Helga Gutermann und Axel Rehe 1 Glocken Historie, Glockenläuten und Uhrschlag Stiftskirche Neustadt an der Weinstraße Stiftskirche Neustadt an der Weinstrasse Helga Gutermann und Axel Rehe Die Glocken der Stiftskirche Historie, Glockenläuten und Uhrschlag Neustadt an der Weinstraße 2015 4 5 Zum Inhalt Konzept Helga Gutermann und Axel Rehe Texte Helga Gutermann, Axel Rehe Fotos/Repros Axel Rehe, Helga Gutermann, Stadtarchiv Neustadt, Rolf Schädler, Armin Huck g e s ta lt u n g das Team Agentur für Marketing GmbH 07 GruSSwort 09-23 W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n (Axel Rehe) Glocken im 14. und 15. Jahrhundert — Glocken nach der Religionsdeklaration von 1705 Glocken des Jahres 1794 — Glocken nach dem Raub von 1794 — Glocken von 1855 — Glocken von 1921 25-37 D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n (Helga Gutermann) Vorbemerkungen — Indienststellung 1949 — Aufbau der Glocken — Vorstellung der einzelnen Glocken 39-45 I m p r e ss u m Herausgeberin: Prot. Stiftskirchengemeinde Neustadt an der Weinstraße Selbstverlag: Prot. Stiftskirchengemeinde Neustadt an der Weinstraße Alle Rechte bei der Herausgeberin und den Autoren Glockenläuten (Helga Gutermann) Läutevorgang der Stiftskirchenglocken — Vorgaben zur Läuteordnung — Wann läuten welche Glocken? 47-57 Der Uhrschlag (Axel Rehe) Das Korfhage Uhrwerk — Der Uhrschlag heute — Die Melodie des Uhrschlags 58 Quellen gruSSwort 6 Vorbemerkungen V orläufer zu dieser Broschüre sind zwei kleine, in einfacher Aufmachung von der Stiftskirchengemeinde in den Jahren 2010 und 2014 gedruckte Broschüren. Die eine befasst sich mit den Glocken der Stiftskirche von 1370 bis heute (H. Gutermann, A. Rehe), die andere mit dem Uhrschlag und Glockenläuten (A. Rehe, H. Gutermann). Anlass für die Erstellung der beiden Broschüren war die 60. bzw. 65. Wiederkehr der Indienststellung der sieben neuen Glocken im Jahr 1949. Die Inhalte beider Broschüren gehen teilweise zurück auf Forschungen, die um das Jahr 2000 angestellt und im Buch „Die Türme der Stiftskirche (A. Rehe) publiziert wurden. Es entstand die Idee, die Inhalte beider Broschüren zusammenzufügen und in ansprechender Form mit einer Neugestaltung herauszugeben. Bei der Zusammenfügung zu einer einzigen Broschüre bot sich an, die Reihenfolge der vorgestellten Abschnitte neu zu ordnen und einige thematische Doppelbeschreibungen auszumerzen. W 7 ir freuen uns, liebe Leserinnen und Leser, Sie mitten in unserem hochtechnisierten und säkula- zur Lektüre dieses Heftes über die Glocken, risierten Zeitalter. das Glockenläuten und das Uhrwerk der Stifts- Sie geben ein Gefühl von Heimat, auch wenn wir kirche begrüßen zu dürfen. Ihren Autoren Helga in der Fremde weilen, ein Gefühl von Vertrautheit Gutermann und Axel Rehe ist es erneut gelungen, auch den Kirchenfernen, weil sie, die Glocken, eine übersichtliche und umfassende Abhandlung schon immer dazugehört haben, um von Freud mit vielen interessanten Bildern zu verfassen. und Leid der Menschen zu künden, den neuen Tag Wir sind immer wieder beeindruckt, welch große anzusagen und Abendfrieden zu verbreiten oder Wertschätzung viele Menschen unserem Geläut mit ihrem vollen Geläut über das vergängliche We- beimessen, ganz gleich, ob sie der Stiftskirchenge- sen von uns Menschen hinausweisen. meinde eng verbunden sind oder der Kirche fern „Meine Zeit steht in deinen Händen“ – dieses stehen. Nicht wenige kommen sogar von weit Psalmwort ist hoch oben am Südturm unserer her gereist, um das Geläut zu hören. Und immer Stiftskirche in goldenen Lettern zu lesen. Die wieder spenden Menschen großzügig, wenn sich Glocken erinnern uns immer wieder neu, dass wir technische Defekte an den Glocken bemerkbar unser Leben in einer solchen vertrauensvollen machen. Nicht wenige haben die Glockenschläge Haltung führen dürfen. und das Geläut vermisst, als die sieben Glocken Sehenswert ist auch das mechanische Uhrwerk, während der Stiftskirchenrenovierung von 2010 das zwar nicht mehr die Uhren in Gang halten bis 2013 still stehen mussten. Viele hatten sich zur muss – das geschieht mittlerweile elektronisch Wiedereröffnung auf dem Marktplatz versammelt – aber mit den vielen ineinandergreifenden Räd- und waren sichtlich berührt, als zum ersten Mal chen, Gewichten und Schrauben noch voll funkti- wieder Glockentöne zu hören waren. onsfähig ist. Das Geläut ist nicht nur das „Markenzeichen“ der Wir wünschen Ihnen allen, dass das hier vorlie- Stiftskirche, sondern auch ein hörbares Wahrzei- gende Heft viel Freude bereitet, ganz egal, ob Sie chen unserer Stadt. Wir haben des Öfteren Berich- schon einmal eine Turmführung mitgemacht te von ausgewanderten Neustädtern gehört, die und dabei die Glocken bzw. das Uhrwerk gesehen auf einer CD oder im Internet ihre heimatlichen ben oder nicht. Glocken hörten und davon tief berührt waren. Es Oliver Beckmann, Pfarrer ist etwas Eigentümliches um den Ruf der Glocken, Christian Wendt, Pfarrer i.R. W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n 8 Glocken im 14. und 15. Jahrhundert Beim Bau der Stiftskirche in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erfolgte etwa zeitgleich mit der Erstellung des Chorteils auch die Erstellung des Südturms. I m ersten Abschnitt errichtete man Von den unter der Regie des Liebfrau- die beiden ersten Stockwerke des enstifts stehenden Glocken sind uns Turms, um darauf die Glocken auf- bei dreien die Bezeichnungen bekannt hängen zu können. Wie der obere Teil (Informationen aus dem Seelbuch des Südturms in dieser Bauphase aus- III, basierend überwiegend aus alten gesehen haben mag, verdeutlicht die Stadtrechnungen Neustadts): Kathedrale von Meaux in Frankreich. Bei dieser Kirche wurde der eine Turm nicht zu Ende gebaut und behielt den provisorischen Aufbau für die Glocken bis in die heutige Zeit (Abb. 1). Holzuntersuchungen im Südturm der Stiftskirche ergaben, dass das im jetzigen Uhrwerksgeschoss heute noch befindliche Gebälk (Abb. 2) aus dem Jahr 1370 stammt. Dieses Gebälk diente damals offensichtlich zur Aufhängung der ersten Glocken der Stiftskirche. Abb. 1 Kathedrale von Meaux Abb. 2 Balken im Uhrwerksgeschoss des Südturms 9 W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n 10 GroSSe Glocke Primglocke Zeitgloc ke Die Große Glocke (magna campana) Die Primglocke läutete im Sommer um Die frühen Turmuhren bestanden aus wurde nur bei besonderen Anlässen sieben, im Winter um acht und hatte einem Schlagwerk mit einem Hammer, geläutet, zum Beispiel an hohen Feier- eine Bedeutung bei Predigt und Mes- der an einer kleinen Glocke die vollen tagen und nach angemessener Bezah- se. Sie wurde auch die lang pfryme Stunden anschlug. Zifferblätter zum lung bei Beerdigungen. Ihrem Gewicht genannt. Nach ihr richtete sich der Be- Anzeigen der Uhrzeit gab es erst spä- nach - es wurde später auf 90 Zentner ginn sowohl der städtischen als auch ter. Der erste Hinweis auf ein Uhrwerk (4.500 kg) geschätzt - könnte sie die le- der geistlichen Aktivitäten des Stifts- in der Stiftskirche stammt aus dem gendäre Kaiserglocke sein. kollegiums. Jahr 1381, als ein Glöckner namens Ke- Glocken nach der Religionsdeklaration von 1705 Nach den Regelungen zum Ende des 30jährigen Krieges wurde in der Kurpfalz im Jahr 1648 wieder die reformierte Religion eingeführt; allerdings unter Duldung der anderen Glaubensrichtungen. ckel eine Bezahlung für das Stellen der Kurfürst Ruprecht III. (König von 1400- S t u n d e n g e b e t sg l o c k e 1410) stiftete angeblich im Jahre 1402 Die Stundengebetsglocke (campana eine 99 Zentner schwere Glocke. Aktu- horarum) wurde zu Beginn der einzel- elle Forschungen stellen allerdings die nen Gebetszeiten geläutet. 