Tagung zur betrieblichen Gesundheitsförderung verlauten lässt. In der Tat gibt es positiven und negativen Stress. Während positiver Stress oftmals eine Leistungssteigerung
zur Folge hat, beeinträchtigt negativer Stress das körperliche und psychische Wohlbefinden und kann schliesslich sogar zu stressbedingten
Krankheiten wie Burnout, Depression, Schlafstörungen, Rückenschmerzen usw. führen. Die volkswirtschaftlichen Folgekosten von stressbedingten Krankheiten sind immens. Gemäss letzter Schätzung vor rund zehn Jahren wurden sie
auf über 4 Milliarden Franken jährlich beziffert. Allfällige weitere Kosten für die Volkswirtschaft,
z.B. IV-Kosten oder Arbeitsausfallkosten (ALV), wurden dabei nicht berücksichtigt.
Information, Sensibilisierung und Austausch betreffend Stress müssen also in unser aller Interesse sein: sowohl im Interesse aller Erwerbstätigen und/oder Familienmenschen und Arbeitgeber als auch im Interesse von Bund und Kantonen im Hinblick auf eine gesunde Volkswirtschaft
und aller Bürgerinnen und Bürger als Prämienzahler.
Stress wird individuell erlebt und verarbeitet. Daher unterliegt ein guter Umgang mit Stress auch
grösstenteils unserer Selbstverantwortung. Es gilt, sich selbst gegenüber achtsam zu sein und
eigene Bewältigungsstrategien zu finden und anzuwenden.
Arbeitgeber tragen aber auch Fremdverantwortung für ihre Mitarbeitenden. Ein gutes Arbeitsklima, geprägt durch Wertschätzung, Respekt, Vertrauen und Solidarität, lässt weniger Stress
aufkommen und unterstützt die Mitarbeitenden im eigenen Umgang mit Stress. Eine Firmenkultur, die den Faktor Mensch angemessen gewichtet, verursacht kaum Mehrkosten, lohnt sich
aber allemal auch wirtschaftlich für das Unternehmen: Gesunde, leistungsfähige und zufriedene
Mitarbeitende weisen weniger krankheitsbedingte Absenzen auf und identifizieren sich oft stärker mit dem Arbeitgeber, was ein Unternehmen im Wettbewerb bevorteilt. Und das ist auch gerade im Hinblick auf den demografischen Wandel wichtiger denn je: Aufgrund von steigendem
Fachkräftemangel, Pensionierungswellen, einhergehend mit Verlust von Wissen und Erfahrung
sowie Verlängerung der Lebensarbeitszeit, tun Unternehmen gut daran, wenn sie ihre Mitarbeitenden länger gesund, leistungsfähig und motiviert halten können.
Bleiben Sie gesund!
Beste Grüsse
Regierungsrat Guido Graf
Vorsteher des Gesundheits- und Sozialdepartements des Kantons Luzern
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6. KMU-Tagung zur Betrieblichen Gesundheitsförderung
STRESS IST NICHT GLEICH STRESS
Gesunde Herausforderung oder Überforderung?
PROGRAMM
Moderation: Michael Rauchenstein
09.45 Uhr
Grusswort
Guido Graf, Regierungsrat, Vorsteher Gesundheits- und Sozialdepartement
Kanton Luzern
«Was mich nicht umbringt, macht mich stärker»
Dr. med. Julius Kurmann, Chefarzt Stationäre Dienste und Mitglied der
Geschäftsleitung, Luzerner Psychiatrie
11.00 Uhr
Pause
11.30 Uhr
Themenvertiefung in Podiumsdiskussionen
Podium 1: Veränderungen im Unternehmen: Überforderung oder
Motivation?
Claudia Rosso, Leiterin Personal und Mitglied der Geschäftsleitung, Stiftung
Brändi
Alexander Otth, Executive Director und HR-Verantwortlicher, UBS AG Zentralschweiz und Zürich
Daniel Büchi, Leiter Personal und Ausbildung, Perlen Papier AG
Moderation: Markus Theiler, Geschäftsführer und Partner, Jörg Lienert AG
Podium 2: Nicht mehr jung, aber glücklich und gesund
Hans Kunz, CEO, B. Braun Medical AG
Beat Bühlmann, Projektleiter «Altern in Luzern» der Stadt Luzern
Martina Marty, Fachverantwortliche BGM, CKW AG
Moderation: Viviane Speranda, Zentralschweizer Fernsehen Tele 1 AG
Podium 3: Gefordert von allen Seiten: Immun gegen Stress?
Edith Müller, Leiterin der Abteilung Präventionsangebote, Suva
Josef Wechsler, Teamleitung Fahrdienst, VBL
Dr. med. Julius Kurmann, Chefarzt Stationäre Dienste und Mitglied der
Geschäftsleitung, Luzerner Psychiatrie
Moderation: Michael Rauchenstein, Moderator/Redaktor
12.30 Uhr
Mittagessen
13.45 Uhr
Themenvertiefung in Podiumsdiskussionen
Podium 1: Veränderungen im Unternehmen: Überforderung oder Motivation?
Podium 2: Nicht mehr jung, aber glücklich und gesund
Podium 3: Gefordert von allen Seiten: Immun gegen Stress?
14.45 Uhr
Pause
15.15 Uhr
Die positive Kraft des Stresses nutzen
Heinz Frei, Leichtathletik Rollstuhl/Handbike (RSS), Präsident Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung
15 Goldmedaillen an Paralympics-Sommerspielen, zahlreiche Siege bei
Leichtathletik-Europa- und Weltmeisterschaften und mehrfacher Schweizer
Sportler des Jahres
16.15 Uhr
Ende der Veranstaltung
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6. KMU-Tagung zur Betrieblichen Gesundheitsförderung
Themenvertiefung in Podiumsdiskussionen
Podium 1:Veränderungen im Unternehmen: Überforderung oder
Motivation?
In der heutigen Arbeitswelt werden Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an
neue Situationen immer wichtiger. Unternehmen müssen schnell auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren können. Die Mitarbeitenden werden
ebenfalls gefordert. Nicht jede und jeder kann sich rasch auf Veränderungen
