Mare-Radio Rezept: Mahlzeit

Mare Rezepte: Aus Captain Cooks Kombüse
von Hans-Helge Ott
Mahlzeit-Rituale
Was gab es bei Ihnen denn Ostern zu essen? Lamm vielleicht? Oder, wenn Sie
keine kleinen Kinder haben, Kaninchen? – Also Weihnachten gibt es Gans, das ist
klar. Oder Karpfen, wenn die Oma aus Schlesien kam. Und Heiligabend Würstchen
mit Kartoffelsalat. „Nein, Raclette!“ ruft da jemand aus der Ecke. „Bei uns jedes Jahr
Raclette, sonst ist die ganze Familie sauer!“ Sehen Sie, das sind schon Rituale!
Kochrituale, Essrituale.
Oder Frühstück! Das ist überhaupt unser rituellstes Essen, finde ich. Manche
brauchen unbedingt Kaffee, manche müssen Tee haben, genau drei Tassen, der
Eine will Toast mit Marmelade, der Andere Rührei mit Speck. Oder das gewaltige,
weltberühmte sogenannte „Englische Frühstück“, das eigentlich „Britisches
Frühstück“ heißen müsste. Da ist fast alles möglich, und sehr gern auch Kipper!
Kipper ist ein Hering, der zuerst geräuchert, dann gebraten und schließlich mit einem
Spiegelei eingenommen wird. Aber selbst sturmerprobte, tweedtragende,
whiskytrinkende Erzbriten nehmen so ein Frühstück nicht jeden Tag zu sich – sonst
gäbe es sie wohl nicht mehr.
Für alle, die es noch nicht kennen, stelle ich Ihnen mal ein ordentliches „Cooked
English Breakfast“ ins Internet, da werden Sie schon sehen! Aber es gibt ja auch
noch die religiösen Speiseriten – oder genauer: Speisevorschriften! ‚Freitags Fisch’
zum Beispiel. Etwas aus der Mode gekommen, aber bei Christen eigentlich Pflicht!
Hindus essen keine Rinder, denn in Kühen wohnen 300 Millionen Götter! Meine
Herren, da haben die Monotheisten es etwas übersichtlicher, oder? Wie man´s
nimmt! Orthodoxe Juden dürfen kein Schwein, natürlich, aber auch keine Raubvögel
(na gut, das lässt sich verschmerzen), kein Seafood, und bei Fisch müssen sie ganz
genau aufpassen: Fische nur mit Schuppen! Karpfen ist okay, Spiegelkarpfen also
wohl nicht. Und dass Fleischernes und Milchernes nicht vermischt werden dürfen,
haben Sie wohl auch schon gehört. Steak mit Rahmsauce könne Sie also gleich mal
vergessen.
Woher kommt das nur? Wozu soll das gut sein? – Eine verbreitete Erklärung ist die,
dass in alter Zeit, als man noch nicht kühlen konnte, Schweinefleisch zu schnell
verdarb. Und was ist dann mit Indien und China? Da holt man sich auch keine
Frostbeulen, aber Schweine werden mit Vergnügen verputzt. Das kann es also nicht
sein.
Nein, Speisevorschriften und Essrituale stiften Identität! Wenn man sich daran hält,
dokumentiert man auch unter Fremden, also in der Diaspora, wer man ist und zu
wem man gehört. Man dokumentiert das vor den Anderen – und vor sich selbst! Man
bekennt sich mit einer täglichen und unentbehrlichen Verrichtung, dem Kochen und
Essen nämlich, zu einer ganz bestimmten Gruppe.
Ein israelischer Freund, der uns mal besuchte, brachte eine Flasche Wein als
Gastgeschenk mit. „Hier, bitte“, sagte er, „der ist deutsch-koscher!“ Ich sah mir das
Etikett an. Es war Bio-Wein. Deutlicher kann man es kaum sagen!
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Full English Breakfast
Dieses legendäre Frühstück ist eine Mahlzeit in drei Gängen! Der erste Gang besteht
aus
Cerealien
also Getreide. Das sind häufig Corn Flakes oder ähnliches, traditionell ist es
Porridge, also gekochter Brei aus Haferflocken, gesüßt – oder auch nicht.
Der zweite Gang ist der eigentliche Hammer: Hier wird alles aufgefahren, wofür das
Englische Frühstück berühmt und berüchtigt ist:
Gegrillte Würstchen, gegrillter Speck oder Schinken, Black Pudding
(Blutwurst), ebenfalls gegrillt, gegrillte Nieren (etwas aus der Mode gekommen)
dazu:
Spiegelei, Rührrei oder „Poached Egg“ (poschiertes Ei), Gegrillte Tomate,
Baked Beans (weiße Bohnen in Tomatensoße, aus der Dose), Gebratene
Champignons
Und wenn einem das eine Spur zu fleischlastig vorkommen sollte, dann kann man
statt Blutwurst oder Nieren auch Fisch bekommen. Eine traditionelle Version ist der
Kipper
Das ist ein Hering, der gesalzen und kalt geräuchert wird (ähnlich dem in
Deutschland üblichen Bückling), und dann wird er noch einmal gebraten. Darauf
passt gut ein Spiegelei.
Jetzt wird es Zeit für den dritten Gang, damit man bis zum Mittags-Imbiss durchhält.
Der besteht aus
Toast, Butter (gern gesalzen), Zitrusmarmelade.
Nur Marmelade aus Zitrusfrüchten, meistens Orangen, darf sich „Marmalade“
nennen. Alles andere heißt „Jam“ und hat auf dem Frühstückstisch nichts zu suchen.
Und dazu gibt es nun auch (endlich!) Tee, üblicherweise afrikanischen Tee („English
Breakfast Tea“), meistens aus Kenia. Unbedingt mit Milch.
Man darf nur nicht glauben, dass Briten sich diese Materialschlacht jeden Tag liefern.
Wenn überhaupt, dann gönnen sie sich feiertags mal solch einen Brunch. Hotels und
manche Cafés und Restaurants bieten „Full English (Scottish, Irish) Breakfast“
jedoch täglich an, bestimmt überwiegend für Touristen. Die „Eingeborenen“ machen
da eher kurzen Prozess: Toast, Marmelade und eine ordentliche Tasse –
Pulverkaffee!