LS1 - Webseiten der Juristischen Fakultät

Surena Koller,
Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei
Prof. Dr. Martin Maties, Professur für Bürgerliches Recht, Wirtschafts- und Arbeitsrecht
Fallbesprechung Grundkurs BGB II
Juristische Fakultät Augsburg
Sommersemester 2013
Universitätsstraße 24
86159 Augsburg
Kolper/Roßmanith/Koller
Zimmer 1050
Tel +49 821 598 – 4596
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AG 9: GoA „Die freundlichen Nachbarn“
Lösungsskizze
Ansprüche G gegen N
Anmerkung:
Wiederholung Anspruchsaufbau / Prüfungsreihenfolge: AG 1 Kasten S.1
I.
Vertragliche Ansprüche G-N (-)
II.
(vertragsähnlich:) Aufwendungsersatzanspruch G-N, §§ 677, 683, 670 BGB
1.
Geschäftsbesorgung, § 677 BGB?
= jede rechtsgeschäftliche oder tatsächliche Tätigkeit
NICHT: Bloßes Unterlassen, Dulden, Gewährenlassen
Hier: Hausüberprüfung (+), Einbau der Scheibe (+)
2.
Für einen anderen (Fremdgeschäftsführung), § 677 BGB?
= jemand besorgt ein Geschäft nicht nur als eigenes, sondern (mindestens auch) als fremdes, wird also mit
dem Bewusstsein, der Erkenntnis und dem Willen tätig, (auch) im Interesse eines anderen zu handeln
 Abgrenzung zum eigenen Geschäft über: Fremdgeschäftsführungswille
a)
objektiv: Fremdheit des Geschäfts?
= Fremdheit des Geschäfts liegt vor, wenn das Geschäft (zumindest auch) in den Interessenskreis eines
anderen fällt
Zu unterscheiden sind daher:
1

Objektiv fremdes Geschäft = Geschäfte, die schon nach ihrem Inhalt, ihrer Natur und/oder ihrem
äußeren Erscheinungsbild einem anderen vorbehalten sind
→ FGW wird vermutet

Auch fremdes Geschäft = Übernahme liegt nach äußerem Erscheinungsbild zugleich im eigenen
und im fremden Interesse (gehört auch zum Interessenkreis des GF)
Bsp.: Selbstaufopferung im Straßenverkehr, pflichtengebundener GF
→ FGW wird grds. vermutet, bei Zweifelsfällen durch Wertungen ermittelt

Objektive eigene Geschäfte und neutrale Geschäfte = eigentlich keine fremden Geschäfte; sie
werden aber zu subjektiv fremde Geschäfte, wenn der Wille des Handelnden, das Geschäft zumindest zugleich auch für den anderen zu führen hinreichend deutlich nach außen tritt
→ FGW muss bei Übernahme der Geschäftsführung nach außen hervortreten, denn erst durch
den Willen erhalten diese Fallgruppen ihren Fremdcharakter
Hier: Überprüfung des Hauses und Einbau des Fensters sollen weitere Schäden am Haus des N verhindern
 Geschäfte fallen in den Geschäftskreis des Eigentümers N
 objektiv fremdes Geschäft (+)
b)
subjektiv: Fremdgeschäftsführungswille, §§ 677, 687 BGB?
wird bei objektiv fremdem Geschäft vermutet (+), s.o.
3.
a)
Kein Auftrag oder sonstige Berechtigung, § 677 BGB?
Auftragsverhältnis, § 662?
Hier: (-)
b)
sonstige Berechtigung?
P: möglicherweise Berechtigung aus nachbarschaftlichem Gemeinschaftsverhältnis?
Nein! Nach Rspr. nur besondere Ausprägung von § 242, aus der gegenseitige Rücksichtnahmepflichten
entspringen können, aber kein (gesetzliches) Schuldverhältnis
4.
Berechtigung zur GoA, § 683 BGB
= entspricht Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des N?
2
a)
Übernahme der GoA im Interesse des N?
= Geschäft ist objektiv nützlich, bezogen auf die persönlichen Verhältnisse des Geschäftsherrn
Hier: Schäden sollten abgewendet werden

