Stiftskirche - Evangelische Kirche der Pfalz

Helga Gutermann und Axel Rehe
1
Glocken
Historie, Glockenläuten und Uhrschlag
Stiftskirche
Neustadt an der Weinstraße
Stiftskirche
Neustadt an der Weinstrasse
Helga Gutermann und Axel Rehe
Die Glocken der Stiftskirche
Historie, Glockenläuten und Uhrschlag
Neustadt an der Weinstraße 2015
4
5
Zum Inhalt
Konzept
Helga Gutermann und Axel Rehe
Texte
Helga Gutermann, Axel Rehe
Fotos/Repros
Axel Rehe, Helga Gutermann,
Stadtarchiv Neustadt, Rolf Schädler,
Armin Huck
g e s ta lt u n g
das Team Agentur für Marketing GmbH
07
GruSSwort
09-23
W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n
(Axel Rehe)
Glocken im 14. und 15. Jahrhundert — Glocken nach der Religionsdeklaration von 1705
Glocken des Jahres 1794 — Glocken nach dem Raub von 1794 — Glocken von 1855 — Glocken von 1921
25-37
D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n
(Helga Gutermann)
Vorbemerkungen — Indienststellung 1949 — Aufbau der Glocken — Vorstellung der einzelnen Glocken
39-45
I m p r e ss u m
Herausgeberin:
Prot. Stiftskirchengemeinde
Neustadt an der Weinstraße
Selbstverlag:
Prot. Stiftskirchengemeinde
Neustadt an der Weinstraße
Alle Rechte bei der Herausgeberin
und den Autoren
Glockenläuten
(Helga Gutermann)
Läutevorgang der Stiftskirchenglocken — Vorgaben zur Läuteordnung — Wann läuten welche Glocken?
47-57
Der Uhrschlag
(Axel Rehe)
Das Korfhage Uhrwerk — Der Uhrschlag heute — Die Melodie des Uhrschlags
58
Quellen
gruSSwort
6
Vorbemerkungen
V
orläufer zu dieser Broschüre sind zwei kleine, in einfacher Aufmachung von der Stiftskirchengemeinde in den Jahren 2010 und 2014
gedruckte Broschüren. Die eine befasst sich mit den Glocken der Stiftskirche von 1370 bis heute (H. Gutermann, A. Rehe), die andere mit dem
Uhrschlag und Glockenläuten (A. Rehe, H. Gutermann). Anlass für die
Erstellung der beiden Broschüren war die 60. bzw. 65. Wiederkehr der
Indienststellung der sieben neuen Glocken im Jahr 1949. Die Inhalte
beider Broschüren gehen teilweise zurück auf Forschungen, die um das
Jahr 2000 angestellt und im Buch „Die Türme der Stiftskirche (A. Rehe)
publiziert wurden. Es entstand die Idee, die Inhalte beider Broschüren
zusammenzufügen und in ansprechender Form mit einer Neugestaltung herauszugeben. Bei der Zusammenfügung zu einer einzigen Broschüre bot sich an, die Reihenfolge der vorgestellten Abschnitte neu zu
ordnen und einige thematische Doppelbeschreibungen auszumerzen.
W
7
ir freuen uns, liebe Leserinnen und Leser, Sie
mitten in unserem hochtechnisierten und säkula-
zur Lektüre dieses Heftes über die Glocken,
risierten Zeitalter.
das Glockenläuten und das Uhrwerk der Stifts-
Sie geben ein Gefühl von Heimat, auch wenn wir
kirche begrüßen zu dürfen. Ihren Autoren Helga
in der Fremde weilen, ein Gefühl von Vertrautheit
Gutermann und Axel Rehe ist es erneut gelungen,
auch den Kirchenfernen, weil sie, die Glocken,
eine übersichtliche und umfassende Abhandlung
schon immer dazugehört haben, um von Freud
mit vielen interessanten Bildern zu verfassen.
und Leid der Menschen zu künden, den neuen Tag
Wir sind immer wieder beeindruckt, welch große
anzusagen und Abendfrieden zu verbreiten oder
Wertschätzung viele Menschen unserem Geläut
mit ihrem vollen Geläut über das vergängliche We-
beimessen, ganz gleich, ob sie der Stiftskirchenge-
sen von uns Menschen hinausweisen.
meinde eng verbunden sind oder der Kirche fern
„Meine Zeit steht in deinen Händen“ – dieses
stehen. Nicht wenige kommen sogar von weit
Psalmwort ist hoch oben am Südturm unserer
her gereist, um das Geläut zu hören. Und immer
Stiftskirche in goldenen Lettern zu lesen. Die
wieder spenden Menschen großzügig, wenn sich
Glocken erinnern uns immer wieder neu, dass wir
technische Defekte an den Glocken bemerkbar
unser Leben in einer solchen vertrauensvollen
machen. Nicht wenige haben die Glockenschläge
Haltung führen dürfen.
und das Geläut vermisst, als die sieben Glocken
Sehenswert ist auch das mechanische Uhrwerk,
während der Stiftskirchenrenovierung von 2010
das zwar nicht mehr die Uhren in Gang halten
bis 2013 still stehen mussten. Viele hatten sich zur
muss – das geschieht mittlerweile elektronisch
Wiedereröffnung auf dem Marktplatz versammelt
– aber mit den vielen ineinandergreifenden Räd-
und waren sichtlich berührt, als zum ersten Mal
chen, Gewichten und Schrauben noch voll funkti-
wieder Glockentöne zu hören waren.
onsfähig ist.
Das Geläut ist nicht nur das „Markenzeichen“ der
Wir wünschen Ihnen allen, dass das hier vorlie-
Stiftskirche, sondern auch ein hörbares Wahrzei-
gende Heft viel Freude bereitet, ganz egal, ob Sie
chen unserer Stadt. Wir haben des Öfteren Berich-
schon einmal eine Turmführung mitgemacht
te von ausgewanderten Neustädtern gehört, die
und dabei die Glocken bzw. das Uhrwerk gesehen
auf einer CD oder im Internet ihre heimatlichen
ben oder nicht.
Glocken hörten und davon tief berührt waren. Es
Oliver Beckmann, Pfarrer
ist etwas Eigentümliches um den Ruf der Glocken,
Christian Wendt, Pfarrer i.R.
W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n
8
Glocken im 14. und 15. Jahrhundert
Beim Bau der Stiftskirche in der zweiten Hälfte
des 14. Jahrhunderts erfolgte etwa zeitgleich mit der Erstellung
des Chorteils auch die Erstellung des Südturms.
I
m ersten Abschnitt errichtete man
Von den unter der Regie des Liebfrau-
die beiden ersten Stockwerke des
enstifts stehenden Glocken sind uns
Turms, um darauf die Glocken auf-
bei dreien die Bezeichnungen bekannt
hängen zu können. Wie der obere Teil
(Informationen aus dem Seelbuch
des Südturms in dieser Bauphase aus-
III, basierend überwiegend aus alten
gesehen haben mag, verdeutlicht die
Stadtrechnungen Neustadts):
Kathedrale von Meaux in Frankreich.
Bei dieser Kirche wurde der eine Turm
nicht zu Ende gebaut und behielt den
provisorischen Aufbau für die Glocken
bis in die heutige Zeit (Abb. 1).
Holzuntersuchungen im Südturm der
Stiftskirche ergaben, dass das im jetzigen Uhrwerksgeschoss heute noch befindliche Gebälk (Abb. 2) aus dem Jahr
1370 stammt. Dieses Gebälk diente
damals offensichtlich zur Aufhängung
der ersten Glocken der Stiftskirche.
Abb. 1 Kathedrale von Meaux
Abb. 2 Balken im Uhrwerksgeschoss
des Südturms
9
W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n
10
GroSSe Glocke
Primglocke
Zeitgloc ke
Die Große Glocke (magna campana)
Die Primglocke läutete im Sommer um
Die frühen Turmuhren bestanden aus
wurde nur bei besonderen Anlässen
sieben, im Winter um acht und hatte
einem Schlagwerk mit einem Hammer,
geläutet, zum Beispiel an hohen Feier-
eine Bedeutung bei Predigt und Mes-
der an einer kleinen Glocke die vollen
tagen und nach angemessener Bezah-
se. Sie wurde auch die lang pfryme
Stunden anschlug. Zifferblätter zum
lung bei Beerdigungen. Ihrem Gewicht
genannt. Nach ihr richtete sich der Be-
Anzeigen der Uhrzeit gab es erst spä-
nach - es wurde später auf 90 Zentner
ginn sowohl der städtischen als auch
ter. Der erste Hinweis auf ein Uhrwerk
(4.500 kg) geschätzt - könnte sie die le-
der geistlichen Aktivitäten des Stifts-
in der Stiftskirche stammt aus dem
gendäre Kaiserglocke sein.
kollegiums.
Jahr 1381, als ein Glöckner namens Ke-
Glocken nach der
Religionsdeklaration von 1705
Nach den Regelungen zum Ende des 30jährigen Krieges
wurde in der Kurpfalz im Jahr 1648 wieder die reformierte Religion eingeführt;
allerdings unter Duldung der anderen Glaubensrichtungen.
ckel eine Bezahlung für das Stellen der
Kurfürst Ruprecht III. (König von 1400-
S t u n d e n g e b e t sg l o c k e
1410) stiftete angeblich im Jahre 1402
Die Stundengebetsglocke (campana
eine 99 Zentner schwere Glocke. Aktu-
horarum) wurde zu Beginn der einzel-
elle Forschungen stellen allerdings die
nen Gebetszeiten geläutet.
11
„orglocken“ (Uhrglocken) erhält.
D
ie Rekatholisierung wurde stark
GroSSe Glocke, 10-Uh r-
Sturmglocke
vorangetrieben, als im Jahr 1685
Glocke, 11-Uh r-Glocke
Im Jahr 1739 war das Türmerhäuschen
mit Philipp Wilhelm ein katholischer
(80 Ztr), 1 2 - U h r -
in seiner heutigen Form gebaut wor-
Schenkung dieser Glocke durch Rup-
Wetterläuten
recht III. wie auch das Herstellungsjahr
Seit dem Jahr 1410 ist uns das „Wet-
Kurfürst an die Macht kam. Es kam zu
Glocke, Totenglocke
den (Abb. 3), so dass ab dieser Zeit die
der sehr viel später so genannten Kai-
terläuten“ überliefert. Mit dem Läuten
heftigen Streitigkeiten zwischen den
Diese Glocken dienten beiden Konfes-
Sturmglocke im noch heute vorhande-
der Glocken wollte man Unheil von der
Konfessionen, die erst in der Regierungs-
sionen. Im Nordturm hing als einzige
nen Laternenaufsatz des Südturms hing.
Stadt abwehren, indem aufziehende
zeit des ebenfalls katholischen Kurfürs-
die Große Glocke (das Gewicht wird
Unwetter durch den Schall aufgelöst
ten Johann Wilhelm durch die Religions-
mit 90 Zentnern angegeben), im Süd-
oder abgeleitet werden sollten. Stadt
deklaration von 1705 geklärt wurden.
turm befanden sich die restlichen vier.
serglocke in Zweifel. Die erste urkundliche Nennung der „Großen Glocke“
erfolgte im Jahr 1426 anlässlich der
Bezahlung für ein Totengeläut.
