Das Bett des Prokrustes - Arbeitsagogik

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Das Bett des Prokrustes
Subjektive und objektive Menschenbilder
Wie bereits erwähnt gehört die Frage nach dem, was der Mensch sei, zu den ältesten und zugleich schwierigsten, die es überhaupt gibt. Ebenso alt und zahlreich
sind natürlich die versuchten Antworten darauf. Dabei ist es möglich, zwischen
"subjektiven" (vom Subjekt, dem einzelnen, persönlich, aus eigener Meinung bestimmt), auf die wir uns hier beschränken wollen, und "objektiven" (d.h. von der Sache her richtigen und gültigen) Menschenbildern zu unterscheiden.
Jeder Mensch sucht, mehr oder weniger deutlich und richtig vollzogen, das Bild von
sich, das Bild seiner selbst, er versucht unterschiedliche Erfahrungen und Erkenntnisse in die Zeichnung dieses Bildes einzubringen und zu beschreiben. Ebenso
bemüht man sich um das Bild vom Menschen allgemein. Bei diesen Bemühungen
wird es möglich, dass dem Denken und Fühlen Fehler unterlaufen: den Menschen
nicht so zu sehen, wie er ist, sondern so, wie man ihn haben will, wie er sein sollte,
sein müsste. Dabei besteht die grosse Gefahr, am Menschen vorbei zu sehen und
ihn damit zu verfehlen. Ein aussagekräftiges Beispiel dafür liefert die griechische
Mythologie mit der Prokrustes-Sage:
In der griechischen Sage wird von einem Riesen namens Prokrustes erzählt: "Der
hatte an einer engen, aber belebten Strasse ein Haus gebaut und draussen am
Hohlweg ein Bett aufgeschlagen, das genau die Grösse hatte, die seiner Meinung
nach dem Mass des Menschen entsprach. ... Er packte jeden, der des Weges daherkam, und steckte ihn in sein Bett hinein, um zu sehen, ob er auch [genau] hineinpasse. Waren die Menschen zu kurz, zog er seine Opfer etwas in die Länge, bis
sie seinem Mass entsprachen. Deshalb hiess er auch bei den Leuten des Landes
Prokrustes, d.h. der Ausstrecker. Die aber, die zu lang waren, kurierte Prokrustes
auf eine andere Weise, er schlug ihnen einfach die Füsse ab. - Nun hatten sie alle
das Mass des Menschen, das ihm das richtige zu sein schien. Bloss, kein Mensch
konnte mehr laufen. ... Die Menschen, die ihm in die Hände geraten [waren], waren
hinterher alle Pflegefälle, wenn sie überhaupt überlebten".
Diese Geschichte hat grundsätzliche Bedeutung!
• Einmal lehrt sie, dass da ein Mensch ist, der über den Menschen nachdenkt, sich
seine eigene Meinung macht; das Mass setzt und danach handelt (wenn auch
negativ);
• Zum anderen, dass die Menschen das Opfer eines solchen Masses sind oder
doch sein können, dass sie entweder nicht überleben oder nach solcher MassNahme zu Behinderten und Abhängigen werden;
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• schliesslich, dass das subjektive Menschenbild des einzelnen, willkürlich und unmenschlich, sicher fehlerhaft, unzulänglich, gefährlich, ja tödlich sein kann. Fehlerhaftes Denken über den Menschen kann diesen Menschen bis an seine geistige und körperliche Grenze führen.
Die Folgerung aus dem Gesagten muss sein: sich ständig um ein gültiges, d.h. am
Menschen selbst orientiertes, angemessenes “Bild' zu mühen; das heisst in jedem
Falle, den Menschen so zu sehen, wie er ist, nicht oberflächlich und vordergründig;
vielmehr muss man dahin gelangen wollen, den Menschen in der Tiefe seines
Menschseins zu kennen, zu beschreiben und ihn zu respektieren.
In Anlehnung an Juchli, Liliane: Krankenpflege: Praxis und Theorie der Gesundheitsförderung und Pflege Kranker. 5.
Aufl., Stuttgart; New York : Thieme, 1987. S. 14 f
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