b)
Geschäftsführung des G zum Zeitpunkt der Übernahme für N objektiv nützlich und mithin in
dessen Interesse
Übernahme entspricht auch dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des N?
aa) Schritt 1: wirklichen Willen prüfen
Hier: (-), nicht erkennbar, da N abwesend
bb) Schritt 2: wenn wirklicher Wille nicht erkennbar, mutmaßlichen Willen prüfen
= Welchen Willen hätte N im Zeitpunkt der Übernahme - objektiv betrachtet - wohl geäußert?
P: Wie ist der mutmaßliche Wille zu ermitteln, wenn N sich nie dazu geäußert hat?
BGH: Fehlen andere Anhaltspunkte, ist als mutmaßlich der dem objektiven Interesse entsprechende
Wille anzunehmen
Hier: N hätte Reparatur wohl gewollt (Verhinderung von Folgeschäden), daher (+)
5.
Rechtsfolge:
Ersatz wie ein Beauftragter, §§ 683, 670 BGB
 Aufwendungsersatz, § 670 BGB
 ersatzfähig sind alle Aufwendungen, die der Geschäftsführer für die Geschäftsführung für erforderlich halten durfte
Aufwendungen = bewusste und freiwillige Vermögensopfer
a)
Ausgaben für die Scheibe:

Aufwendung(+)

durften nach den Umständen für erforderlich gehalten werden
 Wertersatz in Höhe von 300 € (+)
b)
Ersatz der Arbeitskraft?
P: Beauftragter wird grundsätzlich unentgeltlich tätigt (§ 662), daher auch grundsätzlich kein Wertersatz
der Arbeitskraft und -zeit über § 670
3
Es sei denn: Ausnahme
Nach hM: Wertersatz (+), soweit Tätigkeit in die berufliche Sphäre des Geschäftsführers fällt
Arg: Rechtsgedanke des § 1835 III BGB
 nach § 1835 III BGB analog kann G 100 € (= übliche Vergütung nach § 632 II analog) für seine
Arbeitskraft verlangen
Nach a.A.: Wertersatz (+), wenn die jeweilige Tätigkeit typischerweise nur gegen Entgelt verrichtet
wird
Zwischenergebnis: Streitentscheidung entbehrlich, da G nach beiden Ansichten 100 € für seine Arbeitskraft verlangen kann
c)
Ersatz der Arztkosten?
P: Heilbehandlungskosten = Aufwendung?
Nein, da Schaden und kein freiwilliges Vermögensopfer
 keine Aufwendung im klassischen Sinn
hM: Ersatz auch solcher Schäden nach § 670, die typischerweise mit der Übernahme des Geschäfts
verbunden sind
(Realisierung des typischen Risikos der Geschäftsführung und nicht nur des allgemeinen Lebensrisikos)
Grund:

ansonsten Unbilligkeiten

Förderung von Zivilcourage

letztlich freiwillige Übernahme eines Schadensrisikos und damit Schadenscharakter/-ähnlichkeit
Hier: Untersuchung des Hauses wegen eingeschlagener Fensterscheibe mit dem Risiko verbunden, auf
Einbrecher zu stoßen (hier freiwillige Übernahme Schadensrisiko)
 Ersatz der Arztkosten (+)
6.
Ergebnis:
G hat gegen N einen Aufwendungsersatzanspruch in Höhe von 600 €
4
III.
Anspruch G-N auf Wertersatz für die eingebaute Scheibe aus §§ 951, 812 BGB?
(-), da berechtigte GoA einen Rechtsgrund iSd § 812 I BGB darstellt
(§ 951 ist Rechtsgrundverweisung und nicht nur Rechtsfolgenverweisung, so dass die Voraussetzungen
des § 812 BGB mit zu prüfen sind)
Ansprüche S gegen N
I.
Vertragliche Ansprüche S-N (-)
II.
Aufwendungsersatzanspruch S-N, §§ 677, 683, 670 BGB
1.
Geschäftsbesorgung, § 677 BGB?
= jede rechtsgeschäftliche oder tatsächliche Tätigkeit
Hier: Herrichten der Beete (+)
2.
für einen anderen (Fremdgeschäftsführung), § 677 BGB?
= jemand besorgt ein Geschäft nicht nur als eigenes, sondern (mindestens auch) als fremdes, wird also mit
dem Bewusstsein, der Erkenntnis und dem Willen tätig, (auch) im Interesse eines anderen zu handeln
a)
objektiv: Fremdheit des Geschäfts?
= Fremdheit des Geschäfts liegt vor, wenn das Geschäft (zumindest auch) in den Interessenskreis eines
anderen fällt
Hier: Herrichten der Beete ist objektiv fremdes Geschäft (+)
b)
subjektiv: Fremdgeschäftsführungswille, §§ 677, 687 BGB?
wird bei objektiv fremdem Geschäft vermutet (+)
3.
Ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung (+)
4.
wirksame Übernahme eines Geschäftes durch einen Minderjährigen?
Anmerkung:
Kann auch gleich am Anfang des Anspruchs als Ziff. 1. geprüft werden
P: Kann der Mdj. an sich Geschäftsführer jeder GoA sein?
5
e.A.: Übernahme fremden Geschäfts ist rechtsgeschäftsähnliche Handlung, so dass die §§ 104 ff BGB
analog gelten
Übernahme als einseitiges Geschäft daher wegen § 111 unwirksam
Arg.:
 § 682 schließt alle Ansprüche des GH aus, so dass der minderjährige GF nur aus §§ 823 ff. und
812 ff. haftet
 daher müsse dem minderjährigen GF umgekehrt der Anspruch aus § 683 ausgeschlossen werden – sonst unbilliges Ungleichgewicht
h.L.: keine entsprechende Anwendung von §§ 104 ff.
Arg.:

