Geheiltes Misstrauen Bibeltexte: Predigttext: 1. Mose 3,1-6; 1. Johannes 1,8–2,2 Lukas 15,11-24 I) Eine Geschichte, die unser Misstrauen heilt 11 Jesus fuhr fort: »Ein Mann hatte zwei Söhne. 12 Der jüngere sagte zu ihm: ›Vater, gib mir den Anteil am Erbe, der mir zusteht!‹ Da teilte der Vater das Vermögen unter die beiden auf. 13 Wenige Tage später hatte der jüngere Sohn seinen ganzen Anteil verkauft und zog mit dem Erlös in ein fernes Land. Dort lebte er in Saus und Braus und brachte sein Vermögen durch. 14 Als er alles aufgebraucht hatte, wurde jenes Land von einer großen Hungersnot heimgesucht. Da geriet auch er in Schwierigkeiten. 15 In seiner Not wandte er sich an einen Bürger des Landes, und dieser schickte ihn zum Schweinehüten auf seine Felder. 16 Er wäre froh gewesen, wenn er seinen Hunger mit den Schoten, die die Schweine fraßen, hätte stillen dürfen, doch selbst davon wollte ihm keiner etwas geben. 17 Jetzt kam er zur Besinnung. Er sagte sich: ›Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, und alle haben mehr als genug zu essen! Ich dagegen komme hier vor Hunger um. 18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; 19 ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Mach mich zu einem deiner Tagelöhner!‹ 20 So machte er sich auf den Weg zu seinem Vater. Dieser sah ihn schon von weitem kommen; voller Mitleid lief er ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. 21 ›Vater‹, sagte der Sohn zu ihm, ›ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden.‹ 22 Doch der Vater befahl seinen Dienern: ›Schnell, holt das beste Gewand und zieht es ihm an, steckt ihm einen Ring an den Finger und bringt ihm ein Paar Sandalen! 23 Holt das Mastkalb und schlachtet es; wir wollen ein Fest feiern und fröhlich sein. 24 Denn mein Sohn war tot, und nun lebt er wieder; er war verloren, und nun ist er wiedergefunden.‹ Und sie begannen zu feiern. Lukas 15,11-24 Jesus hat in dieser Geschichte erzählt, was sich in unserer Beziehung zu Gott abspielt. Es ist eine Geschichte, in der wir Gott direkt in die Augen schauen können. Aber wir können auch uns selbst begegnen. – Vielleicht geschieht dies. Vielleicht hilft sie dir, Gott neu zu begegnen. Vielleicht hilft sie dir, dich aus der Falle des Misstrauens heraus locken und heraus lieben zu lassen. In dieser Geschichte geht es um einen Vater und seinen jüngeren Sohn. Der Vater steht für Gott, der Sohn zeigt eine Möglichkeit, wie wir uns Gott gegenüber verhalten können. Ich habe diese Geschichte gern. Wenn ich mein Leben anschaue, merke ich: Da gibt es manche Parallelen. In dieser Geschichte geht es um mich. Vielleicht braucht es ein wenig Zeit, bis wir uns selber darin entdecken, bis sie zum Spiegel unserer Lebensgeschichte und unserer Gottesbeziehung wird. Aber es lohnt sich, diese Geschichte an uns heran zu lassen. II) Misstrauen Warum verlässt ein Mensch eigentlich sein Zuhause bei Gott? Warum kehrt er Gott immer wieder den Rücken? In dieser Geschichte kann es nicht am Vater gelegen haben. Er hat nichts Einengendes. Als der Sohn gehen will, lässt er ihn gehen, gibt er ihn frei. Er klammert nicht. So ist auch Gott, er klammert nicht. Ich denke, der Grund, dass der Sohn weggeht, liegt in diesem selbst. Es muss ganz ähnlich gewesen sein wie bei Adam und Eva: Plötzlich war Misstrauen da, fast wie aus heiterem Himmel, das Misstrauen, beim Vater im Himmel das Leben zu verpassen. Vielleicht kennst du diesen Gedanken auch, dass man sich in der Beziehung mit Gott nicht richtig