Gennady Dick Das goldene Schlangenarmband Schriftsteller Gennady (Heinrich) Dick wurde in dem Dorf Leninpol (Kirgisien) geboren. 1979 hat er sein Jurastudium erfolgreich an der Universität in Perm abgeschlossen. Nach dem Studium arbeitete er 15 Jahre lang in seinem Beruf als Rechtsanwalt. 1993 - Übersiedlung nach Deutschland. Auszeichnungen: „Goldene Feder Russland“, „Griboedow Preis“, Ehrenurkunde von staatliche Duma Russland, Russlandverdienstauszeichnung „Für große kulturelle Leistung“ und andere. Das goldene Schlangenarmband Gennady Dick © 2016 Gennady Dick Verlag: Hein_di, Oerlinghausen Übersetzung: Vladislav Peschkov, Carola Jürchott Korrektur: Martina Leon © Illustrationen, Cover: Gennady Dick Druck: epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin ISBN: 978-3-7418-0493-9 Printed in Germany Bibliograische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograie; detaillierte bibliograische Daten sind im Internet über dnb.d-nb de abrufbar Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugweisen Nachdruck, sind vorbehalten Inhalt Das goldene Schlangenarmband......................7 Ein gefährlicher Fund.....................................71 Die Neujahrsüberraschung...........................103 Das golDene schlangenarmbanD Aus dem Russischen von Vladislav Peschkov 1. Stanislav Zander öffnete die Augen und entdeckte über sich ein Stückchen des nächtlichen Himmelszeltes. „Wo bin ich?“, dachte er verwundert. Er richtete sich auf, stieß mit dem Kopf an irgendetwas Hartem und ließ sich wieder nach hinten fallen. „Wie bin ich bloß hierhergekommen?“ Sein Durst war unerträglich, sein Rachen brannte wie Feuer, und ihn fröstelte. Er richtete sich erneut auf, diesmal wesentlich vorsichtiger, und kroch auf allen Vieren unter einer hölzernen Brücke hervor. Über dem Himmelsrand schwebte der Vollmond. Er sah sich um. Auf der einen Seite schwärzte seinen Blick ein Fichtenwald, auf der anderen erstreckten sich beplanzte Felder. Irgendwo in der Nähe des Waldrandes rauschte ein Fluss. „Dass ich das noch erleben muss, wie ein räudiger Köter unter einer Brücke zu schlafen!“ Den Nachmittag zuvor hatte er im Streit mit seiner Frau das Haus verlassen und traurig bei seinem Freund Andreas vorbeigeschaut. Von seinem Problem erzählte er nichts, denn Andreas war nicht allein, und seine Frau Veronika mochte Stanislav nicht besonders gerne. Danach hatte er sich ins nächstbeste Restaurant begeben und ein Gläschen Wodka bestellt, dann noch eins, und am Ende des Abends hatte er mit einer lauten Gesell- 7 schaft hier ansässiger Deutscher gesessen und eine Runde nach der anderen geschmissen. Gegen Mitternacht saß Stanislav dann im Wagen einer fremden Blondine. Worüber er sich mit ihr unterhalten hatte und wie er unter die Brücke geraten war, hatte er vollkommen vergessen. Nachdem er sich umgeschaut hatte, überprüfte Zander seine Hosen- und Jackentaschen. Sein Pass und seine Wohnungsschlüssel waren zum Glück noch da. Von den zweihundert Euro, die er bei sich gehabt hatte, war nur noch eine Handvoll Münzen übrig. Sein Gürtel und das daran befestigte Handy fehlten. Er suchte im Gras nach den verlorenen Gegenständen, doch er fand weder seinen Gürtel noch das Handy. Schließlich folgte er dem Weg zum Fluss und löschte mit dem kühlen Nass ausgiebig seinen Durst. Als er sich wieder besser fühlte, überlegte Stanislav, was er als Nächstes tun sollte. Nach Hause zurückkehren wollte er nicht, denn dort war Marina, seine Frau, die er mehr als alles geliebt hatte. Doch jetzt, wo er wusste, dass sie ihn betrog, würde er nie mehr zu ihr zurückkehren. Außerdem brauchte sie ihn nicht. Sie hatte sogar freudig gelächelt, als er fortging, fast schon zufrieden... „Mein Gott, wie soll ich nur weiterleben?!“ Plötzlich vernahm Zander den heiseren, unterdrückten Schrei einer Frau. Er schaute sich um. Und wieder schallte dieser wie von Todesfurcht erfüllte Schrei vom Wald herüber. Der junge Mann durchquerte den Fluss und rannte los. Nach hundert Metern blieb er stehen und lauschte. Nun aber blieb es still. „Wo sind Sie?! Ich will Ihnen helfen!“, schrie Stanislav und bog die dornigen Äste beiseite, drei Schritte vor- 8 anschreitend. Dann rief er noch einmal nach der Frau. Plötzlich ielen ganz in seiner Nähe zwei Schüsse. „Oha!