11 „orglocken“ (Uhrglocken) erhält. D ie Rekatholisierung wurde stark GroSSe Glocke, 10-Uh r- Sturmglocke vorangetrieben, als im Jahr 1685 Glocke, 11-Uh r-Glocke Im Jahr 1739 war das Türmerhäuschen mit Philipp Wilhelm ein katholischer (80 Ztr), 1 2 - U h r - in seiner heutigen Form gebaut wor- Schenkung dieser Glocke durch Rup- Wetterläuten recht III. wie auch das Herstellungsjahr Seit dem Jahr 1410 ist uns das „Wet- Kurfürst an die Macht kam. Es kam zu Glocke, Totenglocke den (Abb. 3), so dass ab dieser Zeit die der sehr viel später so genannten Kai- terläuten“ überliefert. Mit dem Läuten heftigen Streitigkeiten zwischen den Diese Glocken dienten beiden Konfes- Sturmglocke im noch heute vorhande- der Glocken wollte man Unheil von der Konfessionen, die erst in der Regierungs- sionen. Im Nordturm hing als einzige nen Laternenaufsatz des Südturms hing. Stadt abwehren, indem aufziehende zeit des ebenfalls katholischen Kurfürs- die Große Glocke (das Gewicht wird Unwetter durch den Schall aufgelöst ten Johann Wilhelm durch die Religions- mit 90 Zentnern angegeben), im Süd- oder abgeleitet werden sollten. Stadt deklaration von 1705 geklärt wurden. turm befanden sich die restlichen vier. serglocke in Zweifel. Die erste urkundliche Nennung der „Großen Glocke“ erfolgte im Jahr 1426 anlässlich der Bezahlung für ein Totengeläut. Der Stadt sind die Sturmglocke und die Zeitglocke zuzuordnen, die ebenfalls im Südturm hingen. und Stift waren gleichermaßen an Zum sonntäglichen Gottesdienst wur- Ob diese Glocke anfänglich im Südturm Sturmglocke einer derartigen Gefahrenabwehr in- Im Gefolge dieser Deklaration wurde de für beide Konfessionen mit den Glo- hing und dann umgehängt wurde, Eine Sturmglocke wird in den frühen teressiert und stellten je einen Turm- in Neustadt den Katholiken der Chor cken des Südturms geläutet, und zwar oder sogleich auf dem angefangenen Jahren nicht ausdrücklich aufgeführt. knecht bzw. Glöckner für dieses Läu- und den Protestanten das Langhaus im Sommer um 9 Uhr morgens und Stumpf des Nordturms war, ist unklar. Dennoch ist ihr Vorhandensein anzu- ten zur Verfügung. Je nach Wetterlage einschließlich der Türme zugewiesen. 2 Uhr nachmittags. nehmen, da eine Signalglocke schon kam es in den verschiedenen Jahren zu immer wichtig war, um die Bevölkerung 30 bis um die 140 Läutevorgängen. Zi egenglöckch en, Die Große Glocke wurde von den Pro- M e ssg l ö c k c h e n testanten nur an hohen Festtagen zum Spätestens mit der Beendigung des Das Türmchen über dem Chor enthielt Gottesdienst geläutet, an rein katho- Erstmals im Jahr 1493 wird eine Stifts im Jahr 1565 und dem Wech- damals zwei Glocken, die ausschließlich lischen Festtagen von den Katholiken. Sturmglocke erwähnt, allerdings ohne sel zur reformierten Lehre wurde der den Katholiken gehörten, und zwar das Hinweis darauf, wo diese genau hing. Brauch des Wetterläutens abgeschafft. Ziegenglöckchen und die Messglocke. in Gefahrensituationen zu warnen. Abb. 3 Türmerhaus W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n 12 13 Glocken des Jahres 1794 Abb. 4 Auflistung der 1794 konfiszierten Glocken Nach der Revolution in Frankreich im Jahr 1789 strebten die revolutionären Franzosen eine Ausbreitung ihrer neuen Ideen sowie ihres Machtbereichs in ganz Europa an. D er direkte Nachbar im Osten, die auf dem Kornmarkt (heute Kartoffel- GroSSe Glocke Pfalz, sollte als erstes erobert wer- markt) mehrere tausend Gebund Stroh 90 Ztr. (4.500 kg), aufgehängt im Nordturm den. So gelangten die Franzosen im 20 Fuß hoch aufgetürmt waren, her- Jahr 1794 auch nach Neustadt. Um die abgeworfen. Da dieselbe ganz blieb, enormen Kriegskosten zu finanzieren, wird ein Wagen von Landau requiriert waren sogenannte „Ausleerungs-Kom- und die Glocke aufgeladen. Der Wa- 12-Uh r-Glocke missionen“ gebildet worden, die alle gen bricht aber sogleich zusammen. 20 Ztr. (1.000 kg), aufgehängt im Südturm Dinge von Wert beschlagnahmten und Daraufhin werden alle Schmiede und 10-Uh r-Glocke nach Frankreich schafften. Schlosser Neustadts zusammen geru- 12 Ztr. (600 kg), aufgehängt im Südturm fen, um sie in Stücke zu zerschlagen. Da Nach überlieferten Berichten wurden dieses auch nicht gelingt, wird Holz in am 6. März 1794 unter anderem sämt- Brand gesteckt, die Glocke darauf er- liche Glocken der Stiftskirche nebst hitzt und dann zerschlagen.“ Klöppel, Joch und Eisenwerk an den 11-Uh r-Glocke 60 Ztr. (3.000 kg) aufgehängt im Südturm V e r s ö h n u n gsg l ö c k l e i n 2 Ztr. (100 kg), aufgehängt im Südturm Zi egenglöckch en 6 Ztr. (300 kg), aufgehängt im Türmchen Glockenstühlen von französischen Nach diesem Ereignis ließ der Neu- Truppen eingezogen. Der Neustadter stadter Stadtrat ein Verzeichnis der Chronist F. J. Dochnahl schilderte die konfiszierten Glocken samt Zubehör Herabnahme der Großen Glocke in be- erstellen. Dadurch haben wir Kenntnis wegenden Worten (Ausschnitt): von der Glockenausstattung des Jahres „Die große Glocke wird auf der nördli- 1794. In diesem Bericht wurde auch Sturmglocke chen Seite des Turms, nach notwendiger das geschätzte Gewicht der geraubten 7 Ztr. (350 kg), aufgehängt über dem Erweiterung des Schallloches, nachdem Glocken aufgeführt (Abb. 4). Türmerhäuschen über dem Chor M e ssg l o c k e 4 Ztr. (200 kg), aufgehängt im Türmchen über dem Chor W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n 14 Glocken nach dem Raub von 1794 Kleine Glocke von 1802 G l ö c kc h e n d e r K at h o l i k e n Acht Jahre lang gab es in der Neustadter Stifts- Wann im Dachreiter des Chorteils wieder eine kirche keine Glocken. Erst im Jahr 1802 konnte Glocke aufgehängt wurde, ist nicht bekannt. wieder eine kleine Glocke angeschafft werden, nachdem bei Kirchenkollekten, unter anderem Sturmglocke, aus dem auch in den calvinistisch geprägten Niederlanden, Kapuzi n erkloster genügend Beträge zusammen gekommen waren. Nach dem Abriss des Kapuzinerklosters in der heutigen oberen Hauptstraße (Abb. 6) im Jahr 1806 Glocke von 1806 aus der gelangte die dortige 56 Pfund schwere Glocke, sie Lutherischen Kirche war im Jahr 1649 von Salomon Sternecker in Phil- Im Jahre 1823 ersteigerte die protestantische ippsburg gegossen worden, auf die Laterne des Tür- Gemeinde die Neustadter Lutherische Kirche in merhäuschens und diente seitdem als Sturmglocke. der Mittelgasse zum Abriss. Die dortige Glocke, W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n Die Glocken von 1855 Mitte des 19. Jahrhunderts war der Wunsch nach neuen Glocken für die Stiftskirche entstanden. Mit der Unterstützung eines eigens dazu gegründeten Glockenvereins brachte die Kirchengemeinde durch freiwillige Gaben die Mittel dazu auf. Vier neue B ron ze g l ocke n , g e g ossen am 14. April 1855 von Andreas Hamm in Frankenthal, bildeten das neue Geläut. Glocke Petrus 2.450 kg, Schlagton b°, aufgehängt im Nordturm (Abb. 7). Aufschrift: EIGENTHUM DER EVANGELISCH PROTESTANTISCHEN KIRCHENGEMEINDE NEUSTADT A.D. HAARDT. ANGESCHAFFT DURCH FREIWILLIGE BEITRÄ- Abb. 7 Glocke Petrus GE VON MITGLIEDERN DERSELBEN IM JAHR 1855. Glocke Susanna 1.450 kg, Schlagton des, aufgehängt im Südturm (Abb. 8). Aufschrift: EIGENTHUM DER EVANGELISCH PROTESTANTISCHEN KIRCHENGEMEINDE NEUSTADT im Jahr 1806 angeschafft, kam auf den Turm der A.D. HAARDT. GESTIFTET DURCH FRÄULEIN SUSAN- Stiftskirche. NA ELEONORE WOLF VON DA, LAUT TESTAMENT VOM 26. NOVEMBER 1845. UMGEGOSSEN 1887 VON MEISTER ANDR. HAMM IN FRANKENTHAL. Da keine weiteren Glocken dazu kamen, verfügte die Stiftskirchengemeinde lange Zeit über kein komplettes Geläut, sondern ledig- Diese Glocke erhielt beim Trauergeläute für den lich über die beiden oben genannten Glocken. ertrunkenen („Märchen“-) König Ludwig II. von Beide Glocken wurden im Jahr 1855 von der Bayern an Pfingsten 1886 einen Sprung und wurde Glockengießerei Hamm eingeschmolzen und als im Jahre 1887 vom Glockengießer Andreas Hamm Material zur Herstellung neuer Glocken für Neu- in Frankenthal neu gegossen. Dabei erhielt diese stadt mit verwendet. Glocke übrigens eine Tellerkrone, die inzwischen in Mode gekommen war. Abb. 6: Das Kapuzinerkloster (Ausschnitt aus einem Stich von Rieger 1786) Abb. 8 Glocke Susanna 15 16 W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n Abb. 10 Glocken Susanna und Gustav-Adolf G l o c k e G u s t a v - Ad o l f Sturmglocke Ankunft und Indienststellung Das Sch icksal Der 1855er Glocken 900 kg, Schlagton f’, aufgehängt im Südturm. Als die neuen Kirchenglocken im Jahr 1855 kamen, der Glocken Die drei größeren Glocken von 1855 wurden im hing über dem Türmerhäuschen noch die Sturm- Am 23. Mai 1855 erfolgte die feierliche Indienst- Jahre 1917 für die Aufrüstung anlässlich des Ers- Aufschrift (gleiche Aufschrift wie bei Glocke Petrus): glocke, die aus dem Kapuzinerkloster stammte. stellung auf dem Marktplatz. Ein großer festlicher ten Weltkriegs zum Einschmelzen heruntergeholt. EIGENTHUM DER EVANGELISCH PROTESTANTI- Diese Glocke zersprang im Jahr 1866 beim Läuten Zug mit den Geistlichen, dem Kirchenvorstand, Be- Bronze ist eine Metalllegierung, die gerne zur Her- SCHEN KIRCHENGEMEINDE NEUSTADT A.D. HAARDT. eines Brandes. Ein neues Sturmglöckchen (Abb. 9) amten, Stadtrat, Schuljugend, Vereinen und Bür- stellung von Kanonenrohren und Munition ver- ANGESCHAFFT DURCH FREIWILLIGE BEITRÄGE wurde von Georg Hamm in Kaiserslautern gegos- gern startete von dem Penner’schen Wohnhaus an wendet wurde. VON MITGLIEDERN DERSELBEN IM JAHR 1855. sen und läutete zum ersten Mal am 19. Dezember der Mußbacher Straße, wo die Glocken tags zuvor 1866, einen Brand in der Hintergasse anzeigend. abgestellt wurden. An der Kirche hielt Dekan Saul Am 24. Juli 1917 läuteten die Glocken noch einmal Die Gustav-Adolf-Glocke wurde auch Feldglocke Diese Glocke wiegt 28-30 kg, ist 38,5 cm breit, 35 eine Ansprache, gefolgt von der Begrüßungsrede zum Abschied, dann erfolgte die Abnahme der genannt, weil sie auch als Signalglocke zum Öff- cm hoch und hat den Schlagton c’’. Um die Schul- Pfarrer Caselmanns. Glocken Susanna und Gustav-Adolf (Abb. 10), am nen und Schließen der Weinberge vor und wäh- ter läuft ein Schmuck aus Weinblättern. rend der Lesezeit diente. 