In seiner Predigt

Predigt Ökumenischer Gottesdienst anlässlich des DFB-Pokalfinales,
Gedächtniskirche Berlin, 30.05.2015, Kirchenpräsident Dr. Volker Jung
Ein Schriftgelehrter hatte ihrem Streit zugehört; und da er bemerkt hatte,
wie treffend Jesus ihnen antwortete, ging er zu ihm hin und fragte ihn:
„Welches Gebot ist das erste von allen?“ Jesus antwortete: „Das erste
ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst
du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele,
mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu:
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist
größer als diese beiden.“ Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm: „Sehr gut,
Meister! Ganz richtig hast du gesagt: Er allein ist der Herr, und es gibt
keinen anderen außer ihm, und ihn mit ganzem Herzen, ganzem
Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie
sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer.“ Jesus
sah, dass er mit Verständnis geantwortet hatte, und sagte zu ihm: „Du
bist nicht fern vom Reich Gottes. Und keiner wagte mehr, Jesus eine
Frage zu stellen.“ Markus 12,38-34 (Einheitsübersetzung)
Liebe Gemeinde!
„Den kann ich jetzt mal fragen.“ So mag der Schriftgelehrte gedacht
haben, als er hörte, wie Jesus auf Fragen antwortete. „Der antwortet
gut.“ Und so wie die Geschichte klingt, fragte er auch nicht irgendwie mit
Hintergedanken. Ihn beschäftigte folgende Frage: 613 Gebote enthalten
die Heiligen Schriften. Natürlich die bekannten 10 Gebote. Und daneben
noch viele mehr. Lässt sich da sagen, welches das wichtigste ist? Und
mit dieser Frage geht er zu Jesus: „Welches Gebot ist das erste von
allen?“ In einer anderen Übersetzung heißt es: „Welches ist das höchste
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Gebot?“ Die Frage ist gut. Sich klar zu machen, was das Wichtigste ist,
hilft ja, den Überblick nicht zu verlieren. Die Frage bedeutet ja auch: Was
muss ich auf jeden Fall im Blick behalten – auch dann, wenn es mal
schwierig und unübersichtlich wird.
Jesus antwortet. Und ich behaupte: Die Antwort ist ein echter
Doppelpass. Warum? Er sagt: Es sind zwei Gebote. Das eine: Du sollst
Gott lieben – mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft.
Und das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Dass
er zwei Gebote nennt, macht die Antwort aber nicht zum Doppelpass.
Das Besondere am Doppelpass ist ja: Ich spiele meine Mitspieler an und
der spielt mir den Ball zurück – am besten schön in den freien Raum, so
dass ich dann weiterspielen kann oder sogar im Idealfall sofort zum
Torschuss komme. Auf jeden Fall ist das Besondere beim Doppelpass:
Ich spiele, mir wird der Ball zurückgespielt und dann liegt die
Verantwortung wieder bei mir. Klar ist dabei auch: Mein Mitspieler traut
mir etwas zu, nämlich das ich dann etwas Richtiges, Gutes,
Erfolgreiches tue.
Und das ist nun das Geniale an der Antwort Jesu. Er zitiert zwei Gebote
Gottes. Und er sagt damit: Gott traut dir zu, dass du das Richtige tust.
Und herausfinden kannst du das, indem du darüber nachdenkst, was du
selbst brauchst. Das nämlich heißt: Den Nächsten lieben wie sich selbst.
Also, wenn du fragst: Was soll ich tun, wie soll ich mit einem anderen
Menschen umgehen?, dann frage dich: Was würde ich denn brauchen,
wenn ich an der Stelle des anderen wäre?
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Was brauche ich, wenn ich irgendwo verletzt am Boden liege – beim
Fußball oder anderswo? Ich brauche jemanden, der mir hilft. Und was
heißt das dann umgekehrt? Was soll ich tun, wenn jemand da liegt? Ihn
liegen lassen? Weitermachen? Weiterspielen? Ich glaube die Antwort ist
klar. Oder?
Ich stelle mir zurzeit die Frage oft, wenn ich Flüchtlinge auf ihren Booten
im Mittelmeer sehe. Was würde ich denn wollen, dass man mir tut, wenn
ich in einem solchen Boot sitzen würde? Wenn ich meine Heimat
verlassen müsste, weil dort Krieg herrscht oder bittere Not oder weil ein
menschenverachtendes Regime die Macht hat? Was würde ich von
meinen Mitmenschen erhoffen? Doch zumindest, dass sie mir erstmal
helfen, dass ich irgendwo in Sicherheit bin. Und dann, dass ich die
Chance bekomme, für mich und meine Familie zu sorgen.