entfalten kann, dass man seine Freiheit einbüsst, wenn man sich zu sehr auf Gott einlässt. Als das Misstrauen den jüngeren Sohn ansteckte, hat ihn der Vater schon verloren, war er der verlorene Sohn. Und alle weiteren Stationen seines Weges sind nur die logische Folge dieses Misstrauens. Übrigens: Misstrauen muss sich nicht unbedingt so zeigen, dass man Gott den Rücken kehrt und weggeht. Wie das Beispiel des an1 deren Sohnes zeigt, kann man auch ganz nah bei seinem Vater leben und trotzdem in der Misstrauensfalle sitzen. Man kann ein langjähriger, treuer Mitarbeiter einer Gemeinde sein und trotzdem in einer tiefen Beziehungsstörung zu Gott leben. Der jüngere Sohn lebt sein Misstrauen aus, während der ältere es hinter einer fromm-bürgerlichen Fassade versteckt. Wegen seiner Ehrlichkeit ist für mich der Jüngere von beiden der Sympathischere. Der jüngere Sohn verlässt also sein Zuhause. Das muss dem Vater weh getan haben! Vielleicht hat er geweint. Wisst ihr, wie fest es Gott schmerzt, wenn wir ihm den Rücken kehren? Es tut weh, wenn sich der Mensch, den ich besonders lieb habe und für den ich nur Gutes will, misstrauisch von mir abwendet. Unser Misstrauen Gott gegenüber tut ihm weh. III) Masslosigkeit Der jüngere Sohn zieht also in die Fremde. Aber dort erlebt er nicht den Reichtum fremder Länder und Kulturen, sondern Elend. Der junge Mann zieht ins Elend. In dem, was er erlebt und erleidet, findet er sich nicht, sondern verliert sich immer mehr – das ist sein Elend. Das ist eine seltsame Erfahrung in unserem Leben: Je mehr wir uns von Gott entfremden, desto fremder werden wir auch uns selbst. Wir verlieren die Lebensmitte. Wir verlieren den Massstab für das, was uns gut tut und was uns schadet. Und weil wir jetzt für uns selber sorgen müssen, werden wir masslos: Wir wollen viel, zu viel und haben am Ende nichts. In unserer Geschichte heisst es: „Er lebte in Saus und Braus und brachte sein Erbteil durch“. Er kann mit seinem Erbteil nicht umgehen. Auch wir haben von Gott ein Erbteil mit auf den Weg bekommen: Zeit, Kraft, Phantasie, Intelligenz, einen Körper, Menschen, die uns an die Seite gestellt sind, die Aufgabe, gute Haushalter der Schöpfung zu sein. Aber wir machen die Erfahrung: Wenn wir uns von Gott, dem Ursprung des Lebens ablösen, können wir mit den Gaben des Lebens nicht mehr lebensentfaltend umgehen. Wir vergötzen sie, machen sie zur Lebensmitte. Aber so machen sie unser Leben nicht reich, sondern arm und kaputt. Und Gott lässt uns gewähren. Der jüngere Sohn hat den Weg in die Fremde selbst gewählt, muss nun aber auch die Folgen tragen. Was er gesät hat, erntet er. Der Vater hat ihn frei gegeben, erspart ihm nun aber auch die Folgen seiner Entscheidung nicht. IV) Einsamkeit So landet der Sohn schliesslich bei den Schweinen. Wer zurzeit Jesu bei den unreinen Schweinen landete, war total isoliert und stand ausserhalb jeder menschlichen Gemeinschaft. Sünde, eben Misstrauen macht unglaublich einsam. Wer anderen misstraut, wird immer einsamer, isoliert sich, macht sich beziehungslos. Dasselbe gilt für unsere Schuld. Im Misstrauen versuchen wir, unser Versagen vor Gott und den Menschen zu verstecken. Aber damit ist es ja nicht weg, sondern steht trotzdem noch zwischen uns und ihnen und stört unsere Beziehungen, bis sie irgendwann ganz absterben. Zurück zur Geschichte. Der Sohn befindet sich am absoluten Tiefpunkt seines Weges. Aber dieser Tiefpunkt wird zum Wendepunkt. Wir finden, was wir vielleicht auch schon erlebt haben: Krisen eröffnen die Chance, neu anzufangen. V) Umkehr Der junge Mann ging in sich – eine mutige Reise, eine solche Reise nach innen. Viele wagen sie nie, laufen ständig vor sich selbst davon. Aber die Reise ins Land des Glaubens ist auch eine Reise nach innen. Der junge Mann wagt sie – und kommt seinem Misstrauen auf die Spur, und wie sehr es sein Leben gezeichnet hat. Dann der entscheidende Satz: „Ich will zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich bin vor Gott und vor dir schuldig geworden“. „Ich“, sagt er, „ich bin schuldig geworden“. In der Regel dauert es lange, bis wir das sagen, bis wir aufhören unser persönliches Versagen auf die Umstände, auf unsere Erziehung, auf die anderen abzuschieben, bis wir über uns selbst erschrecken, weil wir merken: Tief in mir wohnt Misstrauen gegen Gott, und das macht mein Leben krank. „Da ging er in sich…“, und eine verschwommene Erinnerung, eine fast völlig verschüttete Sehnsucht taucht auf. „Ich will zu meinem Vater gehen… Ich will wieder nach Hause!“ Darf ich dich etwas fragen: Könnte dies auch deine Sehnsucht sein: „Ich will wieder nach Hause, wieder zurück zu Gott“? Ich behaupte, wer in sich geht, stösst irgendwann auf diese Sehnsucht. Und in dieser Sehnsucht bringt sich Gott in Erinnerung. Denn er vergisst uns nicht, auch wenn wir ihn längst vergessen haben. Wenn du diese Sehnsucht nach Gott spürst, unterdrücke sie nicht! Sie kommt nämlich nicht von dir, sie ist ein Zeichen dafür, dass Gott zu dir gehalten hat und bis heute hält. 2 Darauf kann man antworten – und heute kannst du es, wenn du willst: „Ich will zu meinem Vater gehen…“ Diesem wichtigen Entschluss sagt die Bibel „Umkehr“. Umkehren heisst, die Wegrichtung ändern. Wenn der Weg „Misstrauen“ hiess, dann heisst „Umkehr“: Schritte des Vertrauens auf Gott zu gehen. Das Misstrauen verschwindet nicht von selbst, man muss Schritte des Vertrauens tun. Diese geht der junge Mann. Er steht auf, schüttelt sich den Dreck von den Kleidern und macht sich auf den Weg. Doch wo geht’s eigentlich nach Hause? Welchen Weg soll er nehmen? Er weiss es nicht – er ist so viele Umwege gegangen, und zu lange ist er von zu Hause fort. Wüsstest du es? Wüsstest du, wie man nach Hause, wie man zu Gott zurückkommt? Ich weiss nicht, ob der jüngere Sohn jemals zu Hause angekommen wäre, wenn nicht etwas Überraschendes passiert wäre… VI) Überraschung Und das ist für mich der Höhepunkt der Geschichte: „Als der Vater ihn von weitem sah, lief er ihm entgegen…“ Sehnsüchtig hat der Vater Ausschau gehalten nach seinem Sohn. Weisst du, dass Gott Sehnsucht hat nach dir? Hat dir das schon einmal jemand gesagt, dass sich Gott nach dir sehnt, dass er kein Auge zu bekommt, bis seine verlorenen Töchter und Söhne wieder zu Hause sind? Er wartet auf uns, er sehnt sich nach uns wie ein Liebhaber nach seiner Geliebten. Wir Menschen sind und bleiben Gottes grosse Leidenschaft, egal wie weit wir uns von ihm entfernt haben. Der Vater in unserer Geschichte sieht also, wie da jemand kommt, sein jüngerer Sohn, springt freudig auf, reisst die Tür auf und rennt ihm über den Hof, über das Feld entgegen. Nein, er wartet nicht hinter der Tür und lässt den Sohn zuerst dreimal anklopfen, bis er ihn endlich hereinlässt. Er läuft ihm voll Freude entgegen, nimmt ihn in die Arme und überhäuft ihn mit Küssen. Tränen laufen ihm über das alte Gesicht. „So ist Gott“, sagt Jesus. Er kommt uns entgegen. Mit offenen, weit ausgespannten Armen, die uns sagen: „Wie gut, dass du wieder da bist!