26. Juli 1917 die Petrus-Glocke (Abb. 11). Am 25. Mai 1855 läuteten die neuen Glocken zum ersten Mal zu einer Beerdigung. Die Glocken wurden auf ein Pferdefuhrwerk gela- G l o c k e B o n i fat i u s den (Abb. 12) und in Begleitung von Pfarrern und 300 kg, Schlagton b’, aufgehängt im Südturm. dem Presbyterium zum Abtransport auf den Güterbahnhof gebracht (Abb. 13). Aufschrift (gleiche Aufschrift wie bei Glocke Petrus): EIGENTHUM DER EVANGELISCH PROTESTANTI- Die kleinste Glocke, Bonifatius, verblieb zunächst. SCHEN KIRCHENGEMEINDE NEUSTADT A.D. HAARDT. Sie wurde erst im Jahre 1920 heruntergeholt und ANGESCHAFFT DURCH FREIWILLIGE BEITRÄGE beim Guss neuer Glocken mit verwendet VON MITGLIEDERN DERSELBEN IM JAHR 1855. Abb. 9 Sturmglocke von 1866 Abb. 11 Glocke Petrus 17 W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n 18 19 Die Glocken von 1921 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde aus der Gemeinde heraus der Wunsch laut, ein neues Geläut zu beschaffen. In Anlehnung an die Tradition als früherer Glockenverein setzte der Kirchenchor alles daran, dass die erforderlichen Mittel durch Spenden aufgebracht wurden. Abb. 12: Glocken Susanna und Gustav-Adolf auf dem Transportwagen Ch ristus Luther ADAM 3.088 kg, Weite 175,6 cm, Schlagton b°, 1.768 kg, Weite 147,5 cm, Schlagton des’, VERWALTER HEINRICH KOCH, BÄCKER- aufgehängt im Südturm. (Abb. 14) aufgehängt im Südturm MEISTER KARL NIKOLAI, POSTVERWAL- Aufschrift: Aufschrift: JAKOB STARK, KAUFMANN GEORG JESUS CHRISTUS GESTERN UND HEUTE EIN FESTE BURG IST UNSER GOTT. WALTER. EIGENTHUM DER PROTESTAN- UND DERSELBE AUCH IN EWIGKEIT. ALS DIE GLOCKEN GEGOSSEN WUR- TISCHEN EIGENTHUM DER PROTESTANTISCHEN DEN, WAREN GEISTLICHE: DEKAN UND STADT A.D. HAARDT. GEGOSSEN VON KIRCHENGEMEINDE NEUSTADT A.D. KIRCHENRAT LUDWIG BAYER, PFARRER JOH. GG PFEIFFER IN KAISERSLAUTERN HAARDT. GEGOSSEN VON JOH. GG PFEIF- JAKOB PAUL, PFARRER HEINRICH FICK- 1920. NO 2443. FER IN KAISERSLAUTERN 1920. NO 2442. EISEN, VIKAR KARL ORSCHIED. HERMANN, KRANKENHAUS- TER KARL OTTMANN, BANKDIREKTOR PRESBYTER WAREN: PROKURIST KARL Abb. 14 Christus-Glocke (beim Abtransport) BÖCKLER, LOKOMOTIVFÜHRER KARL FREY, KAUFMANN HEINRICH FETTIG, WEINHÄNDLER KONRAD HAMMELL, OBERLOKOMOTIVFÜHRER LUDWIG HEINTZ, Abb. 13: Geistliche und Presbyter bei den drei Glocken SCHUHMACHERMEISTER KIRCHENGEMEINDE NEU- 20 21 Abb. 15 Sturmglocke im Feuerwehrgerätehaus aufgehängt G u s t a v - Ad o l f 908 kg, Weite 117,2 cm, Schlagton f’, aufgehängt im Südturm Aufschrift: Abb. 16 Festzug in der Amalienstraße Abb. 17 Empfang der Glocken auf dem Marktplatz Sturmglocke Die Ankunft der Glocken Marktplatz (Abb.17) in den Hof des 339 kg, Weite 87,5 cm, Schlagton b’, Das Glöckchen aus dem Jahr 1866 hing Im Jahr 1921 kamen die vier neuen Rathauses. Tausende von Zuschauern aufgehängt im Südturm unverändert im Laternenaufsatz des Bronzeglocken von der Glockengieße- bejubelten den Festzug. Türmerhäuschens. rei Gebr. Pfeiffer aus Kaiserslautern. Ursinus Aufschrift: Sie wurden am 10. Februar 1921 auf Die feierliche Indienststellung wurde HELDENZEIT WAR’S UND WIRD’S BLEI- Selig sind, die reinen Herzens (Diese Glocke wurde im Jahr 1980 so- Lastwagen von Kaiserslautern nach am 20. Februar 1921 in der Stiftskir- BEN UND DIE HELDEN – WART IHR. sind. ZUM ANDENKEN AN UNSERN zusagen „pensioniert“, d. h. herunter Neustadt gebracht. che durch Pfarrer Fickeisen vollzogen, DEM HELDENTOD UNSERES LIEBEN GELIEBTEN WERNER 1903-1916. FAMI- genommen, weil schon einige Zeit kein SOHNES UND BRUDERS SEI DIESE GLO- LIE HAEFELIN. EIGENTHUM DER PRO- Bedarf an einer Sturmglocke mehr be- In einem festlichen Umzug (Abb. 16) Geläut zum ersten Mal. Alle vier Glocken wurden im Südturm der Stiftskirche aufgehängt. und noch am selben Tag ertönte das CKE ZUR ERINNERUNG GEWEIHT. FA- TESTANTISCHEN KIRCHENGEMEINDE stand. Diese einzige noch vorhandene führte man die Glocken von der Akti- MILIE FR. LOUIS. EIGENTHUM DER PRO- NEUSTADT A.D. HAARDT. GEGOSSEN historische Glocke hängt seitdem als enmühle (Talstraße 148, heute Stadt- TESTANTISCHEN KIRCHENGEMEINDE VON JOH. GG PFEIFFER IN KAISERSLAU- Schaustück im Foyer der Hauptfeuerwa- haus II) durch die Tal-, Amalien-, und NEUSTADT A.D. HAARDT. GEGOSSEN TERN 1920. NO 2445. che der Freiwilligen Feuerwehr Neustadt Landauerstraße, dann weiter durch die VON JOH. GG PFEIFFER IN KAISERSLAU- an der Weinstraße in der Lindenstraße, Friedrich- und Kellereistraße über den TERN 1920. NO 2444 (Abb. 15.) W a s w i r v o n f r ü h e r e n G l o c k e n w i ss e n 22 Das Sch icksal Übrig blieb die Glocke Ursinus, auch Der 1921er Glocken Haefelin-Glocke genannt. Diese war Im Jahre 1942 wurden drei der vier später während der Vorbereitung zur Glocken von 1921 für die Rüstung des Aufnahme der neuen Glocken von Zweiten Weltkrieges wieder zum Ein- 1949 in einem Holzgestell an der schmelzen heruntergeholt. Am 13. Südseite der Kirche aufgehängt (Abb. Januar wurden die Christusglocke 19). Im Jahr 1949 kam sie zur Alten (Abb. 18), am 15. Januar die Luther- Winzinger Kirche, wo sie wegen der und die Gustav-Adolf-Glocke durch Zerstörung des Turmes in einem provi- das westliche Schallloch herab ge- sorischen Glockenstuhl vor der Kirche lassen. ihren Platz fand. Diese Glocke wurde im Jahr 1968 eingeschmolzen, als für Die drei Glocken wurden gleich auf ein die neue Martin-Luther-Kirche in Win- bereitgestelltes Pferdefuhrwerk ge- zingen ein neues Geläut gegossen laden. Pfarrer und Mitglieder des wurde. Presbyteriums begleiteten die Glocken auf deren letztem Weg zum Abtransport auf den Güterbahnhof. Abb. 18 Die Christusglocke wird herabgelassen Abb. 19 Die übrig gebliebene Ursinus-Glocke im Jahr 1949 23 24 25 Die heutigen Glocken und ihre Paten Die Entwürfe der künstlerischen Gestaltung der Glocken, also das Porträt des Glockenpaten und die Schrift, stammen von Georg-Günter Zeuner, einem damals noch jungen Grafiker aus Speyer. D ie Kosten für Glocken und Glockenstühle wurden 1946 mit 62.000 Reichsmark veranschlagt. Letztendlich hatte die Kirchengemeinde nach der Währungsre- form und Umstellung auf D-Mark mit den zusätzlichen Kosten für Läuteanlagen, Transport, Vorbereitungen in den Türmen durch Maurer- und Schlosserbetriebe vor Ort einen Betrag von 115.150 DM zu schultern. Sämtliche Kosten wurden über Spenden finanziert. Der Transport der beiden großen Glocken erfolgte per Bahn (Abb. 20), die anderen Glocken wurden mit Lastwagen nach Neustadt gebracht. Abb. 20 Transport der Kaiserglocke mit der Bahn 26 D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n Indienststellung 1949 D Abb. 21 a, b, c Einholung der Kaiserglocke ie feierliche Indienststellung der Am 3. und 4. Oktober erfolgte der Auf- Glocken, zu der von Leo Schatt aus zug der Kaiserglocke (Abb. 21 a,b,c) und Ludwigshafen eigens das Neustadter der Kurfürstenglocke. Die Südturmglo- Glockenlied (siehe Seite 57) kompo- cken wurden am 12. und 13. Oktober niert worden war, erfolgte am 6. Novem- zum Westfenster des Südturms hoch- ber 1949, nachdem sie am 1. Oktober gezogen und im Glockenstuhl montiert. 1949 auf geschmückten Wagen zum Marktplatz gebracht und der Bevölkerung präsentiert worden waren (Abb. 22). 27 Abb. 22 Die Präsentation der Glocken auf dem Marktplatz 28 D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n Aufbau der Glocken Drei Merkmale sind bei unseren Glocken ausschlaggebend: das Material, die Aufhängung und die Namen. 2. Das gekröpfte Joch 1 . G u sss t a h l nanntes gestelztes bzw. gekröpftes Joch). Dadurch Sowohl während des Ersten als auch des Zweiten wird erreicht, dass die Drehachse der Glocke (rote Weltkrieges mussten die Kirchen ihre Bronze-Glo- Hilfslinie) in das obere Drittel des Glockenkörpers cken abgeben, da das wertvolle Material für Waf- abgesenkt und der Raumbedarf für die schwin- fen und Munition umgegossen wurde. So auch die genden Glocken verkleinert wird (Abb. rechts)). Alle Glocken der Stiftskirche werden nicht direkt am obersten Teil gedreht, sondern besitzen eine seitliche Verlängerung des Jochs nach unten (soge- Allgemeine Gliederung einer Glocke G e s ta lt u n g Eine Glocke wird von oben nach unten gegliedert: Gestaltungsprinzipien auf: Krone (Teller wie in Neustadt oder Henkel) Schulter Flanke Wolm Schlagring Bort Glocken der Stiftskirche. 