SCHLAGENHAUF „Know-how-Lunch“ Ihr Menu: Kosteninformationspflichten des Architekten und merkwürdige Mietrechtsentscheide Dr. Boris Grell, LL.M., Fachanwalt SAV Bau– und Immobilienrecht Obstgartenstrasse 28, Postfach CH-8042 Zürich Tel. +41 (0)44 268 10 00 Fax +41 (0)44 268 10 01 [email protected] www.hodler-zh.ch Ablauf / Zeitverhältnisse 1. Präsentation (ca. 40 min.) Ø Ø Kosteninformationspflichten des Architekten - 1. Ausgangslage und rechtliche Grundlagen - 2. Zeitpunkt, Form und Inhalt der Information - 3. Einzelfragen und praktische Lösungsansätze zum Thema Merkwürdige Mietrechtsentscheide des Bundesgerichts - «Kleiner Betrag, aber Oho!» - «Parteientschädigung im Schlichtungsverfahren» - «Unwissenheit schützt vor Strafe nicht» 2. Fragen und kurze Diskussion (ca. 5 min.) Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 2 1. Kosteninformationspflichten 1. Ausgangslage und rechtliche Grundlagen Ø Ø Ø Ausgangslage - Grundidee für Umbau- / Neubauprojekt: Kostenprognose durch Planer - Konkretisierung in Grob-Kostenschätzung und Kostenvoranschlag - Mehr- und Zusatzkosten: Baubedingte Mehrleistungen und Zusatzwünsche Bauherrschaft → bei Abrechnung nach Baukosten: Mehrhonorar Architekt - Daneben: Kostenermittlungs- und Kostenkontrollpflichten Rechtliche Grundlagen - Schweizerisches Obligationenrecht (insb. Auftragsrecht: Art. 394 ff.) - allenfalls resp. nur (!) bei vertraglicher Einigung: SIA-Norm 102 (2003/2014!) Welche (höheren) Baukosten muss sich Bauherrschaft gefallen lassen? Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 3 1. Kosteninformationspflichten 1. Ausgangslage und rechtliche Grundlagen (2) Ø Rechenschaftsablegung; allgemeine, gesetzliche Informationspflichten (Art. 400 Abs. 1 OR): «Der Beauftragte [Architekt] ist schuldig, [der Bauherrschaft] auf Verlangen jederzeit über seine Geschäftsführung Rechenschaft abzulegen und alles, was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekommen ist, zu erstatten.» Ø Merke: Gemäss Bundesgericht ist der Kostenvoranschlag des Architekten eine (blosse) Schätzung und darum kein (nach objektiven Kriterien messbares) Resultat resp. kein Werk im Sinne von Art. 363 ff. OR (BGE 134 III 365) Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 4 1. Kosteninformationspflichten 1. Ausgangslage und rechtliche Grundlagen (3) Ø Rechtsprechung des Bundesgerichts: «Der beauftragte Architekt hat […] auch ohne besondere Vereinbarungen […] unaufgefordert einen Kostenvoranschlag sorgfältig zu erstellen und die Baukosten ständig daraufhin zu überprüfen, ob sie sich im Rahmen des Voranschlags halten (BGer 4C.424/2004 m.w.N.) - Indirekte Informations- / Abmahnungspflicht des Architekten bei unzweckmässigen Weisungen der Bauherrschaft, die sich mit dem maximal verfügbaren Budget nicht in Einklang bringen lassen - Rechtslehre: Hinweispflicht des Architekten, dass Bauherrschaft nach der Vorprojektphase eine (aktualisierte) Kostenprognose verlangen kann Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 5 1. Kosteninformationspflichten 2. Zeitpunkt, Form und Inhalt der Information Ø Immerhin: Es gibt keine vorvertragliche Informationspflichten; die Kostenprognose wird parallel zur Projekterarbeitung erstellt und muss von der Bauherrschaft entschädigt werden. Ø Der Kostenvoranschlag ist so darzustellen, dass sich auch eine unerfahrene Bauherrschaft ohne grossen Aufwand ein zuverlässiges Bild über die zu erwartenden Kosten machen kann. Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 6 1. Kosteninformationspflichten 2. Zeitpunkt, Form und Inhalt der Information (2) Ø Ohne spezielle Vereinbarung geht das Bundesgericht bei der Kostenprognose von einer Toleranzgrenze / Genauigkeitsgrad von 10% aus (BGer 4C.424/2004) Ø Bei Anwendung SIA-Norm 102 (Art. 4.3.1 und 4.3.2 2): Ø - «Kostenschätzung» (Phase Vorprojekt) mit – mangels einer anderen Vereinbarung – einem Genauigkeitsgrad von +/- 15% - «Kostenvoranschlag» (Phase Projektierung) mit – mangels einer anderen Vereinbarung – einem Genauigkeitsgrad von +/- 10% Empfehlung: Beträge für «Unvorhergesehenes» sind im Kostenvoranschlag separat auszuweisen Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 7 1. Kosteninformationspflichten 2. Zeitpunkt, Form und Inhalt der Information (3) Ø Ø Bei Bestellungsänderungen: - Der Architekt muss die Bauherrschaft auf allfällige Mehrkosten hinweisen. - Dabei genügt es, wenn der Architekt in allgemeiner Weise auf Mehrkosten hinweist. Eine genaue Bezifferung ist nicht erforderlich. - Falls die Bauherrschaft eine genaue Schätzung wünscht, sind diese Abklärungen und Auskünfte speziell zu vereinbaren und zu vergüten. Bei Arbeitsvergaben: - Der Architekt muss der Bauherrschaft aufzeigen, ob und in welchem Umfang der Vergabeentscheid der Bauherrschaft die Gesamtkosten (des Bauwerks) beeinflusst – namentlich, ob der Vergabeentscheid zu einer Überschreitung des Kostenvoranschlags führen könnte. Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 8 Kosteninformationspflichten 3. Einzelfragen, praktische Lösungsansätze Ø Haftung für unterlassene oder falsche Kosteninformationen - - Was ist die Pflichtverletzung / Verschulden? - Fehlende Kostenpositionen - Rechnungsfehler - Fehleinschätzung der notwendigen Ausführungsqualität - Fehleinschätzung des Ausmasses, Regiearbeiten, etc. Was ist der Vertrauens-Schaden? - Differenz zur hypothetischen Vermögenslage der geschädigten Bauherrschaft bei richtiger Auskunft - Nachteilige Dispositionen der Bauherrschaft im Vertrauen auf die Richtigkeit der (tatsächlich falschen) Information Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 9 Kosteninformationspflichten 3. Einzelfragen, praktische Lösungsansätze Ø Haftung für unterlassene oder falsche Kosteninformationen (2) - Der Vertrauensschaden / Haftung ist beschränkt auf die Differenz zwischen den prognostizierten Baukosten (inkl. Toleranzgrenze!), auf den die Bauherrschaft vertrauen durfte, und den effektiv abgerechneten Baukosten - Mit anderen Worten: Es liegt keine Kostenüberschreitung vor, die auch zu keiner Haftung des Architekten wegen falscher Kosteninformationen führt, wenn die effektiven Baukosten bei 110% der Kostenprognose mit einer Ungenauigkeit von +/- 10% liegen. Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 10 Kosteninformationspflichten 3. Einzelfragen, praktische Lösungsansätze Ø Haftung für unterlassene oder falsche Kosteninformationen (3) - Aber: Vertrauen der Bauherrschaft in einzelne Kostenpositionen innerhalb der Prognose der Gesamtkosten? - Art. 1.7.11 SIA-Norm 102 (2014): «Bei Kosteninformationen darf der Auftraggeber unter Berücksichtigung des Genauigkeitsgrades auf die Richtigkeit der Gesamtsumme vertrauen, nicht aber auf die Richtigkeit einzelner Teilbeträge.» - Also: Kein Vertrauen der Bauherrschaft in einzelne Kostenpositionen innerhalb der Prognose der Gesamtkosten. Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 11 Kosteninformationspflichten 3. Praktische Empfehlungen Ø Erklärung der Bauherrschaft einholen zum maximalen Budget Ø Häufigkeit und Genauigkeit der Kosteninformationen an die Bauherrschaft schriftlich vereinbaren Ø «Wer schreibt, gewinnt» - Regelmässige Aktualisierung von Finanzrapporten und deren Vergleich mit dem Kostenvoranschlag / Budget Bauherrschaft - Vorlage an sowie Quittierung dieser Finanzrapporte durch die Bauherrschaft - Konsequente (!) schriftliche (!) Genehmigung von Zusatzkosten durch die Bauherrschaft für Zusatzwünsche und Unterzeichnung Nachtragsofferten - Dr. Boris Grell Zumindest E-Mail-Bestätigung an Bauherrschaft der Besprechung auf der Baustelle (unter Angabe ca.