Der Stadt sind die Sturmglocke und die Zeitglocke zuzuordnen, die ebenfalls im
Südturm hingen.
und Stift waren gleichermaßen an
Zum sonntäglichen Gottesdienst wur-
Ob diese Glocke anfänglich im Südturm
Sturmglocke
einer derartigen Gefahrenabwehr in-
Im Gefolge dieser Deklaration wurde
de für beide Konfessionen mit den Glo-
hing und dann umgehängt wurde,
Eine Sturmglocke wird in den frühen
teressiert und stellten je einen Turm-
in Neustadt den Katholiken der Chor
cken des Südturms geläutet, und zwar
oder sogleich auf dem angefangenen
Jahren nicht ausdrücklich aufgeführt.
knecht bzw. Glöckner für dieses Läu-
und den Protestanten das Langhaus
im Sommer um 9 Uhr morgens und
Stumpf des Nordturms war, ist unklar.
Dennoch ist ihr Vorhandensein anzu-
ten zur Verfügung. Je nach Wetterlage
einschließlich der Türme zugewiesen.
2 Uhr nachmittags.
nehmen, da eine Signalglocke schon
kam es in den verschiedenen Jahren zu
immer wichtig war, um die Bevölkerung
30 bis um die 140 Läutevorgängen.
Zi egenglöckch en,
Die Große Glocke wurde von den Pro-
M e ssg l ö c k c h e n
testanten nur an hohen Festtagen zum
Spätestens mit der Beendigung des
Das Türmchen über dem Chor enthielt
Gottesdienst geläutet, an rein katho-
Erstmals im Jahr 1493 wird eine
Stifts im Jahr 1565 und dem Wech-
damals zwei Glocken, die ausschließlich
lischen Festtagen von den Katholiken.
Sturmglocke erwähnt, allerdings ohne
sel zur reformierten Lehre wurde der
den Katholiken gehörten, und zwar das
Hinweis darauf, wo diese genau hing.
Brauch des Wetterläutens abgeschafft.
Ziegenglöckchen und die Messglocke.
in Gefahrensituationen zu warnen.
Abb. 3 Türmerhaus
W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n
12
13
Glocken des Jahres 1794
Abb. 4 Auflistung der 1794
konfiszierten Glocken
Nach der Revolution in Frankreich im Jahr 1789
strebten die revolutionären Franzosen eine Ausbreitung ihrer neuen
Ideen sowie ihres Machtbereichs in ganz Europa an.
D
er direkte Nachbar im Osten, die
auf dem Kornmarkt (heute Kartoffel-
GroSSe Glocke
Pfalz, sollte als erstes erobert wer-
markt) mehrere tausend Gebund Stroh
90 Ztr. (4.500 kg), aufgehängt im Nordturm
den. So gelangten die Franzosen im
20 Fuß hoch aufgetürmt waren, her-
Jahr 1794 auch nach Neustadt. Um die
abgeworfen. Da dieselbe ganz blieb,
enormen Kriegskosten zu finanzieren,
wird ein Wagen von Landau requiriert
waren sogenannte „Ausleerungs-Kom-
und die Glocke aufgeladen. Der Wa-
12-Uh r-Glocke
missionen“ gebildet worden, die alle
gen bricht aber sogleich zusammen.
20 Ztr. (1.000 kg), aufgehängt im Südturm
Dinge von Wert beschlagnahmten und
Daraufhin werden alle Schmiede und
10-Uh r-Glocke
nach Frankreich schafften.
Schlosser Neustadts zusammen geru-
12 Ztr. (600 kg), aufgehängt im Südturm
fen, um sie in Stücke zu zerschlagen. Da
Nach überlieferten Berichten wurden
dieses auch nicht gelingt, wird Holz in
am 6. März 1794 unter anderem sämt-
Brand gesteckt, die Glocke darauf er-
liche Glocken der Stiftskirche nebst
hitzt und dann zerschlagen.“
Klöppel, Joch und Eisenwerk an den
11-Uh r-Glocke
60 Ztr. (3.000 kg) aufgehängt im Südturm
V e r s ö h n u n gsg l ö c k l e i n
2 Ztr. (100 kg), aufgehängt im Südturm
Zi egenglöckch en
6 Ztr. (300 kg), aufgehängt im Türmchen
Glockenstühlen von französischen
Nach diesem Ereignis ließ der Neu-
Truppen eingezogen. Der Neustadter
stadter Stadtrat ein Verzeichnis der
Chronist F. J. Dochnahl schilderte die
konfiszierten Glocken samt Zubehör
Herabnahme der Großen Glocke in be-
erstellen. Dadurch haben wir Kenntnis
wegenden Worten (Ausschnitt):
von der Glockenausstattung des Jahres
„Die große Glocke wird auf der nördli-
1794. In diesem Bericht wurde auch
Sturmglocke
chen Seite des Turms, nach notwendiger
das geschätzte Gewicht der geraubten
7 Ztr. (350 kg), aufgehängt über dem
Erweiterung des Schallloches, nachdem
Glocken aufgeführt (Abb. 4).
Türmerhäuschen
über dem Chor
M e ssg l o c k e
4 Ztr. (200 kg), aufgehängt im Türmchen
über dem Chor
W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n
14
Glocken nach dem Raub
von 1794
Kleine Glocke von 1802
G l ö c kc h e n d e r K at h o l i k e n
Acht Jahre lang gab es in der Neustadter Stifts-
Wann im Dachreiter des Chorteils wieder eine
kirche keine Glocken. Erst im Jahr 1802 konnte
Glocke aufgehängt wurde, ist nicht bekannt.
wieder eine kleine Glocke angeschafft werden,
nachdem bei Kirchenkollekten, unter anderem
Sturmglocke, aus dem
auch in den calvinistisch geprägten Niederlanden,
Kapuzi n erkloster
genügend Beträge zusammen gekommen waren.
Nach dem Abriss des Kapuzinerklosters in der heutigen oberen Hauptstraße (Abb. 6) im Jahr 1806
Glocke von 1806 aus der
gelangte die dortige 56 Pfund schwere Glocke, sie
Lutherischen Kirche
war im Jahr 1649 von Salomon Sternecker in Phil-
Im Jahre 1823 ersteigerte die protestantische
ippsburg gegossen worden, auf die Laterne des Tür-
Gemeinde die Neustadter Lutherische Kirche in
merhäuschens und diente seitdem als Sturmglocke.
der Mittelgasse zum Abriss. Die dortige Glocke,
W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n
Die Glocken von 1855
Mitte des 19. Jahrhunderts war der
Wunsch nach neuen Glocken für die
Stiftskirche entstanden. Mit der Unterstützung eines eigens dazu gegründeten Glockenvereins brachte die
Kirchengemeinde durch freiwillige
Gaben die Mittel dazu auf.
Vier neue B ron ze g l ocke n , g e g ossen am 14. April 1855 von Andreas
Hamm in Frankenthal, bildeten das
neue Geläut.
Glocke Petrus
2.450 kg, Schlagton b°, aufgehängt im Nordturm
(Abb. 7).
Aufschrift: EIGENTHUM DER EVANGELISCH PROTESTANTISCHEN KIRCHENGEMEINDE NEUSTADT A.D.
HAARDT. ANGESCHAFFT DURCH FREIWILLIGE BEITRÄ-
Abb. 7 Glocke Petrus
GE VON MITGLIEDERN DERSELBEN IM JAHR 1855.
Glocke Susanna
1.450 kg, Schlagton des, aufgehängt im Südturm
(Abb. 8).
Aufschrift: EIGENTHUM DER EVANGELISCH PROTESTANTISCHEN KIRCHENGEMEINDE NEUSTADT
im Jahr 1806 angeschafft, kam auf den Turm der
A.D. HAARDT. GESTIFTET DURCH FRÄULEIN SUSAN-
Stiftskirche.
NA ELEONORE WOLF VON DA, LAUT TESTAMENT
VOM 26. NOVEMBER 1845. UMGEGOSSEN 1887
VON MEISTER ANDR. HAMM IN FRANKENTHAL.
Da keine weiteren Glocken dazu kamen, verfügte
die
Stiftskirchengemeinde
lange
Zeit
über kein komplettes Geläut, sondern ledig-
Diese Glocke erhielt beim Trauergeläute für den
lich über die beiden oben genannten Glocken.
ertrunkenen („Märchen“-) König Ludwig II. von
Beide Glocken wurden im Jahr 1855 von der
Bayern an Pfingsten 1886 einen Sprung und wurde
Glockengießerei Hamm eingeschmolzen und als
im Jahre 1887 vom Glockengießer Andreas Hamm
Material zur Herstellung neuer Glocken für Neu-
in Frankenthal neu gegossen. Dabei erhielt diese
stadt mit verwendet.
Glocke übrigens eine Tellerkrone, die inzwischen in
Mode gekommen war.
Abb. 6: Das Kapuzinerkloster
(Ausschnitt aus einem Stich von Rieger 1786)
Abb. 8 Glocke Susanna
15
16
W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n
W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n
Abb. 10 Glocken Susanna
und Gustav-Adolf
G l o c k e G u s t a v - Ad o l f
Sturmglocke
Ankunft und Indienststellung
Das Sch icksal Der 1855er Glocken
900 kg, Schlagton f’, aufgehängt im Südturm.
Als die neuen Kirchenglocken im Jahr 1855 kamen,
der Glocken
Die drei größeren Glocken von 1855 wurden im
hing über dem Türmerhäuschen noch die Sturm-
Am 23. Mai 1855 erfolgte die feierliche Indienst-
Jahre 1917 für die Aufrüstung anlässlich des Ers-
Aufschrift (gleiche Aufschrift wie bei Glocke Petrus):
glocke, die aus dem Kapuzinerkloster stammte.
stellung auf dem Marktplatz. Ein großer festlicher
ten Weltkriegs zum Einschmelzen heruntergeholt.
EIGENTHUM DER EVANGELISCH PROTESTANTI-
Diese Glocke zersprang im Jahr 1866 beim Läuten
Zug mit den Geistlichen, dem Kirchenvorstand, Be-
Bronze ist eine Metalllegierung, die gerne zur Her-
SCHEN KIRCHENGEMEINDE NEUSTADT A.D. HAARDT.
eines Brandes. Ein neues Sturmglöckchen (Abb. 9)
amten, Stadtrat, Schuljugend, Vereinen und Bür-
stellung von Kanonenrohren und Munition ver-
ANGESCHAFFT DURCH FREIWILLIGE BEITRÄGE
wurde von Georg Hamm in Kaiserslautern gegos-
gern startete von dem Penner’schen Wohnhaus an
wendet wurde.
VON MITGLIEDERN DERSELBEN IM JAHR 1855.
sen und läutete zum ersten Mal am 19. Dezember
der Mußbacher Straße, wo die Glocken tags zuvor
1866, einen Brand in der Hintergasse anzeigend.
abgestellt wurden. An der Kirche hielt Dekan Saul
Am 24. Juli 1917 läuteten die Glocken noch einmal
Die Gustav-Adolf-Glocke wurde auch Feldglocke
Diese Glocke wiegt 28-30 kg, ist 38,5 cm breit, 35
eine Ansprache, gefolgt von der Begrüßungsrede
zum Abschied, dann erfolgte die Abnahme der
genannt, weil sie auch als Signalglocke zum Öff-
cm hoch und hat den Schlagton c’’. Um die Schul-
Pfarrer Caselmanns.