einlassen. Verunsicherung und Überforderung, aber auch zusätzliche Motivation können die Folge sein.
Wie gehen Personalverantwortliche mit diesen Herausforderungen um? Wie
erkennen sie die Belastbarkeit der Mitarbeitenden und wo können sie präventiv agieren? Wie können mögliche Ängste in positive Energien überführt
werden?
Podium 2: Nicht mehr jung, aber glücklich und gesund
Fachkräftemangel, Pensionierungswellen, nicht zu besetzende Lehrstellen, Verlust von langjährigem und wertvollem Erfahrungswissen – dies sind
Schlagzeilen, die in Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung fast
täglich in den Medien zu lesen sind.
Die Betriebe stehen vor einer zentralen Herausforderung, nämlich Arbeitnehmende gesund, leistungsfähig und motiviert im Erwerbsleben zu halten.
Was können wir tun, damit das Potenzial unterschiedlicher Altersgruppen
gefördert und erhalten werden kann? Was braucht es, damit Mitarbeitende
bis zu ihrem Austritt aus dem Erwerbsleben glücklich und gesund bleiben? Ist
Generationenmanagement die Lösung?
Podium 3: Gefordert von allen Seiten: Immun gegen Stress?
Der moderne Mensch wird täglich vielfältig gefordert. Bei der Arbeit, in der
Familie und in der Freizeit. Die Anforderungen sind hoch, das Tagesgeschäft
ist oft hektisch und die Zyklen der Veränderung sind kurz. Dass gesunde
Herausforderungen nicht in Überforderung und Stress ausufern, bedingt einen bewussten und sorgsamen Umgang mit den eigenen Ressourcen.
Kennen wir unsere Grenzen und Schwächen? Was tun wir, um unsere Stärken zu entwickeln und zu pflegen – bei der Arbeit und im Privaten? Welche
Verantwortung sollen der Betrieb und seine Führungspersonen übernehmen?
Wie viel Eigenverantwortung liegt bei den Mitarbeitenden?
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Auditorium 1
Jupiter
Aula
Referenten und Podiumsteilnehmende
Daniel Büchi
Leiter Personal und Ausbildung, Perlen Papier AG
Daniel Büchi studierte Betriebswirtschaft an der Uni Basel und
schloss ein Nachdiplomstudium in Personalmanagement an der FH
Nordwestschweiz ab. Er verfügt über Erfahrung als Personalberater
und bekleidete verschiedene leitende HR-Funktionen in der Elektro- und
Maschinenindustrie, bevor er 2014 zur Perlen Papier AG stiess.
Beat Bühlmann
Projektleiter «Altern in Luzern» der Stadt Luzern
Beat Bühlmann ist Journalist und Gerontologe MAS. Von 1988 bis
2012 arbeitete er als Inlandredaktor beim Zürcher «Tages-Anzeiger».
Seit dem März 2012 ist er Projektleiter «Altern in Luzern» in der Stadt
Luzern. Beat Bühlmann ist Herausgeber des Buches «Die andere
Karriere. Gesellschaftliches Engagement in der zweiten Lebenshälfte
– am Beispiel von Innovage». Er arbeitet als Lehrbeauftragter an der
Hochschule Luzern – Soziale Arbeit im Modul «Alter und Generationen»
und ist Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für
Gerontologie.
Heinz Frei
Leichtathletik Rollstuhl/Handbike (RSS), Präsident GönnerVereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung
Heinz Frei absolvierte in seiner Jugend eine Ausbildung als Geomatiker,
damals noch als «Fussgänger». Mit 20 Jahren erlitt er einen Sportunfall
bei einem Ausrutscher an einem Berglauf. Darauf folgten Spital- und
Rehabilitationsaufenthalte im Schweizer Paraplegiker-Zentrum. Ab
1980 startete er eine Rollstuhlsportkarriere in einer «Pionierzeit»
mit «Marke Eigenbau». Er ist aktiver Spitzensportler, Referent und
Coach rund um die Themen Rollstuhlsport, Schweizer ParaplegikerStiftung, behindertenspezifische Erfahrungen. Er gewann 15-mal Gold
an den Paralympics und 14 WM-Titel, 112 Marathons und war 10-mal
Behindertensportler des Jahres.
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Referenten und Podiumsteilnehmende
Hans Kunz
CEO, B. Braun Medical AG
Hans Kunz machte nach einer kaufmännischen Lehre die Ausbildung
zum eidgenössisch diplomierten Buchhalter, die er 1985 erfolgreich
abschloss. Von 1998 bis 2000 liess er sich an der Universität Zürich in
Management weiterbilden. Hans Kunz war seit 1982 als CFO bei B. Braun
tätig, seit September 2013 ist er deren CEO. Zu seinen wesentlichen
Verdiensten gehören der Neubau des B. Braun-Hauptsitzes in Sempach
und die Weiterentwicklung des Standortes Schweiz.
Dr. med. Julius Kurmann
Chefarzt Stationäre Dienste und Mitglied der Geschäftsleitung,
Luzerner Psychiatrie
Nach seinem Medizinstudium an den Universitäten Fribourg und Basel
promovierte Julius Kurmann an der Universität Basel. Die psychiatrischpsychotherapeutische Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und
Psychotherapie absolvierte er in Zug und Zürich. Von 1989 bis 1996 war
er Oberarzt und Leitender Arzt an der Psychiatrischen Klinik Luzern und
von 1996 bis 2006 Chefarzt des Psychiatriezentrums Luzern-Stadt. Seit
2006 ist er Chefarzt der Stationären Dienste der Luzerner Psychiatrie.
Zusätzlich verfügt er über einen MAS-Abschluss in «Philosophie und
Management» an der Universität Luzern. Im Weiteren ist er als Dozent an
der HSLU und in der Führungsausbildung der Verwaltungsweiterbildung
Zentralschweiz tätig und hält regelmässig Vorträge zu Themen wie
Depression, Burnout oder Angststörungen.
Martina Marty
Fachverantwortliche BGM, CKW AG
