Anni – „Die Kunststoffdame“

Herbert Tolk, Bewohner der Seniorenresidenz Hundsmühlen
Erwin-Fritzsche-Straße 3, 26203 Wardenburg
„Parlate Italiano?“
Mit dieser Frage, die so viel heißt wie „Sprechen Sie Italienisch“, drückt Herbert
Tolk seine italienischen Sprachkenntnisse aus. Herr Tolk, ein Bewohner unseres
Hauses mit ausgeprägtem Charme und ausgesprochener Erzählfreude wird
munter, wenn er Besuch von der Sozialbetreuung bekommt oder von
Pflegekräften angesprochen wird. Besonders auffallend sind sein Wortwitz, seine
Sprachgewandtheit und seine Schlagfertigkeit, die jede Begegnung mit ihm zu
einem Vergnügen werden lassen.
In Italien sei er in Kriegsgefangenschaft gewesen, erzählt Herr Tolk. „Ich hatte es
verhältnismäßig gut und man lernte automatisch die Sprache“. … „ Ein schönes
Land mit guter Küche und die Wärme mochte ich … ich war später auch dort“,
setzt er fort mit einem schwärmerischen Ausdruck in seinen Augen.
Herbert Tolk bezeichnet sich als „weltoffen“. „Ich bin gerne verreist und konnte mir
das auch leisten“, berichtet er. „War auch mehrmals in Moskau und Leningrad….
Die Angst vor den Russen hat sich dank der klugen Politik gelegt“, fügt er
kopfnickend hinzu. „Meine Frau hat mich begleitet …“ Bei solchen Erinnerungen
wird Herr Tolk meistens wehmütig. Er kann auf eine lang andauernde Ehe
zurückblicken, es wurde bereits die Eiserne Hochzeit gefeiert. Seine Frau soll eine
gute Köchin gewesen sein. Herbert Tolk entsinnt noch sehr gut ihre Königsberger
Klopse und ein „unvergleichliches Pilzgulasch“. Dieses Pilzgulasch fiel ihm ein, als
er bei einem Spaziergang durch den Flur an einem großformatigen Wandbild mit
Pilzmotiv Halt machte. Ebenso lösen auch die Bilder mit Strandmotiven schöne
Erinnerungen aus: Mit Stolz erzählt Herr Tolk von seiner Geburtsstadt Elbing
(heute polnisch: Elbląg nahe der Ostseeküste im früheren Ostpreußen). Er besitzt
einen Bildband darüber, blättert häufig darin und gibt sein detailliertes Wissen gern
im Gespräch weiter, wie zum Beispiel die wirtschaftliche Bedeutung der dortigen
Schifffahrt.
Seite 1 von 3
Herbert Tolk, Bewohner der Seniorenresidenz Hundsmühlen
Erwin-Fritzsche-Straße 3, 26203 Wardenburg
Ebenso gern liest Herbert Tolk die Nordwestzeitung, allerdings nur noch „flüchtig“,
gibt er unumwunden zu. Er genießt es anscheinend mehr, alte Geschichten zu
erinnern und sich darüber zu unterhalten: Die Ferienaufenthalte im damaligen
Kahlberg - unweit seiner Heimatstadt, direkt an der Ostsee – die liebte er. Dort
habe ein Onkel ein Gut gehabt, wo sich der junge Herbert sehr wohl gefühlt haben
muss. Dabei habe es „Sommerfrische mit Badespaß“ gegeben … Er sei immer
lieber an der Ostsee als an der Nordsee gewesen. Die Nordsee sei für ihn
„unpersönlicher“, meint Herr Tolk, doch wen wundert das, wenn an die Ostsee
offensichtlich unbeschwerte Kindheitserinnerungen geknüpft sind.
Auch über seine berufliche Laufbahn als Zollbeamter drückt Herr Tolk große
Zufriedenheit aus. Er habe es nicht allzu schwer gehabt, „es war eine gute
Einkommenssparte und die vielen Dienstreisen waren auch nicht zu verachten. …
Ich bin ein zufriedener Mensch, kein Nörgler“, bekräftigt er seine positiven
Sichtweisen. „Und ich würde mich eher als einen faulen Menschen bezeichnen,
doch Faulheit erhält die Gesundheit“, behauptet Herr Tolk mit einem schelmischen
Gesichtsausdruck.
Auf die Frage, ob er Atheist sei, antwortet Herr Tolk zögernd und sehr überlegt:
„Manchmal ja, ich habe nichts gegen die Kirchen, sofern sie nicht verrücktspielen
und nicht kontrollieren wollen. Ich habe nichts gegen das Christentum, bin aber
kein Kämpfer dafür, gehöre keiner Kirche an. Doch mit dem lieben Gott habe ich
mich, denke ich mal, geeinigt“. Und wieder wird man mit einem jungenhaften
Lächeln bedacht.