Glocken Susanna und Gustav-Adolf (Abb. 10), am
nen und Schließen der Weinberge vor und wäh-
ter läuft ein Schmuck aus Weinblättern.
rend der Lesezeit diente.
26. Juli 1917 die Petrus-Glocke (Abb. 11).
Am 25. Mai 1855 läuteten die neuen Glocken zum
ersten Mal zu einer Beerdigung.
Die Glocken wurden auf ein Pferdefuhrwerk gela-
G l o c k e B o n i fat i u s
den (Abb. 12) und in Begleitung von Pfarrern und
300 kg, Schlagton b’, aufgehängt im Südturm.
dem Presbyterium zum Abtransport auf den Güterbahnhof gebracht (Abb. 13).
Aufschrift (gleiche Aufschrift wie bei Glocke Petrus):
EIGENTHUM DER EVANGELISCH PROTESTANTI-
Die kleinste Glocke, Bonifatius, verblieb zunächst.
SCHEN KIRCHENGEMEINDE NEUSTADT A.D. HAARDT.
Sie wurde erst im Jahre 1920 heruntergeholt und
ANGESCHAFFT DURCH FREIWILLIGE BEITRÄGE
beim Guss neuer Glocken mit verwendet
VON MITGLIEDERN DERSELBEN IM JAHR 1855.
Abb. 9 Sturmglocke von 1866
Abb. 11 Glocke Petrus
17
W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n
18
19
Die Glocken von 1921
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde aus der Gemeinde heraus der Wunsch laut,
ein neues Geläut zu beschaffen. In Anlehnung an die Tradition als früherer Glockenverein
setzte der Kirchenchor alles daran, dass die erforderlichen Mittel durch Spenden
aufgebracht wurden.
Abb. 12: Glocken Susanna
und Gustav-Adolf auf dem
Transportwagen
Ch ristus
Luther
ADAM
3.088 kg, Weite 175,6 cm, Schlagton b°,
1.768 kg, Weite 147,5 cm, Schlagton des’,
VERWALTER HEINRICH KOCH, BÄCKER-
aufgehängt im Südturm. (Abb. 14)
aufgehängt im Südturm
MEISTER KARL NIKOLAI, POSTVERWAL-
Aufschrift:
Aufschrift:
JAKOB STARK, KAUFMANN GEORG
JESUS CHRISTUS GESTERN UND HEUTE
EIN FESTE BURG IST UNSER GOTT.
WALTER. EIGENTHUM DER PROTESTAN-
UND DERSELBE AUCH IN EWIGKEIT.
ALS DIE GLOCKEN GEGOSSEN WUR-
TISCHEN
EIGENTHUM DER PROTESTANTISCHEN
DEN, WAREN GEISTLICHE: DEKAN UND
STADT A.D. HAARDT. GEGOSSEN VON
KIRCHENGEMEINDE NEUSTADT A.D.
KIRCHENRAT LUDWIG BAYER, PFARRER
JOH. GG PFEIFFER IN KAISERSLAUTERN
HAARDT. GEGOSSEN VON JOH. GG PFEIF-
JAKOB PAUL, PFARRER HEINRICH FICK-
1920. NO 2443.
FER IN KAISERSLAUTERN 1920. NO 2442.
EISEN, VIKAR KARL ORSCHIED.
HERMANN,
KRANKENHAUS-
TER KARL OTTMANN, BANKDIREKTOR
PRESBYTER WAREN: PROKURIST KARL
Abb. 14 Christus-Glocke
(beim Abtransport)
BÖCKLER, LOKOMOTIVFÜHRER KARL
FREY, KAUFMANN HEINRICH FETTIG,
WEINHÄNDLER KONRAD HAMMELL,
OBERLOKOMOTIVFÜHRER LUDWIG
HEINTZ,
Abb. 13: Geistliche und
Presbyter bei den drei Glocken
SCHUHMACHERMEISTER
KIRCHENGEMEINDE
NEU-
20
21
Abb. 15 Sturmglocke im
Feuerwehrgerätehaus aufgehängt
G u s t a v - Ad o l f
908 kg, Weite 117,2 cm, Schlagton f’,
aufgehängt im Südturm
Aufschrift:
Abb. 16 Festzug in der Amalienstraße
Abb. 17 Empfang der Glocken auf dem Marktplatz
Sturmglocke
Die Ankunft der Glocken
Marktplatz (Abb.17) in den Hof des
339 kg, Weite 87,5 cm, Schlagton b’,
Das Glöckchen aus dem Jahr 1866 hing
Im Jahr 1921 kamen die vier neuen
Rathauses. Tausende von Zuschauern
aufgehängt im Südturm
unverändert im Laternenaufsatz des
Bronzeglocken von der Glockengieße-
bejubelten den Festzug.
Türmerhäuschens.
rei Gebr. Pfeiffer aus Kaiserslautern.
Ursinus
Aufschrift:
Sie wurden am 10. Februar 1921 auf
Die feierliche Indienststellung wurde
HELDENZEIT WAR’S UND WIRD’S BLEI-
Selig sind, die reinen Herzens
(Diese Glocke wurde im Jahr 1980 so-
Lastwagen von Kaiserslautern nach
am 20. Februar 1921 in der Stiftskir-
BEN UND DIE HELDEN – WART IHR.
sind. ZUM ANDENKEN AN UNSERN
zusagen „pensioniert“, d. h. herunter
Neustadt gebracht.
che durch Pfarrer Fickeisen vollzogen,
DEM HELDENTOD UNSERES LIEBEN
GELIEBTEN WERNER 1903-1916. FAMI-
genommen, weil schon einige Zeit kein
SOHNES UND BRUDERS SEI DIESE GLO-
LIE HAEFELIN. EIGENTHUM DER PRO-
Bedarf an einer Sturmglocke mehr be-
In einem festlichen Umzug (Abb. 16)
Geläut zum ersten Mal. Alle vier
Glocken wurden im Südturm der
Stiftskirche aufgehängt.
und noch am selben Tag ertönte das
CKE ZUR ERINNERUNG GEWEIHT. FA-
TESTANTISCHEN KIRCHENGEMEINDE
stand. Diese einzige noch vorhandene
führte man die Glocken von der Akti-
MILIE FR. LOUIS. EIGENTHUM DER PRO-
NEUSTADT A.D. HAARDT. GEGOSSEN
historische Glocke hängt seitdem als
enmühle (Talstraße 148, heute Stadt-
TESTANTISCHEN KIRCHENGEMEINDE
VON JOH. GG PFEIFFER IN KAISERSLAU-
Schaustück im Foyer der Hauptfeuerwa-
haus II) durch die Tal-, Amalien-, und
NEUSTADT A.D. HAARDT. GEGOSSEN
TERN 1920. NO 2445.
che der Freiwilligen Feuerwehr Neustadt
Landauerstraße, dann weiter durch die
VON JOH. GG PFEIFFER IN KAISERSLAU-
an der Weinstraße in der Lindenstraße,
Friedrich- und Kellereistraße über den
TERN 1920. NO 2444
(Abb. 15.)
W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n
22
Das Sch icksal
Übrig blieb die Glocke Ursinus, auch
Der 1921er Glocken
Haefelin-Glocke genannt. Diese war
Im Jahre 1942 wurden drei der vier
später während der Vorbereitung zur
Glocken von 1921 für die Rüstung des
Aufnahme der neuen Glocken von
Zweiten Weltkrieges wieder zum Ein-
1949 in einem Holzgestell an der
schmelzen heruntergeholt. Am 13.
Südseite der Kirche aufgehängt (Abb.
Januar wurden die Christusglocke
19). Im Jahr 1949 kam sie zur Alten
(Abb. 18), am 15. Januar die Luther-
Winzinger Kirche, wo sie wegen der
und die Gustav-Adolf-Glocke durch
Zerstörung des Turmes in einem provi-
das westliche Schallloch herab ge-
sorischen Glockenstuhl vor der Kirche
lassen.
ihren Platz fand. Diese Glocke wurde
im Jahr 1968 eingeschmolzen, als für
Die drei Glocken wurden gleich auf ein
die neue Martin-Luther-Kirche in Win-
bereitgestelltes Pferdefuhrwerk ge-
zingen ein neues Geläut gegossen
laden. Pfarrer und Mitglieder des
wurde.
Presbyteriums begleiteten die Glocken auf deren letztem Weg zum
Abtransport auf den Güterbahnhof.
Abb. 18 Die Christusglocke
wird herabgelassen
Abb. 19 Die übrig gebliebene
Ursinus-Glocke im Jahr 1949
23
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Die heutigen Glocken
und ihre Paten
Die Entwürfe der künstlerischen Gestaltung der Glocken,
also das Porträt des Glockenpaten und die Schrift,
stammen von Georg-Günter Zeuner, einem damals noch
jungen Grafiker aus Speyer.
D
ie Kosten für Glocken und Glockenstühle wurden 1946 mit 62.000 Reichsmark
veranschlagt. Letztendlich hatte die Kirchengemeinde nach der Währungsre-
form und Umstellung auf D-Mark mit den zusätzlichen Kosten für Läuteanlagen,
Transport, Vorbereitungen in den Türmen durch Maurer- und Schlosserbetriebe vor
Ort einen Betrag von 115.150 DM zu schultern. Sämtliche Kosten wurden über
Spenden finanziert.
Der Transport der beiden großen Glocken erfolgte
per Bahn (Abb. 20), die anderen Glocken wurden mit
Lastwagen nach Neustadt gebracht.
Abb. 20 Transport der Kaiserglocke mit der Bahn
26
D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n
Indienststellung
1949
D
Abb. 21 a, b, c Einholung der Kaiserglocke
ie feierliche Indienststellung der
Am 3. und 4. Oktober erfolgte der Auf-
Glocken, zu der von Leo Schatt aus
zug der Kaiserglocke (Abb. 21 a,b,c) und
Ludwigshafen eigens das Neustadter
der Kurfürstenglocke. Die Südturmglo-
Glockenlied (siehe Seite 57) kompo-
cken wurden am 12. und 13. Oktober
niert worden war, erfolgte am 6. Novem-
zum Westfenster des Südturms hoch-
ber 1949, nachdem sie am 1. Oktober
gezogen und im Glockenstuhl montiert.
1949 auf geschmückten Wagen zum
Marktplatz gebracht und der Bevölkerung
präsentiert worden waren (Abb. 22).
27
Abb. 22 Die Präsentation
der Glocken auf dem Marktplatz
28
D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n
D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n
Aufbau der Glocken
Drei Merkmale sind bei unseren Glocken ausschlaggebend: das Material,
die Aufhängung und die Namen.
2. Das gekröpfte Joch
1 . G u sss t a h l
nanntes gestelztes bzw. gekröpftes Joch). Dadurch
Sowohl während des Ersten als auch des Zweiten
wird erreicht, dass die Drehachse der Glocke (rote
Weltkrieges mussten die Kirchen ihre Bronze-Glo-
Hilfslinie) in das obere Drittel des Glockenkörpers
cken abgeben, da das wertvolle Material für Waf-
abgesenkt und der Raumbedarf für die schwin-
fen und Munition umgegossen wurde. So auch die
genden Glocken verkleinert wird (Abb. rechts)).
