Bio-Implantate - AGAPLESION BETHESDA KRANKENHAUS

Bio-Implantate
Apotheken Umschau A
15/05
/Forschung & Wissen akt./Medizintechnik/
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Bio-Implantate
Medizintechnik Schrauben, Stifte und Platten, die sich selbst auflösen, wenn
sie ihre Funktion erfüllt haben: Trotz mancher Probleme setzen Ärzte in
einigen Bereichen auf solche Produkte
Die Idee ist bestechend, und sie ist keine bloße Vision mehr: Implantate aus
biologisch abbaubaren Materialien, eingesetzt zum Beispiel bei
Knochenbrüchen, lösen sich auf, nachdem sie ihre Stützfunktion erfüllt
haben. Anders als Implantate aus Metall verursachen sie keine Allergien,
hinterlassen keinen Abrieb im Körper und ersparen vielen Patienten eine
zweite Operation. In einigen Bereichen wurde die Idee bereits verwirklicht
(siehe Folgeseiten). Das dabei am häufigsten verwendete Material ist
Milchsäure, die chemisch zu langen Molekülketten zusammengefügt wurde.
Der Körper baut diese zu Kohlendioxid und Wasser ab.
Üblicherweise verwenden Chirurgen heute Platten und Schrauben aus Titan,
wenn sie zum Beispiel einen gebrochenen Knochen zusammenfügen,
berichtet Professor Michael Nerlich, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie an
der Universitätsklinik Regensburg. Das leichte, aber feste Metall verbindet
sich besser mit dem Körper und führt seltener zu Infektionen als der zuvor
gängige Stahl.
„Es gibt jedoch vereinzelte Erfahrungsberichte von Patienten, die auch auf
Titan reagieren“, berichtet Dr. Michael Gabel, Leiter des Fußzentrums am
Agaplesion-Bethesda-Krankenhaus in Stuttgart. „Für sie wären abbaubare
Implantate eine Hilfe.“ Am meisten profitieren würden Patienten, bei denen
das Titanimplantat wieder entfernt werden muss – etwa weil die Platte am
Sprunggelenk keine hohen Schuhe zulässt, die Schraube im Schlüsselbein am
BH-Träger reibt oder unter einer Platte mangels Belastung der Knochen
schwindet.
Doppelter Anspruch
Abbaubare Produkte müssen allerdings einen doppelten Anspruch erfüllen:
Sie sollen standhalten, solange ihre Stützfunktion benötigt wird. Danach
sollten sie so langsam schwinden, dass Knochen oder Gewebe in die
entstehende Lücke wachsen kann. Milchsäure, da sind sich Experten einig,
erfüllt diesen Anspruch nicht ideal. „Es kann zudem beim Abbau eine
Entzündung auslösen, den Knochen lokal auflösen oder Zysten bilden“,
erklärt Professor Maximilian Rudert, ärztlicher Direktor der Orthopädischen
Klinik König-Ludwig-Haus in Würzburg. Deshalb befassen sich etliche ­
Arbeitsgruppen inzwischen mit abbaubaren Alternativen auf Magnesium­
basis, die den Patienten solche Unannehmlichkeiten ersparen sollen.
Ein weiteres Problem der Milchsäure-Implantate nennt Professor Reinhard
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Hoffmann, Chefarzt der Abteilung für Unfallchirurgie und Orthopädische
Chirurgie an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt/Main:
„Für große Platten und Schrauben, etwa im Ober- oder Unterschenkel, ist das
Material nicht stabil genug.“ Deshalb funktioniere das Konzept zwar bei
kleineren Verletzungen, „aber was man sich davon versprochen hat, ist im
großen Stil nicht eingetreten“. Zudem sind die Produkte viel teurer als
Vergleichbares aus Titan. „Oft lassen sich deshalb die Kosten nicht decken“,
sagt Michael Gabel. Das Biomaterial ist aber auch für den Operateur eine
Herausforderung: Es kann leicht brechen, Schrauben drehen möglicherweise
durch; die nötige Vorsicht verlängert die Operationszeit.
