Freiheit für die Hase

LOKALE REPORTAGE
SAMSTAG,
8. AUGUST 2015
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Von Joachim Dierks
OSNABRÜCK. Es gab Zeiten, da war die Hase ein
wichtiger Bestandteil der
städtischen Verteidigungsanlagen. Aber sie spendete
noch vielerlei Nutzen mehr:
Ihre Fische landeten auf
den Tellern, ihre Wasser
trieben Mühlräder an, trugen Kähne und erfrischten
Badende, während Gerber
und Papiermacher sie als
Rohstoff gebrauchten. Bevor es Kläranlagen gab,
diente sie auch der Ableitung der Abwässer und
machte damit die hygienischen Verhältnisse ein klein
wenig besser, als wenn es
sie nicht gegeben hätte. In
der Hochphase der Ansichtskarten zu Beginn des
20. Jahrhunderts wird gerade auch der Flussabschnitt
zwischen Neumarktbrücke
und Georgsbrücke gern als
Naturidyll mit romantischen Uferpavillons, Ruderbooten und entspannten
Menschen in Freizeitkleidung gezeigt.
Dann kam eine Zeit, in der
die Hase nur als eine lästige
Platzverschwendung, als eine unansehnliche und im
Sommer bisweilen stinkende
Unterbrechung wertvoller
innerstädtischer Flächen gesehen wurde. Schon 1953
hieß es in der „Neuen Tagespost“: „Die Hase, im Hochsommer wahrlich kein Anziehungspunkt für den Fremdenverkehr, würde, mit einer
festen
Betonüberdachung
versehen, ein ideal gelegener
Parkplatz sein.“ Das Auto als
Statussymbol und Träger
auch des innerstädtischen
Verkehrs wurde zum Maß aller Dinge. Es lag im Trend der
Zeit, den verunkrauteten und
von Ratten besiedelten Fluss
unter einem Betondeckel
verschwinden zu lassen. Nur
einige wenige Anlieger, die
ihre kleinen Gärten an der
„Ein ideal gelegener
Parkplatz mit fester
Betonüberdachung“
Neue Tagespost,
Bericht von 1953
Hase behalten wollten, wehrten sich erfolglos.
1967 wurde der Vorschlag
dann umgesetzt, wobei die
Stadtplaner auch schon vor
Augen hatten, dass bei der
späteren Umgestaltung der
Großen Straße zu einer Fußgängerzone der Deckel die
Belieferung der Geschäfte
von der Rückseite her ermöglichen würde. Gewaltige
Stützmauern aus Beton wurden an beiden Ufern errichtet, vier Meter hoch, im Sockel 1,50 Meter dick und nach
oben hin auf 70 Zentimeter
sich verjüngend. Darauf kamen als Deckel die abschnittsweise gegossenen 60
Zentimeter dicken Vollplatten aus Beton. Um einen Anschein von Bodenständigkeit
zu wahren, erhielt der künstlich geschaffene Ort den
plattdeutschen Straßennamen Öwer de Hase.
Ein
Vierteljahrhundert
Ein Betondeckel verbannte die Hase über Jahrzehnte in die Unterwelt. Ein erstes Teilstück verschwand 1999. Das Luftbild vom Beginn der Bauarbeiten Ende der Neunzigerjahre zeigt den
Abschnitt zwischen Neumarkt (links unten) und der Gebäudebrücke von Meinders & Elstermann. Der Rest bis zur Georgsstraße (im Bild oben rechts) soll bis Ende 2016 freigelegt werden.
Freiheit für die Hase
Ansichtssache Fluss: Von der lästigen Unterbrechung des Baugrunds zum geschätzten urbanen Naturraum
später begann bei den Hauptanliegern die Einsicht zu reifen,
dass
mit
dieser
„schmucklosen
Bausünde
der Sechzigerjahre“ und „wenig einladenden HinterhofSituation“ kein Staat mehr zu
machen sei. Der Zeitgeist
hatte sich gedreht: Ein Fluss
in der Stadt wurde nun als
Aktivposten angesehen, der
als Erlebnisort für Natur und
Stadtgeschichte Aufenthaltsqualität bietet. Nicht nur in
Osnabrück, in vielen Städten
setzte die „Wiederentdeckung“ der urbanen Flusslandschaften ein, wurden die
Flussufer aufgehübscht und
mit Rad- und Fußwegen erlebbar gemacht.
Als Initiator des Projekts
einer teilweisen Wiederöffnung des Flussbetts in Osnabrück gilt Immobilienkaufmann Theodor Bergmann.