Alle Glocken der Stiftskirche werden nicht direkt
am obersten Teil gedreht, sondern besitzen eine
seitliche Verlängerung des Jochs nach unten (soge-
Allgemeine Gliederung
einer Glocke
G e s ta lt u n g
Eine Glocke wird von oben nach unten gegliedert:
Gestaltungsprinzipien auf:
Krone
(Teller wie in Neustadt oder Henkel)
Schulter
Flanke
Wolm
Schlagring
Bort
Glocken der Stiftskirche.
3. Die Namen
Bereits im Juli 1946 hatte sich das Presbyterium
In der evangelischen Kirche steht den Glocken ein
zur Anschaffung neuer Glocken entschlossen. Aus
Pate zur Seite. Eine Weihe der Glocken mit Zuord-
Angst, neue Glocken aus Bronze könnten bei ei-
nung zu einem Heiligen wie in der katholischen
nem eventuell wieder beginnenden Krieg erneut
Kirche gibt es bei den Protestanten nicht.
abgenommen werden, aber auch aus Kostengrün-
K ü n s t l e r i s c h e G e s ta lt u n g
Die Entwürfe der künstlerischen Gestaltung der
Glocken, also Porträt des Glockenpaten und Schrift,
stammen von Georg-Günter Zeuner (1923-2011),
einem damals noch jungen Grafiker aus Dresden,
der von 1949 bis zu seinem Tod 2011 Atelier und
Alle Glocken der Stiftskirche weisen die gleichen
Tellerkrone mit der sie am gekröpften
Joch hängen
Schultermit dem umlaufenden
Stiftungstext
Vorderseite an der Flanke ein Porträt des
Glockenpaten mit typischer
Kopfbedeckung und Name
des Paten
Rückseitean der Flanke dem Paten
zugeordneter Sinnspruch
(in Deutsch oder Latein)
Wolmam Wolm das Gießerzeichen
BVG (Bochumer Verein Guß-
den entschied man sich für Glocken aus Gussstahl,
Als Paten für die Glocken der Stiftskirche wurden
die beim Bochumer Verein Gußstahl (BVG) in ei-
Personen ausgewählt, die entweder einen deutli-
nem neuartigen Verfahren für gute Klangqualität
chen Beitrag zur Reformation geleistet haben (Cal-
tumsvermerk: Prot. Kirche
entwickelt worden waren. Der Auftrag für den
vin, Zwingli, Luther und Ursinus) oder wie Johann
Neustadt a.d. Haardt
Guss der sieben neuen Glocken für die Neustadter
Casimir eifrige Förderer der calvinistischen Glau-
Stiftskirche ging deshalb an dieses zu Krupp gehö-
bensrichtung waren. Dazu kommen die Gründer
rende Unternehmen.
und Förderer der Stiftskirche (die Kurfürsten Rudolph II, Ruprecht I und Ruprecht III).
Wohnsitz in Speyer hatte.
stahl), Gussjahr 1949, Eigen-
29
D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n
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31
Vorstellung der einzelnen Glocken
Einzelvorstellung der sieben Glocken mit ihren Paten,
beginnend mit der kleinsten der fünf Glocken im Südturm.
Johan n-Casimi r-Glocke
Johann Casimir:
Ludwig VI. hob die Kirchenordnung
C a lv i n - G l o c k e
6.3.1543 - 6.1.1592
Johannes Calvin:
in Basel, dann in Genf und Straßburg.
10.7.1509 - 27.5.1564
Seine Theologie wurde schließlich von
seines Vaters auf und entließ die füh-
Stiftungstext
DEM SCHIRMHERRN DER STADT
renden Calvinisten an der Universität
DEN BETERN IM LAND
dem in Straßburg ansässigen Martin
UND DES REFORMIERTEN GLAUBENS
Heidelberg aus ihren Ämtern.
GESTIFTET VON JAKOB MÜLLER
Bucer geprägt.
Name:
Mit Urkunde vom 29.3.1578, in Kaisers-
Name:
1541 wird Calvin vom Genfer Rat gebe-
JOHANN CASIMIR PFALZGRAF
lautern ausgestellt, gründete Johann
JOHANNES CALVIN
ten, das kirchliche Leben der Stadt neu
Stiftungstext:
Casimir in Neustadt das Collegium CaSinnspruch:
SONDER WANK UND OHNE RANK
simirii, eine Ober- und Hochschule und
Sinnspruch
nahm die entlassenen Professoren aus
ALLES GOTT ZUR EHR
Pfalzgraf Johann Casimir wurde am
Heidelberg auf. Nach dem Tod seines
6.3.1543 als eines von 10 Kindern des
Bruders siedelte Johann Casimir 1583
die Glocke wiegt 910 kg
Kurfürsten Friedrich III. und seiner Ge-
nach Heidelberg über, um die Adminis-
der Klöppel 75 kg
mahlin Maria von Brandenburg geboren
Technische Daten:
das Joch 220 kg
zu ordnen; er legt hierzu eine Kirchenordnung vor, die in der Folge calvinistisch orientierte Kirchen in aller Welt
Jean Calvin wurde am 10. Juli 1509 in
prägen sollte. In den Gottesdiensten
Noyon, etwa 100 km nördlich von Paris
legte Calvin Wert auf Einfachheit und
die Glocke wiegt 1.270 kg
geboren, erlangte ab 1523 seine huma-
die Konzentration auf das Wort. Calvin
tration für seinen unmündigen Neffen
der Klöppel 90 kg
nistische Ausbildung an der Sorbonne
sieht die Gemeinden selbständig.
in der Kurpfalz zu übernehmen und
das Joch 290 kg
in Paris mit dem „Studium der sieben
Technische Daten
hat eine Höhe von 1,18 m
Mit ihm erlebte Neustadt eine Glanz-
öffnete die Heidelberger Universität,
hat eine Höhe von 1,30 m
freien Künste“ (Grammatik, Rhetorik,
Es ist die Eigentümlichkeit aller calvi-
und eine untere Weite von 1,28 m
zeit. Als sein Vater am 26.10.1576
was zur Folge hatte, dass alle Professo-
und eine Weite von 1,43 m
Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Mu-
nistisch geprägter Kirchen, dass in viel
starb, übernahm der älteste Sohn Lud-
ren, bis auf Ursinus, wieder nach Hei-
Schlagton: g‘
wig VI., streng lutherisch erzogen, die
delberg wechselten.
und ist nach der Läuteordnung
Herrschaft in der Kurpfalz. Johann Ca-
die Taufglocke
simir, calvinistisch wie sein Vater, wur-
Somit endete 1585 der Universitäts-
den laut. väterlichem Vermächtnis die
Oberämter Kaiserslautern, Frankenthal
und Neustadt zugesprochen.
sik und Astronomie) und dem Ab-
stärkerem Maße als in dem zur Pasto-
Schlagton: f‘
schluss eines „magister artium“, bevor
renkirche tendierenden Luthertum das
und ist nach der Läuteordnung
er dann ab 1528 Rechtswissenschaften
kirchliche Leben mit auf der Aktivität
die „Vater-unser-Glocke“
in Orleans studierte. Etwa ab 1534 nä-
von Laien beruht. Neben dem Pfarr-
status des Casimirianums, jedoch die
herte er sich immer mehr den Gedan-
dienst haben Angelegenheiten wie
Lateinschule, von Ursinus geleitet,
ken der Reformation an und lebte nach
Diakonie und Bildungsaufgabe einen
blieb bestehen.
seiner Flucht aus Frankreich zunächst
ebenso hohen Stellenwert. Am 27. Mai
1564 stirbt Calvin in Genf.
D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n
32
Zwingli-Glocke
33
Huldrych (Ulrich) Zwingli
Er verwirklichte, besonders seit der
Luth er-Glocke
1.1.1484 – 11.10.1531
D. Martin Luther:
logie. Mit dem Anschlag der 95 Thesen
11.11.1483 - 18.2.1546
am 31. Oktober 1517 (in lateinischer
Züricher Disputation von 1523, das
Stiftungstext:
CARL HERMANN CHRISTMANN
kirchenpolitische Programm der Re-
SEINEM VORSTAND OTTO BAUMANN
Sprache) an die Tür der Schlosskirche in
18.9.1927 – 11.7.1948
formation und darf als Verkünder der
GEWIDMET VOM KIRCHENCHOR VOR-
Wittenberg wollte Luther eine damals
ZUM GEDÄCHTNIS GEWIDMET VON
anti-päpstlichen, „ur-evangelischen“
MALS GLOCKENVEREIN
übliche Disputation unter den Gelehr-
HANNE CHRISTMANN GEB.BOCKFELD
Lehre gelten. Er schaffte die Messe ab,
UND RUDOLF BOCKFELD
führte Klostergüter dem Armen- und
Name:
damentalen Kritik am Ablasswesen
Schulwesen zu und suchte theologisch
D. MARTIN LUTHER
den Nerv der Missstände. Er verfolgte
Stiftungstext:
ten entfachen und traf mit seiner fun-
und politisch den Zusammenschluss
Name:
damit allerdings kein politisches, son-
aller evangelischen Kirchen zu erwirken.
Sinnspruch:
Ulrich Zwingli war ein Züricher Refor-
Zwingli sah, genau wie dann auch Cal-
EINE FESTE BURG IST UNSER GOTT
Sinnspruch:
mator, zunächst begeisterter Schüler
vin, Kirche und Staat in enger Zusam-
HERR GOTT HILF
des Erasmus von Rotterdam, später
menarbeit und darin für die Obrigkeit
von Luther beeinflusst, mit dem er sich
eine ernste Verpflichtung.
HULDREICH ZWINGLI
Technische Daten:
aber dann 1529 in Marburg wegen der
dern ein seelsorgerisches Anliegen. Die
D. Martin Luther wurde nach Jura- und
Reformation nahm ihren Lauf.
abgeschlossenem Theologiestudium
1508 vom Augustiner-Orden, dem er
Eine weitere Großtat Luthers ist nicht
die Glocke wiegt 3.100 kg
als Mönch angehörte, nach Witten-
zu unterschätzen und muss hier er-
der Klöppel 220 kg
berg an die 1502 von Friedrich dem
wähnt werden: die Übersetzung des
das Joch 630 kg
Weisen gegründete Universität ent-
neuen Testaments 1522 auf der Wart-
Technische Daten:
die Glocke wiegt 1.760 kg
Auslegung des Abendmahls zerstritt.
Während eines Religionskrieges in
der Klöppel 130 kg
Noch vor Luther übersetzte Zwingli in
der Eidgenossenschaft fiel er am
und hat eine Höhe von 1,76 m
sandt, um an der jungen Hochschu-
burg und später bis 1534 die der gan-
das Joch 340 kg
und eine untere Weite von 1,91 m
le Moralphilosophie zu lehren. 1512
zen Bibel , denn diese Übersetzung ist
schwor er dann in der Schlosskirche,
bahnbrechend gewesen für die neuhochdeutsche Sprache.
enger Zusammenarbeit mit Leo Jud
11.10.1531 als Feldprediger in der
und hat eine Höhe von 1,47 m
zwischen 1524 und 1529 die Bibel, al-
Schlacht bei Kappel.
und eine untere Weite von 1,61 m
lerdings in ein stark schweizerisch ge-
Schlagton: c‘
welche die Universitätskirche war, vor
färbtes Deutsch. Diese Übersetzung ist
und ist nach der Läuteordnung
einer feierlichen Versammlung den ge-
heute als „Zürcher Bibel“ bekannt.
die Abendgebetglocke
forderten Eid eines Doktors der Theo-
Schlagton: es‘
und ist nach der Läuteordnung
die Morgen- und Mittagsglocke
D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n
34
Ursinus-Glocke
Stiftungstext:
35
Zacharias Ursinus:
Konfessionswechsel unter Ludwig VI.