3. Die Namen Bereits im Juli 1946 hatte sich das Presbyterium In der evangelischen Kirche steht den Glocken ein zur Anschaffung neuer Glocken entschlossen. Aus Pate zur Seite. Eine Weihe der Glocken mit Zuord- Angst, neue Glocken aus Bronze könnten bei ei- nung zu einem Heiligen wie in der katholischen nem eventuell wieder beginnenden Krieg erneut Kirche gibt es bei den Protestanten nicht. abgenommen werden, aber auch aus Kostengrün- K ü n s t l e r i s c h e G e s ta lt u n g Die Entwürfe der künstlerischen Gestaltung der Glocken, also Porträt des Glockenpaten und Schrift, stammen von Georg-Günter Zeuner (1923-2011), einem damals noch jungen Grafiker aus Dresden, der von 1949 bis zu seinem Tod 2011 Atelier und Alle Glocken der Stiftskirche weisen die gleichen Tellerkrone mit der sie am gekröpften Joch hängen Schultermit dem umlaufenden Stiftungstext Vorderseite an der Flanke ein Porträt des Glockenpaten mit typischer Kopfbedeckung und Name des Paten Rückseitean der Flanke dem Paten zugeordneter Sinnspruch (in Deutsch oder Latein) Wolmam Wolm das Gießerzeichen BVG (Bochumer Verein Guß- den entschied man sich für Glocken aus Gussstahl, Als Paten für die Glocken der Stiftskirche wurden die beim Bochumer Verein Gußstahl (BVG) in ei- Personen ausgewählt, die entweder einen deutli- nem neuartigen Verfahren für gute Klangqualität chen Beitrag zur Reformation geleistet haben (Cal- tumsvermerk: Prot. Kirche entwickelt worden waren. Der Auftrag für den vin, Zwingli, Luther und Ursinus) oder wie Johann Neustadt a.d. Haardt Guss der sieben neuen Glocken für die Neustadter Casimir eifrige Förderer der calvinistischen Glau- Stiftskirche ging deshalb an dieses zu Krupp gehö- bensrichtung waren. Dazu kommen die Gründer rende Unternehmen. und Förderer der Stiftskirche (die Kurfürsten Rudolph II, Ruprecht I und Ruprecht III). Wohnsitz in Speyer hatte. stahl), Gussjahr 1949, Eigen- 29 D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n 30 31 Vorstellung der einzelnen Glocken Einzelvorstellung der sieben Glocken mit ihren Paten, beginnend mit der kleinsten der fünf Glocken im Südturm. Johan n-Casimi r-Glocke Johann Casimir: Ludwig VI. hob die Kirchenordnung C a lv i n - G l o c k e 6.3.1543 - 6.1.1592 Johannes Calvin: in Basel, dann in Genf und Straßburg. 10.7.1509 - 27.5.1564 Seine Theologie wurde schließlich von seines Vaters auf und entließ die füh- Stiftungstext DEM SCHIRMHERRN DER STADT renden Calvinisten an der Universität DEN BETERN IM LAND dem in Straßburg ansässigen Martin UND DES REFORMIERTEN GLAUBENS Heidelberg aus ihren Ämtern. GESTIFTET VON JAKOB MÜLLER Bucer geprägt. Name: Mit Urkunde vom 29.3.1578, in Kaisers- Name: 1541 wird Calvin vom Genfer Rat gebe- JOHANN CASIMIR PFALZGRAF lautern ausgestellt, gründete Johann JOHANNES CALVIN ten, das kirchliche Leben der Stadt neu Stiftungstext: Casimir in Neustadt das Collegium CaSinnspruch: SONDER WANK UND OHNE RANK simirii, eine Ober- und Hochschule und Sinnspruch nahm die entlassenen Professoren aus ALLES GOTT ZUR EHR Pfalzgraf Johann Casimir wurde am Heidelberg auf. Nach dem Tod seines 6.3.1543 als eines von 10 Kindern des Bruders siedelte Johann Casimir 1583 die Glocke wiegt 910 kg Kurfürsten Friedrich III. und seiner Ge- nach Heidelberg über, um die Adminis- der Klöppel 75 kg mahlin Maria von Brandenburg geboren Technische Daten: das Joch 220 kg zu ordnen; er legt hierzu eine Kirchenordnung vor, die in der Folge calvinistisch orientierte Kirchen in aller Welt Jean Calvin wurde am 10. Juli 1509 in prägen sollte. In den Gottesdiensten Noyon, etwa 100 km nördlich von Paris legte Calvin Wert auf Einfachheit und die Glocke wiegt 1.270 kg geboren, erlangte ab 1523 seine huma- die Konzentration auf das Wort. Calvin tration für seinen unmündigen Neffen der Klöppel 90 kg nistische Ausbildung an der Sorbonne sieht die Gemeinden selbständig. in der Kurpfalz zu übernehmen und das Joch 290 kg in Paris mit dem „Studium der sieben Technische Daten hat eine Höhe von 1,18 m Mit ihm erlebte Neustadt eine Glanz- öffnete die Heidelberger Universität, hat eine Höhe von 1,30 m freien Künste“ (Grammatik, Rhetorik, Es ist die Eigentümlichkeit aller calvi- und eine untere Weite von 1,28 m zeit. Als sein Vater am 26.10.1576 was zur Folge hatte, dass alle Professo- und eine Weite von 1,43 m Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Mu- nistisch geprägter Kirchen, dass in viel starb, übernahm der älteste Sohn Lud- ren, bis auf Ursinus, wieder nach Hei- Schlagton: g‘ wig VI., streng lutherisch erzogen, die delberg wechselten. und ist nach der Läuteordnung Herrschaft in der Kurpfalz. Johann Ca- die Taufglocke simir, calvinistisch wie sein Vater, wur- Somit endete 1585 der Universitäts- den laut. väterlichem Vermächtnis die Oberämter Kaiserslautern, Frankenthal und Neustadt zugesprochen. sik und Astronomie) und dem Ab- stärkerem Maße als in dem zur Pasto- Schlagton: f‘ schluss eines „magister artium“, bevor renkirche tendierenden Luthertum das und ist nach der Läuteordnung er dann ab 1528 Rechtswissenschaften kirchliche Leben mit auf der Aktivität die „Vater-unser-Glocke“ in Orleans studierte. Etwa ab 1534 nä- von Laien beruht. Neben dem Pfarr- status des Casimirianums, jedoch die herte er sich immer mehr den Gedan- dienst haben Angelegenheiten wie Lateinschule, von Ursinus geleitet, ken der Reformation an und lebte nach Diakonie und Bildungsaufgabe einen blieb bestehen. seiner Flucht aus Frankreich zunächst ebenso hohen Stellenwert. Am 27. Mai 1564 stirbt Calvin in Genf. D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n 32 Zwingli-Glocke 33 Huldrych (Ulrich) Zwingli Er verwirklichte, besonders seit der Luth er-Glocke 1.1.1484 – 11.10.1531 D. Martin Luther: logie. Mit dem Anschlag der 95 Thesen 11.11.1483 - 18.2.1546 am 31. Oktober 1517 (in lateinischer Züricher Disputation von 1523, das Stiftungstext: CARL HERMANN CHRISTMANN kirchenpolitische Programm der Re- SEINEM VORSTAND OTTO BAUMANN Sprache) an die Tür der Schlosskirche in 18.9.1927 – 11.7.1948 formation und darf als Verkünder der GEWIDMET VOM KIRCHENCHOR VOR- Wittenberg wollte Luther eine damals ZUM GEDÄCHTNIS GEWIDMET VON anti-päpstlichen, „ur-evangelischen“ MALS GLOCKENVEREIN übliche Disputation unter den Gelehr- HANNE CHRISTMANN GEB.BOCKFELD Lehre gelten. Er schaffte die Messe ab, UND RUDOLF BOCKFELD führte Klostergüter dem Armen- und Name: damentalen Kritik am Ablasswesen Schulwesen zu und suchte theologisch D. MARTIN LUTHER den Nerv der Missstände. Er verfolgte Stiftungstext: ten entfachen und traf mit seiner fun- und politisch den Zusammenschluss Name: damit allerdings kein politisches, son- aller evangelischen Kirchen zu erwirken. Sinnspruch: Ulrich Zwingli war ein Züricher Refor- Zwingli sah, genau wie dann auch Cal- EINE FESTE BURG IST UNSER GOTT Sinnspruch: mator, zunächst begeisterter Schüler vin, Kirche und Staat in enger Zusam- HERR GOTT HILF des Erasmus von Rotterdam, später menarbeit und darin für die Obrigkeit von Luther beeinflusst, mit dem er sich eine ernste Verpflichtung. HULDREICH ZWINGLI Technische Daten: aber dann 1529 in Marburg wegen der dern ein seelsorgerisches Anliegen. Die D. Martin Luther wurde nach Jura- und Reformation nahm ihren Lauf. abgeschlossenem Theologiestudium 1508 vom Augustiner-Orden, dem er Eine weitere Großtat Luthers ist nicht die Glocke wiegt 3.100 kg als Mönch angehörte, nach Witten- zu unterschätzen und muss hier er- der Klöppel 220 kg berg an die 1502 von Friedrich dem wähnt werden: die Übersetzung des das Joch 630 kg Weisen gegründete Universität ent- neuen Testaments 1522 auf der Wart- Technische Daten: die Glocke wiegt 1.760 kg Auslegung des Abendmahls zerstritt. Während eines Religionskrieges in der Klöppel 130 kg Noch vor Luther übersetzte Zwingli in der Eidgenossenschaft fiel er am und hat eine Höhe von 1,76 m sandt, um an der jungen Hochschu- burg und später bis 1534 die der gan- das Joch 340 kg und eine untere Weite von 1,91 m le Moralphilosophie zu lehren. 