Martina Marty studierte Betriebswirtschaft an der Universität Bern
und schrieb ihre Masterarbeit zum Thema Gesundheitsmanagement.
Ergänzend bildete sie sich an der ZHAW (IAP) in der Beratungspraxis
weiter (CAS). Seit mehreren Jahren beschäftigt sie sich mit dem Thema
Gesundheit im betrieblichen Kontext und ist heute bei der CKW AG für
das Betriebliche Gesundheitsmanagement und verschiedene Projekte in
der Personalentwicklung verantwortlich. Dabei erarbeitet sie zusammen
mit internen und externen Partnern optimale Rahmenbedingungen
zur Förderung und zum Erhalt der Arbeits- und Leistungsfähigkeit der
Mitarbeitenden.
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Referenten und Podiumsteilnehmende
Edith Müller
Leiterin der Abteilung Präventionsangebote, Suva
Edith Müller studierte Betriebswirtschaft an der Fachhochschule
für Wirtschaft in Luzern und Chur. Sie trat 1998 in die Suva ein als
Kampagnenleiterin Schneesport und ist heute als Abteilungsleiterin
Präventionsangebote für 40 Mitarbeitende verantwortlich. Die Präventionsangebote umfassen Kampagnen, Beratungen und Sicherheitsprodukte.
Alexander Otth
Executive Director und HR-Verantwortlicher, UBS AG
Zentralschweiz und Zürich
Alexander Otth schloss 1984 die HWV in Olten und 2002 das EMBA
an den Universitäten St. Gallen und Santa Clara (CA/USA) ab. Nach
Auslandeinsätzen in New York war er in verschiedenen Stabs- und
Front-Führungsfunktionen bei der Credit Suisse und der UBS AG verantwortlich. Heute ist er bei der UBS AG als HR-Business-Partner unter
anderem für die Front-Regionen Zentralschweiz und Zürich tätig.
Claudia Rosso
Leiterin Personal und Mitglied der Geschäftsleitung, Stiftung
Brändi
Claudia Rosso studierte in Zürich und Neuchâtel und schloss als Sekundarlehrerin phil. I ab. Nach einigen Jahren Unterrichtstätigkeit an der
Sekundar- und Berufsschule wechselte sie in den Personalbereich und
absolvierte seither Lehrgänge zur Ausbildungsleiterin und in Personalmanagement. Beim kantonalen Personalamt war sie als Sachbearbeiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Nach 14 Jahren wechselte
sie zur Stiftung Brändi, wo sie zunächst Fachstellenleiterin Personal war
und seit 2013 als Mitglied der Geschäftsleitung für den Bereich Personal
verantwortlich ist.
Josef Wechsler
Teamleitung Fahrdienst, VBL
Josef Wechsler begann im Jahr 1988 als Trolleybuschauffeur bei den
Verkehrsbetrieben Luzern. Nach zehn Jahren wurde er zum Fahrdienstleiter befördert. Nach diversen Weiterbildungen konnte er die Leitung
und operative Führung des Fahrdienstes wahrnehmen.
Nach einer Umstrukturierung Anfang 2014 hat er sich entschlossen, die
Führung von 50 Fahrdienstmitarbeitenden zu übernehmen.
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Stress: Herausforderung oder Überforderung?
Interview mit Julius Kurmann, Chefarzt Stationäre Dienste der Luzerner Psychiatrie
Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sollten Unternehmen auf ein gutes Arbeitsklima achten und ihren Mitarbeitenden vertrauen, sagt Julius Kurmann. Wenn's hektisch
wird, sind «Inseln» zum Entspannen besonders wichtig. Und zum Durchatmen.
Julius Kurmann, Sie arbeiten als Chefarzt der Stationären Dienste der Luzerner Psychiatrie oft
unter Zeitdruck. Sind Sie gestresst?
Ja, es gibt Zeiten in denen ich mich gestresst fühle. Ich spreche bewusst von «Stressgefühl».
Das Stressgefühl hat sehr viel damit zu tun, wie ich den Stress bewerte. Jeder Mensch hat
seine eigenen sensiblen Bereiche, die für ihn stressanfällig sind. Ich fühle mich zum Beispiel
gestresst, wenn ich in einer Arbeit ständig durch Telefonate oder andere Dinge unterbrochen
werde, oder wenn mein Tag bis zur letzten Minute verplant ist und ich dadurch eine gewisse
Autonomie verliere.
Was tun Sie, um Stress zu vermeiden?
Es geht ja nur darum, den negativen Stress zu vermeiden. Es gibt auch einen positiven Stress,
der anspornt und zu guten Leistungen führt. Der negative Stress ist derjenige, in dem ich mich
schlecht fühle, innerlich nicht distanzieren kann und von Gefühlen überwältigt werde. Um diesen Stress zu vermeiden muss ich zuerst wissen, welche Stressquellen für mich persönlich
die problematischsten sind, dann kann ich vorausschauend versuchen, diesen Stressquellen
auszuweichen.
Und wenn es trotzdem zu negativem Stress bis hin zur Überforderung kommt?
Negativer Stress ist nur dann problematisch, wenn er dauerhaft und in einer hohen Intensivität
vorhanden ist. Wichtig ist darauf zu achten, dass immer wieder eine Balance zwischen Anspannung und Entspannung gefunden werden kann. In Überforderungssituationen ist es wichtig zu
versuchen Inseln zu finden, in denen man sich zurückziehen, sich entspannen und ruhig und
achtsam atmen kann, um zur Ruhe zu kommen.
Wie definieren Sie Stress?
Stress entsteht dann, wenn ein länger dauerndes Ungleichgewicht zwischen Anforderungen
und Bewältigungsstrategien (Ressourcen) besteht. Wenn dieses Ungleichgewicht länger anhält
oder besonders intensiv ist, kann Stress krank machen. Wenn aber kurzzeitige Stressphasen
wieder durch Entspannungsphasen unterbrochen werden können, spricht man von Eustress.
