Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I für Wirtschaftsjuristen Fallbesprechung X Philipp Ziegler 13.01.2016 Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler Fall 1 Sachverhalt: Antiquitätenhändler A bittet den Kunsthändler K, bei seinem Urlaub im Allgäu nach alten Bauernmöbeln Ausschau zu halten und ggf. für ihn zu kaufen; der Einzelpreis dürfe jedoch 250 € nicht übersteigen. K ist einverstanden und erhält von A folgendes Schreiben: „Hiermit bevollmächtige ich Herrn K zum Kauf von Möbeln in meinem Namen und auf meine Rechnung. (Unterschrift) A.“ In Fischen entdeckt K beim Bauern B einen Schrank im Wert von 250 €. Es gelingt ihm, einen Preis von 50 € auszuhandeln. Der Kauf wurde per Handschlag besiegelt. K erklärte dabei, dass er im Namen des A handle, welcher den Schrank innerhalb von zwei Wochen abholen werde. Als K den A stolz über seinen günstigen Einkauf informiert, erwidert A, er habe kein Interesse an dem Schrank; K möge ihn selbst behalten. Die Vollmacht sei im Übrigen hiermit widerrufen. Über dieses Verhalten des A ist K so empört, dass er beim Landwirt L unter Vorlage des oben wiedergegebenen Schreibens im Namen des A einen Schrank im Werte von 250 € für 275 € kauft. Bearbeitervermerk: Von wem können B und L jeweils Zahlung und Abnahme des Schrankes verlangen? 13.01.2016 Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler A. Anspruch B gegen A gem. § 433 II BGB I. Anspruch entstanden 1. Kaufvertrag? Rechtsgeschäft aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen, Angebot und Annahme a) Kaufvertrag zwischen A und B A hat nicht selbst gehandelt, kann nur berechtigt und verpflichtet werden, wenn er wirksam durch K gem. § 164 I, III BGB vertreten wurde aa) Abgabe einer eigenen Willenserklärung durch K K dürfte nicht lediglich fremde Willenserklärung übermittelt haben (Abgrenzung zum Boten) bb) Handeln in fremdem Namen K müsste in fremdem Namen gehandelt haben 13.01.2016 Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler cc) Vertretungsmacht K müsste im Rahmen seiner Vertretungsmacht gehandelt haben 1. Erteilung der Vollmacht » A hat K bevollmächtigt, in seinem Namen alte Bauernmöbel zum Preis von je 250€ zu erwerben » Wirksame Bevollmächtigung des K in Form einer Innenvollmacht gem. § 167 I Alt. 1 BGB » K handelte innerhalb der Grenzen der erteilten Vollmacht 2. Widerruf » Vollmacht könnte wegen des von A geg. K erklärten Widerrufs gem. § 168 S. 1, 2 BGB erloschen sein. » Widerruf wurde jedoch nach Abschluss des Geschäfts erklärt » Widerruf wirkt nur ex nunc, steht daher einer wirksamen Vertretung des A nicht entgegen Zwischenergebnis: Wirksame Stellvertretung, Anspruch entstanden 13.01.2016 Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler II. Anspruch erloschen III. Anspruch durchsetzbar Ergebnis: B kann von A Abnahme des Schrankes und Bezahlung der 50€ gem. § 433 II BGB (Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Schrankes gem. § 320 I 1 BGB) verlangen. 13.01.2016 Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler B. Anspruch B gegen K gem. § 433 II BGB Anspruch scheidet aus, da K den A wirksam vertreten hat I. C. Anspruch L gegen A gem. § 433 II BGB Anspruch entstanden 1. Kaufvertrag? Rechtsgeschäft aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen, Angebot und Annahme a) Kaufvertrag zwischen A und L A hat nicht selbst gehandelt, kann nur berechtigt und verpflichtet werden, wenn er wirksam durch K gem. § 164 I, III BGB vertreten wurde aa) Abgabe einer eigenen Willenserklärung durch K K dürfte nicht lediglich fremde Willenserklärung übermittelt haben (Abgrenzung zum Boten) 13.01.2016 Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler bb) Handeln in fremdem Namen K müsste in fremdem Namen gehandelt haben cc) Vertretungsmacht K müsste im Rahmen seiner Vertretungsmacht gehandelt haben » K besaß ursprünglich wirksame Innenvollmacht » Diese ist vor Vornahme des Geschäfts durch Widerruf des A gem. § 168 S. 3, 167 I Alt. 1 BGB erloschen » (P) K hat L eine Vollmachtsurkunde des A vorgelegt » Gem. § 172 I BGB wirkt Vorlegung einer Vollmachtsurkunde wie eine Vollmachtskundgabe nach § 171 I BGB » K war demnach trotz Widerrufs der Bevollmächtigung zur wirksamen Vertretung berechtigt » Weitere Erlöschensgründe liegen nicht vor, L war zudem nicht bösgläubig » (P) K könnte bestehende Vertretungsmacht überschritten haben » Begrenzung geht jedoch aus Vollmachtsurkunde nicht vor 13.01.2016 Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler II. Anspruch erloschen III. Anspruch durchsetzbar Ergebnis: L kann von A Abnahme des Schrankes und Bezahlung der 50€ gem. § 433 II BGB (Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Schrankes gem. § 320 I 1 BGB) verlangen. D. Anspruch L gegen K gem. § 433 II BGB Anspruch scheidet aus, da K den A wirksam vertreten hat 13.01.2016 Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler Fall 2 Sachverhalt: Die Passauer Journalistin Julia (J) entdeckte an einem Mittwoch bei einem Stadtbummel