1512 zen Bibel , denn diese Übersetzung ist schwor er dann in der Schlosskirche, bahnbrechend gewesen für die neuhochdeutsche Sprache. enger Zusammenarbeit mit Leo Jud 11.10.1531 als Feldprediger in der und hat eine Höhe von 1,47 m zwischen 1524 und 1529 die Bibel, al- Schlacht bei Kappel. und eine untere Weite von 1,61 m lerdings in ein stark schweizerisch ge- Schlagton: c‘ welche die Universitätskirche war, vor färbtes Deutsch. Diese Übersetzung ist und ist nach der Läuteordnung einer feierlichen Versammlung den ge- heute als „Zürcher Bibel“ bekannt. die Abendgebetglocke forderten Eid eines Doktors der Theo- Schlagton: es‘ und ist nach der Läuteordnung die Morgen- und Mittagsglocke D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n 34 Ursinus-Glocke Stiftungstext: 35 Zacharias Ursinus: Konfessionswechsel unter Ludwig VI. Kurfürsten-Glocke Kurfürst Rudolf II. , 8.8.1306 - 4.10.1353 schen verstorbenen Bruders Rudolf II.) 18.6.1534 - 6.3.1583 verlor Ursinus im Oktober 1577 seine Stiftungstext: Rudolf II. war Kurfürst von 1329-1356 das alleinige Recht auf die Kurwürde, Stelle in Heidelberg und wurde von PIIS HUIUS ECCLESIAE CONDITORIBUS AUCTORI CATECHISMI HEIDELBERGEN- Pfalzgraf Johann Casimir nach Neu- SIS AD ALTARE SEPULTO (Dem am Altar die nach dem Vertrag von Pavia eigentlich ALTERI EIDEM UNIVERSITATIS PALATI- Kurfürst Ruprecht I., 9.6.1309 - 16.2.1390 abwechselnd von der bayerischen und der Ruprecht I. war Kurfürst von 1356-1390 pfälzischen Linie der Wittelsbacher hätte der Kirche bestatteten Theologen, der den stadt an die calvinistische Gegenuni- NAE FUNDATORI Heidelberger Katechismus verfasste) versität geholt, wo er am 26.5.1578 (Den erhabenen Stiftern dieses Gottes- ausgeübt werden sollen, zugebilligt. seine Vorlesungen begann. Neben der hauses und dem Gründer der pfälzischen Damit stieg Ruprecht I. zu dem vor- Name: Leitung des Sapienzkollegs hatte er Universität gewidmet) nehmsten weltlichen Reichsfürsten ZACHARIUS URSINUS eine Professur für Dogmatik inne. auf; er war Reichsvikar und Erztruch- Ursinus war wohl der bedeutendste Name: sess. Auf dem Höhepunkt seiner Sinnspruch: Zacharias Ursinus (eigentlich Bär, und für die pfälzische Theologie und RUDOLFUS II ET RUPERTUS I ELECTO- Macht stellte er dann am 12. August SOLAMEN MEUM INFANS DEI SUM er hatte seinen Namen latinisiert) ist Kirche der wichtigste Lehrer der Neu- RES IMPERII (Rudolf II. und Ruprecht I., 1356 die Urkunde für das von seinem (Mein Trost ist, dass ich ein Kind Gottes bin) gemeinsam mit Olevanius der Verfas- stadter Hochschule. Kurfürsten) 1353 geplante Kollegiatstift an der Ursinus, am 18.7.1534 in Breslau gebo- Sinnspruch: gen im Hause Wittelsbach wurden damaligen Pfarrkirche St. Ägidius aus. ren, starb im Alter von nur 48 Jahren CONDITOR CORONIDE CONDITA CO- 1329 im Hausvertrag von Pavia die Und so entstand unsere Stiftskirche als RONET (Großer Meister, vollende den Pfalz und Bayern getrennt und die erste Grablege der pfälzischen Wittels- Bau durch den krönenden Eckstein) Kurwürde zunächst der pfälzischen bacher. Beide Fürsten fanden mit ih- Linie der Wittelsbacher, also Rudolf II. ren Ehefrauen im Chor der Kirche ihre übertragen. Unter Rudolf II. und sei- letzte Ruhestätte. ser des Heidelberger Katechismus . Technische Daten: die Glocke wiegt 4.260 kg der Klöppel 280 kg das Joch 900 kg und hat eine Höhe von 1,97 m und eine untere Weite von 2,14 m Ursinus, ein Schüler Melanchthons und Calvins wurde 1561 von Kurfürst Friedrich III. an die Heidelberger Universität berufen. Er lehrte in Heidelberg Philosophie und Theologie und übernahm den dritten theologischen Bruder Rudolf II., kurz vor dessen Tod Aufgrund von Erbauseinandersetzun- am 6.3.1583 in Neustadt und wurde 2 Tage später in der Stiftskirche beerdigt. Gewohnt hatte Ursinus hier in Neustadt, in der heutigen Hauptstraße 115 (Haus Baer). Technische Daten: die Glocke wiegt 7.350 kg nem mitregierenden Bruder Ruprecht Schlagton: B Lehrstuhl, die Professur für Dogma- der Klöppel 410 kg begann die eigenständige Entwicklung Da Ruprecht I. wenige Jahre vor seinem und ist nach der Läuteordnung die tik. Seit 1564 trat er als Verteidiger das Joch 1.380 kg der Pfalz. Zur Residenz wählten sie sich Tod, am 16.10.1386, die Heidelberger Zeichenglocke für die Sonntagsgottes- der reformierten Lehre auf. Durch den und hat eine Höhe von 2,31 m das Schloss in Neustadt und die in der Universität gründete, verlagerte sich und eine untere Weite von 2,55 m Nähe gelegene Burg Winzingen. der geistige Mittelpunkt der Kurpfalz Schlagton: G 1356 wurde Ruprecht I. in der „Golde- nachfolgenden Kurfürsten wurden sie ist nach der Läuteordnung die Son- nen Bulle“ von Nürnberg von Kaiser dann in der Heilig-Geist-Kirche in Hei- ntags- aber auch unsere Totenglocke Karl IV. (Schwiegervater seines inzwi- delberg bestattet. dienste von Neustadt nach Heidelberg. Die 36 D i e h e u t i g e n G l o c k e n u n d i h r e Pat e n Kaiser-Glocke 37 Kurfürst Ruprecht III = König Ruprecht I Nachfolger. Nach Ludwig IV., dem eine „sehr große“ Glocke, die im Nord- 5.5.1352 - 18.5.1410 Bayer, – Anfang des 14. Jahrhunderts turm untergebracht wurde und an der IMPERATORI GERMANORUM AUGUSTO PALATINAS EDITO PRINCIPUS – stellten die Wittelsbacher wieder von alters her der volle Stundenschlag (Dem aus dem Pfälzer Fürstengeschlecht entsprossene einen deutschen König, diesmal aber nachgeschlagen wurde und bis heute deutschen Kaiser zu Ehren) aus der pfälzischen Linie. Als König auch noch wird. Stiftungstext: nannte er sich Ruprecht I.. Viel Glück Name: hatte dieser redliche Fürst allerdings Die Vorstellung unserer Glocken ha- RUPERTUS CLEMENS REX ROMANORUM nicht. Sein abgesetzter Widersacher ben wir mit unserer kleinsten Glocke (Gütiger Ruprecht, König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation) Wenzel machte ihm das Leben schwer. begonnen, die einen pfälzischen Wit- Er selbst fand nicht im ganzen Reich telsbacher Fürsten als Paten hat, geen- Unterstützung und musste einsehen, det haben wir mit der größten unserer dass er keine wirkliche Reichsmacht Glocken, der ebenfalls ein pfälzischer aufbauen konnte. Ruhmlos von sei- Wittelsbacher, der es sogar zur Kö- Sinnspruch: O REX GLORIE CHRISTE VENI CUM PACE (Oh König der Herrlichkeit, Christus, komme in Frieden) Anmerkung: Bei dem Portrait von König Ruprecht (oben) handelt es sich um einen ersten Entwurf, der für die endgültige Glocke noch verändert wurde. nem Italienfeldzug zur Kaiserkrönung nigwürde gebracht hatte, als Pate zur Technische Daten: Mit Ruprecht III., (Sohn von Ruprecht zurückgekehrt, hat er sich von diesem Seite steht. die Glocke wiegt 14.000 kg II. und dessen Frau Beatrix, Tochter Kö- politischen Fehlschlag nie mehr erholt. der Klöppel 810 kg (z. Zt. über 100 kg zu viel) nig Peter II. von Aragon und Sizilien) Nach 10-jähriger Regierung starb er Die Paten unserer Glocken spiegeln das Joch 2.760 kg und Großneffe der Begründer unse- 1410 auf seiner Burg Landeskron bei nicht nur einen Teil der Geschichte der und hat eine Höhe von 2,88 m rer Stiftskirche, begann für das Haus Oppenheim. Er und seine Frau, Elisa- pfälzischen Wittelsbacher Kurfürsten bei einer unteren Weite von 3,23 m Wittelsbach und die Pfalz ein höchst beth von Hohenzollern, wurden in der wider, sondern auch die der Reformati- bedeutsames Ereignis: Heilig-Geist-Kirche in Heidelberg beige- on in der Kurpfalz zwischen Luthertum Schlagton: Es Am 20. 8. 1400 erklärten die in Rhens setzt, sind aber auch in unserer Stiftskir- und Calvinismus. und ist nach der Läuteordnung die Festtagsglocke, d.h. sie läutet zusammen am Rhein versammelten Kurfürsten che im Deckenfresko im Chor verewigt. mit ihren Schwestern nur an den hohen christlichen Feiertagen und einmal im den damaligen König Wenzel als ab- Bei seiner Wahl zum König stiftete Jahr alleine, und zwar an Karfreitag um 15.00 Uhr, der angenommenen Todes- gesetzt und wählten Ruprecht zum Ruprecht III. der Kirche seiner Ahnen stunde Jesu. Glockenläuten 38 39 Läutevorgang der Stiftskirchenglocken In diesem Abschnitt der Broschüre soll der eigentliche Zweck der Glocken, das Läuten für kirchliche Botschaften, beschrieben werden. Nach einer kurzen Darstellung der Mechanik zum Läuten erfolgt eine ausführliche Darlegung der Art des Glockenläutens im Verlauf des Kirchenjahrs (Läuteordnung). Das Läuten der Glocken ist durch eine Automatik geregelt, kann aber auch separat per Knopfdruck ausgelöst werden. Das entsprechende Schaltpult mit den Bedienungsknöpfen für die sieben Glocken befindet sich im Erdgeschoss des Südturms. Sobald der Läutemechanismus in Gang gesetzt wird, startet die Hin- und Herbewegung der Glocke. Zuerst erfolgen noch keine Schläge, weil die Seitenwand noch nicht den bis dahin passiv herunter hängenden Klöppel berührt. Zu ei- Die Läutemechanik B nem bestimmten Zeitpunkt (bei klei- eim Läuten der Glocken für kirchliche Zwecke nen Glocken früh, bei großen Glocken werden die Glocken nicht seitlich mit einem später) erreicht die sich in Bewegung Hammer angeschlagen, wie beim Uhrschlag, son- gebrachte dern ins Schwingen gebracht, bis der Klöppel an die genden Klöppel und es erfolgen der Innenwand der Glocke schlägt. Jede Glocke verfügt erste, dann die weiteren Glocken- über eine separate Einrichtung zum Schwingen. schläge. Der Klöppel ist in seinen Eine Läutemaschine mit Elektromotor (Abb. rechts Dimensionen