Von Distress spricht man erst, wenn das Ungleichgewicht länger andauert, besonders intensiv
ist und wenn keine Entspannungsphasen mehr möglich sind.
Viele Menschen fühlen sich durch hohe Anforderungen am Arbeitsplatz gestresst, klagen über
Leistungsdruck, schlechtes Klima, Unsicherheit am Arbeitsplatz. Arbeitgebende führen wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit ins Feld, den Kampf ums Überleben. Ist das ein Dilemma?
Destruktiver Konkurrenzkampf kann sicher zu vermehrtem Stress am Arbeitsplatz führen. Konkurrenz an und für sich ist noch nicht negativ. Vielmehr geht es darum, wie der Druck, der in
der Wirtschaft besteht, an die Mitarbeitenden weitergegeben wird. Werden diese dauernd zu
Höchstleistungen getrieben, wird ihnen ein Arbeitsklima zugemutet, das ihnen kaum Wertschätzung entgegen bringt und wird ihnen keine Möglichkeit zur Entspannung gegeben, ist das sicher
kontraproduktiv. Der Faktor Mensch spielt meines Erachtens eine zentrale Rolle. Wichtig wäre,
dass Arbeitgeber trotz Konkurrenzkampf in der Wirtschaft in ihren Betrieben ein Arbeitsklima
herstellen könnten, das von Wertschätzung, Respekt, Würde und Solidarität getragen wird.
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Was passiert physisch und psychisch bei Menschen, die sich permanent in erhöhter Alarmbereitschaft befinden, die unter Stress stehen?
Es gibt verschiedene Reaktionen auf Stress. Körperlich führt die Ausschüttung von Hormonen
zu einer Erhöhung von Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz sowie Muskelanspannungen. Geistig kommt es durch die Fixierung der Wahrnehmung auf das Bedrohliche, die Belastung zu einer Einschränkung im Denken mit Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen. Dies kann
auch gefährliches Verhalten fördern und damit das Unfallrisiko erhöhen. Psychisch kann Stress
zu Gefühlen von Hilflosigkeit, Unsicherheit und Angst führen. Und schliesslich kann Stress auch
das Verhalten beeinflussen, zu Rückzug bis hin zur Erstarrung führen, aber auch zu Unruhe,
respektive unnötigem unruhigen Verhalten («Fluchtverhalten»).
Was können Arbeitgebende tun, um durch Stress bedingte Arbeitsausfälle zu vermeiden?
Meines Erachtens müssen sie in erster Linie ein gutes Arbeitsklima schaffen. Wichtig dafür sind
ein wertschätzender und respektvoller Umgang mit den Arbeitnehmenden und transparente,
nachvollziehbare und verständliche Entscheidungen. Vorgesetzte müssen authentisch sein:
spürbar, verlässlich und verbindlich. Das Arbeitsklima schliesslich muss von Vertrauen geprägt
sein. Mir fällt auf, dass in vielen Unternehmen eine grundsätzlich misstrauische Grundhaltung
besteht. Den Arbeitnehmenden wird oft unterstellt, sie möchten für ihren Vorteil etwas herausholen. Meine Erfahrungen mit Mitarbeitenden zeigen, dass die meisten sehr engagiert arbeiten
und sich mit dem Unternehmen identifizieren.
Im letzten «Info Gesundheit und Sport» plädiert Lisa Schmuckli für Rhythmuswechsel im Alltag als Basis für psychisches Wohlbefinden. Wie kann dieser Wechsel zwischen Anspannung
und Entspannung auch bei hoher Arbeitsbelastung gelingen?
Nicht die hohe Arbeitsbelastung spielt eine Rolle, sondern vielmehr der Entscheid des Einzelnen, für sich Inseln zu setzen. Wenn es mir etwas wert ist, für mich Zeit zum Erholen und Entspannen zu schaffen, nehme ich mir diese Zeit auch. Es geht also darum, wie wichtig ich mir
selber bin. Das gleiche gilt auch für die verschiedenen Entspannungsmethoden, die angeboten
werden. Ich glaube, dass es nicht darauf ankommt, welche Methode man wählt, sei es Yoga,
Autogenes Training, oder sportliche Aktivitäten, sondern dass es vielmehr darum geht, dass mir
das, was ich tue, gut tut.
Interview: Renate Metzger-Breitenfellner
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Referat Dr. med. Julius Kurmann
«Was mich nicht umbringt, macht mich stärker»
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Wir sind alle betroffen
Stress:
"Was mich nicht umbringt,
macht mich stärker"
«…ist Ausdruck eines Ungleichgewichtes zwischen den
Anforderungen bzw. Angeboten der (Arbeits-), Umwelt und
individuellen Bewältigungsmöglichkeiten bzw. Bedürfnissen.
Dieses erzeugt negative Spannungen, und so kann Stress als
subjektiv unangenehmer Spannungszustand definiert werden.»
Zapf + Gemmer, 2004
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Julius Kurmann
Dr. med. ,Chefarzt Luzerner Psychiatrie
MAS Philosophie & Management
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Beanspruchung, Leistung und Stress:
Auf das Mass kommt es an!
Definitionen
Unterforderung
= Distress
Eustress
Überforderung
= Distress
Leistungsfähigkeit,
Wohlbefinden
Stress:
als unspezifische Reaktion
Stress:
Qualität des Ungleichgewichtes wird als unangenehm erlebt
(= Distress)
Beanspruchung
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Stressor
Stressquellen I (Stressoren)
Stressreaktionen
somatisch
Herz-/Kreislauf
Puls
Blutdruck
Muskelspannung
Verdauung
Immunabwehr
Sexualfunktion
Blutgerinnung
Energiestoffwechsel
10
Gedanken / Gefühle
Angst
Ärger
Enttäuschung
Verhalten
gereizt
unkonzentriertes
Arbeiten
fehlende Erholungsphasen
gesundheitliches
Risikoverhalten

