Querschnittbereich Klinische Pharmakologie / Allgemeinmedizin WS 08/09 Individuelle Dosisanpassung Prof. Dr. Ulrich Jaehde Andreas Lindauer Pharmazeutisches Institut Klinische Pharmazie Pharmakokinetik/Pharmakodynamik – Alles graue Theorie? 4 Kliniken mit nationalem Pharmakovigilanzzentrum Zeitraum 2000-2004 Analyse von UAW, die zur stationären Aufnahme führten Bei 314 von 3092 Patienten (10,2 %) mit aufnahmebedingender UAW Assoziation mit Digitalisglykosid 1 Ein Blick in die Fachinformation… Dosierungen und Konzentrationen von Digitoxin bei stationärer Aufnahme Schmiedl et al., Med Klinik, 2007 2 Körpergewichtsbezogene Dosis von Digitoxin in Abhängigkeit vom Körpergewicht Schmiedl et al., Med Klinik, 2007 Ursachen der Digitalisglykosid assoziierten UAW 90 % der Patienten mit einem Gewicht < 70 kg waren gewichtsbezogen überdosiert. 73 % der Patienten wiesen Serumkonzentrationen oberhalb des therapeutischen Bereichs auf. 60 % der UAW bei Patienten mit Serumkonzentrationen im therapeutischen Bereich beruhten auf pharmakodynamischen Interaktionen (z.B. mit ß-Blockern, Ca-Kanalblockern, Diuretika). 42,4 % der UAW wurden als vermeidbar eingestuft. Schmiedl et al., Med Klinik, 2007 3 Beziehung zwischen Dosis, Konzentration und Effekt Konz. im Plasma Dosis Konz. am Wirkort PHARMAKOKINETIK Effekt PHARMAKODYNAMIK „What the drug does to the body“ „What the body does to the drug“ Pharmakokinetische Parameter F Systemisch verfügbare Fraktion (0<F<1) V Verteilungsvolumen Eliminations- CL Clearance organe V t1/2 Halbwertszeit F.D CL (CLR+CLH+...) t1/2 4 Systemisch verfügbare Fraktion („Bioverfügbarkeit“) EXPOSITION C F= AUC ∞ extravaskulär AUC ∞ intravenös F quantifiziert: LIBERATION AUCiv ABSORPTION AUCev t FIRST-PASS-EFFEKT (präsystemische Elimination) First-Pass-Effekt Präsystemische Elimination F = Ff . Fa . Fnpe 5 Gesamt-Clearance Quantifiziert die ELIMINATION (genau: die Eliminationsleistung der beteiligten Organe) CL = CL = CLR + CLH + ... C CL (A) = CL (B) t1/2 (A) = 4 . t1/2 (B) (F⋅)D AUC∞ B Die Gesamt-Clearance ist unabhängig vom Verlauf der Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve A t Praktische Bedeutung der Clearance Berechnung der Erhaltungsdosis Konzentration MD C Ziel ⋅ CL = τ F τ Zeit 6 Verteilungsvolumen V= (F⋅)A C Verteilungsräume Körperflüssigkeitsvolumina einer 70 kg schweren Person Gesamtkörperwasser 42 L (0,6 L/kg) Extrazellulärwasser 18 L (0,25 L/kg) Plasmawasser 3L Intrazellulärwasser 24 L (0,35 L/kg) Interstitialwasser 15 L 7 Verteilungsvolumen Beispiele Ibuprofen 0.15 L/kg Bindung an Albumin Gentamicin 0.25 L/kg Extrazellulärvolumen Theophyllin 0.6 L/kg Gesamtkörperwasser Diazepam 1.1 L/kg Verteilung in Fettgewebe Tetracyclin 1.6 L/kg Bindung an Ca (Knochen) Digoxin 8.4 L/kg Bindung an Na/K-ATPase Azithromycin 31 L/kg „Ionen-Falle“ Praktische Bedeutung des Verteilungsvolumens Berechnung der Initialdosis Konzentration LD = C Ziel ⋅ V F mit Initialdosis ohne Initialdosis Zeit 8 Fallbeispiel 1 Ein Patient mit einem Körpergewicht von 74 kg wird wegen eines schweren Asthmaanfalls in die Klinik eingeliefert und soll mit Theophyllin i.v. (V = 0,5 L/kg; CL = 40 mL/h/kg) behandelt werden. Angestrebt wird eine mittlere Plasmakonzentration von 15 mg/L. Wie hoch sollten die Initialdosis in mg und die Erhaltungsdosis in mg/h (Dauerinfusion) gewählt werden, wenn a) der Patient vorher kein Theophyllin bekommen hat? b) der Patient mit Theophyllin behandelt wird und bei Aufnahme eine Plasmakonzentration von 6 mg/L ermittelt wurde? c) der Patient starker Raucher ist (CL ist im Durchschnitt um den Faktor 1,6 erhöht)? Halbwertszeit t 12 = ln 2 ⋅ V CL (ln2 ~ 0.693) Bei Mehrfachgabe bzw. Dauerinfusion ist nach 4-5 HWZ der Steady-State praktisch erreicht Nach 4 HWZ ist ein Arzneistoff praktisch vollständig eliminiert. 