Eine seiner Immobiliengesellschaften ist Eigentümer
des Kaufhauses ThomasKleidung/Wehmeyer/Sportarena an der südwestlichen
Ecke des Hasedeckels. Er gewann sehr schnell den NOZVerleger Hermann Elstermann für die Idee. Die beiden
gründeten die „Hasepromenade GbR“ und holten den
Architekten Wilfried Ohnesorge mit ins Boot. Er entwarf die Lösung, die heute zu
besichtigen ist: Auf 70 Meter
Länge und 15 Meter Breite
wurde das Flussbett wieder
freigelegt. Eine diagonal ge-
Ein Fluss im Wandel der Zeiten: Die Fotos zeigen den Abschnitt
Öwer de Hase – 1965 noch nicht überbaut (Bild unten rechts),
während der Bauarbeiten zwei Jahre später (Bilder oben
rechts/Blick Richtung Kollegienwall und Mitte) sowie als Parkplatz in den Neunzigerjahren (Bild oben links).
spannte Brücke verbindet die
Gutenberg-Passage des Hauses Meinders & Elstermann
mit der Deutsch-Passage gegenüber. Viel natürliches
Grün,
Edelstahl-Geländer
und attraktives Pflaster werten die Uferstraßen auf. Am
Südende setzt ein Pavillon
über dem Fluss einen städtebaulichen Akzent. Zuerst
sollte eine Mövenpick-Gastronomie hinein. Sie ließ sich
nicht realisieren, stattdessen
zog Apotheker Hans-Jürgen
Die Baukosten von 3,7 MilLeue mit der Neumarkt-Apo- lionen DM wurden privat
theke und einem Gesund- und öffentlich mischfinanheitszentrum ein.
ziert: 1,1 Millionen brachten
neun beteiligte Anlieger auf,
1,4 Millionen die Stadt, und
der Rest kam aus dem Ertrag
des Erbpachtgrundstücks
über der Hase. Als nach
achtjährigem Planungsvorlauf und achtmonatiger Bauzeit im Dezember 1999 der
neu gestaltete Hasebereich
offiziell übergeben wurde,
begründete Verleger Elstermann nochmals das starke
Engagement des Medienhauses sowohl für die Verdeckelung wie auch für die
Teilöffnung: „Noch bis Anfang der 80er-Jahre wurde
hier ein Teil der NOZ gedruckt,
die
Ladestraße
schien unentbehrlich. Wir
Neuer Blickfang: Seit 1999 steht auf der Hasebrücke das markante Gebäude mit der Neu- haben jedoch erkannt, dass
Fotos: Martens/Münch/Löckmann/NOZ-Archiv dies
markt-Apotheke.
nicht der richtige
Standort für so etwas ist,
und uns für einen Branchenmix und für die Verschönerung der Straße eingesetzt.“
Wiederum 15 Jahre später
werden wir nun Zeitzeugen
des
vermutlich
letzten
Schritts der Haseöffnung.
„Wenn ein Stück Wasser
freigelegt wird, tut das
einer Stadt immer gut“
Wilfried Ohnesorge,
Architekt
Von dem ursprünglich fast
200 Meter langen Hasedeckel sollen weitere 60 Meter
zwischen Gutenberg-Passage
und Georgstraße entfernt
werden. Gefordert und gefördert wird das 1,8 MillionenEuro-Projekt wiederum gemeinsam von privaten Anliegern und der Stadt. Mittler-
weile machen veränderte Zufahrten zu angrenzenden Gebäuden den Deckel auch hier
verzichtbar. Der Stadt fällt
die Mitfinanzierung leichter,
weil sie ohnehin Geld in die
Hand nehmen müsste, um
Betonschäden am Deckel
und Abdichtungsprobleme
zu beseitigen.
Als Begründung für die
weiter gehende Öffnung
bleibt der Satz gültig, den
Architekt Ohnesorge schon
vor 20 Jahren in einem Interview formulierte: „Wenn
ein Stück Wasser freigelegt
wird, tut das einer Stadt immer gut, auch wenn wir in
diesem Fall nicht von einer
Renaturierung
sprechen
können, denn die Hase ist
und bleibt an dieser Stelle
eingefasst. Aber wir können
einen Punkt setzen mit einem Stück Natur (...), die die
Stadt in diesem Bereich aufleben lässt.“ Noch in diesem
Herbst soll der Umbau beginnen und Ende 2016 beendet sein. Dann wird sich die
schmucklose Gasse in eine
Art Gracht mit umlaufender
Geschäftsgalerie verwandelt
haben, wie der Entwurf des
diesmal zum Zuge gekommenen
Architekturbüros
„Lützow 7“ aus Berlin verspricht.
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