Kurfürsten-Glocke
Kurfürst Rudolf II. , 8.8.1306 - 4.10.1353
schen verstorbenen Bruders Rudolf II.)
18.6.1534 - 6.3.1583
verlor Ursinus im Oktober 1577 seine
Stiftungstext:
Rudolf II. war Kurfürst von 1329-1356
das alleinige Recht auf die Kurwürde,
Stelle in Heidelberg und wurde von
PIIS HUIUS ECCLESIAE CONDITORIBUS
AUCTORI CATECHISMI HEIDELBERGEN-
Pfalzgraf Johann Casimir nach Neu-
SIS AD ALTARE SEPULTO (Dem am Altar
die nach dem Vertrag von Pavia eigentlich
ALTERI EIDEM UNIVERSITATIS PALATI-
Kurfürst Ruprecht I., 9.6.1309 - 16.2.1390
abwechselnd von der bayerischen und der
Ruprecht I. war Kurfürst von 1356-1390
pfälzischen Linie der Wittelsbacher hätte
der Kirche bestatteten Theologen, der den
stadt an die calvinistische Gegenuni-
NAE FUNDATORI
Heidelberger Katechismus verfasste)
versität geholt, wo er am 26.5.1578
(Den erhabenen Stiftern dieses Gottes-
ausgeübt werden sollen, zugebilligt.
seine Vorlesungen begann. Neben der
hauses und dem Gründer der pfälzischen
Damit stieg Ruprecht I. zu dem vor-
Name:
Leitung des Sapienzkollegs hatte er
Universität gewidmet)
nehmsten weltlichen Reichsfürsten
ZACHARIUS URSINUS
eine Professur für Dogmatik inne.
auf; er war Reichsvikar und Erztruch-
Ursinus war wohl der bedeutendste
Name:
sess. Auf dem Höhepunkt seiner
Sinnspruch:
Zacharias Ursinus (eigentlich Bär,
und für die pfälzische Theologie und
RUDOLFUS II ET RUPERTUS I ELECTO-
Macht stellte er dann am 12. August
SOLAMEN MEUM INFANS DEI SUM
er hatte seinen Namen latinisiert) ist
Kirche der wichtigste Lehrer der Neu-
RES IMPERII (Rudolf II. und Ruprecht I.,
1356 die Urkunde für das von seinem
(Mein Trost ist, dass ich ein Kind Gottes bin)
gemeinsam mit Olevanius der Verfas-
stadter Hochschule.
Kurfürsten)
1353 geplante Kollegiatstift an der
Ursinus, am 18.7.1534 in Breslau gebo-
Sinnspruch:
gen im Hause Wittelsbach wurden
damaligen Pfarrkirche St. Ägidius aus.
ren, starb im Alter von nur 48 Jahren
CONDITOR CORONIDE CONDITA CO-
1329 im Hausvertrag von Pavia die
Und so entstand unsere Stiftskirche als
RONET (Großer Meister, vollende den
Pfalz und Bayern getrennt und die
erste Grablege der pfälzischen Wittels-
Bau durch den krönenden Eckstein)
Kurwürde zunächst der pfälzischen
bacher. Beide Fürsten fanden mit ih-
Linie der Wittelsbacher, also Rudolf II.
ren Ehefrauen im Chor der Kirche ihre
übertragen. Unter Rudolf II. und sei-
letzte Ruhestätte.
ser des Heidelberger Katechismus .
Technische Daten:
die Glocke wiegt 4.260 kg
der Klöppel 280 kg
das Joch 900 kg
und hat eine Höhe von 1,97 m
und eine untere Weite von 2,14 m
Ursinus, ein Schüler Melanchthons
und Calvins wurde 1561 von Kurfürst
Friedrich III. an die Heidelberger Universität berufen. Er lehrte in Heidelberg Philosophie und Theologie und
übernahm den dritten theologischen
Bruder Rudolf II., kurz vor dessen Tod
Aufgrund von Erbauseinandersetzun-
am 6.3.1583 in Neustadt und wurde
2 Tage später in der Stiftskirche beerdigt. Gewohnt hatte Ursinus hier in
Neustadt, in der heutigen Hauptstraße
115 (Haus Baer).
Technische Daten:
die Glocke wiegt 7.350 kg
nem mitregierenden Bruder Ruprecht
Schlagton: B
Lehrstuhl, die Professur für Dogma-
der Klöppel 410 kg
begann die eigenständige Entwicklung
Da Ruprecht I. wenige Jahre vor seinem
und ist nach der Läuteordnung die
tik. Seit 1564 trat er als Verteidiger
das Joch 1.380 kg
der Pfalz. Zur Residenz wählten sie sich
Tod, am 16.10.1386, die Heidelberger
Zeichenglocke für die Sonntagsgottes-
der reformierten Lehre auf. Durch den
und hat eine Höhe von 2,31 m
das Schloss in Neustadt und die in der
Universität gründete, verlagerte sich
und eine untere Weite von 2,55 m
Nähe gelegene Burg Winzingen.
der geistige Mittelpunkt der Kurpfalz
Schlagton: G
1356 wurde Ruprecht I. in der „Golde-
nachfolgenden Kurfürsten wurden
sie ist nach der Läuteordnung die Son-
nen Bulle“ von Nürnberg von Kaiser
dann in der Heilig-Geist-Kirche in Hei-
ntags- aber auch unsere Totenglocke
Karl IV. (Schwiegervater seines inzwi-
delberg bestattet.
dienste
von Neustadt nach Heidelberg. Die
36
D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n
Kaiser-Glocke
37
Kurfürst Ruprecht III = König Ruprecht I
Nachfolger. Nach Ludwig IV., dem
eine „sehr große“ Glocke, die im Nord-
5.5.1352 - 18.5.1410
Bayer, – Anfang des 14. Jahrhunderts
turm untergebracht wurde und an der
IMPERATORI GERMANORUM AUGUSTO PALATINAS EDITO PRINCIPUS
– stellten die Wittelsbacher wieder
von alters her der volle Stundenschlag
(Dem aus dem Pfälzer Fürstengeschlecht entsprossene
einen deutschen König, diesmal aber
nachgeschlagen wurde und bis heute
deutschen Kaiser zu Ehren)
aus der pfälzischen Linie. Als König
auch noch wird.
Stiftungstext:
nannte er sich Ruprecht I.. Viel Glück
Name:
hatte dieser redliche Fürst allerdings
Die Vorstellung unserer Glocken ha-
RUPERTUS CLEMENS REX ROMANORUM
nicht. Sein abgesetzter Widersacher
ben wir mit unserer kleinsten Glocke
(Gütiger Ruprecht, König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation)
Wenzel machte ihm das Leben schwer.
begonnen, die einen pfälzischen Wit-
Er selbst fand nicht im ganzen Reich
telsbacher Fürsten als Paten hat, geen-
Unterstützung und musste einsehen,
det haben wir mit der größten unserer
dass er keine wirkliche Reichsmacht
Glocken, der ebenfalls ein pfälzischer
aufbauen konnte. Ruhmlos von sei-
Wittelsbacher, der es sogar zur Kö-
Sinnspruch:
O REX GLORIE CHRISTE VENI CUM PACE
(Oh König der Herrlichkeit, Christus, komme in Frieden)
Anmerkung: Bei dem Portrait von König Ruprecht (oben) handelt es sich um einen ersten
Entwurf, der für die endgültige Glocke noch
verändert wurde.
nem Italienfeldzug zur Kaiserkrönung
nigwürde gebracht hatte, als Pate zur
Technische Daten:
Mit Ruprecht III., (Sohn von Ruprecht
zurückgekehrt, hat er sich von diesem
Seite steht.
die Glocke wiegt 14.000 kg
II. und dessen Frau Beatrix, Tochter Kö-
politischen Fehlschlag nie mehr erholt.
der Klöppel 810 kg (z. Zt. über 100 kg zu viel)
nig Peter II. von Aragon und Sizilien)
Nach 10-jähriger Regierung starb er
Die Paten unserer Glocken spiegeln
das Joch 2.760 kg
und Großneffe der Begründer unse-
1410 auf seiner Burg Landeskron bei
nicht nur einen Teil der Geschichte der
und hat eine Höhe von 2,88 m
rer Stiftskirche, begann für das Haus
Oppenheim. Er und seine Frau, Elisa-
pfälzischen Wittelsbacher Kurfürsten
bei einer unteren Weite von 3,23 m
Wittelsbach und die Pfalz ein höchst
beth von Hohenzollern, wurden in der
wider, sondern auch die der Reformati-
bedeutsames Ereignis:
Heilig-Geist-Kirche in Heidelberg beige-
on in der Kurpfalz zwischen Luthertum
Schlagton: Es
Am 20. 8. 1400 erklärten die in Rhens
setzt, sind aber auch in unserer Stiftskir-
und Calvinismus.
und ist nach der Läuteordnung die Festtagsglocke, d.h. sie läutet zusammen
am Rhein versammelten Kurfürsten
che im Deckenfresko im Chor verewigt.
mit ihren Schwestern nur an den hohen christlichen Feiertagen und einmal im
den damaligen König Wenzel als ab-
Bei seiner Wahl zum König stiftete
Jahr alleine, und zwar an Karfreitag um 15.00 Uhr, der angenommenen Todes-
gesetzt und wählten Ruprecht zum
Ruprecht III. der Kirche seiner Ahnen
stunde Jesu.
Glockenläuten
38
39
Läutevorgang
der Stiftskirchenglocken
In diesem Abschnitt der Broschüre soll der eigentliche Zweck der
Glocken, das Läuten für kirchliche
Botschaften, beschrieben werden.
Nach einer kurzen Darstellung der
Mechanik zum Läuten erfolgt eine
ausführliche Darlegung der Art des
Glockenläutens im Verlauf des Kirchenjahrs (Läuteordnung).
Das Läuten der Glocken ist durch eine Automatik
geregelt, kann aber auch separat per Knopfdruck
ausgelöst werden. Das entsprechende Schaltpult
mit den Bedienungsknöpfen für die sieben Glocken befindet sich im Erdgeschoss des Südturms.