9 Wahl des optimalen Dosierungsintervalls Beispiel Theophyllin aus: Derendorf, Gramatté, Schäfer, 2002 Pharmakokinetische Dosisanpassung – Wann ? Enge therapeutische Breite Hohe interindividuelle Variabilität der Konzentrationen und Wirkung Keine Möglichkeit von Routinebestimmungen der Wirkung Korrelation zwischen Konzentrationen und Wirkung Hochrisiko-Patienten 10 Hohe Variabilität der Clearance: Beispiel Cyclosporin STANDARDDOSIS Variabilität CL/F ~30 % Therapeutischer Bereich Berücksichtigung individueller Einflussfaktoren ~20 % Therapeutischer Bereich Therapeutisches Drug Monitoring ~15 % Therapeutischer Bereich Arzneistoffe, für die ein TDM empfohlen wird ANTIBIOTIKA Gentamicin Tobramycin Amikacin Vancomycin HERZWIRKSAME GLYKOSIDE Digitoxin Digoxin ANTIEPILEPTIKA Carbamazepin Ethosuximid Phenobarbital Phenytoin Valproinsäure ANTIARRHYTHMIKA Amiodaron PSYCHOPHARMAKA Lithium Amitriptylin Desipramin Imipramin Nortriptylin ANDERE ARZNEISTOFFE Theophyllin Protease-Inhibitoren Ciclosporin Tacrolimus Methotrexat 11 Dosisanpassung bei Nierendysfunktion Abschätzung der Nierenfunktion BESTIMMUNG NACH URINSAMMLUNG CL KR = C KR,U ⋅ VU C KR,S ABSCHÄTZUNG AUS PLASMAKONZENTRATIONEN (z.B. nach Cockcroft-Gault) CL KR = (140 − Alter ) ⋅ KG C KR,S ⋅ 72 x 0,85 (bei Frauen) Dosisanpassung bei Nierendysfunktion nach Dettli Einführung eines individuellen Korrekturfaktors Q´ eines Faktors Q0 (Anteil des Arzneistoffs, der nicht renal ausgeschieden wird) Q′ = Q 0 + (1 − Q 0 ) ⋅ CLKR 100 12 Individueller Korrekturfaktor Q´ Dosisanpassung nach Dettli 1 0,8 2 0,6 0,4 1 0,2 Q0 0 0 20 40 60 80 Kreatininclearance [ml/min] 100 Dosisanpassung nach Dettli Q0 .... aus: Gugeler/Klotz: Einführung in die Pharmakokinetik, 2000 13 Dosisanpassung nach Dettli Anwendung des Korrekturfaktors 1. Verlängerung des Dosierungsintervalls ohne Veränderung der Dosis (Division von τ durch Q‘) 2. Verringerung der Einzeldosis ohne Änderung des Dosierungsintervalls (Multiplikation von D mit Q‘) 3. Beides gesund eingeschränkte Nierenfunktion C C D=0.6xD 0 12 24 36 48 t 60 0 12 OHNE Dosiskorrektur 24 36 48 t 60 MIT Dosiskorrektur Fallbeispiel 2 Eine 58-jährige Patientin (50 kg schwer und 162 cm groß) mit einer Sepsis soll mit Cefazolin i.v. behandelt werden. Die SerumkreatininKonzentration beträgt 2.5 mg/dL. Für einen Nierengesunden wäre eine Dosierung von 6 g/d verteilt auf 3 Dosen gewählt worden. Schlagen Sie ein Dosierungsschema mit Hilfe der Dettli-Regel vor. 14 http://www.dosing.de Dosisanpassung bei Leberdysfunktion Pharmakokinetik bei akuter Leberdysfunktion (z.B. akuter Hepatitis) nur wenig verändert Dosisanpassung wichtig bei chronischer Leberdysfunktion (z.B. Leberzirrhose) Unterschiedliche Konsequenzen für High extraction drugs und Low extraction drugs 15 High und Low Extraction Drugs CLH = fu ⋅ CLint ⋅ QH fu ⋅ CLint + QH E Intrinsische Clearance (CLint) Proteinbindung („Ungebundene Fraktion“, fu) Leberblutfluss (QH) QH << fu . CLint CLH ~ QH HIGH EXTRACTION DRUGS QH >> fu . CLint CLH ~ fu . CLint LOW EXTRACTION DRUGS High Extraction Drugs (E > 0,7) QH << fu . CLint CLH ~ QH F↑ CLH ↔ ↓ Beispiele Propranolol Doxepin Morphin Verapamil EMPFEHLUNGEN 25-50 % der LD 50 % der MD, vorsichtig erhöhen 16 Bioverfügbarkeit (F) von High Extraction Drugs nach p.o. Applikation Arzneistoff Gesunde Patienten mit Leberzirrhose Clomethiazol Flumazenil Midazolam Morphin Nifedipin Nisoldipin Pentazocin Verapamil 0,10 0,28 0,38 0,47 0,51 0,04 0,18 0,10 1,16 0,65 0,76 1,01 0,91 0,15 0,68 0,16 Low Extraction Drugs (E < 0,3) QH >> fu . CLint CLH ~ fu . CLint Beispiele Theophyllin Nitrazepam Carbamazepin F↔ CL ↓ EMPFEHLUNGEN 100 % der LD 50 % der MD, vorsichtig erhöhen 17 Fallbeispiel 3 Ein 80-jähriger Patient soll mit einem Betablocker behandelt werden. Was muss zu Beginn einer Therapie mit Propranolol (lipophil), was bei einer Therapie mit Atenolol (hydrophil) beachtet werden? In einem Pharmakokinetik-Buch finden Sie folgende Informationen: CL (mL/min) Qo Propranolol 840 1 Atenolol 250 0,12 Individuelle Dosisanpassung Erhöhung der Therapieeffektivität Höhere Wirksamkeit Kürzere Therapiedauer Erhöhung der Therapiesicherheit Weniger UAW Weniger Therapieabbrüche Geringere Mortalität Besondere Aufmerksamkeit: Hochrisiko- Patienten (z.B. Frühgeborene, Ältere Patienten, Verbrennungspatienten) 18 http://www.icp.org.nz/ 19
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