MITTEL ALTER MARKT RHEINECK Taschenlexikon des mittelalters Damit wir uns auch mittelalterlich unterhalten können. So fern, so nah. 1 Taschenlexikon des Mittelalters Zunächst einige Begriffe, die tatsächlich eine historische Richtigkeit beanspruchen können. Antiphonar Gesangbuch für den Chordienst Cotte Beginen Frauen, die in christlicher Gemeinschaft zusammenlebten, sogenannten Sammlungen, ohne einem Orden angeschlossen zu sein Die Cotte war ein kittelartiges Kleidungsstück, das mit einem Gürtel über der Bruche getragen wurde, me ist aus Wolle, seltener aus Leinen. Ehgraben Auch Wuostgraben oder Feuergässlin. Kleine Gasse zwischen den Häuserreihen, die das Übergreifen von Feuer von einem Haus zum anderen verhindern sollte, vor allem aber der Entsorgung der Latrinen und des Mülls diente Beinlinge Vorläufer der Hosen. Zwei unabhängige Beinkleider, die mit Schnüren an der Bruche, am Gürtel oder an der Weste befestigt wurden Bruche Weite Unterhose aus ungebleichtem Leinen. Feigenhand Buhurt Der Buhurt war ein Reiterspiel im Rahmen eines Turniers, bei dem es vor allem auf die Geschicklichkeit der Reiter ankam, eine Art Schaureiten. Obszöne Geste, bei der der Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger gesteckt wird Fuss Auch Schuh. Masseinheit. Entspricht ungefähr 3o cm Galreide Sülze aus gestampftem Fisch, seltener Fleisch Gelieger Niederlassung, Kontor Busine Trompete des Mittelalters; Naturtrompete mit langgestrecktem, geradem Rohr Cedula Mittellateinisch für schedula: Zettel Gemeine Frau Prostituierte Cornuto Der Gehörnte. Italienisches Schimpfwort, meist von einer Geste (Faust mit ausgestrecktem Zeigefinger und kleinem Finger) begleitet Gestech Siehe Tjost (Italienisch = Giostra) Grapen Dreibeinige Keramiktöpfe, mit denen über dem offenen Feuer gekocht wurde 2 Taschenlexikon des Mittelalters 3 Taschenlexikon des Mittelalters Gugel Vor allem von Männern getragene, allgemein übliche Kapuzenhaube mit Schulterkragen und Zipfel, die jedoch auch in Form einer Sendelbinde oder eines Chaperons elegant um den Kopf drapiert werden konnte. Nachrichter Scharfrichter, Henker Natternzunge Amulett aus fossilem Haifischzahn, das sich angeblich verfärbte, wenn es mit Gift in Berührung kam Orator Redner Hübschlerin Prostituierte Pfisterei Bäckerei Hurenwaibel Der für den Tross zuständige Feldwebel bei einem Heereszug. Da sich im Tross immer auch Huren befanden, trug er diese Bezeichnung. Pfühl Federbett, in der hiesigen Gegend damals üblich. Wird auch bei Richental erwähnt. Schindanger Ort an Hinrichtungsstätten, wo die Hingerichteten, aber auch Selbstmörder sowie an Krankheiten verstorbene Tiere begraben wurden. Schinder Abdecker, Pferdemetzger Schritt Masseinheit. Entspricht ungefähr 75 cm Sudeltrog Flaches Becken am Fuss der städtischen Brunnen, in denen man auch etwas waschen oder Tiere tränken durfte, was in den normalen Brunnenbecken verboten war Tjost Die Tjost (auch Gestech) war ein Zweikampf mit Speer oder Lanze während eines Turniers. Kemenate Beheizbarer Wohnraum, vor allem in Burgen Krammetsvögel In Schlingen gefangene Singvögel, meist Drosseln Lanze Militärische Einheit: ein Ritter mit mehreren Gefolgsleuten Ledi, Lädine Lastschiff auf dem Bodensee, meist sehr breit, mit einem einzigen Mast und einem rechteckigen Segel Libell Schrift, Büchlein, Eingabe Matutin Nachtgebet der katholischen Liturgie 4 