“, fuhr es Stanislav durch den Kopf. „Bewaffnete Kriminelle!“ Er sank auf allen Vieren und robbte geräuschlos vorwärts. Der Wald wurde immer dichter. Bald befand er sich auf einer Lichtung. Vorsichtig blickte er um sich. Um ihn herum war niemand auszumachen; nur der Wind rauschte in den Fichtenspitzen. „Ich muss sofort die Polizei rufen“, entschied Zander. Er erhob sich und rannte, so schnell, wie es ihm die Bäume erlaubten, zum Fluss zurück, trank atemlos einen weiteren Schluck Wasser. Auf einmal heulte im Fichtenwald ein Automotor auf. „Sie lüchten!“, schoss es Zander durch den Kopf. „Was, wenn sie hierher kommen?!“ Der junge Mann stürmte Richtung Straße und rannte eine ganze Weile zwischen Felder hindurch. Nachdem er ein Birkenwäldchen durchquert hatte, erreichte er schließlich eine Bundesstraße. Plötzlich erhellten zwei grelle Scheinwerfer die Dunkelheit. Wie von Sinnen ruderte er am Straßenrand mit den Armen. Ein bulliger Jeep schoss an ihm vorbei. Stanislav rannte weiter. Die Minuten verlogen, doch kein Auto war weit und breit zu sehen. Erst als es dämmerte und die ersten, gelblichen Strahlen scheu die Welt erleuchteten, erwachte die Straße zu neuem Leben, und schon rollten die ersten schweren Lastwagen und wendige Kleinwagen vorbei. Er winkte den Fahrern zu, doch keiner hielt an. Als er schließlich eine beschilderte Kreuzung erreichte, hielt eine grauhaarige ältere Frau ihren kleinen Peugeot an. 9 „Rufen Sie die Polizei!“, bat Zander sie unverzüglich. „Lassen Sie die Polizei hierherkommen. Ich habe im Wald Schüsse und Schreie gehört... Ich glaube, jemand wurde ermordet. Bitte, rufen Sie die Polizei!“ Nach zehn Minuten war ein Polizeiwagen zur Stelle. Zwei Polizisten sprangen aus dem Auto, ein junger mit gekräuseltem, schwarzem Haar und ein älterer mit Glatze. Verwundert starrten sie Stanislav an. „Haben Sie uns gerufen?“, fragte der Ältere. „Was ist passiert? So reden Sie doch!“ „Getötet… dort, dort… Es wurde jemand getötet…“, stammelte Zander und ruderte wie wild mit den Armen. „Wer wurde umgebracht? Und wo? Sprechen Sie doch klar und deutlich!“ „Dort, im Fichtenwald.“ Zander deutete mit einem Arm in Richtung des im Westen sichtbaren Waldes. „Wobei… ich weiß es nicht genau… Vielleicht wurde ja auch garkeiner umgebracht.“ „Der Typ ist betrunken, Werner!“ Der schwarzhaarige Polizist schnaubte verächtlich. „Guck ihn dir doch mal an: Der ist sturzbetrunken!“ „Ja, ich habe gestern getrunken“, bestätigte Stanislav. „ Ich hatte auch allen Grund dazu. Aber das hätte ich wohl besser nicht gemacht...“ „Also noch einmal: Was ist passiert?“, fragte der kahlköpige Polizist. „Ich war am Fluss, in der Nähe des Fichtenwaldes. Auf einmal hörte ich den Schrei einer Frau. Ich rannte in den Wald – er ist dicht, unheimlich dicht - und schrie, dass ich ihr helfen wolle. Plötzlich ielen zwei Schüsse...“ 10 „Wo war das? Können Sie uns das zeigen?“ „Ja, natürlich.“ „Setzen Sie sich ins Auto. In welche Richtung sollen wir fahren?“ Stanislav schaute sich um und winkte nach rechts. Der Wagen fuhr los. Stanislav saß vorne neben dem kahlköpigen Polizisten, während der jüngere hinten Platz genommen hatte. Erst, als er im Auto saß, begriff Stanislav, dass er keine Ahnung hatte, wohin sie fahren sollten, woher er gerannt gekommen war und wo sich die gesuchte Landstraße befand. Sie waren bereits mehrere Kilometer gefahren, aber er seufzte nur, schaute aus dem Fenster und suchte nach irgendetwas, das ihm bekannt vorkam. „Ich kann nicht mehr sagen, wo es passiert ist“, gab er schließlich widerwillig zu. „Dort war ein Fichtenwald, in der Nähe loss ein Fluss, an der Lichtung gab es Felder, Weizen- oder Roggenfelder, ich weiß es nicht mehr… und da gab es auch eine hölzerne Brücke...“ „Ist das alles?“ „Ja.“ „Wissen Sie ungefähr, wie lange Sie auf der Straße gelaufen sind?“ „Keine Ahnung… vielleicht fünfzehn, vielleicht zwanzig Minuten...“ „Wie lange sind Sie denn auf der Bundesstraße gegangen?“ „ Ich schätze zwanzig Minuten, vielleicht länger...“ „Und von welcher Seite aus haben Sie die Kreuzung erreicht?“ „Ich weiß es nicht... Ich weiß es nicht genau.