Reise Schweiz Leuchtende Berggipfel, der Duft von Kräutern und Arven, im Talboden der rauschende junge Inn, an den Hängen malerische Dörfer: Das Unterengadin ist ein Paradies, wie man es sich schöner kaum vorstellen kann. Text: Maya Höneisen; Fotos: Andrea Badrutt 6 Einst Schmuggler-, heute ein grossartiger Wanderweg: Die Felsengalerie im Val d’Uina. Reise Schweiz April | 2016 7 2 Reise Schweiz 1 Die gr grossen E Engadinerhäuser g d rh r mitt den mächtigen g Toren und den sgraffitiverzierten g Fassaden vermitteln Ewigkeit. 1 Ardez mit seinen grossartigen alten Häusern gilt als Musterdorf romanischer Wohnkultur. 2 In der Region Lischana auf 2500 m ü M. gibt es mehr als 20 Seen. 3 Bei Ftan, auf einem sonnigen Hochplateau gelegen, lässt sich wunderbar die Umgebung entdecken. 8 Ins Unterengadin sollte man langsam anreisen. Mit dem Zug, dem Postauto oder am besten gleich mit der historischen Postkutsche. Von Mitte Juli bis anfangs September holpert einmal pro Woche ein Sechsspänner von Davos bis zum Flüelahospiz. Zeit zum Entspannen, Zeit in einer archaischen Passlandschaft, die aus dem Alltag zurück zum Sein bringt. Ausserdem – und dieser Grund zur langsamen Annäherung ist weitaus praktischer – darf man die Vorfreude auf ein ursprüngliches, authentisches Hochtal länger geniessen. Was sich nun wirklich lohnt. Denn das Unterengadin ist schlichtweg paradiesisch. Im Dorf von Uorsin Wir haben uns spontan entschieden, dem Unterengadin auf die Spur zu kommen, sind ohne die Serpentinen hinauftrabenden Pferdchen, sondern mit der Rhätischen Bahn angereist und in Scuol gelandet, dem Zentrum des Unterengadins. Von hier aus wollen wir auf Entdeckungsreise gehen. Also kurz einmal die Landkarte studiert. Guarda? Ja, warum nicht. Die Heimat des Uorsin, des Schellen-Ursli. Das Minipostauto klettert vom Tal hinauf zum pittoresken Dorf hoch über dem Inn. Eine andere Welt, eine heile, friedliche, eine zeitlose. Die grossen Engadinerhäuser mit den mächtigen Toren und den sgraffitiverzierten Fassaden vermitteln Ewigkeit. Man möchte bleiben. Wenn nicht für immer, so doch für eine gute Weile. Diese geniessen wir im Boutique-Hotel Romantica Val Tuoi auf der Terrasse bei einer himmlischen Verführung: einem Stück Engadiner Nusstorte. Fast ein bisschen traurig nehmen wir wieder Abschied, freuen uns aber bereits auf ein nächstes Unterengadiner Ziel. Wo Zwerge Kobolde und Feen hausen Früh aus den Federn und in die Wanderschuhe, heisst es am nächsten Tag. Der Himmel wölbt sich stahlblau über die leuchtenden Bergspitzen. In die Val Sinestra möchten wir, erklären wir dem Chef im Hotel Crusch Alba in Scuol beim Frühstück. «Aha», meint er, «dahinten spukts aber». Wie bitte? Naja, was soll es. Von einem Geist lassen wir uns ganz bestimmt nicht irritieren. Wir machen uns auf die Socken nach Sent, ein weiteres dieser malerischen Dörfer. Der Ausblick auf den mächtigen gegenüberliegenden Piz Lischana ist wahrlich beeindruckend. Majestätisch erhebt er sich über das Tal. Aber wir wollen ja weiter. Runde sechs Kilometer geht es ohne grosse Steigung hinein in die Val Sinestra und bis zum Kurhaus gleichen Namens. Das Jugendstilhaus wurde im Jahr 1912 erbaut und klebt wie ein Adlerhorst an den steilen Bergflanken. Hier soll es spuken, was uns inzwischen irgendwie nicht mehr wundert. Die schroffen Felsen und die urtümliche Gebirgslandschaft haben etwas Mythisches 3 verstecken sich Kobolde, an sich. Ganz bestimmt Zwerge und Feen hinter Baumstämmen, in Erdlöchern und verwitterten Arven. Wir lassen das Kurhaus hinter uns und visieren für unsere Rast den Hof Zuort an, denn inzwischen knurrt unser Magen. Gut, hier auf der Terrasse die müden Beine zu strecken und noch besser, eine währschafte Gerstensuppe zu löffeln. Und wie es duftet hier: nach Holz und Erde, nach Authentizität und reiner Natur. Tamangur und der letzte Bär Gut tut es, nach der Wanderung die Muskeln im Bogn Engiadina in Scuol zu entspannen und danach bei einer feinen Plain in Pigna neue Pläne zu schmieden. Unser nächster Ausflug soll nach S-charl gehen. In der Val S-charl, einem Seitental im