Aufgabenbezogene Stressoren:
bspw. Zeitdruck, Monotonie, Unterbrechungen

Soziale Stressoren:
bspw. soziale Interaktionen mit Vorgesetzen, Mitarbeitenden, Kunden

Arbeitsbezogene Stressoren:
bspw. Schichtarbeit, Überstunden

Rollenstressoren:
bspw. Rollenüberlastung, Rollenkonflikt, Rollenambiguität
Referat Dr. med. Julius Kurmann
«Was mich nicht umbringt, macht mich stärker»
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Stressquellen II (Stressoren)
Die zehn häufigsten Stressquellen in der Arbeitswelt

Laufbahnbezogene Stressoren:
bspw. Unterbeschäftigung, Arbeitsplatzunsicherheit

Organisationale Veränderungen:
bspw. Einführung neuer Technologien

Physische Stressoren:
bspw. physische Arbeitsbedingungen wie Lärm, Schmutz

Traumatische Stressoren:
bspw. Unfälle
 Immer zu viel zu tun haben
 Unvorhersehbare Unterbrechungen
 Ambiguität (Mehrdeutigkeit) - MA sind sich nicht sicher, was um sie herum
vorgeht
 Misstrauen und Konkurrenz
 Das Mission Statement der Firma steht im Widerspruch zur täglichen
Realität
 Wertlose Leistungsbeurteilungen: "Sie sind hervorragend - Sie sind gefeuert"
 Fehlendes direktes, ehrliches und persönliches Feedback
 E-Mail-Flut
 Fehlender Handlungsspielraum bei der eigenen Arbeit
 Zurückhalten von für die Erledigung der Aufgaben existenziellen
Informationen
(Sonnentag und Freese, 2013)
(Wilkerson, 2007)
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Ressourcen I
Ressourcen II
Situationsbezogene Ressourcen
Personenbezogene Ressourcen

Grosser Handlungsspielraum

Erfahrungen

Anforderungsvielfalt

Selbstvertrauen

Unterstützung durch Kollegen

Eigene Leistungsansprüche

Wertschätzung

Einstellungen, innere Haltungen, Wertmassstäbe

Problemlösefähigkeiten

Bewältigungsstrategien

Konstitutionelle Faktoren wie Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Belastungs-Beanspruchungsmodell
(aus www.baua.de)
Warum reagieren Menschen unterschiedlich?
Anforderungen/psychische Belastung
Individuelle Voraussetzungen des Menschen
«das kann ich schaffen
«das kriege ich hin»
positive Anregung
Aktivierung
persönl. Entwicklung
Erfahrungszuwachs
Wohlbefinden
Bewertung
«das schaffe ich nie»
erlebte Belastung
hohe Anspannung und
Innere Erregung
Beanspruchung
Beeinträchtigung
Ermüdung
Stress
langfristige Folgen
Gesundheitliche
Beschwerden
Fehlzeiten
Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell ist eine mögliche Hypothese.
Jeder Mensch hat eine
anlagebedingte oder
lebensgeschichtlich erworbene Verletzlichkeit und
eine situative Belastung,
die dafür verantwortlich ist, wie auf Stress reagiert wird.
Je nach Verletzlichkeit kann ein Mensch schneller Stress-Symptome zeigen
als ein anderer Mensch.
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Referat Dr. med. Julius Kurmann
«Was mich nicht umbringt, macht mich stärker»
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Vulnerabilitäts-Stress-Modell
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
(aus Bäuml, 2008)
Resilienz
Definition:
Fähigkeit, bei belastenden Lebensumständen rasch in die
ursprüngliche positive Lebenshaltung zurückzukommen.
7 Wege zur Resilienz (Monika Gruhl)
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
7 Wege zur Resilienz (nach Monika Gruhl)
7 Wege zur Resilienz
Drei Grundhaltungen:
Vier Fähigkeiten