“ 11 „Hier ist doch überall Fichtenwald, es gibt etliche Flüsse und nicht weniger Brücken... Nach Ihren vagen Hinweisen bräuchte es eine ganze Armee, um ihren Vermutungen nachzugehen“, resümierte der Kahle. „Ich sag´ Ihnen was: Wir bringen Sie jetzt aufs Revier, und dann ab ins Krankenhaus mit Ihnen, zur Untersuchung. Haben Sie Papiere bei sich?“ „Ja, meinen Pass.“ Stanislav kramte in seiner Hosentasche und gab dem Kahlen das Dokument. „Stanislav Zander. Geburtsort: Kokshetau...“ „Wo liegt dieses Kokshetau?“ „In Kasachstan.“ „Ach, in Kasachstan…“ Auf der Polizeistation wurde er befragt, und seine Aussage protokolliert. Im Krankenhaus, wo ein Bluttest gemacht wurde, bekam Zander mit, wie der Arzt dem Polizisten zuraunte: „Schwere Alkohol-Intoxikation. In solch einem Zustand sind akustische Halluzinationen nicht ausgeschlossen.“ 2. Stanislav verbrachte mehrere Stunden im Krankenhaus. Er erhielt eine Infusion, und die Trunkenheit, die ihm das Hirn benebelt hatte, verschwand fast vollständig. Seine Laune stieg. Gegen Morgen wurde er ans Telefon gebeten. „Werner Rieger mein Name“, stellte sich sein Gesprächspartner vor. „Ich möchte Ihnen mitteilen, dass wir mit zehn Mitarbeitern ein großes Stück Wald durchforstet haben nahe der Stelle, zu der Sie uns gerufen ha- 12 ben. Wir haben nichts Verdächtiges gefunden. Vielleicht können Sie uns jetzt, da sich ihr Gesundheitszustand verbessert hat, weitere Einzelheiten nennen?“ „Ich weiß nicht“, murmelte Zander. „Ich habe nachgedacht. Vielleicht habe ich mir die ganze Geschichte ja auch nur eingebildet.“ „Nun, wenn Sie sich nicht sicher sind... Aber wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie uns bitte sofort an.“ „Selbstverständlich.“ Zander verließ das Krankenhaus gegen 9 Uhr. Er spazierte durch die Stadt und als er müde wurde, setzte er sich im Park neben einen grauhaarigen Mann mit grünem Hut auf eine Bank. „Wunderbares Wetter heute, nicht wahr?“, wandte sich der Fremde an ihn. „Ja, sehr schön..“ „Es ist schon merkwürdig“, lächelte der Mann, „manchmal sind wir besonders glücklich, wenn wir einfach mal nichts tun.“ „Nun, das ist aber nur dann der Fall, wenn im Leben alles in Ordnung ist“, sagte Zander traurig, „wenn alles recht gut passt.“ „Haben Sie denn Schwierigkeiten?“ „Das kann man wohl sagen!“ „Haben Sie sich mit Ihrer Freundin gestritten?“ „Mit meiner Frau. Und das Wort ‚gestritten‘ trifft nicht zu. Ich habe sie verlassen.“ „Vielleicht sollten Sie zu ihr zurückkehren?“ „Nein, das kommt nicht in Frage. Außerdem braucht sie mich nicht.“ 13 „Hat sie einen anderen?“ Stanislav nickte. „Dann ist es sehr kompliziert.“ „Wissen Sie, ich hatte schon lange das Gefühl, dass es mit uns nicht gutgehen würde …. Doch ohne einen konkreten Anlass wollte ich nicht weiter darüber nachdenken.“ „Lieben Sie sie?“ „Ja, schon, sogar sehr...“ „Ach, es wird schon wieder. Sie werden sehen. Sie sind noch jung. Im Leben gibt es, leider Gottes, immer Verluste. Doch einige helfen uns, uns selbst zu inden... Und erlauben Sie mir, Ihnen einen Rat zu geben: Versuchen Sie, ihr zu verzeihen. Hass und Rachsucht, das weiß ich aus eigener Erfahrung, rauben viel Kraft und bewirken nichts. Wissen Sie, wer der Mann ist, mit dem sie jetzt zusammen ist?“ „Nein. Ich habe nur einmal gesehen, wie sie in sein Auto eingestiegen ist.“ „Nun, was macht Sie denn so sicher, dass sie einen anderen hat?“ Der Mann schüttelte verwundert den Kopf. „Vielleicht sitzen Sie bloß einem falschen Verdacht auf.“ „Ich irre mich gewiss nicht.“ Stanislav runzelte die Stirn. „Was denken Sie denn bloß? Ich habe ihn zwar noch nicht gesehen, aber ich hatte die Möglichkeit, seine teuren Geschenke zu ‚bewundern‘. Meine Frau wollte mich davon überzeugen, dass sie sie selbst gekauft habe, von ihrem ersparten Geld. Und ich Idiot habe ihr sogar geglaubt. Aber vor zwei Wochen, genau an dem Tag, an dem ich meinen Job in der Möbelfabrik verloren habe, 14 sah ich an ihrem Handgelenk ein Armband aus massivem Gold - unmöglich, dass sie diesen Schmuck erspart hat. Am Samstag, als sie auf der Arbeit war, habe ich den Armreif zum Juwelier gebracht. Er hat sich das Ding genau angeschaut und mir gesagt, dass es über zehntausend Euro wert sei... Können Sie sich das vorstellen? Ich habe in der Möbelfabrik im Jahr fünfzehntausend verdient... Von diesem Tag an habe ich angefangen, sie zu beobachten, und schon am nächsten Tag habe ich sie zu einem fremden Mann in einen schicken BMW einsteigen sehen. Jetzt hat sie nicht einmal zu leugnen versucht, einen Liebhaber zu haben. Mehr noch, sie hat mir ganz frech ins Gesicht gesagt, dass, wenn ich ihr schon kein angemessenes Leben mit ein wenig Glanz bieten könne, sie das Recht habe, sich einen anderen Mann zu suchen. Weiter habe ich ihr gar nicht mehr zuhören können.