Sobald der Läutemechanismus in Gang gesetzt
wird, startet die Hin- und Herbewegung der
Glocke. Zuerst erfolgen noch keine
Schläge, weil die Seitenwand noch
nicht den bis dahin passiv herunter
hängenden Klöppel berührt. Zu ei-
Die Läutemechanik
B
nem bestimmten Zeitpunkt (bei klei-
eim Läuten der Glocken für kirchliche Zwecke
nen Glocken früh, bei großen Glocken
werden die Glocken nicht seitlich mit einem
später) erreicht die sich in Bewegung
Hammer angeschlagen, wie beim Uhrschlag, son-
gebrachte
dern ins Schwingen gebracht, bis der Klöppel an die
genden Klöppel und es erfolgen der
Innenwand der Glocke schlägt. Jede Glocke verfügt
erste, dann die weiteren Glocken-
über eine separate Einrichtung zum Schwingen.
schläge. Der Klöppel ist in seinen
Eine Läutemaschine mit Elektromotor (Abb. rechts
Dimensionen so gestaltet, dass er
oben) bewegt eine Stahlkette, die um das Läuterad
eine genau vorbestimmte Stelle, den
an der Seite der Glocke läuft und dieses hin und her
sogenannten Schlagring der Glocken-
bewegt. Dadurch wird das stählerne Joch in eine
seitenwand trifft und der gewünschte
Drehbewegung gesetzt und mit ihm die daran hän-
Schlagton erschallt.
gende Glocke (Abb. rechts unten).
Glocke
den
herabhän-
Glockenläuten
40
Glockenläuten
Vorgaben zur Läuteordnung
W
ir sind bei der Vorstellung der Glocken
Anzahl der Glocken bzw. durch unterschiedliche
Vater-Unser, bei einer Taufe, der Einsegnung der Konfirmanden oder aber
immer wieder auf die Läuteordnung ein-
Wahl der Fundament-Glocke unterschieden. Bei
auch bei einer Beisetzung. Bei einem weit entfernten Friedhof, wie hier bei
gegangen. Die Läuteordnung beschreibt das
drei- bis vierstimmigen Geläuten gibt es eine
uns, erfolgt zu einer festen Zeit ein Gedächtnisläuten für wenige Minuten.
Glockengeläut der Kirchen, also welche Kirchen-
„Domenica“ (Glocke des Herrn = Sonntagsglocke).
glocken zu welchem Anlass gemeinsam oder
Beinhaltet ein Geläut mehr Glocken, so ist zudem
einzeln erklingen dürfen. Wenn die Glocken nach
eine „Gloriosa“ (die Ruhmreiche = Festtagsglocke)
den Vorgaben des liturgischen Kirchenjahres ge-
vorhanden, die nur den Festtagen vorbehalten ist.
läutet werden, ist dies in Bezug auf die jeweilige
Und so erkennen wir, dass jede Glocke ihre eigene Funktion hat.
Durch die Vernichtung der Glocken im Zweiten Weltkrieg und aufgrund der
Automatisierung durch Läutemotoren sind viele historische Läutebräuche
Konfession von Läuteordnung zu Läuteordnung
Bei den Läutezeichen zum Gottesdienst haben
unterschiedlich. So gibt es z.B. bei evangelischen
wir zunächst das Vorläuten, das in der Regel den
Läuteordnungen keine Kategorie für „Hochfeste
Hauptgottesdiensten an Sonn- und Feiertagen
Neben den kirchlichen Anlässen werden Glocken auch zum profanen Läu-
der Heiligen und der Gottesmutter“. Besonders
dem folgenden Haupt- oder Zusammenläuten
ten eingesetzt: so kennen wir z.B. Schulglocken, Werksglocken, Schiffsglo-
das Läuten zur Karfreitagsliturgie unterscheidet
etwa 45- bis 30 Minuten vor Gottesdienstbeginn
cken, Alarmglocken u.v.m.. Ganz wichtig im Mittelalter war die Sturm-
sich zwischen den Konfessionen deutlich. Bei den
vorangestellt wird. Hier findet oftmals die größte
oder Alarmglocke, mit welcher der Türmer die Einwohner der Stadt
Katholiken schweigen die Glocken ab dem Glo-
am nachfolgenden Hauptgeläute teilnehmen-
vor Feuer oder anrückenden Feinden warnte. Bis zur Reformation
ria am Gründonnerstag und ertönen erst wieder
de Glocke Verwendung = die Fundamentglocke
kannte man, auch wir hier in Neustadt, das Wetterläuten; man glaub-
zum Gloria bei der Feier der Osternacht. Von den
(bei uns die Ursinus-Glocke). Das Haupt- oder
te, durch das Läuten der Sturmglocke ein herannahendes Unwetter
Türmen evangelischer Kirchen erschallt am Kar-
Zusammenläuten kündigt den unmittelbar be-
„wegläuten“ zu können.
freitag das große Festtagsgeläute, seltener auch
vorstehenden Beginn des Gottesdienstes an und
nur die größte der Glocken.
erfolgt meistens 5 bis 15 Minuten vor Beginn des
Gottesdienstes. Einige Minuten nach dem Ausläu-
Das Läuten der Glocken steht eng mit der litur-
ten der Glocken ist Gottesdienstbeginn.
gischen Rangordnung des Tages -Sonntag, Festoder Werktag - in Verbindung. Die Gottesdienst-
Dann kennen wir noch die Läutezeichen während
form wird je nach Größe des Geläutes durch die
gottesdienstlicher Handlungen, wie z. B. beim
verloren gegangen, wie z.B. das Beiern, das Signieren oder das Taktläuten.
41
42
Glockenläuten
Glockenläuten
Wann läuten
welche Glocken?
Läuten im Kirchenjahr
Die Glocken werden immer dann geläutet, das heißt ins
Schwingen gebracht, wenn eine Botschaft mit klerikalem
Inhalt verkündet werden soll. Je nach dem Zweck des Läutens bzw. der Phase im Kirchenjahr kommen eine bis mehrere Glocken in unterschiedlichen Zusammenstellungen
zum Einsatz.
F
ür die evangelische Kirche existiert eine allgemeine Läuteordnung, welche die Prinzipien zum Glockenläuten vorgibt. Für jede Kirche, so auch die
Stiftskirche, gibt es, angepasst an ihre Ausstattung an Glocken, eine örtliche
Regelung, welche die Inbetriebnahme im Detail regelt.
Die örtliche Regelung (Läuteordnung) für die Stiftskirche in Neustadt gibt
vor, in welcher Weise das Läuten ihrer Glocken erfolgen soll, also welche
der sieben Kirchenglocken zu welchem Anlass gemeinsam oder einzeln
erklingen dürfen. Außerdem wird festgelegt, zu welcher Uhrzeit und wie
lange das jeweilige Geläut ertönt. Diese Vorgaben müssen auch berücksichtigen, dass weiterhin der Uhrschlag sowohl für die Viertelstunden
als auch für die vollen Stunden erfolgen muss. Ein länger andauerndes
Läuten der Glocken darf demnach nicht in die Uhrschlagzeiten hineinreichen.
43
Das Läuten der Glocken steht eng mit der liturgischen Rangordnung
des jeweiligen Tages in Verbindung. Man unterscheidet zwischen Hohen Festtagen,
kleineren Festtagen, Ernsten Feiertagen und normalen Sonntagen.
H o h e F e s t t a g e 1. Advent
(Beginn des Kirchenjahrs)
K l e i n e r e F e st ta g e
(Ortsübliche Feste und Kalenderfeiertage)
Kirchweihe,
Kirchenmusiktage,
Weihnachten
Missionsfeste
Ostern
Pfingsten
Sylvester, Neujahr
Konfirmation, Erntedankfest,
Christi Himmelfahrt
Reformationsfest
Trinitatis
Hauptgottesdienst: Vorläuten
mit der Kaiseroder Kurfürstenglocke
Hauptläuten mit dem Vollgeläute
(alle sieben Glocken)
Hauptgottesdienst: Vorläuten mit der
Kurfürstenglocke
Hauptläuten mit Vollgeläute
Kurfürstenglocke
Hauptläuten mit vier Glocken
(Kurfürsten, Ursinus, Luther,
Zwingli)
Karfreitag
Buß- und Bettag
Totensonntag
(letzter Sonntag vor Advent)
Hauptgottesdienst: Vorläuten mit der Kaiser- oder
Kurfürstenglocke
Hauptläuten mit der Kaiserglocke
oder der Kurfürstenglocke
ohne Kaiserglocke
(Kurfürsten, Ursinus, Luther,
Zwingli, Calvin, Casimir)
Andere Gottesdienste:
Vorläuten mit der
E r n s t e F e i e r t a g e Invokavit (1. Sonntag der Passionszeit)
Andere Gottesdienste:
Vorläuten mit der Kurfürstenglocke
Hauptläuten mit Molldreiklang
Neujahr
ab 0:00 Uhr Vollgeläute,
(Kurfürsten, Luther, Zwingli)
maximal 15 Minuten
Karfreitag
um 15:00 Uhr Kaiserglocke allein
Glockenläuten
44
Ü b r i g e S o n n ta g e i n d e r
Wie erfolgt das Läuten
Beim Vater-Unser während des Gottes-
festlichen Kirchenzeit
z u m G o t t e sd i e n s t ?
dienstes läutet etwa um 10:40 Uhr die
(nach Weihnachten bis nach dem 6.
Das Einschalten der Glocken erfolgt
Calvinglocke. Dauer ca. 5 Minuten.
Januar sowie zwischen Ostern und
durch die für den jeweiligen Gottes-
Pfingsten.
dienst zuständige Person durch die Be-
Hauptgottesdienst: Vorläuten mit der Ursinusglocke
Läutezeich en zu gottes-
L äute n wä h r e n d
an der Schalttafel im Erdgeschoss des
dienstlichen Handlungen
der Woche
(Kurfürsten,
sonstige Läuten im Verlauf der Woche.
Zwingli,
Im Verlauf einer Woche läuten die
Südturms. Dies gilt für die Läutevorgänge zu den Gottesdiensten und das
Ursinus,
Allgemeine Läuteanlässe
tätigung des entsprechenden Knopfes
Hauptläuten mit dem Durgeläute
Beim Vater-Unser Calvinglocke
Glocken zu regelmäßig sich wieder-
Bei einer Taufe
Casimirglocke
Täglich
um 12:00 Uhr
holenden Zeiten bzw. Anlässen.
Calvin, Casimir)
Vorläuten
Zur Erinnerung an den baldigen BeÜ b r i g e S o n n ta g e i n d e r
ginn des Gottesdienstes ertönt das
ernsten Kirchenzeit
Vorläuten etwa 45 Minuten vor Got-
(2. 3. und 4. Advent und die Passions-
tesdienstbeginn.
sonntage bis Palmsonntag.)
Beginn um ca. 09:15 Uhr,
Dauer ca: 15 Minuten.
Hauptgottesdienst: Vorläuten mit der Kurfürstenglocke
Hauptläuten
Hauptläuten
mit dem Mollmotiv
Das Hauptläuten kündigt den unmit-
(Kurfürsten, Luther, Zwingli, Casimir)
telbar bevorstehenden Beginn des
45
Bei der Einsegnung der Konfirmanden
Casimirglocke
Täglich um 19:00 Uhr
Samstag
um 19:00 Uhr
Einläuten des Sonntags
Sonntag
um 09:15 Uhr
Vorläuten zum Hauptgottesdienst
Sonntag
um 09:50 Uhr
Hauptläuten zum Hauptgottesdienst
Freitag
um 15:00 Uhr
Geläutet werden eine, drei oder vier,
nur Kurfürstenglocke
bzw. sieben Glocken, Zusammensetz-
(zum Totengedenken)
ung je nach Kirchenzeit.