Optimismus

Opferrolle verlassen; sich selbst regulieren

Akzeptanz («Es ist, wie es ist»)

Verantwortung übernehmen

Lösungsorientierung

Beziehungen leben

Zukunftsplanung gestalten
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Resilienz
Salutogenese (Antonovsky)
«Schmerz ist unvermeidlich,

In der Salutogenese stellt sich die Frage, wie man trotz Instabilität gesund
bleiben kann
doch Leiden ist eine Entscheidung»

Gesundheit und Krankheit sind ein Kontinuum

Krankheit und Tod sind inhärente Bestandteile menschlicher Existenz
(Dalai Lama)
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Referat Dr. med. Julius Kurmann
«Was mich nicht umbringt, macht mich stärker»
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Salutogenese
Praktisches Vorgehen
Zentral ist der Kohärenzsinn

Stressquellen identifizieren

Erstellen Sie eine Energiebilanz

Ereignisse sind voraussehbar und erklärbar
 Verstehbarkeit

Ich verfüge über genügend Ressourcen und kann die Herausforderungen
meistern
 Machbarkeit

Es ist sinnvoll, die Herausforderungen anzunehmen, dies dient mir
 Sinnhaftigkeit
Was sind Ihre Energiespender?
Was sind Ihre Energiefresser?

Erkennen der inneren Antreiber

Überprüfen der eigenen Wahrnehmung
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Unsere Wahrnehmung
Praktisches Vorgehen
Unsere Wahrnehmungen sind oft vorurteilsbehaftet.
Wie gehen Sie mit Ihrer Zeit um?
Wir sehen das, was wir sehen wollen.
Es fällt uns schwer, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen.
Arbeitszeit
Die Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven wird aber zu einem Gewinn
in unserem Leben
Soziale Zeit
siehe Bild: Las Meninas von Diego Velazquez
Ich‐Zeit
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Strategien zur Prävention und Bewältigung
Strategien zur Prävention und Bewältigung
 Schaffen Sie ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Entspannung
 Lernen Sie, 'nein' zu sagen
 Planen Sie umsichtig, versuchen Sie Zeitdruck abzubauen
 Meiden Sie Situationen, die Ihnen nicht gut tun