“ „Was soll man da bloß sagen? Sie hat sich offenbar entschieden.“ Die beiden Männer schwiegen, jeder in seine Gedanken versunken. Es war Stanislav, der die Stille schließlich brach: „Sie sind wahrscheinlich schon Rentner?“ „Gott sei Dank noch nicht. Ich bin Angestellter im Melpomene-Theater, Schauspieler des Operettentheaters.“ „Ach was! Ich liebe Operetten!“ „Es freut mich, das zu hören“, lächelte der Mann. „Junge Menschen, die Gefallen an Operetten inden, sind heute sehr selten. Diese Art der Kunst wird als altmodisch angesehen. Wie schade!“ 15 „Mein Vater hat in einem Operettentheater gearbeitet.“ „Ihr Vater war an einem Operettentheater beschäftigt?! Erzählen Sie mir von ihm. Erzählen Sie!“ „Ich weiß nicht viel“, seufzte der junge Mann. „Er ist verstorben, als ich sieben Jahre alt war. Aber meine Mutter hat mir einiges über ihn erzählt.“ Zwei Stunden saßen sie beisammen. Stanislav hörte mehr zu, als er selber redete. Bevor er ging, gab der Mann Zander seine Visitenkarte. „Sie können jederzeit bei mir vorbeikommen. Ich würde mich freuen, Sie wiederzusehen.“ „Ich danke Ihnen. Danke, Herr Nolde!“ Der junge Mann lächelte dankbar. „ Ich werde Sie auf jeden Fall besuchen.“ 3. Gegen Mittag bedeckten instere, graue Wolken den Himmel. Zander stand an einer der vielen Kreuzungen der Stadt und dachte darüber nach, wohin er gehen sollte. Das war eine schwierige Frage. Er hatte viele Freunde in der Stadt, bei einigen von ihnen konnte er den Tag bis zum Abend verbringen - aber was dann? Schließlich konnte er nicht sagen, dass er kein Geld, keine Arbeit und kein Zuhause mehr hatte. Der Mensch, der ihm am nächsten stand, seine Mutter, war vor zwei Jahren gestorben. Am anderen Ende Deutschlands, in der Nähe von München, lebten entfernte Verwandte von ihr. Diese Menschen hatte Stanislav erst zweimal in seinem Leben gesehen: Das erste 16 Mal als sie nach Deutschland gezogen waren, und ein weiteres Mal auf der Beerdigung seiner Mutter. Sollte er zu ihnen fahren? Aber wie ohne Geld? Zu Andreas Miller gehen, wollte er nicht - sein Freund hatte nur eine kleine Wohnung. Auch litt er nach einer längeren Arbeitslosigkeit noch unter Geldnöten, obwohl er vor drei Monaten einen neuen Job angetreten hatte. Nein, von ihm würde er sich kein Geld leihen. Aber was sollte er dann tun? Was?! „Ich bin jetzt obdachlos. Ich bin jetzt praktisch obdachlos...“ Mit gesenkten Schultern überquerte er bei grünem Ampellicht die Straße und ging ziellos den Bürgersteig entlang. Aus der Tür eines italienischen Kaffees duftete es nach frischgebackener Pizza, und er erinnerte sich, dass er lange nichts mehr gegessen hatte. Er zählte sein Geld: insgesamt zwei Euro. Dafür kaufte sich Zander hundert Gramm geschnittene Wurst und ein wenig Brot, und mit einem Butterbrot in der Hand erreichte er den Bahnhof. Er setzte sich hin, aß auf und die nächsten zehn Minuten beobachtete er inster die Passagiere. ‚Wozu eigentlich noch weiterleben? Wäre es nicht besser, wenn ich mich vor den Zug stürzen würde? Nichts mehr wissen, sich an nichts mehr erinnern. An nichts von alldem, was war...‘ Auf einmal kam es ihm vor, als hörte er die Stimme seiner Mutter, wie sie ihm am Tag seiner Hochzeit zulüsterte: „Ich wünsche euch Glück, mein Sohn.“ Der Hochzeitsmarsch ertönte. Marina, gänzlich in Weiß, in einem Hochzeitskleid mit aufwendigen Falten 17 gekleidet, märchenhaft schön, saß stumm neben ihm... Damals schien es, dass sie ihn liebe... Stanislav betrat das Bahnhofsgebäude, sah sich dort ein wenig um, betrachtete die Werbeanzeigen, stand lange neben einer Anzeigentafel, auf der verschiedene Firmennamen auftauchten, die ein reiches Sortiment an Dienstleistungen und Arbeitsstellen anboten. Eine davon weckte sein Interesse. Dort stand, dass der Agrarbetrieb Rosinger zeitweilig Arbeiter suche - Stundenlohn, bei Bedarf auch mit Schlafplatz und drei Mahlzeiten pro Tag, Arbeitsannahme jeden Tag zwischen 7 und 