Qual der Wahl – fünf Stunden lang

7.10.2015
Qual der Wahl – fünf Stunden lang ­ Jork ­ Tageblatt.de
JORK
Autor: Anping Richter
07.10.2015
Qual der Wahl – fünf Stunden lang
Sie beweisen Willen zur Mitbestimmung und Sitzfleisch: Teilnehmer der
Deichverbandswahlen im Rübker Feuerwehrhaus, geleitet von Oberdeichrichter Uwe
Hampe (Mitte, roter Pullover).
1
ALTES LAND/RÜBKE. Deichverbandswahlen in der II. Meile Alten Landes haben
am Montag begonnen – Riesen­Andrang in der Deichrichterschaft Este.
http://www.tageblatt.de/lokales/jork_artikel,­Qual­der­Wahl­%E2%80%93­fuenf­Stunden­lang­_arid,1164050_print,1.html
1/4
7.10.2015
Qual der Wahl – fünf Stunden lang ­ Jork ­ Tageblatt.de
Eigentlich sollte die Versammlung der Deichrichterschaft Este um 19 Uhr mit
einem Bericht des Oberdeichrichters beginnen. Aber auch eineinhalb Stunden
später ist die Schlange vor dem Rübker Feuerwehrhaus noch nicht abgefertigt.
Das Interesse an den diesjährigen Deichverbandswahlen ist so groß wie nie. Der
Andrang ebenso. Drei Deichgeschworene und drei Stellvertreter sind zu wählen,
und noch ist niemandem klar, dass die Wahlprozedur bis kurz vor Mitternacht
dauern wird.
18.30 Uhr: Viele sind schon früher gekommen und haben sich einen Sitzplatz
mit guter Sicht aufs Geschehen sichern können. Dass Sitzplätze knapp werden,
ist abzusehen. Die Gastgeber von der Rübker Feuerwehr bauen jetzt Bänke im
Nebenraum auf, der sonst als Umkleideraum und Garage dient.
19 Uhr: Um diese Zeit sollte die Versammlung eigentlich mit einem Bericht des
Oberdeichrichters über die Tätigkeit des Deichverbandes in den vergangenen
Jahren beginnen. Aber vor der Tür stehen noch immer etwa 100 Leute und
warten auf den Einlass. „Nein, so viele Besucher hatten wir hier noch nie“, sagt
Oberdeichrichter Uwe Hampe auf Nachfrage.
Wer mitwählen will, muss seine Mitgliedschaft nachweisen, den Ausweis zeigen
und wird an einem der drei Laptops erfasst. Anschließend gibt es drei Wahlzettel,
auf denen der Stimmanteil des Grundeigentümers notiert ist. Er entspricht der
Höhe der Steuerabgaben.
20 Uhr: „Zum Glück ist das Wetter heute gut“, scherzt der Jorker Bürgermeister
Gerd Hubert, der zu denen gehört, die noch immer auf dem Parkplatz stehen. Das
Murren aus den Reihen der Wartenden wird allmählich lauter,
20.35 Uhr: Der letzte Stimmzettel ist ausgehändigt. 166 wahlberechtigte
Mitglieder sitzen und stehen im Raum, viele von ihnen auch im angeschlossenen
Nebenraum um die Ecke. Weil viele Vollmachten mitbringen, sind etwa 250
Wahlzettel­Sets ausgegeben worden; zwischendurch wurde sicherheitshalber
nachgedruckt.
Oberdeichrichter Uwe Hampe eröffnet die Sitzung mit seinem Bericht und macht
es „angesichts der fortgeschrittenen Stunde“ ganz kurz: Die Deiche sind sicher
und in gutem Zustand. Jetzt können die Wahlen beginnen. Fünf Vorschläge
werden an die Leinwand gebeamt: Klaus Matthees aus Rübke, Gerd Meyer aus
Königreich, Helmut Ellmers aus Rübke, Karsten Palm aus Moorende und Christian
Janz aus Estebrügge stehen als Deichgeschworene zur Wahl. Damit auch die
Wähler folgen können, die um die Ecke sitzen, werden die Namen dort zeitgleich
http://www.tageblatt.de/lokales/jork_artikel,­Qual­der­Wahl­%E2%80%93­fuenf­Stunden­lang­_arid,1164050_print,1.html
2/4
7.10.2015
Qual der Wahl – fünf Stunden lang ­ Jork ­ Tageblatt.de
an ein Flipchart geschrieben. Wahlzettel werden eingesammelt. Uwe Hampe bittet
Klaus Harder, Deichgeschworener in der Deichrichterschaft Buxtehude, und
Rainer Podbielski, Sprecher der IG Este, bei der Auszählung mitzumachen. Die
dauert: Schließlich müssen die Stimmanteile jedes einzelnen Wählers erfasst und
danach den jeweiligen Kandidaten zugeordnet und addiert werden.