In seiner Familie soll es Baptisten gegeben haben. Doch diese Glaubensrichtung
empfinde Herr Tolk als „rechthaberisch“ und er scheut nicht davor zurück, einen
Wortverdreher „Pappkisten“ anzuwenden. Dabei lacht er herzhaft.
Herr Tolk liebt neue Wortschöpfungen: Als er nach seinem Musikgeschmack
gefragt wurde, antwortete er: „Klara Zylinder finde ich gut.“ Gemeint war Zarah
Leander, ein weiteres Beispiel dafür, wie gern Herr Tolk mit Sprache spielt.
Man kann Herrn Tolk als toleranten Heimbewohner bezeichnen. Er zeigt ehrliches
Interesse an seinem Umfeld und den Menschen, die sich darin bewegen. Nach
Möglichkeit nimmt er freundlichen Kontakt auf und reagiert auf eventuelle
Eigenarten umsichtig.
Seite 2 von 3
Herbert Tolk, Bewohner der Seniorenresidenz Hundsmühlen
Erwin-Fritzsche-Straße 3, 26203 Wardenburg
Vielleicht ist das nicht immer so gewesen. Schließlich gehört Herbert Tolk zu
einem Jahrgang (1924), der es gerade in Jugendjahren nicht leicht gehabt haben
dürfte. Diesen Kriegs- und Nachkriegsjahren stellt er sich auf nachdenkliche und
differenzierte Weise: „Ich hatte einen Vater, der war zuerst Berufssoldat … er
hatte Glück im Unglück: Wegen einer Kriegsverletzung konnte er im Finanzamt
arbeiten… Ihm rutschte durchaus mal die Hand aus … die Mutter war eher
zurückhaltend, hatte aber eine gute Auffassung. Leider hatte sie den Adolf zu sehr
ins Herz geschlossen, auch wenn sie nicht in der Partei war. Wir waren fünf Kinder,
da war sie gut drin in der ‚Gesellschaft’, wurde ausgezeichnet … Ich war in einer
‚Zwangsjugend’, in der hat es schon Übergriffe gegeben … aber ich war kein
‚Brauner’“, schließt Herr Tolk überzeugend ab.
Es ist schon erstaunlich, wie Herr Tolk es insgesamt schafft, seinem Leben in der
Nachbetrachtung viel Positives abzugewinnen. Und auch zur Gegenwart äußert er
sich wohlwollend: Die Architektur und Ausstattung des Hauses empfindet er als
„modern und großzügig … so gefällt es mir“, betont er oft beim Spaziergang durch
die Einrichtung. Auch die Außenanlage findet sein Gefallen. Oftmals verbindet
Herr Tolk zufriedenes Empfinden mit humorvollen Einlagen: Im vergangenen
Sommer begutachtete er den Duft einzelner Rosen am Gartenzaun. Als er gefragt
wurde, ob er Blumen möge, kam die so typisch schalkhafte Antwort: „An Blumen
liegt mir nicht besonders viel, doch ich kenne die ‚Rosenstrategie’ … ich weiß, was
Frauen gefällt“. Daran besteht kein Zweifel, denn Herr Tolk pflegt einen
aufgeschlossenen und herzlichen Umgang insbesondere zu den Mitarbeiterinnen
der ‚Resi’, was ihm unweigerlich Sympathien einhandelt. – Eine wertvolle
Eigenschaft, die ihn so manche körperliche Einschränkung leichter ertragen lässt.
„Ich werde alt, da läuft es sich eben langsamer“, lautet sein versöhnlicher
Kommentar zu nachlassenden Kräften. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass sich
Herbert Tolk gern in sein Zimmer zurückzieht. Dort blättert er im FamilienFotobuch oder in der Zeitung, ruht sich auf seinem Bett aus oder sitzt einfach nur
im Lehnsessel am Fenster. Er freue sich „an den verschiedenen Grüns“, beschrieb
er einmal seinen Ausblick.
„Ich kann das Leben als Pensionär genießen“, vermittelt er glaubhaft. „Und da, wo
die Verpflegung gut ist, bin ich Zuhause“, ergänzt er mit schelmischer Mimik. Es
gibt zwar auch die Momente, in denen er seine Frau sehr vermisst und voller Stolz
von seinen Kindern spricht, doch glücklicherweise gewinnt der Humor schnell
wieder Oberhand über seine Situation. Und es wird mit einem fröhlichen „Im
Dunkeln lässt sich’s gut munkeln“ kommentiert, wenn man mit ihm gemeinsam
das inzwischen in Dämmerlicht getauchte Zimmer betritt. Begrüßung und
Abschied findet jeweils sehr herzlich statt, darauf legt Herr Tolk viel Wert. Es kam
schon mal ein bedauernder Spruch, wenn die Besuchszeit wieder allzu schnell
verging: „Ich dachte, ich hätte Sie länger gebucht“ - natürlich nicht ohne Schalk im
Nacken.
Verschiedene Gespräche seit April 2015, zusammengefasst im Februar 2016,
Viola - S. Kortler
Seite 3 von 3