22 Uhr abends. Vor Aufregung die Hände reibend, wiederholte Stanislav den Namen des Wohnortes, wo sich die Firma befand und studierte die Abfahrtspläne der Züge. Bald saß er in dem leeren Wagon eines Personenzuges und schaute unruhig nach links und rechts. Jederzeit konnte ein Kontrolleur in das Abteil kommen. Doch zum Glück passierte das nicht. Als er durch das Fenster den Namen der Station las, stieg er aus, ging, ohne sich lange auf dem Bahnsteig aufzuhalten, sofort zu dem vom Regen durchnässten Bahnhofsvorplatz und studierte den dortigen Auszug des Stadtplans. Bis zum Bauernhof ging er vierzig Minuten. Als er das Anwesen betrat, erblickte er vier, mit Kolonnaden reich verzierte, herrschaftliche Backsteingebäude und blieb wie angewurzelt stehen. Er hatte nicht erwartet, solch einen Luxus zu sehen. All diese Pracht sah mehr nach einer Schlossanlage als nach einem landwirtschaftlichen Betrieb aus. Auf der Fläche zwischen den Häusern, standen Autos. Als Stanislav auf den Eingang eines der Häuser zuging, kam ein roter Traktor um die Ecke 18 gefahren. Als der Fahrer den jungen Mann bemerkte, hielt der blauäugige, etwa vierzigjährige Mann neben ihm an, schaltete den Motor ab und fragte ihn nach einer kurzen Begrüßung: „Zu wem möchten Sie?“ „Ich würde gern hier arbeiten.“ „Nun, wir brauchen tatsächlich Arbeiter“, lächelte der Mann müde, als er vom Traktor stieg. „Haben Sie ihre Dokumente dabei?“ Stanislav holte seinen Pass aus der Tasche heraus und reichte ihn dem Mann. „Ich bin der Verwalter dieses Betriebs, Hummert“, stellte der sich vor und gab ihm den Pass wieder zurück. „Aber Sie können mich Rudi nennen. Wie ich sehe, wohnen Sie ganz in der Nähe. Wollen Sie hier übernachten oder lieber nach Hause fahren?“ „Mit Übernachtung wäre mir lieber. Wenn es geht, würde ich gerne schon heute hier schlafen... „Das lässt sich einrichten. Wo sind Ihre Sachen?“ „Ich habe nichts bei mir. Wissen Sie...“ „Schon gut, Sie müssen mir nichts erklären“, grinste Hummert nachsichtig. „Aber ich muss Sie warnen: Es ist hier verboten, Alkohol zu trinken.“ „Was das angeht, müssen Sie sich keine Sorgen machen...“ „Wir werden sehen... Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr ‚Appartement‘. Sie werden nicht alleine wohnen. Ihre Zimmernachbarn sind bereits drinnen. Es hat hier stark geregnet, deshalb haben wir die Arbeiten eingestellt.“ 19 Rudi führte Zander zu einem Gebäude, welches der Architektur nach zu urteilen erst vor kurzem errichtet worden war. Innen sah diese Einrichtung wie ein Wohnheim mit einem Korridorsystem aus. In dem Raum, in dem Zander übernachten sollte, spielten zwei Männer Karten. Nachdem sie Stanislav kennengelernt und Hummert das Zimmer verlassen hatte, spielten die beiden auf der Stelle weiter. Der junge Mann setzte sich auf sein Bett und betrachtete die spärliche Einrichtung, bestehend aus drei Metallbetten, einem Einbauschrank, einem Holztisch mit einigen Stühlen, und seufzte schwer. Niemals hätte er es sich vorstellen können, einmal unter solchen Bedingungen zu leben. Nach einer halben Stunde kam Rudi und brachte Stanislav zwei Handtücher, ein Stück Seife, zeigte ihm, wo sich das Bad und die Duschen befanden und teilte ihm mit, dass der Arbeitstag um 6 Uhr morgens beginne. Die beiden Kartenspieler schauten ihm neugierig zu, als er das ihm übergebene Zeug im Schrank verstaute. Einer von ihnen, mit einer großen Nase und einer dicken Unterlippe, fragte Stanislav: „Bleibst du lang?“ „Wenn es klappt, dann bis zum Herbst...“, antwortete der junge Mann und lächelte freundlich. „Gut, gut...“, brummte der andere. „Wie ich sehe, willst du etwas Geld verdienen...“ „Würde ich gerne...“ „Naja, zum Karten spielen wird es schon reichen“, lachte der mit der Nase. „aber mit mehr solltest du nicht rechnen.