Gottesdienstes an und erfolgt 10 Mi-
Da Bei setzungen auf dem wei t
nuten vor Beginn des Gottesdienstes.
entfernten Friedhof erfolgen, hat man
Dauer 5-10 Minuten.
beschlossen, die Kurfürstenglocke
jeden Freitag um 15:00 Uhr als Erinner-ung an die in der gleichen Woche
beigesetzten Kirchenmitglieder bzw.
an Jesu Tod einige Minuten zu läuten.
46
47
Der Uhrschlag
F
ür die vorherigen, aus dem Jahr 1921 stammenden Glocken, die im Jahr
1942 für Rüstungszwecke abgenommen worden waren, stand ein Uhr-
werk zum Anschlagen dieser vier Glocken zur Verfügung, welches im Jahr
1857 durch den Straßburger Uhrmacher Johann Baptist Schwilgué gefertigt und im Uhrwerksgeschoss aufgestellt war. Dieses Schwilgué’sche Uhrwerk wurde, als im Jahr 1949 die sieben neuen Glocken kamen, nicht mehr
gebraucht und deshalb abgebaut. Es war notwendig, ein neues Uhrwerk
für den Uhrschlag mit diesen Glocken, fünf im Südturm und zwei im Nordturm, aufzustellen. Ausgesucht als Lieferant und Aufsteller wurde die
Firma Korfhage.
Die zunächst gegebene Zusage der Stadt, die Kosten für das Uhrwerk zu
übernehmen, zog diese 1950 wieder zurück. Nach hartnäckigen Interventionen des damaligen Dekans, Herrn Lischer, übernahm die Stadt Neustadt
dann doch die Kosten, denn die Turmuhr war von alters her Eigentum der
Stadt. Die Kirchengemeinde hatte aber die laufenden Kosten für Strom und
Wartung zu tragen.
Der uhrschlag
48
Das Korfhage Uhrwerk
Korfhage & Söhne aus Buer bei Osnabrück lieferte 1949 eine zweiteilige neue Turmuhr, die den erweiterten Ansprüchen gerecht wurde.
F
49
Aufziehen
des Uhrwerks
Südturmuhrwerk bediente darüber hinaus auch
Aus der Mitte des Uhrkastens ent-
noch die Bewegung der Zeiger auf den Zifferblät-
springen drei kräftige Drahtseile, die
tern der außen am Turm befindlichen drei Turm-
ins Stockwerk darüber verlaufen, dort
uhren. Beide Uhrwerke sind in einem glasbefens-
zweimal über Rollen umgelenkt werden,
terten schützenden Holzgehäuse untergebracht.
längs der nördlichen Turmwand wieder
ür die Viertelstundenschläge mittels der fünf
Das 1949 gelieferte Uhrwerk von Korfhage (Abb.
zurückkommen und in drei Rollen an Ei-
Südturmglocken war das Uhrwerk im Uhrenge-
oben) war damals in seiner Technik sehr fortge-
senbefestigungen enden, die schwere
schritten.
Gewichte tragen (Abb. rechts). Es handelt
schoss des Südturms (Abb. unten) zuständig, die
sich dabei um den Mechanismus zum
vollen Stunden auf den beiden Nordturmglocken
veranlasste das zweite, nachgeordnete Schlag-
Beim Betrachten des Schutzkastens der Korf-
Aufziehen der Uhr. Dies geschah mit elek-
werk im Uhrwerksgeschoss des Nordturms. Das
hage Turmuhr (Blickrichtung nach Westen) sieht
trischer Kraft, konnte aber auch mecha-
man mehrere Seilzüge und Gestänge, die diesen
nisch durch Betätigung dreier Kurbeln am
Kasten verlassen und nach oben verlaufen (Abb.
vorderen Teil des Uhrwerks geschehen. Das
unten). Sie dienen verschiedenen Zwecken.
leichtere Gewicht bedient den eigentlichen
Uhrzeitmechanismus. Die beiden schweren
Gewichte sind für die Schlagfunktion an den
fünf Südturmglocken vorgesehen. Damit dies
mit der gewünschten Kraft geschieht, werden
zwei Gewichte verwendet. Beim Aufziehen
werden diese Seile auf die dafür vorgesehenen
Kabeltrommeln aufgerollt und die Gewichte
bewegen sich nach oben. Wenn die Gewichte
bis zum Anschlag nach oben gebracht werden,
läuft das Uhrwerk 24 Stunden lang.
Der uhrschlag
50
51
Das Gehwerk
Räderwerk des Viertelstundenschlags
D
er Taktgeber für die Uhrzeit ist der große
1. Funktion: Zeigerbewegung am
2. Funktion: Auslösen
schwere Pendel an der Ostseite des Uhr-
Auslösen des Stundenschlag
Z i f f e r b l at t
der Viertelstundenschläge
werks (Abb. links). Sobald dieser in Bewegung
Unterhalb einer kleinen Uhrscheibe an der rechten
Ein Abschnitt des Uhrwerks ist für den Viertelstundenschlag zuständig. Er
gebracht wird, läuft die Zeit im vorgesehenen
Seite des Uhrwerks (Abb. rechts) befindet sich das
weist fünf nebeneinander liegende Zahnräder auf. Diese lösen den Zug auf
Sekundentakt und das Uhrwerk kann seine drei
Räderwerk für die Bewegung der Zeiger an den Zif-
fünf dünnere Drähte aus, welche nach oben entspringen und nach Maß-
Funktionen erfüllen. Die Kraft für diese Pendel-
ferblättern der Turmuhren. Eine dicke Stange ent-
gabe des Räderwerks gezogen werden. Die Zugdrähte verlaufen innerhalb
bewegung kommt von einem kleinen Gewicht an
springt dort, läuft nach oben, bedient den Zeiger
eines durch Bretter gebildeten Schachts nach oben, gehen darin durch die
der südlichen Seite des Uhrwerks. Auf der Abbil-
am kleinen Anzeigezifferblatt und führt durch die
Geschossdecke und gelangen in das nächsthöhere Stockwerk. Unterhalb
dung unten sieht man oberhalb
Decke des Uhrwerkskastens hinauf in das höhere
der Decke zum Glockengeschoß führen die nunmehr sichtbaren Drähte
der Kabeltrommel dieses kleine
Stockwerk. Sie diente früher für die mechanische
auseinander und dienen als Zugseile für die Betätigung des seitlichen
zylinderförmige Gewicht in der
einminütliche Weiterbewegung der Zeiger der drei
Hammerschlags an der jeweiligen Glocke des Südturms. Diese Schläge
Mitte einer kurzen Stange. Eine
Zifferblätter außen am Turm, die damals noch ein
erzeugten die viertelstündlichen Glockentöne (Abb. oben links).
Ankerhämmung und entspre-
Stockwerk tiefer als heute angebracht waren.
chende Stellschrauben sorgen
3 . F u n k t i o n : I n i t i i e r u n g d e s S t u n d e n s c h l a gs
dafür, dass sich der Pendel im ge-
Das Südturmuhrwerk mit seinem Gehwerk war das tonangebende
wünschten Sekundentakt bewegt.
Hauptuhrwerk. Es löste die Stundenschläge im Schlagwerk im Nordturm aus. Beim Erreichen jeder vollen Stunde, d.h. nach erfolgten
viermal fünf Viertelschlägen ging an das Nordturmwerk per Eisendrahtverbindung das Signal zum Auslösen des jeweiligen Stundenschlags. Der Draht entsprang an einem Ausleger des Uhrwerks für
den Stundenschlag (Abb. oben rechts), lief nach oben durch den
Uhrkasten, wurde dann umgelenkt und zog an der Decke des Verbindungsgangs zum Nordturm hin. Dort gelangte dieser Draht über
eine Rollenablenkung in das Innere des Uhrwerks.
Ankerhämmung
des Gehwerks
Der uhrschlag
52
Das dortige, ebenfalls von einem Holz-
tätigung der außen am Turm befindli-
gehäuse geschützte Werk (Abb. rechts
chen Zeiger der Zifferblätter, die bis zum
oben, Blick von oben auf das Schutzge-
Jahr 1970 an diesen Stellen hingen. Die
häuse) löste den Stundenschlag aus.
drei Stäbe verlaufen in holzummantel-
Zum Namen
der Kaiserglocke
ten Kanälen zu den Fenstern hin.
In ähnlicher Weise wie beim Südturmuhrwerk, geschah, geregelt durch zwei
Beim Besteigen der Treppe in Richtung
gezahnte Steuerräder, der jeweilige
Glockenstuhl kann man etwa in halber
Stundenschlag zunächst an der Kur-
Höhe unter der Decke erkennen, wie
fürstenglocke, dann an der Kaiserglocke
die dünnen Drahtseile wieder offen er-
(Abb. Mitte). Die drei Gewichte, eines
scheinen. Nach Durchlaufen eines Füh-
für die Kurfürstenglocke, zwei für
rungsbrettes werden diese, zum Teil
die Kaiserglocke, brachten die beiden
mit Hilfe von Umlenkscharnieren, an
Schlagwerke im Nordturm zum Laufen.
die Mechanismen geführt, die bei Be-
Die Zugseile für den Stundenschlag
tätigung der Drahtzüge mit Hämmern
sind nicht mehr in Funktion. Von der
den Glockenschlag ausführen. (Abb.
oben
Seilverbindung
unten). Die Seile werden, umgelenkt
zwischen Südturm und Nordturm ist
durch Scharniere, an die Position unter
nichts mehr vorhanden.
den Geschossboden geführt, sodass sie
beschriebenen
die seitlichen Hammerschläge an die
Wenn man sich im Südturm ein Stockwerk höher begibt, kann man den weiteren Verlauf der vom Südturmuhrwerk
ausgehenden Verbindungen erkennen.
In der Raummitte steht ein Holzkasten
mit Deckel (Abb. rechts unten). Dort
endet von unten der dicke Stab für die
Zeigerbewegung und dreht mit einem
Zahnrad die drei Eisenstäbe für die Be-
Glocken auslösen konnten.
D
er Überlieferung nach stiftete Kurfürst und
jedoch in den kriegerischen Auseinandersetzun-
König Ruprecht für die Stiftskirche im Jahr
gen in Norditalien, seine Geldmittel gingen zur
1402 eine große Glocke. Ruprecht III war im
Neige und er musste, ohne beim Papst in Rom
Jahr 1400 von seinen Kurfürstenkollegen zum
gewesen zu sein, wieder nach Deutschland heim-
König mit dem Namen Ruprecht I gewählt wor-
kehren. Er ist also zwar König, aber nie anerkann-
den (Abb. oben), wie damals üblich mit der Be-
ter Kaiser gewesen.
zeichnung „König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“. Die deutschen Könige
Die im Jahr 1949 neu gelieferte 14 Tonnen schwe-
konnten zum Kaiser gekrönt werden, allerdings
re Glocke erhielt wegen ihrer Größe und zur Erin-
musste diese Krönung vom Papst in Rom vorge-
nerung an die frühere angebliche Stiftung durch
nommen werden. Ruprecht zog deshalb, und weil
König Ruprecht I. die korrekte Beschriftung „Ru-
er in Oberitalien für das Deutsche Reich verlorene
pertus Clemens Rex Romanorum“. Sie wird aber
Territorien zurück erobern wollte, begleitet mit
von den Neustadtern dennoch als „Kaiserglocke“
einem Heer nach Italien. Dann verzettelte er sich
bezeichnet, ohne auf den oben geschilderten
Sachverhalt Rücksicht zu nehmen.
