Resonanzen. Oswald Spengler und die Postmoderne

Resonanzen.
Oswald Spengler und die Postmoderne.
Internationaler Workshop 27. – 29. Januar 2016, Leuphana Universität
Lüneburg, Kunstraum.
Veranstalter: Gottfried Schnödl, Christian Voller, Erich Hörl (alle ICAM,
Leuphana), Jannis Wagner (Viadrina Frankfurt/Oder).
Spengler standhalten ...
(Theodor W. Adorno)
Der Fall Spengler ist einzigartig: Weder vor noch nach ihm ist ein
Denker, der so populär und einflussreich gewesen ist, binnen so kurzer
Zeit von der Bildfläche verschwunden. Bereits 1938, keine zwei Jahre
nach seinem Tod, galt er als vergessen: Im Deutschen Reich resümierte
bspw. Max Bense zukunftsfreudig, Spengler sei ein epochaler Geist nicht in
dem Sinn gewesen, dass er eine neue Epoche des Denkens ermöglicht
habe, sondern habe selbst eine Epoche dargestellt, die mit ihm zu Ende
gegangen sei: Denn der Untergang des Abendlandes war kein äußerer, sondern ein
innerer Vorgang, ein Vorgang im Theoretischen, im Denken, und mit Spenglers
These hatte er sich vollzogen – und mit dem Vergessenwerden, seiner Überwindung,
seiner Abweisung ging dieser Untergang vorüber.
Zehn Jahre später – das ‚Dritte Reich’ als praktischer Versuch, Spengler
zu überwinden, ist seinerseits Geschichte – notierte Theodor W. Adorno
unter dem Titel Spengler nach dem Untergang: Wenn die Geschichte der
Philosophie nicht so sehr in der Lösung ihrer Probleme besteht als darin, daß die
Bewegung des Geistes jene Probleme wieder und wieder vergessen macht, um die sie
sich kristallisiert, dann ist Oswald Spengler vergessen worden mit der
Geschwindigkeit der Katastrophe, in die, seiner eigenen Lehre zufolge, die
Weltgeschichte überzugehen im Begriff ist. Das Vergessen Spenglers wird hier
als Symptom einer (Geistes-) Geschichte gedeutet, die den Schwarzseher
nicht, wie noch Bense dachte, ‚überwinden’ kann, und gerade deshalb
vergessen muss, um weiterzulaufen – einer Geistesgeschichte, zu deren
allgemeinem Bewegungsgesetz das Vergessen geworden ist. An diesen
Gedanken anknüpfend sprach Jacques Bouveresse in den 1980er Jahren
in Hinblick auf ‚die Postmodernen’ (Foucault, Deleuze, Lacan, LéviStrauss etc.) von einer vengeance de Spengler und argumentierte polemisch,
nur weil der Autor Spengler völlig vergessen sei, könnten viele seiner
Konzepte heute gänzlich neu und ‚postmodern’ erscheinen. Tatsächlich
wäre zu konstatieren, dass viele dezidiert postmoderne Konzepte – die
Verabschiedung des modernen Fortschrittsmodells und die Ersetzung
des Gesellschafts- durch den Kulturbegriff, der kulturelle und historische
Relativismus und die damit einhergehende Identifikation von
abendländischer Kultur und kritischer Vernunft, das Paradigma der
historischen Kulturtechnikforschung und nicht zuletzt der methodische
Eklektizismus der kulturwissenschaftlichen Disziplinen – in Spenglers
Werk Referenzpunkte haben, die kaum je thematisiert werden. Aktuell
stellt sich die Frage, ob Spengler nicht gerade als Vergessener ein
unabgeschlossenes Nachleben führt, allerdings insbesondere in Hinblick
auf den internationalen Boom ‚posthumanistischer’ Theoriebildung, und
zwar insofern, als der Untergang des Abendlandes für Spengler weder
das Ende der Welt, noch den Aufstieg einer anderen Kultur zu neuer,
tausendjähriger Herrschaft bedeutete, sondern sich als sukzessiver
Übergang des faustischen Willens von seinem ursprünglichen Träger, dem
faustischen Menschen, auf dessen vornehmste Schöpfung, die Technik
vollziehen sollte. Damit erweist sich Spengler in einem sehr präzisen Sinn
als Vordenker jener techno-logischen, posthumanistischen und
nachgeschichtlichen Situation, die zu theoretisieren seit einigen Jahren
zentrales Anliegen der Medientheorie ist.
Grund genug, heute an Bouveresse und Adorno anzuknüpfen, und in
Hinblick auf die Leitbegriffe Kultur, Technik und (Ende der) Geschichte die
Frage nach der (vergessenen) Aktualität Spenglers als die Frage nach
Resonanzen zwischen Spengler und der Postmoderne aufzuwerfen.