“ 20 Der junge Mann hätte sich noch gerne unterhalten und die beiden Männer über den landwirtschaftlichen Betrieb ausgefragt, doch sie kehrten ihm demonstrativ den Rücken zu und setzten ihr Spiel fort. Stanislav verließ das Wohnheim und ging auf die Straße hinaus. Der Tag neigte sich dem Ende zu, der Himmel war wolkenlos, und ein leichter Wind strich übers Gras und durch die Blätter der Bäume. Er überquerte den Parkplatz und ging auf ein Haus mit luxuriöser Fassade zu, um sich diese näher zu betrachten, als plötzlich ein BMW herangefahren kam. Zander erstarrte. Schon einmal hatte er diesen silberfarbenen Wagen mit den Buchstaben AR am Ende des Nummernschildes gesehen, gestern, als sich seine Frau in ihn hineinsetzte. Aus dem BMW stieg ein hübscher, großer Mann mit kastanienbraunem Haar und rannte die Marmorstufen hinauf. Stanislav schauderte. War das etwa der, mit dem Marina ihn betrog?! Seine Fäuste ballten sich, sein Herz hämmerte wild in seiner Brust. Er konnte nur mit Mühe dem Wunsch widerstehen, in das Haus reinzugehen und den Liebhaber seiner Frau zu stellen. Es vergingen zehn Minuten, bis sich der Mann wieder auf der Türschwelle zeigte. Zander stand nach wie vor wie angewurzelt da. Als sich die Blicke der beiden Männer trafen, meinte Stanislav ein kurzes Schaudern seines Gegenübers zu bemerken, das jedoch sofort einem unbekümmerten Lächeln auf den Lippen wich. Der Fremde rannte die Treppe hinunter, setzte sich ins Auto und fuhr davon. „Das ist der Besitzer, Herr Rosinger“, hörte Zander plötzlich die Stimme des Haushaltsverwalters hinter sich. „ Er ist ein vielbeschäftigter Mann. Aber ich rate 21 Ihnen, nicht so lange hier herumzustehen – das könnte man missverstehen...“ „Ja, Sie haben recht...“ Stanislav senkte seinen Blick und ging eilig zum Wohngebäude zurück. In seinen Kopf überschlugen sich trübe Gedanken, einer trauriger als der andere. Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Konnte er unter diesen Umständen hierbleiben? Auf diesem Anwesen, das allem Anschein nach dem Liebhaber seiner Frau gehörte? Sollte er nicht besser sofort von hier verschwinden?! ‚Aber wohin soll ich nur gehen?! Und warum das alles?! O Gott, was soll ich nur tun? O Gott, hilf mir! Wie soll ich nur weiterleben?‘ Die Entscheidung fiel schnell: Er würde hier übernachten, einen Tag arbeiten, sich mit den Leuten unterhalten, um herausfinden, wo sich in der Nähe ähnliche Betriebe befänden, und dann weiterziehen. Merklich beruhigt, nahm Stanislav eine Dusche und ging dann ins Bett. Doch er konnte nicht einschlafen - seine Gedanken hinderten ihn daran. Seine Zimmernachbarn spielten bis 23 Uhr Karten, schalteten dann das Licht aus und begannen, sich leise zu unterhalten. „Was für ein Hundeleben wir doch führen!“, seufzte der mit der großen Nase. „Werden wir so den Rest unseres Lebens zubringen? Ich wünschte, ich würde reich werden! Aber wie?“ „Wie? Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Unser Besitzer, zum Beispiel, hat reich geheiratet. Ich hab von Leuten, die es wissen müssen, gehört, dass das Anwesen nicht ihm, sondern seiner Frau gehört...“ 22 „Wir sind nicht gut genug zum Heiraten“, lachte der mit der Nase auf. „Uns nimmt doch keine! Wir können es nicht mit Herrn Rosinger aufnehmen.“ Er schwieg eine Weile, dann fuhr er fort: „Hast du mitbekommen, wohin Frau Rosinger gefahren ist? Seit drei Tagen hat sie niemand mehr gesehen.“ „Ich habe von Marta, der Köchin, gehört, dass sie mit Herrn Rosinger im Streit liegt. Er hat sich eine Geliebte angeschafft, und sie lippt jetzt total aus...“ „Ach was, die wird ihm schon den Schwanz einklemmen. Was will er machen, wenn alles hier ihr gehört...“ Hier gähnte der Mann laut und begann alsbald zu schnarchen. Sein Gesprächspartner folgte in Kürze seinem Beispiel. Stanislav schloss fest die Augen und sah plötzlich die Silhouette einer Frau, die zu ihm sagte: „Ich bezahle Ihnen fünfzigtausend Euro, wenn Sie es tun. Sind Sie einverstanden oder nicht?! Stanislav, ich habe eine Pistole...“ „Nein! Ich kann nicht! Ich kann es nicht tun!“, schrie er sie an. Zander zuckte erschrocken zusammen, so realistisch war der Traum gewesen. „Hab ich geschlafen oder nicht?“ dachte er benommen und sah sich um. Der gelbe Mond lugte stumm und geheimnisvoll durch das Fenster ins dunkle Zimmer. 