so gestaltet, dass er oben) bewegt eine Stahlkette, die um das Läuterad eine genau vorbestimmte Stelle, den an der Seite der Glocke läuft und dieses hin und her sogenannten Schlagring der Glocken- bewegt. Dadurch wird das stählerne Joch in eine seitenwand trifft und der gewünschte Drehbewegung gesetzt und mit ihm die daran hän- Schlagton erschallt. gende Glocke (Abb. rechts unten). Glocke den herabhän- Glockenläuten 40 Glockenläuten Vorgaben zur Läuteordnung W ir sind bei der Vorstellung der Glocken Anzahl der Glocken bzw. durch unterschiedliche Vater-Unser, bei einer Taufe, der Einsegnung der Konfirmanden oder aber immer wieder auf die Läuteordnung ein- Wahl der Fundament-Glocke unterschieden. Bei auch bei einer Beisetzung. Bei einem weit entfernten Friedhof, wie hier bei gegangen. Die Läuteordnung beschreibt das drei- bis vierstimmigen Geläuten gibt es eine uns, erfolgt zu einer festen Zeit ein Gedächtnisläuten für wenige Minuten. Glockengeläut der Kirchen, also welche Kirchen- „Domenica“ (Glocke des Herrn = Sonntagsglocke). glocken zu welchem Anlass gemeinsam oder Beinhaltet ein Geläut mehr Glocken, so ist zudem einzeln erklingen dürfen. Wenn die Glocken nach eine „Gloriosa“ (die Ruhmreiche = Festtagsglocke) den Vorgaben des liturgischen Kirchenjahres ge- vorhanden, die nur den Festtagen vorbehalten ist. läutet werden, ist dies in Bezug auf die jeweilige Und so erkennen wir, dass jede Glocke ihre eigene Funktion hat. Durch die Vernichtung der Glocken im Zweiten Weltkrieg und aufgrund der Automatisierung durch Läutemotoren sind viele historische Läutebräuche Konfession von Läuteordnung zu Läuteordnung Bei den Läutezeichen zum Gottesdienst haben unterschiedlich. So gibt es z.B. bei evangelischen wir zunächst das Vorläuten, das in der Regel den Läuteordnungen keine Kategorie für „Hochfeste Hauptgottesdiensten an Sonn- und Feiertagen Neben den kirchlichen Anlässen werden Glocken auch zum profanen Läu- der Heiligen und der Gottesmutter“. Besonders dem folgenden Haupt- oder Zusammenläuten ten eingesetzt: so kennen wir z.B. Schulglocken, Werksglocken, Schiffsglo- das Läuten zur Karfreitagsliturgie unterscheidet etwa 45- bis 30 Minuten vor Gottesdienstbeginn cken, Alarmglocken u.v.m.. Ganz wichtig im Mittelalter war die Sturm- sich zwischen den Konfessionen deutlich. Bei den vorangestellt wird. Hier findet oftmals die größte oder Alarmglocke, mit welcher der Türmer die Einwohner der Stadt Katholiken schweigen die Glocken ab dem Glo- am nachfolgenden Hauptgeläute teilnehmen- vor Feuer oder anrückenden Feinden warnte. Bis zur Reformation ria am Gründonnerstag und ertönen erst wieder de Glocke Verwendung = die Fundamentglocke kannte man, auch wir hier in Neustadt, das Wetterläuten; man glaub- zum Gloria bei der Feier der Osternacht. Von den (bei uns die Ursinus-Glocke). Das Haupt- oder te, durch das Läuten der Sturmglocke ein herannahendes Unwetter Türmen evangelischer Kirchen erschallt am Kar- Zusammenläuten kündigt den unmittelbar be- „wegläuten“ zu können. freitag das große Festtagsgeläute, seltener auch vorstehenden Beginn des Gottesdienstes an und nur die größte der Glocken. erfolgt meistens 5 bis 15 Minuten vor Beginn des Gottesdienstes. Einige Minuten nach dem Ausläu- Das Läuten der Glocken steht eng mit der litur- ten der Glocken ist Gottesdienstbeginn. gischen Rangordnung des Tages -Sonntag, Festoder Werktag - in Verbindung. Die Gottesdienst- Dann kennen wir noch die Läutezeichen während form wird je nach Größe des Geläutes durch die gottesdienstlicher Handlungen, wie z. B. beim verloren gegangen, wie z.B. das Beiern, das Signieren oder das Taktläuten. 41 42 Glockenläuten Glockenläuten Wann läuten welche Glocken? Läuten im Kirchenjahr Die Glocken werden immer dann geläutet, das heißt ins Schwingen gebracht, wenn eine Botschaft mit klerikalem Inhalt verkündet werden soll. Je nach dem Zweck des Läutens bzw. der Phase im Kirchenjahr kommen eine bis mehrere Glocken in unterschiedlichen Zusammenstellungen zum Einsatz. F ür die evangelische Kirche existiert eine allgemeine Läuteordnung, welche die Prinzipien zum Glockenläuten vorgibt. Für jede Kirche, so auch die Stiftskirche, gibt es, angepasst an ihre Ausstattung an Glocken, eine örtliche Regelung, welche die Inbetriebnahme im Detail regelt. Die örtliche Regelung (Läuteordnung) für die Stiftskirche in Neustadt gibt vor, in welcher Weise das Läuten ihrer Glocken erfolgen soll, also welche der sieben Kirchenglocken zu welchem Anlass gemeinsam oder einzeln erklingen dürfen. Außerdem wird festgelegt, zu welcher Uhrzeit und wie lange das jeweilige Geläut ertönt. Diese Vorgaben müssen auch berücksichtigen, dass weiterhin der Uhrschlag sowohl für die Viertelstunden als auch für die vollen Stunden erfolgen muss. Ein länger andauerndes Läuten der Glocken darf demnach nicht in die Uhrschlagzeiten hineinreichen. 43 Das Läuten der Glocken steht eng mit der liturgischen Rangordnung des jeweiligen Tages in Verbindung. Man unterscheidet zwischen Hohen Festtagen, kleineren Festtagen, Ernsten Feiertagen und normalen Sonntagen. H o h e F e s t t a g e 1. Advent (Beginn des Kirchenjahrs) K l e i n e r e F e st ta g e (Ortsübliche Feste und Kalenderfeiertage) Kirchweihe, Kirchenmusiktage, Weihnachten Missionsfeste Ostern Pfingsten Sylvester, Neujahr Konfirmation, Erntedankfest, Christi Himmelfahrt Reformationsfest Trinitatis Hauptgottesdienst: Vorläuten mit der Kaiseroder Kurfürstenglocke Hauptläuten mit dem Vollgeläute (alle sieben Glocken) Hauptgottesdienst: Vorläuten mit der Kurfürstenglocke Hauptläuten mit Vollgeläute Kurfürstenglocke Hauptläuten mit vier Glocken (Kurfürsten, Ursinus, Luther, Zwingli) Karfreitag Buß- und Bettag Totensonntag (letzter Sonntag vor Advent) Hauptgottesdienst: Vorläuten mit der Kaiser- oder Kurfürstenglocke Hauptläuten mit der Kaiserglocke oder der Kurfürstenglocke ohne Kaiserglocke (Kurfürsten, Ursinus, Luther, Zwingli, Calvin, Casimir) Andere Gottesdienste: Vorläuten mit der E r n s t e F e i e r t a g e Invokavit (1. Sonntag der Passionszeit) Andere Gottesdienste: Vorläuten mit der Kurfürstenglocke Hauptläuten mit Molldreiklang Neujahr ab 0:00 Uhr Vollgeläute, (Kurfürsten, Luther, Zwingli) maximal 15 Minuten Karfreitag um 15:00 Uhr Kaiserglocke allein Glockenläuten 44 Ü b r i g e S o n n ta g e i n d e r Wie erfolgt das Läuten Beim Vater-Unser während des Gottes- festlichen Kirchenzeit z u m G o t t e sd i e n s t ? dienstes läutet etwa um 10:40 Uhr die (nach Weihnachten bis nach dem 6. Das Einschalten der Glocken erfolgt Calvinglocke. Dauer ca. 5 Minuten. Januar sowie zwischen Ostern und durch die für den jeweiligen Gottes- Pfingsten. dienst zuständige Person durch die Be- Hauptgottesdienst: Vorläuten mit der Ursinusglocke Läutezeich en zu gottes- L äute n wä h r e n d an der Schalttafel im Erdgeschoss des dienstlichen Handlungen der Woche (Kurfürsten, sonstige Läuten im Verlauf der Woche. Zwingli, Im Verlauf einer Woche läuten die Südturms. Dies gilt für die Läutevorgänge zu den Gottesdiensten und das Ursinus, Allgemeine Läuteanlässe tätigung des entsprechenden Knopfes Hauptläuten mit dem Durgeläute Beim Vater-Unser Calvinglocke Glocken zu regelmäßig sich wieder- Bei einer Taufe Casimirglocke Täglich um 12:00 Uhr holenden Zeiten bzw. Anlässen. Calvin, Casimir) Vorläuten Zur Erinnerung an den baldigen BeÜ b r i g e S o n n ta g e i n d e r ginn des Gottesdienstes ertönt das ernsten Kirchenzeit Vorläuten etwa 45 Minuten vor Got- (2. 3. und 4. Advent und die Passions- tesdienstbeginn. sonntage bis Palmsonntag.) Beginn um ca. 09:15 Uhr, Dauer ca: 15 Minuten. Hauptgottesdienst: Vorläuten mit der Kurfürstenglocke Hauptläuten Hauptläuten mit dem Mollmotiv Das Hauptläuten kündigt den unmit- (Kurfürsten, Luther, Zwingli, Casimir) telbar bevorstehenden Beginn des 45 Bei der Einsegnung der Konfirmanden Casimirglocke Täglich um 19:00 Uhr Samstag um 19:00 Uhr Einläuten des Sonntags Sonntag um 09:15 Uhr Vorläuten zum Hauptgottesdienst Sonntag um 09:50 Uhr Hauptläuten zum Hauptgottesdienst Freitag um 15:00 Uhr Geläutet werden eine, drei oder vier, nur Kurfürstenglocke bzw. sieben Glocken, Zusammensetz- (zum Totengedenken) ung je nach Kirchenzeit. Gottesdienstes an und erfolgt 10 Mi- Da Bei setzungen auf dem wei t nuten vor Beginn des Gottesdienstes. entfernten Friedhof erfolgen, hat man Dauer 5-10 Minuten. beschlossen, die Kurfürstenglocke jeden Freitag um 15:00 Uhr als Erinner-ung an die in der gleichen Woche beigesetzten Kirchenmitglieder bzw. an Jesu Tod einige Minuten zu läuten. 