Epilepsie und Neuronale Lipofuszinose - NCL

Epilepsie und Neuronale Lipofuszinose
Jonas Denecke
Neuropädiatrie am UKE Hamburg
PD. Dr. J. Denecke
1
Definition des Krampfanfalls
Synchrone Entladungen von Nervengruppen im
Gehirn, die zu plötzlichen unwillkürlichen stereotypen
Verhaltens- oder Befindungsstörungen führen.
Konvulsion: Motorische Ereignisse herrschen vor,
viele andere Manifestationen sind möglich, vegetative
Symptome, fokale Konvulsionen, komplex fokale
Anfälle/Dyskognitiv, Innehalten, Störungen des
Denkens, der Gefühle (Angst) und der Wahrnehmung
…
2
Wie können epileptische Anfälle aussehen?
• Fokale Anfälle (z.B. rhythmisches Zucken des Armes)
• Dyskognitive Anfälle ( z.B. verminderte Kontaktierbarkeit
mit und ohne weitere Symptome)
• Absencen (kurze Abwesenheit (<15 Sekunden) mit und
ohne Lidflattern)
• Epileptische Myoklonien (kurzes Zucken)
• Myoklonische Anfälle (rhythmisches Zucken)
• Tonische Anfälle (Feste Anspannung der Muskulatur ohne
Zucken)
• Autonome Anfälle (Veränderung der Herzfrequenz,
Erbrechen, Erröten, Pupillenveränderungen..)
• Komplexe Wahrnehmungen ohne Auslöser (Angst,
Dejavu…)….
3
Ein Anfall ist nicht gleichbedeutend mit der Diagnose Epilepsie
Jeder Mensch hat eine individuelle
Krampfschwelle und ist unter bestimmten
Bedingungen fähig einen Krampfanfall zu
generieren
Konvulsionen oder ein Gelegenheitsanfall
(Alkohol, Alkoholentzug, Schlafentzug,
Hypoglykämie, Synkope/Ohnmacht,
Herzrhythmusstörungen, Fieber, Medikamente) ist
nicht gleichbedeutend mit der Diagnose Epilepsie!
4
• Gesamtbevölkerung
– Epilepsie 5-10‰
– Anfälle 5%
– Anfallsbereitschaft bis zu 10%
5
Einteilung:
•
•
Fokale (Partielle) Epilepsie (auf eine Großhirnhemisphäre
beschränktes Netzwerk
Generalisierte Epilepsie (bilateral verteiltes Netzwerk)
Anfallstyp
Klinisch ohne
Apparate, %
Klinisch +
EEG, %
Klinisch + EEG + MRT,
%
Generalisiert
8
23
23
Partial
39
54
58
Nicht
klassifiziert
53
23
19
EEG und Epilepsie
• Neben der Anfallsbeobachtung ist das EEG das entscheidende Kriterium
zur Diagnose, Einordung und Therapieentscheidung bei Epilepsie
• Ein normales EEG schließt eine Epilepsie nicht aus!
• Die Sensitivität für EEG-Auffälligkeiten nach 1. Anfall:
• Erwachsene 10-30%
• Kinder 30-50%
• Steigerung der Sensitivität durch Hyperventilation
• In den ersten 24 Stunden nach einem Anfall ist die Empfindlichkeit des
EEGs höher
• Ein Schlafentzugs-EEG erhöht die Sensitivität des EEGs um 30-50%
• Die Sensitivität des EEGs erhöht sich durch 3-4 EEGs erheblich
• Ein auffälliges EEG ist nicht = Epilepsie, 4-10% aller gesunden Kinder
haben epilepsietypische Potentiale im EEG
7
EEG und Epilepsie
Heute Standard:
Elektronisch aufgezeichnetes Video-EEG
• Das EEG kann nachträglich in unterschiedlichen Verschaltungen
angesehen werden
• Synchrone Darstellung des EEGs und des Videos
• Gleichzeitige Ableitung des EKGs
Optional Langzeit-Video-EEG
• Häufig Wlan gesteuertes Gerät am Patienten (Mobilität!)