4. Stanislav erwachte mit den ersten Sonnenstrahlen. Er zog sich an, wusch sich und ging hinaus. Zwischen den beiden Häusern ging die Sonne auf. Bald sprangen die 23 verschlafenen Bewohner des Wohnheims in den Hof hinaus. Von der Straße strömten Leute auf Motorrädern und in Autos aufs Gehöft. Der junge Mann schlenderte über das Gelände und schaute sich interessiert um. Lächelnd ging der Verwalter auf ihn zu und führte ihn hinter das Wohnheim. Auch einige der anwesenden Leute gingen dorthin. Unter zwei Baldachinen befanden sich hölzerne Tische und in der Erde verankerte Bänke. Auf einem der Tische standen größere Mengen Brot, Wurst und Käse. Der junge Mann schnappte sich drei Scheiben Brot und Wurst und schenkte sich aus einer Thermokanne Kaffee ein. Er setzte sich auf eine Bank, neben einen rotbärtigen, gesprächigen, alten Mann, und lauschte den Gesprächen der Arbeiter. Nach dem Frühstück teilte Hummert die Arbeitsgruppen ein. Der junge Mann wurde den Stachelbeerplückern zugeteilt. „Das ist Herr Kranz, euer Brigadier“, verkündete der Verwalter und zeigte auf den rotbärtigen Alten. Der lächelte wichtig und wandte sich an Stanislav. „Sie sind Herr Zander, nicht wahr? Bald kommt ein Transporter mit unseren Waren. Sie werden als Begleiter mitfahren.“ „Ich bin den ersten Tag hier...“ „Das ist keine schwierige Aufgabe. Sie werden schon mit ihr fertigwerden.“ Die Sonne schien immer heller. Auf dem Weg zu den Plantagen fragte Stanislav Rudi, der neben ihnen herging, nach ähnlichen landwirtschaftlichen Betrieben in der Nähe. „Gefällt es Ihnen hier etwa nicht?“, fragte der Verwalter. 24 „Doch, doch...“ Der junge Mann war bemüht, seinem Gesprächspartner nicht in die Augen zu sehen. „Aber es wäre besser für mich...“ „Haben Sie Streit mit Ihren Zimmernachbarn?“ „Ich möchte nicht darüber reden.“ „Es gibt hier einen guten Betrieb. Ich fahre in einer Stunde in die Richtung. Ich könnte Sie mitnehmen. Aber geben Sie acht, drei bis vier Kilometer werden Sie laufen müssen.“ „Vielen Dank“, lächelte Stanislav erfreut. „Sie haben mir sehr geholfen.“ „Was für ein Arbeiter!“, wunderte sich der Vorarbeiter. „Kündigt, bevor er überhaupt angefangen hat...“ Ungefähr um 6 Uhr begann Stanislavs Gruppe mit dem Abernten der Stachelbeeren. Neben dem jungen Mann sammelte Kranz die Beeren in einen Plastikbehälter, der von seinem Hals herunterhing. Er bemerkte erstaunt, dass der Vorarbeiter die Beeren schneller aberntete als alle anderen. Auch waren zwei Russlanddeutsche sehr schnell bei Arbeit und bewegten sich fröhlich scherzend durch die ihnen zugeteilten Stachelbeerreihen. Nur einer, ein schmächtiger junger Mann mittlerer Größe in heruntergekommener Cordhose, nahm seine Plichten weniger ernst als die anderen. Schon nach zehn Minuten zündete er sich eine Zigarette an, um dann die Arbeit ganz einzustellen und zwischen zwei Sträuchern untätig herumzusitzen. Der Rotbärtige ging, nachdem er seinen Eimer gefüllt hatte, zu dem Faulpelz und sagte ihm leise etwas. „Lass mich in Ruhe, Alter!“, schrie der Junge. „Siehst du nicht, ich bin beschäftigt!“ 25 Jetzt kam auf einem alten, verstaubten Jeep Hummert angefahren. Er öffnete die Tür und rief Stanislav zu sich. Kranz und der junge Mann erreichten den Wagen gleichzeitig. „Rudi, einen der Neulinge, Markus Groß heißt er, glaub ich, musst du rausschmeißen. Er arbeitet nicht, außerdem habe ich eine Spritze bei ihm gesehen. Er ist drogenabhängig.“ „Ruf ihn her!“, befahl der Verwalter. „Was willst du?“, fragte der junge Mann in der Cordhose Hummert frech lächelnd. „Mach dich vom Acker, Groß!“, sagte der Verwalter streng. „Wenn ich dich hier noch einmal sehe, ruf ich die Polizei.“ „Ich brauch euch alle nicht“, lachte Markus. „Ich wollte mich hier sowieso nicht für die paar Cent abrackern.“ „Umso besser“, knurrte der Verwalter und lud Zander mit der Hand ein einzusteigen. Stanislav setzte sich auf den Vordersitz, und sie fuhren los. Die Straße schlängelte sich zwischen den Feldern und einem Wäldchen hindurch. Im Seitenspiegel konnte er ein paar kurze Augenblicke Groß erkennen, der gebeugt den Straßenrand entlang schlenderte. „Diese Jugend heutzutage!“, leierte Hummert seine Vorurteile herunter und schnaubte wütend. Stanislav schwieg. Er hatte Mitleid mit Markus, er hatte Mitleid mit sich selbst. Er war den Tränen nahe und kniff sich in die Hand, um sie zurückzuhalten. Nach drei Kilometern erreichten sie ein großes Waldgebiet. Die lammende Sonnenscheibe hing über den 26 grünen Wellen der Baumreihen. Stanislav schaute sich zufällig um und entdeckte irgendwo hinten, in der Ferne, einen silbernen Wagen. Als Rudi den Jeep bei einem dichten, die Straße lankierenden Fichtenwald anhielt und zu Zander sagte, dass er nun zu Fuß weitermüsse, schaute sich Stanislav noch einmal um. Die Straße, die man vierzig Meter weit überschauen konnte, war wie leergefegt. Der Verwalter stieg aus dem Wagen, und Stanislav sprang auf den Straßenrand. „Siehst du diesen Pfad?