Nationalpark, wurde 1904 der letzte Bär auf Schweizer Boden geschossen. Wen wundert’s also, wenn es hier einen Bärenerlebnisweg gibt. Auch führt hier eine Wanderung durch den höchst gelegenen Arvenwald Europas, dem «God da Tamangur» (Deutsch: «Der Wald da hinten») in die Val Müstair. Auf Schusters Rappen unterwegs waren 3 Reise Schweiz uarddda Guar Der berühmte Bub aus Gu theit verholfen. Das Haus Nummer Kinderbuch dem Schellen-Ursli zu internationaler Berühm h ihrem Selina Chönz hat mit ih für das Elternhaus des Buben. Letztes Jahr hat der rda diente dem Illustrator Alois Carigiet als Vorlage 51 in Guarda dem iedenen Schauplätzen im Unterengadin verfilmt. Auf weiizer Regisseur Xavier Koller die Geschichte an versch hw Schwe nachleben. www.engadin.com Schellen-Ursli-Weg in Guarda kann man die Geschichte S Februar | 2016 9 Reise Schweiz Tipps 1 2 Für unerschrockene Bergwanderer S-charl – Fora da l’aua – Lais da Rims – Val d’Uina. Anspruchsvolle Tagestour auf das Seenplateau von Rims und durch die spektakuläre Felsengalerie der Val d’Uina nach Sur En. Wie schnell man doch hier oben mit der Natur in Einklang sein kann. Ab Scuol mit dem Postauto nach S-charl. Über die Sommerkurse gibt www.sbb.ch Auskunft. Rückfahrt: Ab Sur En mit dem Bus 923 nach Scuol. www.engadin.com 0 1 Die Chasa da Fö – auf 2200 m ü.M. werden heute Kochkurse angeboten. 2 Blick auf das Dorf Ramosch – hier ist Natur pur angesagt. wir aber gestern schon. Uns interessiert heute die Schmelzra. Das kleine Museum dokumentiert die 300-jährige Bergbaugeschichte in der Val S-charl. Zahlreiche Exponate zeugen von der harten Arbeit der Kumpels im Stollen. Das mittelalterliche Stollennetz mit einer Länge von 13 Kilometern kann geführt b esichtigt werden. Dieses Abenteuer lassen wir aber aus. Wir geniessen definitiv lieber Sonne und frische, würzige Bergluft. Der Bär ist übrigens auch hier. Richtig, genau der, der 1904 geschossen wurde. Beeindruckend gross posiert er auf den Hintertatzen mitten im Museum. Kochen im ehemaligen Schweinestall VERBINDUNGEN NACH SCUOL Ab Zürich 2 Stunden 50 Minuten. Ab Chur 2 Stunden 6 Minuten. Ab St. Gallen 3 Stunden. 10 Wir wechseln auf unserer Entdeckungsreise durchs Unterengadin nochmals die Talseite nach Ftan. Ein Ort wie aus dem Bilderbuch. Bloss schöner. Gegenüber erheben sich die Unterengadiner Dolomiten in ihrer ganzen Pracht. Unten im Tal steht auf einer Anhöhe trutzig das Schloss Tarasp. Der Inn schlängelt sich glitzernd durch die Talebene. Ein Bild der Zeitlosigkeit, der Ewigkeit, das Demut in die Seele kriechen lässt. Wiederum: schlicht paradiesisch. In diesem Sinn macht das Hotel Paradies in Ftan diesem Flecken Erde alle Ehre. Das Bijoux auf 1650 m. ü. M. glänzt mit hochstehender Kulinarik. Das heimelige Arvenholz verströmt seinen typischen Duft und zaubert urchigen, gemütlichen Charme in Stuben und Zimmer. Auf der einladenden Hotel-Terrasse geniessen wir die atemberaubende Aussicht und die Stille. Wie schnell man doch hier oben mit der Natur in Einklang sein kann. WIEN ALDIER 4 /2013 | A R T UNDREISE Die Pensiun Aldier am Für Geniesser und Kunstfreunde Mitten im zauberhaften Sent steht die Pensiun Aldier, ein mit viel Liebe restauriertes Engadinerhaus. Im Gewölbekeller überraschen Werke von Alberto und Diego Giacometti und die Fotosammlung von Ernst Scheidegger. Ab Scuol mit dem Bus 923 nach Sent www.aldier.ch Noch höher, in der «Chasa da Fö», biete das Hotel Kochkurse an, erfahren wir. Der kleine ehemalige Schweinestall auf 2200 m. ü. M wurde vom ParadiesTeam umgebaut und zur Kochschule umfunktioniert. Gekocht wird auf einem alten Holzofen, gegessen an schweren, alten Holztischen in einem Hüttchen, über welchem ein unvergesslicher Sternenhimmel funkelt. Zurück in Scuol stellen wir fest, trotz der Zeitlosigkeit dieses Tales ist die Zeit nicht stehengeblieben. Noch eine grosse Portion Capuns und ein bisschen träumen. Noch einen Blick auf die grandiose Bergwelt und im Herzen ein bisschen Wehmut spüren. A revair Engiadina Bassa – wir kommen ganz gewiss wieder.
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