Zäsuren setzen

Distanz zu unangenehmen täglichen Aufgaben gewinnen

Ordnung schaffen

Sich erfreulichen/wesentlichen Dingen des Lebens zuwenden

Auszeiten vom Alltag nehmen

Geniessen lernen
 Nehmen Sie sich Zeit für Aktivitäten wie Kultur, Sport etc.
 Überdenken Sie Ihre Ansprüche an sich und andere
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Referat Dr. med. Julius Kurmann
«Was mich nicht umbringt, macht mich stärker»
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Strategien zur Prävention und Bewältigung
Definition der Gesundheit
 Entspannungsmethoden wie Yoga, Autogenes Training, Tai-Chi, Qi Gong
Gesundheit ist,
und Meditation sind hilfreich
ein achtsamer Umgang mit sich, seinem Geist und seinem Körper pflegen
und
 Arbeit an sich! durch Aufgeben von unrealistischen Erwartungen an sich:
der Krankheit und Vergänglichkeit respektvoll begegnen und akzeptieren
können.
 "Ich bin für alles verantwortlich"
 "Ich muss besser sein als die anderen"
 "Ich brauche keine Hilfe"
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"Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"
6. KMU Tagung, 24.6.2015, Nottwil
Zitat von Albert Schweitzer:
„Das Heil der Welt liegt nicht in neuen
Maßnahmen,
sondern in einer anderen Gesinnung.“
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Die positive Kraft des Stresses nutzen
Ein Gespräch mit dem mehrfachen Paralympics-Medaillengewinner Heinz Frei
Heinz Frei ist vielfacher Medaillengewinner an Paralympics-Sommerspielen, Leichtathletik-Europa- und Weltmeisterschaften, mehrfacher Sportler des Jahres, Sportcoach
und Präsident der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Er ist
überzeugt, dass sich negativer Stress positiv nutzen lässt, wenn man sich bemüht, das
Bestmögliche aus der Situation zu machen.
Heinz Frei ist sportlich, energiegeladen, positiv. Dass sich auch negativer Stress positiv nutzen
lässt, hat der Rollstuhlsportler sozusagen am eigenen Leib erfahren: Als er vor 37 Jahren bei
einem Berglauf stürzte und in eine Schlucht fiel, brach er sich die Wirbelsäule und zog sich
schwere Rückenverletzungen zu. Heinz Frei, damals 20 Jahre alt und ambitionierter Sportler,
konnte nicht mehr aufstehen. «Die Hoffnung, die sich in so einem Moment aufbaut, wurde von
einem Tag auf den anderen zunichtegemacht. Ich musste mich auf ein Leben im Rollstuhl vorbereiten.»
So ein Ereignis ist ja Stress pur. Und beileibe nicht positiv …
Natürlich nicht. Und neben dem Stress spürte ich auch Trauer, Angst, Perspektivlosigkeit. Doch
dann folgte sozusagen eine Trotzreaktion. Ich lehnte mich gegen mein Schicksal auf.
Ist das in dieser Situation nicht ein fast unmögliches Unterfangen?
Dass ich gelähmt bin, musste ich akzeptieren. Aber ich wollte das Bestmögliche versuchen. Ich
wehrte mich gegen zu viel Abhängigkeit. Schon im Spital zeigte ich den Kollegen gegenüber
Stärke. Die schwache Seite bekamen nur meine Eltern zu Gesicht …
Wann entschieden Sie sich für den Rollstuhlsport?
Für mich stellte sich schon bald die Frage, was ich mit meiner Bewegungsarmut machen sollte.
Das Rennvelo war keine Option mehr, die neuen Langlaufskier, die ich mir kurz vor dem Unfall
noch gekauft hatte, standen nutzlos in einer Ecke. Ich war gefangen in meinem gelähmten Körper – und wollte trotzdem ausbrechen.
Damals führte der Rollstuhlsport noch ein Mauerblümchendasein. Das hiess für mich, einen
konventionellen Rollstuhl umzubauen, zu tüfteln, auszuprobieren. Und dann diesen einmal eingeschlagenen Weg Schritt für Schritt zu verfolgen.
Sie schöpfen aus Sport, Training und Wettkämpfen viel Energie. In Nottwil gibt es aber auch
Patientinnen und Patienten, die mit Sport nichts am Hut haben. Was raten Sie ihnen?
Auch für Sportmuffel geht es darum, das Beste aus der Situation zu machen. Das gelingt dann,
wenn sie eine Aufgabe haben, etwas Sinnvolles tun können, wenn sie sich einsetzen und etwas bewegen. In welcher Form auch immer. Das kann in Musik, Kunst oder Politik sein. Das
Tätigkeitsfeld spielt keine Rolle. Es geht um die Freude an dem, was ich tue. Um das Selbstwertgefühl.
Wie wichtig sind objektiv messbare Erfolge – Medaillen, Siege – für Ihren Weg?
Ich hatte das Glück, dass ich nie erfolgreich sein musste. Ich durfte Erfolge anpeilen, hatte nie
Druck. Für den Erfolg im Sport ist das richtige Gefühl wichtig, oft entscheiden Taktik und Glück.
In einem Wettkampf hinter den Medaillen zu landen, ist nicht unbedingt eine Niederlage. Für
mich muss meine persönliche Leistung stimmen. Dann bin ich zufrieden.
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Gibt es für Sie eine Form von Stress, der Sie nichts Positives abgewinnen können?
Es gibt im Alltag sicher Dinge, die mich nervös machen. Der Treppenlift in unserem Haus
braucht zum Beispiel eine ganze Minute von einem Stock in den anderen. Wenn ich zeitlich
unter Druck bin, kann eine Minute sehr lang sein. Zumal sie sich verdreifacht, wenn ich noch
einmal umkehren muss, weil ich etwas vergessen habe …
Aber beim Sport brauche ich eine gewisse Dosis Stress, Anspannung. Sie erzeugt die Leistungsbereitschaft, die es mir ermöglicht, über mich selbst hinauswachsen zu können. Deshalb
bin ich auch im Wettkampf immer stärker als im Training. Da fehlt das Kribbeln, das mich antreibt und schnell macht.
Ist Stress etwas Subjektives?
Menschen gehen unterschiedlich mit Stresssituationen um. Das ist durchaus subjektiv und individuell. Was für die einen extrem stressig und blockierend ist, stachelt andere an, lässt sie in
Fahrt kommen. Menschen reagieren sehr verschieden auf Druck und Belastung.
Wie ist es denn möglich, ein so massiv negatives Ereignis wie eine Querschnittlähmung positiv zu nutzen? Ist das eine Frage des Charakters?
Ganz sicher brauchen wir positive Beispiele. Menschen, die uns authentisch vorleben, dass es