53
Der uhrschlag
Der uhrschlag
Historischer Nachschlag
Der Uhrschlag heute
54
D
er Stundenschlag erfolgt zunächst mit der
Nordturm hinüberzuwechseln um dort den Stun-
Kurfürstenglocke. Dann wird dieser Schlag
denschlag zu wiederholen.
mit der Kaiserglocke wiederholt. Die Stiftskirche
Auf die Dauer war der Betrieb des in großen Teilen mechanisch
arbeitenden Uhrwerks zu pflegeintensiv, zumal die genaue Zeit immer
wieder nachreguliert werden musste.
in Neustadt ist damit eine der wenigen Kirchen
Dies war den Türmern auf die Dauer sehr lästig.
der Welt, bei der die volle Stunde zweimal ange-
Deshalb konstruierte einer von ihnen eine Vor-
schlagen wird. Diese Wiederholung wird als „His-
richtung, bei der diese Nachschläge mittels einer
torischer Nachschlag“ bezeichnet. Er rührt daher,
direkten Drahtverbindung zwischen Turmhaus
dass die Türmer, die mit dem automatisch ab-
und Nordturm zur Großen Glocke durchgeführt
laufenden Uhrschlag nichts zu tun hatten, zum
werden konnten. Tiefe Riefen im Sandstein des
Nachweis dafür, dass sie dienstbereit waren, den
gegenüber liegenden oberen Nordturmfensters
Stundenschlag auf der Großen Glocke im Nord-
bezeugen noch heute diese Aktivitäten zur Ver-
stellte auf vollelektrischen Betrieb um.
Die Zeiger der inzwischen neu gestal-
turm wiederholen mussten. Früher ertönte der
einfachung des nächtlichen Nachschlagens (Abb.
Die exakte Uhrzeit wird heute per Funk
teten und einen Stock höher ange-
Stundenschlag noch bis 24 Uhr. Dadurch waren
rechts). Diese Nachschlagepflicht endete erst, als
von einer beim Sender in Mainflingen
brachten Zifferblätter bewegen kleine
die Türmer gezwungen, auch noch nachts zum
mit der Etablierung des Korfhage-Uhrwerks der
bei Frankfurt stehenden Caesium-
Motoren in halber Höhe an den Innen-
Uhrwerksgeschoss hinunter zu gehen, in den
doppelte Stundenschlag automatisch erfolgte.
Atomuhr geliefert. Diese lokale Atom-
wänden des Glockengeschosses.
I
m Jahr 1980 legte man die mecha-
gen mit der Kurfürsten- und der Kai-
nischen Korfhage Uhrwerke still und
serglocke im Nordturm (Abb. rechts).
uhr wird stetig mit der noch genauer
Schlagzahlen
I
laufenden Atomuhr der Physikalisch-
Ende der 90er Jahre beschäftigte sich
Technischen Bundesanstalt in Braun-
Michael Rein hobbymäßig mit dem
schweig synchronisiert. Dadurch er-
schon lange vorher stillgelegten Korf-
hält die Stiftskirche stets eine exakte
hage Uhrwerk im Südturm. Nach in-
Vorgabe für die Uhrzeit.
tensiver Pflege und Neubeschaffung
m Verlauf einer Stunde addiert sich die Anzahl
schläge im Laufe eines Tages auf
der Anschläge auf die Südturmglocken auf 50,
994 (770 Viertelschläge und 224
dazu kommen noch die jeweiligen doppelten
Stundenschläge). Die meisten
Die Viertelstundenschläge werden
chanik wieder soweit zu renovieren,
Anschläge direkt hintereinander
durch elektrisch betriebene Motoren
daß das Uhrwerk zum Laufen gebracht
ertönen um 12 Uhr mittags (ins-
bei jeder Glocke ausgelöst, geregelt
werden konnte. Allerdings ohne Betä-
gesamt 44).
durch eine Automatik. Der Schlag mit
tigung der früheren Schlagfunktionen.
dem Hammer von außen auf die Sei-
Das Uhrwerk für den Stundenschlag im
tenwand der jeweiligen Glocke
Nordturm ist im ungepflegten Zustand
Stundenschläge im Nordturm.
Da der Uhrenschlag um 07:00 Uhr beginnt und
um 22:00 Uhr endet, summieren sich die Uhr-
von Ersatzteilen gelang es ihm, die Me-
ge-
schieht wie früher per Seilzug. Das
gleiche erfolgt bei den Stundenschlä-
verblieben und nicht funktionsfähig.
55
Der uhrschlag
56
57
Die Melodie des Uhrschlags
D
ie Glocken des Südturms
mentsgebäude in London an. Von
Daraus komponierte er den
Das Glockenlied
erzeugen die fünf Töne:
dieser Melodie heißt es, sie sei eine Va-
Neustadter Uhrenschlag:
Ausgehend von den Tönen des Uhrschlags, kom-
g‘ (Casimir-Glocke)
5 und 6 der Arie „I Know That My Re-
f‘ (Calvin-Glocke)
deemer Liveth“ aus dem Messias von
es‘ (Zwingli-Glocke)
Georg Friedrich Händel (geb. in Halle
c‘ (Luther-Glocke)
an der Saale). Daraus komponierte der
B
(Ursinus-Glocke)
Engländer William Crotch 1793 die
f‘ g‘ es‘ c‘ B
Südturmglocken aus.
Melodie für eine neue Uhr der Church
c‘ B es‘ f‘ g‘
In der Anfangszeit nach dem Einbau der Uhrwerke
ponierte und textete Leo Schatt das dreistrophige
riation der vier Noten aus den Takten
Neustadter Glockenlied, welches zwischen Viertel/
Viertel:
f‘ g‘ es‘ c‘ B
melodiösen Einschub aufwies (Abb. rechts). Auch
dieser Zwischenteil kommt mit den fünf Tönen der
Halb:
Unter Verwendung dieser fünf Töne
of St Mary the Great, der Universitäts-
sollte eine melodische Reihenfolge für
kirche von Cambridge. Mitte des 19.
die Viertelstundenschläge geschaffen
Jahrhunderts wurde diese Melodie für
f‘ g‘ es‘ c‘ B
werden.
die Turmuhr des Palace of Westmins-
c‘ B es‘ f‘ g‘
ter in London übernommen. Dort gab
B c‘ g‘ f‘ es‘
ertönte zur vollen Stunde auch die Melodie dieses
Zwischenteils. Dies wurde aber bald als zu zeit-
Dreiviertel:
Der Auftrag dazu ging an den Kom-
es vier Glocken für die Viertelstunden-
ponisten Leo Schatt (1889-1982) aus
schläge. Der Stundenschlag erfolgte
Mannheim, der sich einen Namen als
mit dem Anschlagen der großen Glo-
f‘ g‘ es‘ c‘ B
Musiker, Kapellmeister und Komponist
cke („Big Ben“).
c‘ B es‘ f‘ g‘
gemacht hatte. Er war auch tätig als
Halb und Dreiviertel/Ganz noch einen achttönigen
Ganz:
B c‘ g‘ f‘ es‘
Dozent an der staatlichen Hochschu-
Leo Schatt konnte bei der Stiftskirche
c‘ f‘ g‘ B es‘
le für Musik in Heidelberg und Mann-
mit den fünf Tönen der Glocken im
Daran anschließend folgt der Stun-
heim.
Südturm über einen Ton mehr verfü-
denschlag mit den beiden Glocken des
gen, allerdings sind dabei natürlich
Nordturms: G (Kurfürstenglocke) und
Leo Schatt lehnte sich an den 4-töni-
rhythmische Verlängerungen und Ver-
Es (Kaiserglocke)
gen Westminsterschlag vom Parla-
kürzungen nicht möglich.
aufwendig angesehen und weggelassen.
58
59
Quellen
Festschrift zur Glockeneinholung 1949
Prot. Stiftskirchengemeinde Neustadt an der Haardt
Helga Gutermann, Axel Rehe
Die Glocken der Stiftskirche von 1370 bis heute (2010)
Pa u l H a b e r m e h l
Beziehungen zwischen dem Kollegiatstift und der Stadt Neustadt.
In: Stift und Stadt. Beiträge zum Seelbuch des Liebfrauenstifts zu Neustadt.
Erläuterungen S. 201 ff. Herausgegeben von Paul Habermehl, 2006
Volker Müller
Läuteordnung für die 7 Glocken der prot. Stiftskirche Neustadt/W.
Protestantische Stiftskirchengemeinde Neustadt an der Weinstrasse
P r ot e sta n t i s c h e K i r c h e n g e m e i n d e
N e u sta dt a n d e r H a a r dt 1 9 4 9
Die Kaiserglocke und ihre sechs Schwestern.
Axel Rehe
Die Türme der Stiftskirche – Vergangenheit und Gegenwart des Neustadter
Wahrzeichens, Neustadt a.d. Wstr. 2002
Wikipedia
(Informationen aus dem Internet, 2014)
Der Westminsterschlag
Leo Schatt
Georg Günther Zeuner
z u m IN h a l t
D
iese Broschüre enthält Informationen über die Glocken der Stiftskirche
unter besonderer Berücksichtigung der zwei Hauptaufgaben: Glockenläuten und Uhrschlag.
Ein erster Abschnitt beschreibt die häufig wechselnden Glockenausstattungen
von Beginn an bis zur Abnahme für Rüstungszwecke im 2. Weltkrieg. Es sind die
sieben Kirchenglocken, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten und 1794
von den Franzosen requiriert wurden, die vier neuen Glocken von 1855, die für
den 1. Weltkrieg hergegeben werden mussten und im Jahr 1921 wiederum vier,
die zwei Jahrzehnte danach abermals für den 2. Weltkrieg geopfert wurden. Danach wird die Ankunft der sieben heutigen Glocken und ihrer Charakteristika
geschildert. Die ihnen zugeordneten Paten erfahren eine besondere Würdigung.
Im zweiten Abschnitt wird dargestellt, auf welche Weise die Glocken zum
Klingen gebracht und nach welchen Vorgaben diese einzeln oder in Gruppen
in Betrieb gesetzt werden.
Der dritte Teil beschäftigt sich mit der Verkündung der Uhrzeit durch die Glocken
der Stiftskirche. Ab 1949 standen dafür sieben Glockentöne zur Verfügung. Der
Turmuhrenbauer Korfhage und Söhne bekam den Auftrag, dafür eine Mechanik
zu planen und aufzustellen. Das Hauptuhrwerk im Südturm besitzt das Gehwerk
für die Zeitmessung, die Mechanik für die Zeiger der Turmuhr sowie der Viertelstundenschläge. Im Schlagwerk des Nordturms befindet sich die Mechanik
für die doppelten Stundenschläge. Diese Turmuhr, geliefert 1949 von Korfhage, wurde 1980 stillgelegt. Sie ist aber noch vorhanden und kann besichtigt
werden. Die Aufgaben der Korfhage-Turmuhr hat inzwischen eine funkgesteuerte Anlage übernommen. Bis heute erklingt alle Viertelstunde ein Abschnitt der im Jahr 1949 für die Töne der fünf Südturmglocken komponierten
Uhrschlagmelodie.
Stiftskirche
Neustadt an der Weinstrasse