• Lückenlose Aufzeichnung über mehrere Tage möglich
• Kamera mit Infraroteinheit im Zimmer
8
Der Blick des Kinderarztes:
• Verlust von Fähigkeiten
• Verlust der Sehkraft
• Epilepsie
Der Blick des Epileptologen:
• Myoklonien / (Myoklonische) Epilepsie mit vielfältigem
Anfallsmuster X,Y,Z
• Verlust von Fähigkeiten
• Verlust der Sehkraft
9
NCL in der Epileptologie:
Progressive Myoklonusepilepsie
Epileptische Enzephalopathie (=Epilepsie mit
Entwicklungsstörung) charakterisiert durch
•
•
•
•
Fortschreiten der Erkrankung
Myoklonien
Epilepsie
Verlust von Fähigkeiten
10
Myoklonien imponieren als ruckartige, rhythmische oder
arrhythmische Zuckungen der Rumpf- oder
Extremitätenmuskulatur, die fokal, multifokal oder
generalisiert auftreten können. Kontraktion und
Relaxation folgen schnell aufeinander. Die Intensität der
Zuckungen kann variieren.
Physiologische Myoklonien treten bei vielen Menschen
kurz vorm Einschlafen auf
11
Woher kommen Myoklonien?
•
•
•
•
Gehirnoberfläche/kortikal – epileptisch
Subkortikal
Spinal
Nerv, Muskelgruppen?
• Einschlafmyoklonien (70% aller gesunden Menschen)
• Schluckauf
12
Myoklonien und NCL:
• In der Literatur oft keine Unterscheidung zwischen
epileptischer und nicht epileptischer Myoklonie
• Eine hinreichend sichere Unterscheidung ist nur bei
paralleler Ableitung eines Video- EEGs (Langzeit-EEGs)
möglich
• Bei epileptischen Myoklonien: Gleichzeitiges Auftreten
eines epileptischen Potentials auf der Hirnoberfläche und
einer Myoklonie-> Möglichkeit einer antiepileptischen
Therapie-(anpassung)
• Keine epileptische Myoklonie: Teils dennoch Wirksamkeit
von antiepileptischen Medikamenten (Valproat,
Levetiracetam, Zonisamid, Benzodiazepinen)
• Piracetam (eher enttäuschende Wirkung)
13
Epilepsie und NCL:
Grundsätzlich gibt es wenige wissenschaftlich „wasserdichten“
Untersuchungen über die optimale Auswahl von
antiepileptischen Medikamenten bei unterschiedlichen
Epilepsien (Sog. evidenzbasierte Medizin)
Ursachen:
Es gibt nicht „den Epileptiker“, die Ursachen für Epilepsien
sind ausgesprochen heterogen (genetisch, Fehlbildungen,
Verletzungen, Infektionen, Frühgeburtlichkeit,
Stoffwechselerkrankungen …) und selbst die Gruppe der NCL
ist ausgesprochen Vielfältig
14
Fortschritt heißt:
• Systematisches Sammeln von Daten
• Sorgfalt bei der Datenerhebung und –bewertung
• Einzelfallerfahrungen können wichtig sein müssen
aber in größeren Gruppen untersucht und
bestätigt werden
• Sammeln von Erfahrungen in Zentren
• Veröffentlichen der Erfahrung
15
Epilepsie und Neuronale Lipofuszinose
CLN3:
• Etwa 1/3 der Betroffenen leiden unter Myoklonien
• Die meisten Betroffenen benötigen 1-2 antiepileptische
Medikamente zur Anfallskontrolle
• Am häufigsten verwendet werden Valproat und
Lamotrigin, sie führen in 80 % der Fälle zu einer
ausreichenden Anfallskontrolle