Jesus spielt also einen genialen Doppelpass. Auf die Frage nach dem
ersten, dem höchsten Gebot spielt er den Ball zurück: Gott lieben und
den Nächsten lieben. Und was das heißt, findest du heraus, indem du
danach fragst, welche Liebe du selbst brauchst. Der Ball liegt bei dir.
Kann man mit dem Gebot, den Nächsten zu lieben, auch Fußball
spielen? Klar, wenn jemand Hilfe braucht, dann ist es keine Frage. Aber
während des Spiels? Hier kann man natürlich schnell einwenden, dass
dies Unsinn ist. Man stelle sich den Mittelstürmer vor, der nach dem
Spiel sagt, dass er vorbeigeschossen hat, weil ihm der Gegner Leid tat
und er der gegnerischen Mannschaft kein unnötiges Leid zufügen wollte.
Dem würde man gleich raten, in einer Eistonne zu baden. So kann es
nicht gemeint sein. Fußball, Sport ist Kampf und Auseinandersetzung.
Wer antritt, will gewinnen. Das ist ganz klar. Aber Fußball ist Kampf und
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Auseinandersetzung als Spiel. Das muss es auch bleiben. Und eine
Spiel funktioniert nur, wenn es Regeln gibt und Menschen, die dafür
sorgen, dass die Regeln eingehalten werden. Und ich bin überzeugt,
dass es auch hier in all den vielen Regeln so etwas gibt, wie ein
höchstes Gebot. Und dieses höchste Gebot findet man auch heraus,
wenn man bei sich selbst anfängt: Wann habe ich Spaß am Spiel? –
Wenn es fair zugeht!
Das Fair-Play ist das höchste Gebot im Fußball und alle anderen Regeln
dienen dazu, dass dies gesichert wird. Natürlich wissen wir, dass es
auch mal Fehlentscheidungen geben kann, die man als unfair empfindet.
Aber das gehört auch dazu. Wir sind alle Menschen und machen Fehler.
Auch das beanspruchen wir übrigens für uns selbst und sollten wir
anderen zugestehen. Anders ist es, wenn von vornherein nicht
gewährleistet ist, dass es fair zugeht. Dann wird der Fußball zerstört.
Das ist auf dem Platz so und auch dort, wo der Fußball organisiert wird.
Fairplay – ist das höchste Gebot: für Spieler, Fans und Funktionäre.
Ein letzter Gedanke: Jesus spielt den Ball zurück. Und er sagt damit:
Gott traut uns Fairplay zu – in allem, was unser Leben ausmacht. Damit
ist auch gesagt: Gott will, dass wir gut miteinander leben. Gott will, dass
unser Leben miteinander gelingt. Gott will das, weil er ein Liebhaber des
Lebens und seiner Menschheit ist. Dies zu erkennen und zu leben, heißt
dann eben auch Gott zu lieben – mit ganzem Herzen, ganzer ganzem
Verstand und ganzer Kraft.
Es gibt immer wieder Menschen, die meinen, man könne Gott lieben und
bräuchte sich dann nicht um andere Menschen und auch nicht sich
selbst zu kümmern. Wer so denkt, der ist wie jemand, der einen Pass
spielt und nicht merkt, dass Gott den Ball zurückspielt. Leider ist die
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Sache nicht so harmlos, wie dieser Satz klingt. Menschen, die meinen,
Gott lieben zu können, ohne sich um das Wohl der Menschen zu sorgen,
werden leider häufig zu menschenverachtenden Fanatikern. Und die gibt
es leider in allen Religionen. Da kann man nur warnen und sagen: Gott
behüte Menschen davor, Fanatiker zu werden. Lasst uns Fans bleiben,
Freundinnen und Freunde des Spiels, des Lebens, Gottes und der
Menschen.
Welches ist das erste Gebot von allen?
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen und ganzer
Seele, mit all deinen Gedanken und alle deiner Kraft.
Und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Jesus hat einen genialen Doppelpass gespielt. Nutzen wir die Chance!
Amen
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