Minderjähriger kann sich ohnehin nicht selbst verpflichten, s. § 682 BGB

bei GoA durch tatsächliches Handeln sind die §§ 104 ff. sowieso nicht anwendbar

GH wird über gefordertes Interesse nach § 683 BGB ausreichend geschützt
Streitentscheid: pro h.L., da die Gegenansicht dazu führen würde, dass i.d.R. eine unberechtigte GoA bei
Beteiligung eines Mdj. als GF vorliegt und der Umkehrschluss aus § 682 nicht überzeugt (ähnlicher Minderjährigenschutz wie bei § 179 III, bei dem ein solcher Umkehrschluss auch (-))
Zwischenergebnis: Mdj. kann GoA-Geschäftsführer sein
5.
Berechtigung zur GoA, § 683 S. 1 BGB
= entspricht Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des N?
a)
Übernahme der GoA im Interesse des N?
= Geschäft ist objektiv nützlich, bezogen auf die persönlichen Verhältnisse des Geschäftsherrn
Hier: Herrichten der Blumenbeete im Interesse des N?
P: SV sehr spärlich
wohl anzunehmen, dass N die Blumenbeete ohnehin wieder herrichten würde
 also objektiv nützlich und mithin objektives Interesse des N daran
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Anmerkung:
A.A. vertretbar, vgl. dann zur weiteren Prüfung die ausformulierte Lösung.
b)
Übernahme entspricht auch dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des N?
aa) Im wirklichen Willen?
Hier: Nicht erkennbar, da N abwesend
bb) Im mutmaßlichen Wille?
= Welchen Willen hätte N im Zeitpunkt der Übernahme - objektiv betrachtet - wohl geäußert?
 mangels Angaben im SV wieder obj. Interesse heranziehen
 im mutmaßlichen Willen (+)
c)
Steht § 681 der Berechtigung entgegen?
P: § 681 verlangt, dass man „Entschließung des GH abwartet“, wenn keine Gefahr mit einer Verzögerung
verbunden ist. Entfällt hier deshalb die Berechtigung i.S.d. § 683?
Nein, § 681 schließt im Falle fehlenden Abwartens die berechtigte GoA nicht aus, sondern setzt vielmehr
eine solche voraus
 Aufwendungsersatz erfordert nur berechtigte Übernahme, nicht jedoch berechtigte Durchführung (§ 681 S. 1 BGB aber Frage der Durchführung)
Zwischenergebnis: Berechtigte GoA (+)
6.
Rechtsfolge:
Aufwendungsersatz, §§ 683, 670 BGB
a)
Kaufpreis für Blumen, (+)
b)
Arbeitskraft/Werklohn?
(-), da keine zum Beruf des S gehörende Tätigkeit
III.
Ergebnis:
S kann von N nur Ersatz des Kaufpreises der Blumen verlangen.
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