46 47 Der Uhrschlag F ür die vorherigen, aus dem Jahr 1921 stammenden Glocken, die im Jahr 1942 für Rüstungszwecke abgenommen worden waren, stand ein Uhr- werk zum Anschlagen dieser vier Glocken zur Verfügung, welches im Jahr 1857 durch den Straßburger Uhrmacher Johann Baptist Schwilgué gefertigt und im Uhrwerksgeschoss aufgestellt war. Dieses Schwilgué’sche Uhrwerk wurde, als im Jahr 1949 die sieben neuen Glocken kamen, nicht mehr gebraucht und deshalb abgebaut. Es war notwendig, ein neues Uhrwerk für den Uhrschlag mit diesen Glocken, fünf im Südturm und zwei im Nordturm, aufzustellen. Ausgesucht als Lieferant und Aufsteller wurde die Firma Korfhage. Die zunächst gegebene Zusage der Stadt, die Kosten für das Uhrwerk zu übernehmen, zog diese 1950 wieder zurück. Nach hartnäckigen Interventionen des damaligen Dekans, Herrn Lischer, übernahm die Stadt Neustadt dann doch die Kosten, denn die Turmuhr war von alters her Eigentum der Stadt. Die Kirchengemeinde hatte aber die laufenden Kosten für Strom und Wartung zu tragen. Der uhrschlag 48 Das Korfhage Uhrwerk Korfhage & Söhne aus Buer bei Osnabrück lieferte 1949 eine zweiteilige neue Turmuhr, die den erweiterten Ansprüchen gerecht wurde. F 49 Aufziehen des Uhrwerks Südturmuhrwerk bediente darüber hinaus auch Aus der Mitte des Uhrkastens ent- noch die Bewegung der Zeiger auf den Zifferblät- springen drei kräftige Drahtseile, die tern der außen am Turm befindlichen drei Turm- ins Stockwerk darüber verlaufen, dort uhren. Beide Uhrwerke sind in einem glasbefens- zweimal über Rollen umgelenkt werden, terten schützenden Holzgehäuse untergebracht. längs der nördlichen Turmwand wieder ür die Viertelstundenschläge mittels der fünf Das 1949 gelieferte Uhrwerk von Korfhage (Abb. zurückkommen und in drei Rollen an Ei- Südturmglocken war das Uhrwerk im Uhrenge- oben) war damals in seiner Technik sehr fortge- senbefestigungen enden, die schwere schritten. Gewichte tragen (Abb. rechts). Es handelt schoss des Südturms (Abb. unten) zuständig, die sich dabei um den Mechanismus zum vollen Stunden auf den beiden Nordturmglocken veranlasste das zweite, nachgeordnete Schlag- Beim Betrachten des Schutzkastens der Korf- Aufziehen der Uhr. Dies geschah mit elek- werk im Uhrwerksgeschoss des Nordturms. Das hage Turmuhr (Blickrichtung nach Westen) sieht trischer Kraft, konnte aber auch mecha- man mehrere Seilzüge und Gestänge, die diesen nisch durch Betätigung dreier Kurbeln am Kasten verlassen und nach oben verlaufen (Abb. vorderen Teil des Uhrwerks geschehen. Das unten). Sie dienen verschiedenen Zwecken. leichtere Gewicht bedient den eigentlichen Uhrzeitmechanismus. Die beiden schweren Gewichte sind für die Schlagfunktion an den fünf Südturmglocken vorgesehen. Damit dies mit der gewünschten Kraft geschieht, werden zwei Gewichte verwendet. Beim Aufziehen werden diese Seile auf die dafür vorgesehenen Kabeltrommeln aufgerollt und die Gewichte bewegen sich nach oben. Wenn die Gewichte bis zum Anschlag nach oben gebracht werden, läuft das Uhrwerk 24 Stunden lang. Der uhrschlag 50 51 Das Gehwerk Räderwerk des Viertelstundenschlags D er Taktgeber für die Uhrzeit ist der große 1. Funktion: Zeigerbewegung am 2. Funktion: Auslösen schwere Pendel an der Ostseite des Uhr- Auslösen des Stundenschlag Z i f f e r b l at t der Viertelstundenschläge werks (Abb. links). Sobald dieser in Bewegung Unterhalb einer kleinen Uhrscheibe an der rechten Ein Abschnitt des Uhrwerks ist für den Viertelstundenschlag zuständig. Er gebracht wird, läuft die Zeit im vorgesehenen Seite des Uhrwerks (Abb. rechts) befindet sich das weist fünf nebeneinander liegende Zahnräder auf. Diese lösen den Zug auf Sekundentakt und das Uhrwerk kann seine drei Räderwerk für die Bewegung der Zeiger an den Zif- fünf dünnere Drähte aus, welche nach oben entspringen und nach Maß- Funktionen erfüllen. Die Kraft für diese Pendel- ferblättern der Turmuhren. Eine dicke Stange ent- gabe des Räderwerks gezogen werden. Die Zugdrähte verlaufen innerhalb bewegung kommt von einem kleinen Gewicht an springt dort, läuft nach oben, bedient den Zeiger eines durch Bretter gebildeten Schachts nach oben, gehen darin durch die der südlichen Seite des Uhrwerks. Auf der Abbil- am kleinen Anzeigezifferblatt und führt durch die Geschossdecke und gelangen in das nächsthöhere Stockwerk. Unterhalb dung unten sieht man oberhalb Decke des Uhrwerkskastens hinauf in das höhere der Decke zum Glockengeschoß führen die nunmehr sichtbaren Drähte der Kabeltrommel dieses kleine Stockwerk. Sie diente früher für die mechanische auseinander und dienen als Zugseile für die Betätigung des seitlichen zylinderförmige Gewicht in der einminütliche Weiterbewegung der Zeiger der drei Hammerschlags an der jeweiligen Glocke des Südturms. Diese Schläge Mitte einer kurzen Stange. Eine Zifferblätter außen am Turm, die damals noch ein erzeugten die viertelstündlichen Glockentöne (Abb. oben links). Ankerhämmung und entspre- Stockwerk tiefer als heute angebracht waren. chende Stellschrauben sorgen 3 . F u n k t i o n : I n i t i i e r u n g d e s S t u n d e n s c h l a gs dafür, dass sich der Pendel im ge- Das Südturmuhrwerk mit seinem Gehwerk war das tonangebende wünschten Sekundentakt bewegt. Hauptuhrwerk. Es löste die Stundenschläge im Schlagwerk im Nordturm aus. Beim Erreichen jeder vollen Stunde, d.h. nach erfolgten viermal fünf Viertelschlägen ging an das Nordturmwerk per Eisendrahtverbindung das Signal zum Auslösen des jeweiligen Stundenschlags. Der Draht entsprang an einem Ausleger des Uhrwerks für den Stundenschlag (Abb. oben rechts), lief nach oben durch den Uhrkasten, wurde dann umgelenkt und zog an der Decke des Verbindungsgangs zum Nordturm hin. Dort gelangte dieser Draht über eine Rollenablenkung in das Innere des Uhrwerks. Ankerhämmung des Gehwerks Der uhrschlag 52 Das dortige, ebenfalls von einem Holz- tätigung der außen am Turm befindli- gehäuse geschützte Werk (Abb. rechts chen Zeiger der Zifferblätter, die bis zum oben, Blick von oben auf das Schutzge- Jahr 1970 an diesen Stellen hingen. Die häuse) löste den Stundenschlag aus. drei Stäbe verlaufen in holzummantel- Zum Namen der Kaiserglocke ten Kanälen zu den Fenstern hin. In ähnlicher Weise wie beim Südturmuhrwerk, geschah, geregelt durch zwei Beim Besteigen der Treppe in Richtung gezahnte Steuerräder, der jeweilige Glockenstuhl kann man etwa in halber Stundenschlag zunächst an der Kur- Höhe unter der Decke erkennen, wie fürstenglocke, dann an der Kaiserglocke die dünnen Drahtseile wieder offen er- (Abb. Mitte). Die drei Gewichte, eines scheinen. Nach Durchlaufen eines Füh- für die Kurfürstenglocke, zwei für rungsbrettes werden diese, zum Teil die Kaiserglocke, brachten die beiden mit Hilfe von Umlenkscharnieren, an Schlagwerke im Nordturm zum Laufen. die Mechanismen geführt, die bei Be- Die Zugseile für den Stundenschlag tätigung der Drahtzüge mit Hämmern sind nicht mehr in Funktion. Von der den Glockenschlag ausführen. (Abb. oben Seilverbindung unten). Die Seile werden, umgelenkt zwischen Südturm und Nordturm ist durch Scharniere, an die Position unter nichts mehr vorhanden. den Geschossboden geführt, sodass sie beschriebenen die seitlichen Hammerschläge an die Wenn man sich im Südturm ein Stockwerk höher begibt, kann man den weiteren Verlauf der vom Südturmuhrwerk ausgehenden Verbindungen erkennen. In der Raummitte steht ein Holzkasten mit Deckel (Abb. rechts unten). Dort endet von unten der dicke Stab für die Zeigerbewegung und dreht mit einem Zahnrad die drei Eisenstäbe für die Be- Glocken auslösen konnten. D er Überlieferung nach stiftete Kurfürst und jedoch in den kriegerischen Auseinandersetzun- König Ruprecht für die Stiftskirche im Jahr gen in Norditalien, seine Geldmittel gingen zur 1402 eine große Glocke. Ruprecht III war im Neige und er musste, ohne beim Papst in Rom Jahr 1400 von seinen Kurfürstenkollegen zum gewesen zu sein, wieder nach Deutschland heim- König mit dem Namen Ruprecht I gewählt wor- kehren. Er ist also zwar König, aber nie anerkann- den (Abb. oben), wie damals üblich mit der Be- ter Kaiser gewesen. zeichnung „König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“. Die deutschen Könige Die im Jahr 1949 neu gelieferte 14 Tonnen schwe- konnten zum Kaiser gekrönt werden, allerdings re Glocke erhielt wegen ihrer Größe und zur Erin- musste diese Krönung vom Papst in Rom vorge- nerung an die frühere angebliche Stiftung durch nommen werden. Ruprecht zog deshalb, und weil König Ruprecht I. die korrekte Beschriftung „Ru- er in Oberitalien für das Deutsche Reich verlorene pertus Clemens Rex Romanorum“. Sie wird aber Territorien zurück erobern wollte, begleitet mit von den Neustadtern dennoch als „Kaiserglocke“ einem Heer nach Italien. Dann verzettelte er sich bezeichnet, ohne auf den oben geschilderten Sachverhalt Rücksicht zu nehmen. 