Die Nachteile müssen Chirurgen gegen die Vorteile biologisch abbaubarer
Produkte abwägen. Weil vergleichende Studien zu den Materialien rar sind,
kommt es bei ihrem Einsatz auf die Erfahrung und die Vorlieben des
einzelnen Arztes an – und auf das jeweilige Temperament. „Manche Kollegen
sind lieber vorsichtig“, sagt Michael Nerlich, „andere hingegen ganz
euphorisch.“ Dr. Reinhard Door
Kreuzbandriss
Wenn das vordere Kreuzband im Knie reißt, schaffen Operateure vor allem
bei jüngeren, aktiven Menschen Ersatz. Sie entnehmen eine Muskelsehne von
der Vorder- oder der Rückseite des Knies und schrauben sie als KreuzbandErsatz an Schienbein und Oberschenkelknochen fest, bis sie angewachsen
ist. Dazu verwenden die Ärzte sogenannte Interferenzschrauben, die an ihrer
dünnsten Stelle dicker sind als das Bohrloch. Die bislang verwendeten
Titanschrauben werden vielfach ersetzt durch solche aus Milchsäure –
manchmal gemischt mit der Knochensubstanz Hydroxylapatit. „Je nach
Erfahrung werden die resorbierbaren Schrauben auch kritisch gesehen“, ­
berichtet Professor Michael Nerlich, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie an
der Universitätsklinik Regensburg. „Etwa weil der Abbau des Materials nicht
gut steuerbar ist. Er darf nicht schneller stattfinden, als das Gewebe die volle
Funktion übernimmt.“
Knorpelschäden
Beim Fußball oder Skifahren kann es schnell passieren: Durch den Tritt eines
Gegners oder einen Sturz reißt zum Beispiel am Knie- oder am Sprunggelenk
ein
Knorpel-Knochen-Stück ab. Der Schmerz lässt meist schnell nach, doch es
drohen Spätfolgen: Die kleine Verletzung dehnt sich aus, und manche
Arthrose hat wohl so begonnen. Deshalb beugen Ärzte vor. Oft nehmen sie
Milchsäure-Stifte zur Hand, durchbohren den Knorpel und klopfen das
abgesprengte Teil mit den „pins“ genannten Stiften wieder an. „Das geht aber
nicht bei jeder Knorpelverletzung“, betont Professor Maximilian Rudert,
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ärztlicher Direktor der Orthopädischen Klinik König-Ludwig-Haus in
Würzburg. In solchen Fällen verwenden die Chirurgen Titanschrauben, die sie
wieder entfernen, wenn das Knorpel-Knochen-Stück angewachsen ist. Die
Maxime, so Rudert, muss sein: „Lieber eine zweite Operation als eine
unsichere Verankerung.“
Verengte
Herzkranzgefäße
Auch in der Herzmedizin haben biologisch abbaubare Materialien Einzug
gehalten. Seit Langem versuchen Ärzte Gefäßstützen, die verengte
Herzkranzgefäße nach einer Erweiterung offen halten, aus Biowerkstoffen
herzustellen. 2012 kam der erste dieser Stents auf den Markt. Er besteht aus
Milchsäure und bietet theoretisch einige Vorteile: Die Gefäße können sich
nach seinem Abbau wieder normal verengen und erweitern, und an den
versorgten Stellen können
bei Bedarf Bypässe angelegt werden. Entsprechend euphorisch setzten viele
Kardiologen die neuen Stützen ein, ehe diese ausreichend geprüft waren –
ein bei Medizinprodukten leider nicht unübliches Vorgehen.
Nun läuft eine Vergleichsstudie,
deren Endergebnisse allerdings erst gegen Ende 2016 vorliegen werden.
Unabhängig davon ist der Bio-Stent nicht bei allen Herzgefäßverengungen
geeignet, und auch der im Vergleich zu herkömmlichen Metall-Stents hohe
Preis schreckt viele Ärzte davon ab, ihn einzusetzen.
Fußbeschwerden
Wenn Schienen und Einlagen nicht mehr genügen, wird beim sogenannten
Hallux valgus eine Operation nötig. Dabei wird der Mittelfußknochen des
schief stehenden Zehs durchtrennt und in seine ursprüngliche Lage
verschoben.