-Kosten in CHF) Veranstaltung vom 30.10.2015 12 Merkwürdige Mietrechtsentscheide 1. Fall: «Kleiner Betrag, aber Oho!» Ø Sachverhalt (BGer 4A_271/2014 v. 19. November 2014) - Publiziert in der amtlichen Sammlung: BGE 140 III 591 - Mieter wohnte mit Ehepartner seit 1974 in 4.5-Zi-Wohnung in Neuenburg - Monatliche Mietzins: CHF 710 ohne Nebenkosten - Dezember 2009: Vermieter stellte Mieter jährliche Nebenkostenabrechnung zu mit einer Restschuld von CHF 329.25 - Mieter akzeptierte den Betrag nicht; Vermieter setzte 30-tägige Zahlungsfrist an mit der Androhung der ausserordentlichen Kündigung; Art. 257d Abs. 1 OR - Mieter überweist die Hälfte des abgerechneten Betrags (CHF 164.65) - Vermieter (Vorsorgestiftung mit Mietzinseinnahmen von angeblich CHF 300 Mio.) spricht die Kündigung aus gemäss Art. 257d Abs. 2 OR für den Restsaldo von CHF 164.60 Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 13 Merkwürdige Mietrechtsentscheide 1. Fall: «Kleiner Betrag, aber Oho!» (2) Ø Erwägungen des Bundesgerichts (Forts.) - - Eine Kündigung wegen Zahlungsrückstands kann nur ganz ausnahmsweise gegen Treu und Glauben verstossen, namentlich wenn - eingeforderter Betrag weit über der tatsächlich geschuldeten Summe liegt, - Rückstand unbedeutend ist resp. kurz nach Fristablauf bezahlt wird, wobei der Mieter zuvor stets rechtzeitig bezahlt haben muss oder - der Vermieter erst lange nach Fristablauf (ausserordentlich) kündigt Vorliegend wurde ein solcher Verstoss verneint: Nach Bundesgericht ist der Betrag von CHF 164.65 nicht unbedeutend (wie bei Zinsen auf frühere NKPerioden) Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 14 Merkwürdige Mietrechtsentscheide 1. Fall: «Kleiner Betrag, aber Oho!» (3) Ø Erwägungen des Bundesgerichts (Forts.) - Neben dem tiefen Forderungsbetrag ändern auch die fast 40-jährige Mietdauer und die stets rechtzeitige Zahlung der Mietzinse nichts an der Rechtmässigkeit der Kündigung; insb. ist keine kurze, letzte Mahnung nötig - Vermögensverhältnisse oder Einkünfte des Vermieters sind irrelevant - Die Forderung des Vermieters muss für eine Kündigung nach Art. 257d OR nicht unbestritten oder gerichtlich festgestellt sein. Vielmehr reicht es aus, dass die Forderung des Vermieters fällig ist - Zudem: Die Verrechnung mit Gegenforderungen des Mieters ist möglich, doch birgt i.d.R. ein hohes Prozessrisiko für den Mieter (insb. Beweislast des Mieters für Bestand und Höhe der Gegenforderung) Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 15 Merkwürdige Mietrechtsentscheide 2. Fall: «Parteientschädigung im Schlichtungsverfahren» Ø Sachverhalt (BGer 4A_463/2014 vom 23. Januar 2015) - Amtliche Publikation vorgesehen - Art. 113 Abs. 1 ZPO (Satz 1): «Im Schlichtungsverfahren werden keine Parteientschädigungen gesprochen.» Ø Dadurch soll die Vergleichsbereitschaft der Streitparteien begünstigt werden. Ø Dieser Zweck entfällt, wenn die Schlichtung scheitert und es zum Prozess vor dem Mietgericht kommt. Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 16 Merkwürdige Mietrechtsentscheide 2. Fall: «Parteientschädigung im Schlichtungsverfahren» Ø Darum: Einer Partei kann eine Entschädigung für die anwaltlichen Aufwendungen für das (nicht «im»!) Schlichtungsverfahren im Rahmen des anschliessenden, mietrechtlichen Verfahrens zugesprochen werden. Ø Lernpunkt: Die (allfälligen) Kosten für die Parteivertretung bereits im Schlichtungsverfahren geltend machen Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 17 Merkwürdige Mietrechtsentscheide 3. Fall: «Unwissenheit schützt vor Strafe nicht» Ø Sachverhalt (BGer 4A_482/2014 vom 20. Januar 2015) - Amtliche Publikation vorgesehen - 2009: Mieterin einer 5.5-Zi-Wohnung erstritt sich eine Mietzinsreduktion wegen Mängeln der Mietsache. - Frühling 2012: Erneute Diskussionen zwischen Mieterin und Vermieter zu diesem Thema. - 25. Mai 2012: Vermieter kündigt das Mietverhältnis ordentlich mit Verweis auf einen beabsichtigen Verkauf der Liegenschaft. - Am gleichen Tag, an der Vermieter der Mieterin kündigte, wandte sich diese wegen der Mängel und einer Mietzinsreduktion an die Schlichtungsbehörde. Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 18 Merkwürdige Mietrechtsentscheide 3. Fall: «Unwissenheit schützt vor Strafe nicht» (2) Ø Erwägungen des Bundesgerichts - Die Kündigung der Vermieterin gelangte frühestens am 26. Mai 2012 in den Machtbereich der Mieterin. - Erst mit diesem Empfang (→ fristauflösend gemäss der «absoluten Empfangstheorie») gilt die Kündigung als ausgesprochen. - Das Herabsetzungsbegehren der Mieterin (ebenfalls versandt am 25. Mai 2012) ging bei der Schlichtungsbehörde am 29. Mai 2012 ein. - Entgegen der Empfangstheorie im Mietrecht gilt in prozessualer Hinsicht die Zustellung an Gerichtsbehörden bereits mit der Postaufgabe als erfolgt. - Darum: Das Schlichtungsverfahren war bereits am 25. Mai 2012 rechtshängig d.h. vor dem Empfang der Kündigung vom 26. Mai 2012 durch die Mieterin. Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 19 Merkwürdige Mietrechtsentscheide 3. Fall: «Unwissenheit schützt vor Strafe nicht» (3) Ø Erwägungen des Bundesgerichts (Forts.) - Konsequenz: Die Kündigung vom 26. Mai 2012 wurde ausgesprochen, als (am 25. Mai 2012) bereits ein Verfahren wegen der Herabsetzung des Mietzinses bei der Schlichtungsbehörde rechtshängig war. - Eine solche Kündigung fällt somit in die Sperrfrist (Art. 271a Abs. 1 lit. d OR) und ist anfechtbar, unabhängig davon, ob dabei eine Rachekündigung vorliegt. - Die Kenntnis des Vermieters, dass ein Schlichtungs- oder Gerichtsverfahren durch den Mieter rechtshängig gemacht wurde, ist irrelevant. - Selbst wenn der Vermieter somit nicht wissen konnte, dass ein Verfahren hängig ist, gilt für den Mieter gleichwohl der Kündigungsschutz. Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 20 Ø Weitere Fragen? Ø Bemerkungen / Ergänzungen? Ø Eigene Erfahrungen? Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 21 und zuletzt noch dies: „Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe; nichtsdestoweniger trägt es zur Erhaltung meines Geistes bei.“ nach Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799; Sudelbuch J, 133) Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 22 Vielen Dank für Ihr Interesse & en Guete! Dr. Boris Grell Veranstaltung vom 30.10.2015 23 Die in dieser Kurzpräsentation enthaltenen Informationen und Aussagen geben allein die persönliche Sichtweise des Autors sowie dessen rechtliche Interpretation der darin abgehandelten Themen wieder. Gleichwohl stellt diese Präsentation keine rechtliche Beratung dar und können daraus keine Rechtsansprüche abgeleitet werden. Zudem können ohne die mündlichen Ergänzungen und Erklärungen des Autoren die in dieser Präsentation enthaltenen Informationen und Aussagen leicht missverstanden werden. 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