Resonanzen, die – so unsere Arbeitshypothese – ihrerseits auf eine
tatsächliche historische Konfiguration verweisen, in der die Moderne
zwar unwiderruflich in die Krise geraten, aber doch zu keinem
definitiven Ende gekommen ist. Der Begriff Resonanzen meint dabei
nicht allein nachweisbare Rezeptionsstränge, sondern schließt einerseits
die Wiederkehr des tatsächlich Vergessenen als etwas ‚gänzlich Neuem’
ein und soll andererseits die Reflexion auf den historischen
Resonanzraum ermöglichen, die Postmoderne also als eine Epoche in
den Blick bringen, deren historische Legitimationsnot sich
symptomatisch daran ablesen lässt, dass sie Spengler zwar vergessen,
jedoch nicht überwinden kann. Neben den methodologischen
Problemen, die das Thema aufwirft – denn wie wäre eine
Wirkungsgeschichte zu schreiben, die in den Begriffen der
Rezeptionsgeschichte gerade nicht aufgeht? – wollen wir die Frage
diskutieren, was die Resonanzen zwischen Spengler und der
Postmoderne für diese bedeuten. Es geht uns in diesem Sinne um eine
kritische Neujustierung der Postmoderne, verstanden nicht als
philosophie- oder kulturhistorische Epoche, sondern als behelfsmäßiger
Begriff für eine Situation, in der moderne Geschichtskonzepte ihre
Plausibilität eingebüßt haben, die faktische Überwindung der Moderne
jedoch objektiv gehemmt zu sein scheint. Das Denken über die
Postmoderne, von dem das postmoderne Denken nur ein Teil ist, soll im
Rückgriff Spengler stärker in eine (spät-) moderne Geschichte
eingebunden werden, anstatt als radikaler Bruch mit der Moderne
glorifiziert zu werden. Spengler bietet sich für dieses Vorhaben in
mindestens dreifacher Hinsicht an: Erstens als ein früher Denker der
Postmoderne, insofern sein Untergang des Abendlandes zwar das Ende der
faustischen Moderne modelliert, aber weder das Ende der Welt noch ein
Ende der Menschheit als Gattung vorsieht und folglich Nachgeschichte
zum Thema hat. Zweitens als Krisensymptom und -diagnostiker einer
gescheiterten Moderne. Und drittens als Wiedergänger oder Blindgänger
der Moderne (Gert Mattenklott) in der Postmoderne im Modus vielfältiger
Resonanzphänomene.
Programm
27. 01.2016
15.30 Tagungseröffnung
Keynote: Geoffrey Winthrop-Young (Vancouver): „Knochen, Katastrophen
und theoretische Kältezonen: Spengler zwischen Typostrophen und Technik“
Moderation: Erich Hörl (Lüneburg)
28.01.2016
10.00
Gilbert Merliot (Paris): „Ist Oswald Spenger ein Denker der Postmoderne,
der Hypermoderne oder gar der Vormoderne?“
Fabian Mauch (Stuttgart): „Quellen und Aneignungsformen bei Spengler“
Jannis Wagner (Frankfurt/Oder): „Spengler in der heroischen Moderne“
Moderation: Christina Wessely
13.00
Christine Blättler (Kiel): „Kausalität und Fortschritt unter Verdacht“
Steffi Hobuß (Lüneburg): „Erklärung, übersichtliche Darstellung,
immanente Kritik: Zur Entwicklung von Denkfiguren bei Wittgenstein im
Anschluss an Spengler“
Christoph Görlich (Lüneburg): „Geschichtsmorphologische und
transklassische Logik. Zivilisation, Geschichtsmorphologie und Technik bei
Gotthard Günther im Anschluss an Oswald Spengler
Moderation: Anneke Janssen (Lüneburg)
16.00
Christoph Asendorf (Frankfurt/Oder): „Zwischen faustischem Futurismus
und Posthistoire – Spenglers Technikschrift im Kontext“
Peter Berz (Berlin): „Die Medien der Weltgeschichte. Spenglers Spätwerk“
Moderation: Jan Müggenburg (Lüneburg)
19.30 Abendessen
29.01.2016
10.00
Falko Schmieder (Berlin): „Geschichte’ als geschichtliches Problem:
Adornos rettende Kritik Oswald Spenglers“
Jost Philipp Klenner (Berlin): „Geld als Kraft“
Christian Voller (Lüneburg): „Das Kapital ausknocken. Spengler vs. Marx“
Moderation: Gottfried Schnödl (Lüneburg)
13.00
Christina Wessely (Lüneburg): „Geschichtskryonik. Welteis und
Weltgericht“
Gottfried Schnödl (Lüneburg): „,Was bisher fehlte, war die Distanz vom
Objekt.’ Immanenz und Transzendenz in Spenglers Geschichtsmorphologie“
Eva Geulen (Berlin): „Pseudomorphose. Ein anderer Gegenbegriff der
Säkularisierung“
Moderation: Hermann Rotermund (Lüneburg)
16.00 Abschlussdiskussion