mit ihrem Freund Frank (F) in einem Antiquitätenladen in Passau zwei alte englische Truhen, die für je 3.500 € angeboten wurden. Noch während J sich vom Geschäftsinhaber Andreas (A) beraten ließ, wurde sie über ihr Handy zu einer sofortigen Auslandsreise abberufen. J äußerte deshalb gegenüber A, sie könne sich jetzt nicht mehr entscheiden, ob und welche Truhe sie kaufen wolle, gegebenenfalls komme ihr Freund bis Anfang nächster Woche vorbei, der dann auch den Preis aushandeln solle. A war damit einverstanden. Anschließend ließ sich J von F zum Flughafen bringen. Auf dieser Fahrt bat sie ihn nach längerer Überlegung, diejenige Truhe zu kaufen, bei welcher der größte Nachlass auszuhandeln wäre; sie werde bei Lieferung bar zahlen. F versprach, das zu erledigen. Am nächsten Morgen rief J ihn jedoch an und teilte ihm mit, er solle nichts unternehmen, sie wolle nun doch keine der Truhen erwerben. F antwortete: "Ist in Ordnung". 13.01.2016 Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler Nachdem J wider Erwarten schon am folgenden Sonntagabend von ihrer Reise zurückgekehrt war, trennte sie sich nach einem heftigen Streit von F. Dieser suchte daraufhin am Montagvormittag A auf, der sich noch genau an ihn erinnern konnte. Auf einen Preisnachlass angesprochen, erwiderte A, bei der einen Truhe könne er nur den üblichen Rabatt von 3 %, also 105 €, auf Barzahlung gewähren; die andere sei Kommissionsware, deren schnellen Verkauf sein Kunde wünsche, weshalb er bis auf 3.300 € heruntergehen dürfe. Ein zusätzlicher Barzahlungsrabatt könne dann allerdings nicht mehr gewährt werden. F kaufte schließlich im Namen und auf Rechnung von J die zuerst genannte Truhe für 3.500 € abzüglich Barzahlungsrabatt bei Lieferung; der genaue Liefertermin sollte gesondert mit J vereinbart werden. Als A deshalb kurze Zeit später mit J telefonierte, weigerte sich diese, die Truhe abzunehmen und schilderte zur Erläuterung das Telefonat mit F. Nachdem sie auf Nachfrage die Einzelheiten zu den Verhandlungen über einen Preisnachlass erfahren hatte, erklärte sie, nun sei doch wohl für jedermann klar, dass ihr Ex-Freund bloß aus Rache gehandelt habe. Keinesfalls hätte dieser jedenfalls die teurere Truhe kaufen dürfen. A antwortete wahrheitsgemäß, von alledem habe er nichts gewusst, und besteht weiterhin auf Erfüllung. J weigert sich, die Truhe abzunehmen und zu bezahlen. Bearbeitervermerk: Steht A ein Anspruch auf Kaufpreiszahlung geg. J zu? 13.01.2016 Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler Obersatz: A könnte gegen J einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung i.H.v. 3.395€ gem. § 433 II BGB haben I. Anspruch entstanden 1. Kaufvertrag zwischen A und J? Rechtsgeschäft aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen, Angebot und Annahme J hat nicht selbst gehandelt, kann nur berechtigt und verpflichtet werden, wenn sie wirksam durch F gem. § 164 I, III BGB vertreten wurde a) 2 übereinstimmende WE? – Invitatio; Keine übereinst. WE am Mittwoch; Einigung am Montag 13.01.2016 Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler b) Vertretereigenschaft des F 1) 2) 3) 13.01.2016 Abgabe einer eigenen WE Handeln in fremdem Namen Vertretungsmacht a) Vollmachtserteilung » Mögl. Außenvollmacht, § 167 I Alt. 2 BGB » Auslegung der Äußerung der J gegenüber A gem. §§ 133, 157 BGB b) (P) Zeitliche Befristung » Fraglich, ob Vollmacht am Montag noch bestand, § 158 II i.v.m. § 163 BGB » Befristung hinderte den Fortbestand nicht, da F bereits am Montag Vormittag bei A erschienen ist Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler c) (P) Widerruf » Vollmacht könnte durch Widerruf erloschen sein, § 168 BGB » Fraglich, ob § 168 S. 1 oder S. 2 BGB einschlägig » § 168 S. 1 BGB, da Auftrag » Widerruf liegt vor; Zugang gem. § 147 I S.2 BGB » A wurde das Erlöschen der Vollmacht von J jedoch nicht angezeigt » Folge: Keine Wirkung geg. A gem. § 170 BGB! » Ausnahme des § 173 BGB greift nicht da keine positive Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des A d) Ausnahme bei Missbrauch der Vollmacht? » Weisung, F solle diejenige Truhe kaufen, bei der der größere Preisnachlass herauszuhandeln äre » Zuwiderhandlung des F 13.01.2016 Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016 Fallbesprechungen zum Grundkurs BGB I Philipp Ziegler » Risiko eines Missbrauchs trägt der Vertretene » Ausnahme: Kollusion, § 138 BGB » Keine Ausnahme wegen Missbrauch e) Anfechtung der Vollmacht » wohl h.M. lässt die Anfechtung einer Vollmacht mittlerweile zu » ABER: J haftet aus Rechtsscheingrundsätzen gem. § 170, Anfechtung daher ausgeschlossen » Zudem: keine Anfechtungserklärung oder Anfechtungsgrund! Zwischenergebnis: F handelte mit Vertretungsmacht II. Anspruch erloschen III. Anspruch durchsetzbar Ergebnis: A kann von J die Abnahme der Truhe und Bezahlung der 3.395€ gem. § 433 II BGB verlangen (Zug um Zug, § 320 I 1 BGB) 13.01.2016 Fallbesprechung X Wintersemester 2015/2016
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