53 Der uhrschlag Der uhrschlag Historischer Nachschlag Der Uhrschlag heute 54 D er Stundenschlag erfolgt zunächst mit der Nordturm hinüberzuwechseln um dort den Stun- Kurfürstenglocke. Dann wird dieser Schlag denschlag zu wiederholen. mit der Kaiserglocke wiederholt. Die Stiftskirche Auf die Dauer war der Betrieb des in großen Teilen mechanisch arbeitenden Uhrwerks zu pflegeintensiv, zumal die genaue Zeit immer wieder nachreguliert werden musste. in Neustadt ist damit eine der wenigen Kirchen Dies war den Türmern auf die Dauer sehr lästig. der Welt, bei der die volle Stunde zweimal ange- Deshalb konstruierte einer von ihnen eine Vor- schlagen wird. Diese Wiederholung wird als „His- richtung, bei der diese Nachschläge mittels einer torischer Nachschlag“ bezeichnet. Er rührt daher, direkten Drahtverbindung zwischen Turmhaus dass die Türmer, die mit dem automatisch ab- und Nordturm zur Großen Glocke durchgeführt laufenden Uhrschlag nichts zu tun hatten, zum werden konnten. Tiefe Riefen im Sandstein des Nachweis dafür, dass sie dienstbereit waren, den gegenüber liegenden oberen Nordturmfensters Stundenschlag auf der Großen Glocke im Nord- bezeugen noch heute diese Aktivitäten zur Ver- stellte auf vollelektrischen Betrieb um. Die Zeiger der inzwischen neu gestal- turm wiederholen mussten. Früher ertönte der einfachung des nächtlichen Nachschlagens (Abb. Die exakte Uhrzeit wird heute per Funk teten und einen Stock höher ange- Stundenschlag noch bis 24 Uhr. Dadurch waren rechts). Diese Nachschlagepflicht endete erst, als von einer beim Sender in Mainflingen brachten Zifferblätter bewegen kleine die Türmer gezwungen, auch noch nachts zum mit der Etablierung des Korfhage-Uhrwerks der bei Frankfurt stehenden Caesium- Motoren in halber Höhe an den Innen- Uhrwerksgeschoss hinunter zu gehen, in den doppelte Stundenschlag automatisch erfolgte. Atomuhr geliefert. Diese lokale Atom- wänden des Glockengeschosses. I m Jahr 1980 legte man die mecha- gen mit der Kurfürsten- und der Kai- nischen Korfhage Uhrwerke still und serglocke im Nordturm (Abb. rechts). uhr wird stetig mit der noch genauer Schlagzahlen I laufenden Atomuhr der Physikalisch- Ende der 90er Jahre beschäftigte sich Technischen Bundesanstalt in Braun- Michael Rein hobbymäßig mit dem schweig synchronisiert. Dadurch er- schon lange vorher stillgelegten Korf- hält die Stiftskirche stets eine exakte hage Uhrwerk im Südturm. Nach in- Vorgabe für die Uhrzeit. tensiver Pflege und Neubeschaffung m Verlauf einer Stunde addiert sich die Anzahl schläge im Laufe eines Tages auf der Anschläge auf die Südturmglocken auf 50, 994 (770 Viertelschläge und 224 dazu kommen noch die jeweiligen doppelten Stundenschläge). Die meisten Die Viertelstundenschläge werden chanik wieder soweit zu renovieren, Anschläge direkt hintereinander durch elektrisch betriebene Motoren daß das Uhrwerk zum Laufen gebracht ertönen um 12 Uhr mittags (ins- bei jeder Glocke ausgelöst, geregelt werden konnte. Allerdings ohne Betä- gesamt 44). durch eine Automatik. Der Schlag mit tigung der früheren Schlagfunktionen. dem Hammer von außen auf die Sei- Das Uhrwerk für den Stundenschlag im tenwand der jeweiligen Glocke Nordturm ist im ungepflegten Zustand Stundenschläge im Nordturm. Da der Uhrenschlag um 07:00 Uhr beginnt und um 22:00 Uhr endet, summieren sich die Uhr- von Ersatzteilen gelang es ihm, die Me- ge- schieht wie früher per Seilzug. Das gleiche erfolgt bei den Stundenschlä- verblieben und nicht funktionsfähig. 55 Der uhrschlag 56 57 Die Melodie des Uhrschlags D ie Glocken des Südturms mentsgebäude in London an. Von Daraus komponierte er den Das Glockenlied erzeugen die fünf Töne: dieser Melodie heißt es, sie sei eine Va- Neustadter Uhrenschlag: Ausgehend von den Tönen des Uhrschlags, kom- g‘ (Casimir-Glocke) 5 und 6 der Arie „I Know That My Re- f‘ (Calvin-Glocke) deemer Liveth“ aus dem Messias von es‘ (Zwingli-Glocke) Georg Friedrich Händel (geb. in Halle c‘ (Luther-Glocke) an der Saale). Daraus komponierte der B (Ursinus-Glocke) Engländer William Crotch 1793 die f‘ g‘ es‘ c‘ B Südturmglocken aus. Melodie für eine neue Uhr der Church c‘ B es‘ f‘ g‘ In der Anfangszeit nach dem Einbau der Uhrwerke ponierte und textete Leo Schatt das dreistrophige riation der vier Noten aus den Takten Neustadter Glockenlied, welches zwischen Viertel/ Viertel: f‘ g‘ es‘ c‘ B melodiösen Einschub aufwies (Abb. rechts). Auch dieser Zwischenteil kommt mit den fünf Tönen der Halb: Unter Verwendung dieser fünf Töne of St Mary the Great, der Universitäts- sollte eine melodische Reihenfolge für kirche von Cambridge. Mitte des 19. die Viertelstundenschläge geschaffen Jahrhunderts wurde diese Melodie für f‘ g‘ es‘ c‘ B werden. die Turmuhr des Palace of Westmins- c‘ B es‘ f‘ g‘ ter in London übernommen. Dort gab B c‘ g‘ f‘ es‘ ertönte zur vollen Stunde auch die Melodie dieses Zwischenteils. Dies wurde aber bald als zu zeit- Dreiviertel: Der Auftrag dazu ging an den Kom- es vier Glocken für die Viertelstunden- ponisten Leo Schatt (1889-1982) aus schläge. Der Stundenschlag erfolgte Mannheim, der sich einen Namen als mit dem Anschlagen der großen Glo- f‘ g‘ es‘ c‘ B Musiker, Kapellmeister und Komponist cke („Big Ben“). c‘ B es‘ f‘ g‘ gemacht hatte. Er war auch tätig als Halb und Dreiviertel/Ganz noch einen achttönigen Ganz: B c‘ g‘ f‘ es‘ Dozent an der staatlichen Hochschu- Leo Schatt konnte bei der Stiftskirche c‘ f‘ g‘ B es‘ le für Musik in Heidelberg und Mann- mit den fünf Tönen der Glocken im Daran anschließend folgt der Stun- heim. Südturm über einen Ton mehr verfü- denschlag mit den beiden Glocken des gen, allerdings sind dabei natürlich Nordturms: G (Kurfürstenglocke) und Leo Schatt lehnte sich an den 4-töni- rhythmische Verlängerungen und Ver- Es (Kaiserglocke) gen Westminsterschlag vom Parla- kürzungen nicht möglich. aufwendig angesehen und weggelassen. 58 59 Quellen Festschrift zur Glockeneinholung 1949 Prot. Stiftskirchengemeinde Neustadt an der Haardt Helga Gutermann, Axel Rehe Die Glocken der Stiftskirche von 1370 bis heute (2010) Pa u l H a b e r m e h l Beziehungen zwischen dem Kollegiatstift und der Stadt Neustadt. In: Stift und Stadt. Beiträge zum Seelbuch des Liebfrauenstifts zu Neustadt. Erläuterungen S. 201 ff. Herausgegeben von Paul Habermehl, 2006 Volker Müller Läuteordnung für die 7 Glocken der prot. Stiftskirche Neustadt/W. Protestantische Stiftskirchengemeinde Neustadt an der Weinstrasse P r ot e sta n t i s c h e K i r c h e n g e m e i n d e N e u sta dt a n d e r H a a r dt 1 9 4 9 Die Kaiserglocke und ihre sechs Schwestern. Axel Rehe Die Türme der Stiftskirche – Vergangenheit und Gegenwart des Neustadter Wahrzeichens, Neustadt a.d. Wstr. 2002 Wikipedia (Informationen aus dem Internet, 2014) Der Westminsterschlag Leo Schatt Georg Günther Zeuner z u m IN h a l t D iese Broschüre enthält Informationen über die Glocken der Stiftskirche unter besonderer Berücksichtigung der zwei Hauptaufgaben: Glockenläuten und Uhrschlag. Ein erster Abschnitt beschreibt die häufig wechselnden Glockenausstattungen von Beginn an bis zur Abnahme für Rüstungszwecke im 2. Weltkrieg. Es sind die sieben Kirchenglocken, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten und 1794 von den Franzosen requiriert wurden, die vier neuen Glocken von 1855, die für den 1. Weltkrieg hergegeben werden mussten und im Jahr 1921 wiederum vier, die zwei Jahrzehnte danach abermals für den 2. Weltkrieg geopfert wurden. Danach wird die Ankunft der sieben heutigen Glocken und ihrer Charakteristika geschildert. Die ihnen zugeordneten Paten erfahren eine besondere Würdigung. Im zweiten Abschnitt wird dargestellt, auf welche Weise die Glocken zum Klingen gebracht und nach welchen Vorgaben diese einzeln oder in Gruppen in Betrieb gesetzt werden. Der dritte Teil beschäftigt sich mit der Verkündung der Uhrzeit durch die Glocken der Stiftskirche. Ab 1949 standen dafür sieben Glockentöne zur Verfügung. Der Turmuhrenbauer Korfhage und Söhne bekam den Auftrag, dafür eine Mechanik zu planen und aufzustellen. Das Hauptuhrwerk im Südturm besitzt das Gehwerk für die Zeitmessung, die Mechanik für die Zeiger der Turmuhr sowie der Viertelstundenschläge. Im Schlagwerk des Nordturms befindet sich die Mechanik für die doppelten Stundenschläge. Diese Turmuhr, geliefert 1949 von Korfhage, wurde 1980 stillgelegt. Sie ist aber noch vorhanden und kann besichtigt werden. Die Aufgaben der Korfhage-Turmuhr hat inzwischen eine funkgesteuerte Anlage übernommen. Bis heute erklingt alle Viertelstunde ein Abschnitt der im Jahr 1949 für die Töne der fünf Südturmglocken komponierten Uhrschlagmelodie. Stiftskirche Neustadt an der Weinstrasse
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