“. Ja noch mehr, Jesus sagte es nicht nur, er lebte es. In ihm läuft uns Gott als unser guter Vater entgegen. In dieser Geschichte kann man Gott direkt ins Gesicht schauen. VII) Ehrlichkeit ohne Angst In den Armen des Vaters sprudelt es nur so aus dem Sohn heraus. Endlich auspacken. Ehrlich und ohne Angst. Wie gut das tut. Gelt, ehrlich, wirklich ehrlich wird man nur da, wo man keine Angst hat, wo man sich sicher ist, dass man nachher nicht fertig gemacht wird. Das erlebt der Sohn in den Armen seines gütigen Vaters. Die Menschenfreundlichkeit Gottes, die unserem Schuldbekenntnis zuvorkommt, nimmt uns die Angst, lässt uns ehrlich werden und macht unsere Ausflüchte und Rechtfertigungsversuche überflüssig. Ist das im Geheimen nicht auch dein Wunsch: endlich mal alles sagen zu können? Wir trauen uns nicht. Wo kann man schon so ehrlich werden, ohne Angst haben zu müssen? Bei Gott kann man das. Seine Güte haut uns nicht in die Pfanne. Ehrlichwerden ohne Angst, sich aussprechen vor Gott, sein Misstrauen und die Folgen, die das in unserem Leben hat, aussprechen – das ist die Einladung Gottes an uns, seine Güte zu schmecken. Das ist der Weg in die Freiheit. Damit fängt unsere Geschichte mit ihm wieder ganz neu an. Allerdings geht es noch um mehr als um ein Sich-Aussprechen. Es geht darum, dass ein Mensch im Namen und in der Kraft Gottes freigesprochen wird von seiner Schuld. Misstrauen und Schuld haben eine ungeheure Macht über uns – aber nur bis wir sie vor Gott beim Namen nennen und das Wort seiner Vergebung uns „löst“ von der Bindungskraft unserer schuldbeladenen Vergangenheit. Dann verlieren sie ihre Macht, und wir werden wirklich frei und froh. Darum geht es bei der Beichte – und davon reden wir ja –, um Freispruch, Loslösung von der Macht des Vergangenen, Auflösung der verhängnisvollen Gleichung: „Ich bin, was ich getan habe“, die Chance eines Neuanfangs. Das will Gott für uns. Das Evangelium sagt es uns zu: „Wenn wir behaupten: »Wir sind ohne Schuld«, betrügen wir uns selbst und die Wahrheit lebt nicht in uns. Wenn wir aber unsere Verfehlungen eingestehen, können wir damit rechnen, dass Gott treu und gerecht ist: Dann wird er uns unsere Verfehlungen vergeben und uns von aller Schuld reinigen“ (1. Johannes 1,8f). VIII) Neues Vertrauen Am Schluss der Geschichte feiern sie. Auf die Freude Gottes läuft unsere Geschichte hinaus, die Freude darüber, dass das Misstrauen seines Sohnes geheilt ist. Ein grosses Fest wird gefeiert. Ihr glaubt gar nicht, wie gross Gottes Freude ist, wenn ein Mensch ihm wieder vertraut, glaubt. Wenn ein Mensch sein Misstrauen ihm gegenüber aufgibt, wenn seine kranken Gottesbilder heilen, wenn er bei 3 Gott wieder ganz zu Hause ist, dann jubelt der Himmel. Christsein heisst: nach Hause kommen und damit Gott eine Freude machen. Seltsam, indem wir ihm unser Elend bringen, machen wir ihm eine Freude. Als Vater freue ich mich, wenn meine Kinder gute Noten nach Hause bringen. Gott aber, unser Vater im Himmel, freut sich, wenn wir ihm das Verbogene, Entgleiste und Kaputte in unserem Leben bringen. Versteht ihr das? Ich nicht. Warum also sollten wir ihm nicht eine Freude machen und ihm unser Leben, das am Misstrauen erkrankt und von Schuld belastet ist, bringen? „Gut, dass du wieder zu Hause bist!“ – das möchte Gott zu dir auch gern sagen. Er möchte, dass du nach Hause kommst. Ich wünsche euch einen „guten Nachhauseweg“! Amen. 9. September 2013 / Pfr. Stefan Zürcher 4
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