Sitzplatzinhaber beweisen Solidarität und treten ihre Stühle zwischendurch an
Stehende ab. Immerhin: Im Flur hat die Feuerwehr ein paar Kästen mit Bier, Cola
und Limonade aufgestellt, die günstig zu erwerben sind.
22 Uhr: Die Stimmung im Saal sinkt, denn soeben wird klar: Es wird einen
zweiten Wahlgang zur Wahl der Deichgeschworenen geben müssen. Nur für zwei
der drei Sitze konnte bisher eine absolute Mehrheit von mindestens 50 Prozent
erzielt werden. Gewählt sind bisher Karsten Palm aus Moorende und Helmut
Ellmers aus Rübke.
22.45 Uhr: Das Ergebnis des zweiten Wahlgangs ist da. Klaus Matthees aus
Rübke ist dritter Deichgeschworener an der Este. Jetzt beginnt ein weiterer
Wahlgang, mit dem die stellvertretenden Deichgeschworenen ermittelt werden
sollen. Seit Beginn der Veranstaltung sind fast vier Stunden vergangen. Die
Gesichter werden müde. Mit Witzeleien über Wahlverfahren in anderen Gegenden
(Afghanistan, Nordafrika) bleibt man bei Laune. Oder mit der Entwicklung von
Geschäftsideen für die nächste Deichwahl, zum Beispiel einem Würstchen­ und
Glühweinverkauf.
23.44 Uhr: Nach weiterer Auszählung und mehreren, glücklicherweise nur
kurzen Computerabstürzen stehen nun auch die Stellvertreter der
Deichgeschworenen fest. 20 Personen harren noch im Feuerwehrhaus aus, als
das Ergebnis bekannt gegeben wird: Uwe Klindworth, Uwe Gevers und Anne
Harms sind zu stellvertretenden Deichgeschworenen gewählt. Wie Uwe Hampe
erläutert, kommen die neuen Deichgeschworenen nach Abschluss der Wahlen in
den anderen Deichrichterschaften zur konstituierenden Sitzung der neuen
Meilversammlung zusammen. Die wählt dann die neuen Deichrichter. Für die
Deichrichterschaft Este gibt es bislang fünf Vorschläge: Jörg Hauschildt, Ekkehart
Schmidt­Riediger, Peer Hauschildt, Johann Suhr und Helmut Ellmers.
Der Standpunkt von Anping Richter
Am Deich regiert Geld die Welt
Vor einem Jahr hatte ich die abgesagte Deichwahl so kommentiert: „Ein anderer
Deichverband ist möglich – wenn viele, viele zur Wahl gehen.“ Jetzt ist mir das
peinlich. Wie naiv diese Vorstellung war, mag vielen klar gewesen sein, aber mir
http://www.tageblatt.de/lokales/jork_artikel,­Qual­der­Wahl­%E2%80%93­fuenf­Stunden­lang­_arid,1164050_print,1.html
3/4
7.10.2015
Qual der Wahl – fünf Stunden lang ­ Jork ­ Tageblatt.de
ist erst bei der Auszählung wirklich bewusst
geworden, wie wenig die Stimme eines kleinen
Hausbesitzers beim Deichverband wert ist. So
waren die Namen der von der IG Este
empfohlenen Kandidaten sehr, sehr oft zu hören
– aber dann folgte meist ein desillusionierend
niedriger, weil dem Deichbeitrag entsprechender
Stimmenanteil. Um die 20 Euro sind das bei
einem Einfamilienhaus meist, während ein
einziger Gewerbebetrieb mit mehr als 5000
auftrumpfen konnte. Dessen Stimme zählt also
250 Mal so viel. Tja.
Neue Satzung hin oder her – am Deich regiert das
Geld noch immer die Welt. Jedenfalls im Alten
Land; andere Deichverbände kennen andere
Lösungen. Immerhin: Ein Deichgeschworener von
der IG­Este­Liste ist durchgekommen. Vielleicht
passiert ähnliches auch in anderen Bezirken.
Vorausgesetzt, die Wähler lassen sich nicht durch
das grausam langwierige Prozedere abschrecken. Oder ist das die Absicht?
http://www.tageblatt.de/lokales/jork_artikel,­Qual­der­Wahl­%E2%80%93­fuenf­Stunden­lang­_arid,1164050_print,1.html
4/4