Taschenlexikon des Mittelalters 5 Taschenlexikon des Mittelalters Treppenauge Lichte Öffnung oder Luftraum, der von Treppenläufen und Absätzen gebildet und umschlossen wird. Trülle Die Trülle war eine besondere Art des Prangers: ein Käfig auf einer runden Holzscheibe, den man drehen konnte. Vor allem Betrunkene wurden hier eingesperrt und dem Spott der Passanten ausgeliefert. Visierer Städtischer Weinkontrolleur. Da es trotz strengen Verbots häufig zu Weinpanscherei kam, um den Wein wohlschmeckender oder haltbarer zu machen, hatten die Städte eigene Kontrolleure, die nach entsprechenden Indizien in den Kellern der Wein schänken suchten. Vüdel Obszönes Schimpfwort für Frauen Zession Rücktritt Zimier Das Zimier wird auch Helmzeichen oder Helmkleinod genannt. Es ist das Wappenzeichen auf dem Turnierhelm, an dem man den Kämpfer erkennen konnte. 6 Taschenlexikon des Mittelalters 7 Taschenlexikon des Mittelalters Und nun einige Beispiele einer mittelalterlichen Sprache, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten auf den diversen Mittelaltermärkten eingebürgert hat («Marktsprech»). Du oder Ihr? Grundsätzlich siezt man nicht, es wird ihrzen und euchzen. Mindestens das geschätzte Publikum, und natürlich auch einander. Spätestens bei der Anrede «edler Narr» jedoch fällt aufmerksamen Ohren auf, dass hier wohl etwas nicht ganz stimmt. Im Mittelalter gehörte das Standesdenken nämlich völlig selbstverständlich zu den Umgangsformen. Es ist daher auch aus sprachlicher Sicht wichtig, um die eigene Position innerhalb der Gewerke, Zünfte und Stände genau zu wissen. Hierbei können wir unterhalb von Gott, Papst, Kaiser, Königen, Herzögen und (Mark-)Grafen von folgender Hierarchie ausgehen: 8 Taschenlexikon des Mittelalters –– Publikum (nahezu immer adelig) –– Adelspersonen, Ritter, Klerus –– Marktvogt, Zunftmeister, Meister/in, Stand-Inhaber –– Stadtwache, Büttel, Aushilfen, Mägde, Knechte, Gesellen, Mündel –– Bettler, Dirnen, Spielleute, Gaukler, Narren, Aussätzige, Henker 9 Taschenlexikon des Mittelalters Des eigenen Standes bewusst, setzen man die Anrede gezielt ein: aufwärts gilt das ehrerbietige Ihr. Als Höflichkeitsform der «Oberschicht» mag es untereinander wohl auch gute Dienste leisten unter Gleichen ist unter Bekannten wie Unbekannten zumeist das traute Du gang und gäbe. Allerdings dürfen wir die Meister unserer MarktZünfte natürlich auch ihrzen abwärts darf und sollte ein eher geringschätziges Du gelten. Ein ehrende Anrede mit «Ihr» wäre hier gänzlich fehl am Platze - darf aber bei Entgegnungen ganz selbstverständlich erwartet werden Derlei Feinheiten werden etwa dann interessant, wenn Meisterin (Standinhaberin) und Knecht (Aushilfe) dem Markvogt und seinem Büttel begegnen: Vogt und Meisterin ihrzen einander höflich, während sie die beiderseitigen Untergebenen duzen. Diese wiederum duzen auch einander, ihrzen jedoch Meisterin und Vogt. Das klingt etwas umständlich, ist aber in der Praxis sehr lebendig. Und es schafft ganz unauffällig Athmosphäre. vom Adel herab geht es deutlich über viele Standesebenen herab, ist auch die hochnäsig preussische Anrede in der dritten Person möglich, die nur von der gemeinten Person handelt, ohne sich daran die Lippen zu beschmutzen («Holla, Wirt! Bringe er Wein vom Besten!» — «Was hat sie vorzubringen?») 