Die beiden Knochenenden verbindet der Operateur meist mit einer
Titanschraube oder schient sie mit einer kleinen Titanplatte. Manche
Operateure verwenden dafür Milchsäureschrauben. Im vergangenen Jahr
brachte ein Hersteller eine Schraube auf Basis einer Magnesium-Legierung
auf den Markt, die sich mit der Zeit von selbst auflöst. In einer direkten
Vergleichsstudie mit einer Titanschraube wiesen beide Produkte
vergleichbare Ergebnisse auf. Die Magnesium-Schraube wird auch bei
einigen anderen Operationen
eingesetzt, etwa an der Hand. Mit dem neuen Material lässt sich die Zeit bis
zur Auflösung besser steuern als mit Materialien aus Milchsäure.
Schulterprobleme
Bei Verrenkungen der Schulter, bei Rissen der Rotatorenmanschette oder der
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Bizeps-Sehne leisten biologisch abbaubare Implantate wertvolle Dienste.
„Überall, wo wir gelenknah etwas fixieren wollen, nehmen wir diese
Materialien, weil sie auf Dauer keine Probleme machen“, sagt
Dr. Piet Plumhoff, Leiter des Bereichs Schulter- und Ellbogenchirurgie an der
Orthopädischen Klinik König-Ludwig-Haus in Würzburg. Bei einer
Verrenkung („Auskugeln“) der Schulter etwa reißt häufig die Gelenklippe ein
oder ab, die die Gelenkpfanne umgibt. Dann verwendet Plumhoff einen oder
mehrere Schulteranker. Deren Schraube befestigt er in der Gelenkfläche, mit
dem Faden fixiert er die Gelenklippe oder eine gerissene Sehne. Weil sich
diese Anker nicht mehr entfernen lassen, reiben sie sich mit der Zeit im ­
Gelenk auf, wenn sie aus Titan bestehen. „Sie würden so auf Dauer mehr
schaden als nutzen“, sagt Plumhoff. Bei den biologisch
abbaubaren Ankern entfällt dieses Problem.
Gesichtsverletzungen
Gute Erfahrungen hat Dr. Henry Leonhardt von der Universitätsklinik Dresden
mit biologisch abbaubaren Platten bei Knochenbrüchen im Gesichtsbereich
gemacht. Diese Materialien setzt er zum Beispiel ein, um gebrochene
Knochen am Boden der Augenhöhle zu fixieren oder Fehlstellungen der
Schädelknochen bei Kindern zu korrigieren. Die zur Befestigung verwendeten
Stifte werden
mit einer Ultraschallsonde erwärmt, schmelzen an ihrer Außenseite und
gleiten so leicht in die Bohrlöcher. An ihrem oberen Ende werden sie auf
diese Art gleichzeitig mit den Platten verschweißt. Weil sie weniger stabil
sind als Titanplatten, eignen sich die Produkte aber nur bedingt für stark
belastete Gelenke und Knochen.
Knochendefekte
Große Knochendefekte, die nach einem Bruch, einer Operation oder aufgrund
einer Zyste entstehen,
verheilen bisweilen nicht von selbst. Für solche Fälle bietet die Industrie eine
Fülle von Knochenersatzmaterialien an. Sie dienen aufgrund ihrer porösen
Struktur als Leitschiene
für die Neuansiedlung von Knochen oder liefern das Rohmaterial für die
Hartsubstanz in Knochen. Synthetische Materialien werden als Pulver,
Granulat (Foto) oder als anpassbare Blöcke angeboten. Was für die jeweilige
Anwendung verwendet wird, beruht eher auf den persönlichen Vorlieben des
Chirurgen als auf
Direktvergleichen in wissenschaftlichen Studien. Im Übrigen, sagt Professor
Reinhard Hoffmann, Chefarzt der Abteilung für Unfallchirurgie und
Orthopädische Chirurgie an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik
Frankfurt/Main, ersetze bei der
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Reparatur von Defekten bisher nichts den eigenen Knochen. Ihn müssen die
Chirurgen allerdings in einem zweiten Eingriff entnehmen, meist an einem
Beckenkamm.
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