Tagung Busch Velten April 2016

Call for Papers · Busch · Velten
Die Literatur des Mittelalters im Fantasyroman – Formen einer populären Rezeption
Siegen, 7.-9. April 2016
Fantasy ist aus dem heutigen Buchladen nicht wegzudenken. Seit J.R.R. Tolkiens 'Der Herr der Ringe' hat das
Subgenre der 'High Fantasy', welches explizit mit Motiven und Formen der Mythen, Sagen und der Literatur
des europäischen Mittelalters arbeitet, millionenfache Bucherfolge aufzuweisen. Die Verfilmung der Werke
Tolkiens brachte die langanhaltende Popularität der Gattung auf einen vorläufigen Höhepunkt. Aktuell wird
der als "Epos" bezeichnete Zyklus von George R. R. Martin ('Ein Lied von Eis und Feuer') insbesondere durch
die Fernsehserie 'Game of Thrones' nicht nur bei Liebhabern wahrgenommen. Parodien wie die Bücher von
Terry Pratchett sind über die eingefleischte Fangemeinde hinaus in der Populärkultur angekommen. Selbst
der deutsche Fantasyroman hat längst sein Nischendasein verlassen und kann sowohl mit
ernstzunehmenden Verkaufszahlen als auch Übersetzungen in andere Sprachen aufwarten.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass dieser Erfolg zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch und gerade einer
populären Inszenierung des Mittelalters geschuldet ist. Daraus ergibt sich das Interesse und die Aufgabe der
Literaturwissenschaft und speziell der Mediävistik, jenseits jeglicher Gattungsvorbehalte und
Epochengrenzen die produktive und kritische Auseinandersetzung mit den Texten der Fantasy zu suchen.
Wir gehen von der Beobachtung aus, dass Bilder, Erzählungen und Imaginationen vom Mittelalter in
Fantasyromanen eine wichtige, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle für ihre Faszination spielen. Das
Mittelalter ist hier allerdings nicht als – im akademischen Sinn – historiographisch angemessen
beschriebene, »alteritäre« Epoche relevant, sondern als diffuser Bereich von unterschiedlichen historischen
und gegenwärtigen Elementen, in welchem Vergangenes mit Phantastischem zu einer Projektion des
Anderen als eines Systems eigenen Rechts verschmilzt. Es ergibt sich in romantischer Nachfolge das Bild
einer Welt, die durch ihren Glanz, ihre Ursprünglichkeit, ihre Phantastik begehrt werden soll. Bisher sind
solche Werke oft der "Trivial- oder Bestsellerliteratur" zugerechnet und – mit wenigen Ausnahmen – von der
literaturwissenschaftlichen Forschung als wenig interessant taxiert oder überhaupt nicht beachtet worden.
Freilich wäre es unangemessen und wenig ergiebig, der Fantasy-Literatur lediglich eine schlechte Machart
und Unkenntnis des Mittelalters vorzuwerfen. Vielmehr gilt es, literarische Muster zu erkennen und
mittelalterliche wie moderne Texte mit wechselseitigem Gewinn miteinander ins Verhältnis zu setzen.
Die Tagung versteht sich als ein neues Forum der Verbindung von mediävistischer Rezeptionsforschung und
der Tradition der Siegener Beschäftigung mit populärer Gegenwartsliteratur. Es wird nach Beiträgen
gesucht, die sich auf Fantasy mit kritischer Distanz einlassen wollen. Gefragt werden soll beispielsweise
nach Erzählstrukturen und Handlungsräumen, nach dem Figureninventar bzw. Archetypen oder nach den in
diesen Texten ausgedrückten gemeinsamen Phantasmata des Mittelalters. Ziel ist es, diese Texte aus einer
wissenschaftlich-mediävistischen Perspektive zu lesen, durchaus auch im Vergleich von Elementen
narrativer oder poetologischer Art mit der Literatur etwa des 13. Jahrhunderts, und damit ihr
Faszinationspotential zu erklären. Dabei geht es uns nicht so sehr um die Aufarbeitung einer weiteren
Facette der reichen Mittelalter-Rezeption des 20. und 21. Jahrhunderts, sondern um den bisher weitgehend
!1
Call for Papers · Busch · Velten
unbeachteten spezifisch literarischen Modus dieser populären Rezeptionsform. Interessant erscheinen
weniger die Aufnahme und Transformation mittelalterlicher Objekte, Mythen oder Texte, sondern mehr die
Formen der narrativen Aneignung und Ausgestaltung von Mustern.
Gewünscht werden Beiträge z. B. aus folgenden Bereichen:
1. Strukturen des höfischen Romans. Im Gegensatz zu mittelalterlicher Literatur ist Fantasy
problemlos und ohne Vorwissen verständlich, schließt also an eingeführte Erzählpraxen wie auch
an bestehende Imaginationen des Mittelalters an. Gleichwohl lassen sich Parallelen vor allem zum
epigonalen späthöfischen Romans in Gegenwartsmedien erkennen, die das Mittelalter als Folie
oder Hintergrund haben (Queste, doppelter Kursus, Wunderketten / serielle Abenteuer, das
Wunderbare und Phantastische im ritterlichen »Unterwegssein« [Zumthor]).
2. Archetypen und Heldenbilder. Deutliche Schnittpunkte zeigen sich bei mittelalterlichen und
zeitgenössischen (männlichen und weiblichen) Heldenbildern (Tugenden, Tapferkeit, List, ideale
Schönheit, ritterliche Gemeinschaft, Loyalität, Glauben etc.) und Archetypen (Herrscher, Drachen,
Feen, Krieger, Zauberer, Mahre, Zwerge und Riesen).
3. Glanz und Begehren: Figuren und Dinge in Bewegung. Romane des Mittelalters leben vom Glanz
ihrer Protagonisten, der Kleidung und Ausstattung von Rittern und Damen, der Waffen und
Rüstungen, der Burgen und Feste. Sie werden als begehrenswert und staunenswert (splendor,
stupor) beschrieben, sind ideal konturiert, teils mythischen Ursprungs. Dies wird in
Fantasyromanen in hohem Maß aufgenommen und weitergeführt, wobei wir vor allem an
Selektion und Bearbeitung dieser Aneignung sowie an aus Gattungsinterferenz entstandenen
Hybridformen interessiert sind.
4. Erschaffung von Welten und Räumen. Seit Tolkiens ›Der Herr der Ringe‹ ist die Schöpfung einer
zeitlich und räumlich völlig autonomen sinnstrukturierten Welt (»secondary creation«) ein
Kennzeichen der Fantasy-Literatur. Topographische Einheiten werden zu Handlungsräumen mit
spezifischen Atmosphären. Fraglich ist, in welchem Umfang hier auf mythische und literarische
Anderwelten des Mittelalters als Folie für diese Welten zu rekurrieren wäre.
5. Imaginationen. Fantasy-Welten sind verbunden mit einer Dominanz von Ritualen und Religion,
von Gewalt und Kreatürlichkeit, sie vermitteln eine romantisierte Vorstellung von Rauhheit und
Ursprünglichkeit. Aber Ritualität, Gewalt und religiöse Haltungen finden sind andererseits auch
als wichtige Aspekte höfischer oder epischer Erzählungen wieder. Lässt sich der Anteil genuin
mittelalterlicher Narrative am heute gemeinsamen Imaginären des Mittelalters genauer
bestimmen?
Vorschläge (max. 1 Seite) für Beiträge werden bis zum 12.07.2015 erbeten an: [email protected] und [email protected]
Organisation
Nathanael Busch, Hans Rudolf Velten
!2