10 Taschenlexikon des Mittelalters 11 Taschenlexikon des Mittelalters Bezeichnende Anreden unter Marktleuten Bezeichnende Anreden beim Publikum Wir stets die Gnade der hohen Geburt vorausgesetzt. Also ihrzet und euchzet man frisch drauflos und knüpft ein möglichst passendes Adjektiv mit ein: Seid willkommen an der Stätten, Gevatterin, edle Dame, Gevatter, edler Herr Es wird dabei immer wieder gerne gehört, wenn Anrede und Bezeichnung mit treffenden Eigenschaftsworten ausgeschmückt werden Hier hilft der Augenschein. Es war im Mittelalter gang und gäbe, einander höflich mit der Berufsbezeichnung anzureden (woraus viele der heutigen Nachnamen resultieren). Somit ist bei der näheren Bezeichnung der angesprochenen Person in erster Linie das ausgeübte Gewerk (und ggf. der Stand darin) wichtig. Wo derlei gerade nicht bekannt noch offenkundig ist, hilft immer noch der pure Augenschein weiter. Wenn man es nicht besser weiss, vermutet man bei Stand-Inhabenden sicherheitshalber, dass sie Meister/innen ihrer Gewerke sind. Und wo das Gewerk nicht genau erkennbar ist, wird halt geraten. –– Seid gegrüsst, Schusterin! – Seid gegrüsst, Meister Beck! –– Einen recht schönen guten Morgen, edler Marktvogt! – Einen guten Morgen auch dir, Schmiedegesell! –– Gott zum Grusse, ehrenwertes Mütterlein! – Jaja, guten Morgen, mein Junge! –– Seid gegrüsst! – Also auch Ihr 12 Taschenlexikon des Mittelalters Wie nenne ich wen? Bei der Anrede der hochverehrten Gäste ist es erfreulich, wenn die Anreden der anwesenden Vielfalt gerecht werden. Dahero hier ein paar Adjektive und Bezeichnungen: Damen Herren edle Dame edler Herr reizende Jungfer werter Gevatter liebreizende Maid hehrer Recke holde Frowelein stolzer stolze Frouwe kühner greise Muhme sonderbarer schändlich Lästerweib wunderlich Gevatterin 13 Taschenlexikon des Mittelalters Gesell Wisse, was Du sagst! Dieser Hinweis mag überflüssig scheinen, ist aber dennoch vonnöten. Bei aller Lust an veralteten Worten schleichen sich nämlich manchmal kleine peinliche Fehlerchen ein, die flugs von anderen abgelauscht werden und so allmählich die Runde machen. Ganz besonders beliebte sprachliche Stolpersteine sind beispielsweise: Atzung bedeutet nicht: «den Durst löschen», sondern: «füttern, nähren, beköstigen». Atzung stillt also nur den Hunger um etwas «heischen» bedeutet nicht: es zu «erhaschen, erringen, treffen, bekommen», sondern: «begehren, erbitten, fordern, nach etwas streben». Wenn Herolde beim Turnier verkünden, ein Ritter heische mit seiner Lanze ein bis drei Ringlein, so gilt das ganz gewiss beim Anritt. Über den Erfolg der Übung verrät dies aber nichts. Hold bedeutet nicht: «wohlgeraten, ansehnlich», sondern: «wohlgesonnen, zugetan, geneigt». Von daher ist die gern verwendete Anrede «holde Jung fer» schon durchaus gewagt. Die Anrede «holder Recke» allerdings sollte stets nur mit Bedacht erfolgen. 14 Taschenlexikon des Mittelalters Und wer jetzt noch nach mehr sprachlicher Unterweisung heischt, wird hier fündig werden können… –– www.mittelalter-netz.de/ sprache/index –– www.mittelalter-tross.de/ mittelalter-sprache –– de.wikipedia.org/wiki/ Fr%C3%BChneuhochdeutsch –– www.anzahcraft.de/wiki/ mittelalterliches-sprechen –– www.freizeitengel.de/Freizeit/ Mittelalter-fuer-Kinder/Redewendungen –– www.mittelalter-gewandung.net/ Wochenbote/Wochenbote_ Mittelalter_Sprache 15 Taschenlexikon des Mittelalters DACHCOM Hauptsponsor
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