möglich ist, auch unter widrigen Umständen ein glückliches und erfülltes Leben zu führen.
Es ist vielleicht nicht unbedingt eine Frage des Charakters – aber sicher der Einstellung. Bei
mir arbeitet noch ein Drittel der vorhandenen Muskelmasse. Es war deshalb also nicht möglich,
im Rollstuhl zu sitzen und mit dem Appetit eines 20-Jährigen zu essen. Es geht im Prinzip um
Disziplin – und darum, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Das ist aber in vielen
Bereichen so. Es gibt eine Menge übergewichtige Menschen, die wissen, dass sie eigentlich
weniger essen und sich mehr bewegen sollten. Und trotzdem tun sie‘s nicht …
Warum haben Sie persönlich es geschafft, das Beste aus der Situation zu machen?
Ich war jung – und wollte trotz des Unfalls noch einmal eine Perspektive haben. Ich wollte das
Leben selbst meistern. Ohne Hilfe von aussen. Am Anfang war der Sport Therapie, dann ein
Weg in die Selbständigkeit, zum Erfolg. Ich werde ein Leben lang Sport treiben müssen, um
im Rollstuhl fit zu bleiben. So nutze ich auch hier die positive Seite – ich mache das, was ich
machen muss, mit Freude.
Und mit Erfolg!
Ja, aber der ist nicht das Wichtigste. Ich werde manchmal vom Pflegepersonal im Paraplegiker-Zentrum bei sogenannten schwierigen Fällen als Berater zugezogen. Dann fahre ich mit
den Patienten in die Natur, es kommt zu spannenden Gesprächen, sie spüren ihren Körper. Ich
bin kein Psychologe – aber ich denke, dass ich mit meiner Erfahrung und meinem Hintergrund
– und vor allem als positives Beispiel – bei einigen Patienten etwas bewegen kann.
Hatten Sie nie Angst, an dieser Aufgabe zu verzweifeln, dieses Leben nicht zu schaffen?
Ich habe immer versucht, nicht zu viel Angst zuzulassen. Sie lähmt mich – und ich bin körperlich ja schon genug gelähmt. Zudem möchte ich grundsätzlich nicht nur reagieren, sondern vor
allem agieren. Aber gesunder Respekt kann richtig, nützlich und wichtig sein.
Es geht also darum, auch aus belastenden Situationen das Positive herauszuholen, die nötige
Balance zwischen Belastung und Ressourcen zu finden, Erholungspausen einzubauen. Zu viel
Training kann zum Beispiel zu einem Leistungsabbau führen. Aber mit dem gewissen Kribbeln
lassen sich Berge versetzen …
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Interview: Renate Metzger-Breitenfellner
Referat Heinz Frei
Die positive Kraft des Stresses nutzen
Heinz Frei
1
Das Rad – mein wiedergefundener Garant
für Lebensqualität - mein Schuhersatz
3
Wie und mit welchen Werten finde ich zu meinem
Glück – eigene Strategie zur Erwartungshaltung als
Startrampe zum Erfolg!?
Brennen ohne auszubrennen
2
Wie schaffte ich die Distanz zum VORHER
Die Entdeckungsreise des noch Möglichen wagen
4
Oft steht uns der Kopf im Weg –
die Balance zwischen Körper und Geist
Das Leben ist immer wieder
lebensgefährlich – ganz viele gute
Schutzengel wünsche ich Ihnen.
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Porträts der Veranstalter
Gesundheits- und Sozialdepartement
Dienststelle Gesundheit und Sport
Dienststelle Gesundheit und Sport, Gesundheitsförderung
Die Dienststelle Gesundheit und Sport setzt die strategischen und die finanzpolitischen Ziele
des Gesundheits- und Sozialdepartements im Bereich der Spitäler, Ärzte, Apotheken und Drogerien um und ist verantwortlich für die Beaufsichtigung des öffentlichen Gesundheitswesens.
Die Fachstelle Gesundheitsförderung ist das Kompetenzzentrum des Kantons Luzern im Bereich Gesundheitsförderung. Sie verfolgt die Vision, dass die Luzerner Bevölkerung in einem
gesunden Umfeld lebt und fähig ist, ihre Gesundheit selbstbestimmt und positiv zu beeinflussen. Dazu erarbeitet sie Programme und Projekte zur Förderung von genügend Bewegung,
ausgewogener Ernährung, psychischer Gesundheit, Gesundheit im Alter und betriebliche Gesundheitsförderung.
www.gesundheit.lu.ch/gesundheitsfoerderung
Suva
Als selbstständiges Unternehmen des öffentlichen Rechts versichert die Suva rund 121‘000 Unternehmen bzw. 1,95 Mio. Berufstätige gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten.
Ihre Dienstleistungen umfassen Prävention, Versicherung und Rehabilitation.
Mit der Angebotsmarke Suvaliv unterstützt die Suva mit massgeschneiderten Kampagnenelementen die Prävention von Unfällen in der Freizeit und das sichere und gesunde Verhalten in
Sport und Alltag. Neben den Sicherheits-Kampagnen motiviert sie zudem versicherte Betriebe
und deren Mitarbeitenden für Sicherheit und Gesundheit. Dafür bietet sie eine grosse Palette
von Präventionsmodulen an, die von den Betrieben bestellt und in Eigenregie oder mit Fachpersonen umgesetzt werden können.
www.suva.ch/praeventionsmodule; www.suva.ch/bgm
Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz IHZ
Die IHZ ist ein regionaler Wirtschaftsverband und eine der insgesamt 18 Industrie- und Handelskammern der Schweiz. Sie setzt sich ein für wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen
in der Zentralschweiz und wirkt als Kompetenzzentrum mit einer breiten Dienstleistungspalette
für ihre Mitglieder:
• Die IHZ unterstützt und berät Unternehmen bei der Abwicklung von Exportgeschäften.
• Als politischer Interessenvertreter beteiligt sich die IHZ an eidgenössischen und kantonalen Vernehmlassungen.
• Als Unternehmensplattform fördert sie den Erfahrungsaustausch der Mitglieder.
• Als Informationsstelle informiert die IHZ Mitglieder, Behörden, Medien und andere interes-
sierte Kreise zu den verschiedenen Bereichen der Zentralschweizer Wirtschaft.
www.ihz.ch
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WIR DANKEN UNSEREN SPONSOREN UND PARTNERN
Gewerbeverband des Kantons Luzern
VERANSTALTER
Sponsorplakat_1230x1500mm_org.indd 1
24.03.15 14:15
23. Juni 2016
7. KMU-Tagung zur betrieblichen Gesundheitsförderung