• Phenobarbital führt bei rund 30% zu einer Anfallskontrolle
16
Studie von 2014:
CLN3:
• 86 Betroffene, Beobachtungszeitraum 12 Jahre
• 86% von diesen hatten Krampfanfälle
• 97% von diesen hatten Krampfanfälle im Jahr der
Befragung
• Im Mittel starteten die Anfälle mit 9 Jahren
• Generalisierte tonisch klonische Anfälle ereignen sich mit
78% am häufigsten
• 36% Dyskognitiv oder Absence
• 14% myoklonisch, 8 % atonisch 5% fokal
Augustine et al 2014
17
Studie von 2014:
CLN3:
• 50% bekommen nur einen einzigen Anfallstyp
• Myoklonische Anfälle und fokale Anfälle ereigneten sich
häufig
• Alle anderen Anfallstypen ereigneten sich im Schnitt alle 3
Monate
• 74% der Anfälle wurden nicht notfalltherapiert, 13%
zuhause, 7% mit Rettungswageneinsatz, 6% mit
Vorstellung in einer Notfallambulanz
• Es zeigt sich eine Zunahme der Anfälle pro Lebensjahr
Augustine et al 2014
18
Studie von 2014:
CLN3: Medikamenteneinsatz bei Epilepsie
• Mit einem Medikament wurden 43,8% behandelt, mit zwei
37%, mit drei 9,6%, mit vier 4,1%, mit fünf 1,4%
• 4,1% wurden nicht antiepileptisch eingestellt
• 49,3% erhielten Valproat
• 41,1% erhielten Levetiracetam (Keppra)
• Gefolgt von Zonisamid, Lamotrigin, Clonazepam (Rivotril),
Carbamazepin, Topiramat, Oxcarbazepin, Phenobarbital,
Phenytoin, Lorazepam, Acetazolamid, Rufinamid,
Clorazepam
Augustine et al 2014
19
Studie von 2014:
Schlussfolgerung:
Für die Auswahl des antiepileptischen
Medikamentes ist die auftretende Anfallsform
wichtiger als die Grunderkrankung.
Bei Myoklonischen Anfällen sollten Medikamente mit
anfallsaktivierendem Potential (Phenytoin,
Carbamazepin, Oxcarbazepin ggf. auch Lamotrigin)
gemieden werden.
Augustine et al 2014
20
Epilepsie und Neuronale Lipofuszinose
CLN2:
• Beginn der Epilepsie zwischen dem 2. und 4. Lj
•
•
Vorrangig Myoklonische Anfälle aber auch..
fokale, teils sekundär generalisierende Anfälle, Absencen,
atone Anfälle und primäre grand mal –Anfälle
Perez-Poyato et al 2012
21
Epilepsie und Neuronale Lipofuszinose
CLN2:
• Myoklonien bei allen Kindern im Mittel ab 3,7 Jahre
• Fokale Anfälle mit Generalisierung bei 83% im Mittel ab
3,4 Jahre
• Myoklonisch atone Anfälle bei 75% im Mittel ab 4,1 Jahre
• Tonisch klonische Anfälle (grand mal) bei 58% im Mittel ab
4 Jahre
• Kontinuierliche Myoklonien bei 92% im Mittel mit 4,7
Jahren
• Keine guten Daten über erfolgversprechende
antiepileptische Medikamente
Perez-Poyato et al 2012 22
23
Am häufigsten eingesetzte Medikamente bei NCL:
•
•
•
•
•
•
•
Valproat
Levetiracetam
Lamotrigin
Zonisamid
Benzodiazepine
Phenobarbital
Topiramat
Perez-Poyato et al 2012
24
Alternative Therapieoptionen:
25
Alternative Therapieoptionen:
Ketogene Diät = Fettlastige Nahrung (aber Kalorien-ausgeglichen),
dadurch im Blut vermehrt antikonvulsiv wirksame Ketonkörper
(alternative Energiesubstrate) und leicht verminderter Blutzucker.