“, fragte Hummert und zeigte dabei auf den Rand des Fichtenwaldes. „Er biegt bald in den Wald ab. Folge ihm, er führt dich zu einer blauen Mauer. Geh um sie herum und du kommst zu dem Betrieb vom Herrn Vogel. Richte dem dortigen Verwalter schöne Grüße aus.“ „Danke schön! Sie haben mir sehr geholfen“, sagte Stanislav dankbar lächelnd. Rudi fuhr davon. Der junge Mann trottete durch das hohe Gras entlang des kaum sichtbaren Pfades. Nach zweihundert Metern bog er in den Wald ab und dort sah er, unter dem Stamm einer dicken Fichte, ein gelbes, metallenes Objekt liegen. Dann durchschnitt ein Knall die Luft, und im nächsten Moment streifte eine Kugel seinen Kopf. „Man schießt auf mich!“, dachte er schockiert und schmiss sich auf den Boden. Er hielt seinen metallenen Fund fest in der Hand und kroch tiefer in den schützenden Wald hinein. Dann erhob er sich und rannte gebückt von Baum zu Baum, bemüht, so leise wie nur möglich zu sein. Bald hielt er an und lauschte. Es war still und wie es schien, verfolgte ihn niemand. 27 Sein Herz schlug wild und zwei Fragen hämmerten durch seinen Kopf: „Wer wollte mich warum töten?“ Da erinnerte er sich an seinen Fund, hob die Hand und schrie fast vor Erstaunen auf. In seiner Hand lag ein massives Goldarmband mit zwei zueinander kriechenden Schlangen - exakt das gleiche hatte er bei seiner Frau gesehen. ‚Hat man wegen des Reifs auf mich gezielt‘, schoss es ihm durch den Kopf. „Nein, Schwachsinn, wer konnte wissen, dass ich ihn inden würde... Hinter Hummert und mir fuhr ein silberfarbener Wagen. Was, wenn es Rosinger war? Aber warum sollte er auf mich schießen? Was habe ich ihm getan? Stopp, gestern Nacht war ich stark betrunken. Verlucht, was, wenn etwas passiert ist, woran ich mich nicht mehr erinnern kann... Doch, es ist etwas passiert! Im Fichtenwald wurde geschossen, eine Frau hat schrien... Was, wenn dort meine Frau umgebracht wurde? Es scheint ihr Armreif zu sein. Nein, nein! Ihre Stimme hätte ich erkannt. Ich muss in die Stadt und mich im Restaurant, wo ich gefeiert habe, mit dem Kellner unterhalten. Ich muss wissen, mit wem ich weggefahren bin...“ Er steckte den Reif in die Tasche und ging vorsichtig weiter. Nach zweihundert Metern hörte er das Rauschen eines Flusses, folgte diesem und gelangte an eine Lichtung. Plötzlich drang vom Wald ein verdächtiges Geräusch zu ihm herüber. Stanislav hob den Kopf, und kleine und große Vögel lohen scharenweise aus dem Wald. Irgendetwas hatte sie erschreckt. Aber was? Dann stieg eine große, schwarze Rauchsäule aus dem Wald auf. Es roch nach verbranntem Holz. Der Wald brannte, 28 hier irgendwo in der Nähe! Zerstreut packte sich Stanislav an den Kopf und, als er seine Hand wegnahm, war sie voller Blut, das aus einer Kopfwunde loss. Er rannte zum Fluss, wusch erst die Wunde aus, dann sein Gesicht und ging zum nächstbesten Feldweg. Dort stand ein Auto, ein kirschroter Peugeot. Zander blieb erschrocken stehen. Ein älterer Deutscher mit faltigem Gesicht reckte sich ihm durch das geöffnete Autofenster entgegen und schrie: „Der Wald brennt! Haben Sie das gesehen? Der Fichtenwald brennt! „Wir müssen der Feuerwehr Bescheid geben“, schrie nun auch der junge Mann. „Haben sie ein Handy?“ „Nein.“ „Steigen Sie ein. Ich nehme Sie mit.“ „Gut“, willigte Stanislav nach kurzem Zögern ein und setzte sich ins Auto. „Aber ich fahre nur bis zur Bundesstraße mit. Ich bin in Eile. Ich habe noch etwas zu erledigen...“ Der Mann beschleunigte und fragte, verdächtig auf den jungen Mann schauend: „Was haben Sie im Wald gemacht?“ „Ich war unterwegs zum Bauernhof von Herrn Vogel. Ich bin auf der Suche nach Arbeit.“ „Durch den Wald zu Vogel? Das ist sehr weit...“ „Der Verwalter Hummert hat mir diesen Weg gezeigt und mich hierhergebracht...“ „Verwalter Hummert?!“, lachte der Mann. „Dann ist ja alles klar...“ 29 Ende der Leseprobe von: Das goldene Schlangenarmband Heinrich Dick Hat Ihnen die Leseprobe gefallen? Das komplette Buch können Sie bestellen unter: http://bit.ly/1VH7aHY
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