•
•
Für kleine Kinder gibt es eine Fertignahrung (Verschreibbar)
Für große Kinder Mischung aus Fertignahrung und sorgfältigst
bilanzierter Nahrung (sehr wenige Kohlenhydrate, wenig Eiweiß)
Nachteil:
Geschmack ist Geschmackssache
Für große Kinder sehr aufwändig in der Zubereitung und Vorbereitung
Kompromiss:
Modifizierte Atkins-Diät (weniger strikte Diätführung)
26
Zukünftige Therapieoptionen:
(Cannabidiol, Perampanel …)
27
Was kann noch aussehen wie ein Anfall?
• Nicht epileptische Myoklonien
• Bewegungsstörungen und Herzrhythmusstörungen (CLN3)
28
Wichtige Nebenwirkungen häufig bei NCL eingesetzter
Medikamente:
•
•
•
•
•
Valproat: Müdigkeit, Gewichtszunahme, Valproat-Enzephalopathie
(akute massive Verschlechterung der Kontaktierbarkeit, Ängstlichkeit,
massive Bewegungsunruhe, Fieber),
Leberschädigung/Leberversagen (häufige Laborkontrollen notwendig)
Lamotrigin: Hautprobleme mit Ablösen der Haut und Schleimhäute
(überwiegend bei schneller Eindosierung), psychische Veränderung,
Aktivierung von Myoklonien (überwiegend CLN2)
Levetiracetam: Unruhe, Aggressivität, Schlafstörungen (insges. 10%)
Phenobarbital: Sedierung / Müdigkeit (teils gewünscht bei CLN3 und
Unruhe oder Schlafstörungen), Interaktion mit vielen Medikamenten,
Gewöhnung/ milde Abhängigkeit
Benzodiazepine: Sedierung / Müdigkeit, vermehrte Speichen/Schleimproduktion, Gewöhnung / Abhängigkeit
29
Präklinische Notfalltherapie
Zugelassen für die präklinische Anfallstherapie bei
Epilepsie:
• Diazepam Rectiolen (5 mg, 10 mg), maximale
Wirkung nach 10-20 Minuten, Dosierung ab 10 kg
KG. Rektale Anwendung.
• Buccolam (2,5 mg, 5 mg, 7,5 mg, 10 mg), ab 3
Monate zugelassen-18 Jahre. Buccale
Anwendung.
In der Praxis angewendet: Tavor Expidet (1 mg, 2,5
mg), Midazolam (i.v.-Lösung) nasal oder rektal,
30
Chloralhydrat
Präklinische Notfalltherapie
• Buccolam ®:
• Vorteil: Gute
antikonvulsive
Wirksamkeit, rasches
Anfluten, kurze
Halbwertszeit,
sozialverträgliche
Applikationsform
buccal
•Diazepam Rectiole:
• Vorteil: Befriedigende
antikonvulsive
Wirksamkeit, längere
Haltbarkeit der Rectiole,
große Erfahrung,
günstigerer Preis
(Packung a 5 Stk.24-26
€)
• Nachteil: teuer
(Packung a 4 Stk.
114,16€), kurze
Haltbarkeit 12-18
Monate
•Nachteile: mäßig
rasches Anfluten, lange
Halbwertszeit, rektale
Anwendung, nur 2
Dosierungen
31
Status epilepticus: Unscharf definiert, aktuelle
Definition:
• Grand mal >5-10 Minuten (früher 30-60 Minuten)
• Fokal oder Absence >20-30 Minuten
• Dabei durchgehende Anfallsaktivität oder Summe von
Anfällen in kurzer Folge ohne Erlangung des
Bewusstseins
• Grand mal:
• ab 30 Minuten: Schaden möglich
• >60 Minuten: Schaden sehr wahrscheinlich
• Mortalität insgesamt ca. 20%
32