11. Aufmerksamkeit 2

Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Bewusstsein: 11. Aufmerksamkeit 2 Vorlesung in Allgemeiner Psychologie SoSe 2014, FSU Jena PD Dr. Holger Wiese 1 Objektbezogene Aufmerksamkeit   Neuere Theorien gehen davon aus, dass visuelle Aufmerksamkeit nicht orts-­‐ sondern objektbasiert ist.   Duncan (1984)   Darbietung von Objekten, die aus einem Rechteck (unterschiedliche Größe, Lücke links oder rechts) und einer diagonalen Linie (links oder rechts geneigt, gepunktet oder gestrichelt) bestehen.   Aufgabe: Beurteile entweder ein (einfaches Urteil) oder zwei A�ribute (duales Urteil), die sich entweder auf ein oder beide Objekte beziehen. 2 Objektbezogene Aufmerksamkeit   Duncan (1984)   Duale Urteile, die sich auf ein Objekt bezogen, fielen so genau aus wie Einzelurteile für dieses Objekt.   Aber: Die Genauigkeit von dualen Urteilen, die sich auf zwei verschiedene Objekte bezogen, war reduziert, obwohl beide Objekte am selben Ort dargeboten wurden (innerhalb von 1° Sehwinkel).   Schlussfolgerung:   Die entscheidende a�en�onale Limita�on ist nicht ortsbezogen.   Sie besteht sta�dessen darin, dass man zu einem gegebenen Zeitpunkt nur einem Objekt Aufmerksamkeit zuwenden kann. 3 Visuelle Suche   Die visuelle Suchaufgabe gilt als Schlüsselparadigma der Aufmerksamkeitsforschung.   Dabei werden den Versuchspersonen Suchdisplays dargeboten, die unter einer variablen Anzahl von Distraktoren einen Zielreiz enthalten können.   An-­‐ oder Abwesenheit des Zielreizes soll möglichst schnell durch Tastendruck entschieden werden. 4 Visuelle Suche   Treisman & Gelade (1980): Visuelle Suche kann seriell oder parallel erfolgen.   Steigt die Reak�onszeit wenig (< 10 ms/Item), so werden alle Items im Display simultan abgesucht (parallele Suche; pop-­‐out-­‐
Effekt).   Steigt die Reak�onszeit linear mit der Größe des Displays, so werden die einzelnen Items sukzessive abgesucht (serielle Suche). 5 Visuelle Suche   Ist bei serieller Suche das target abwesend, so steigt die Suchfunk�on steiler als in den target-­‐anwesend Durchgängen.   Suche kann also erschöpfend (exhaus�ve) oder selbstabbrechend (self-­‐
termina�ng) sein.   Da bei target-­‐anwesend trials im Durchschni� die Häl�e der Distraktoren abgesucht werden muss bevor das target gefunden wird, sollte die target-­‐abwesend-­‐Funk�on doppelt so steil ansteigen. 6 Visuelle Suche Merkmalsintegra�onstheorie (feature integra�on theory; Treisman & Gelade, 1980).   Jeder S�mulus lässt sich als Kombina�on basaler Merkmale (features; z.B. rot, nach links geneigt, eher klein etc.) verstehen, die sich zu Dimensionen (z.B. Farbe, Orien�erung, Größe etc.) anordnen lassen.   Targets unterscheiden sich von Distraktoren entweder durch ein einfaches Merkmal (parallele Suche) in einer Dimension (feature dimension) oder durch eine Kombina�on von Merkmalen (serielle Suche).   Merkmalsdimensionen sind modulare Systeme, die aus spezialisierten Merkmalsdetektoren bestehen (und z.B. einen bes�mmten Farbwert kodieren). 7 Visuelle Suche   Ähnliche Merkmalsdetektoren sind topographisch, in „Merkmalskarten“, organisiert.   Bes�mmte Orte in den Karten entsprechen bes�mmten Orten im visuellen Feld.   Korrespondierende Orte können einander zugeordnet werden.   Bindungsproblem: Wie werden separat kodierte Objektmerkmale zu einer kohärenten Repräsenta�on verbunden? 8 Visuelle Suche   Bei Konjunk�onssuche werden die einzelnen Items sukzessive mit fokaler Aufmerksamkeit abgetastet.   Die separat kodierten Merkmale werden dabei in eine kohärente Objektrepräsenta�on integriert.   Annahme einer „Hauptkarte der Orte“: Aufmerksamkeit wird auf einen Ort dieser Karte gerichtet, wodurch der Output der Merkmalsdetektoren für diesen Ort verfügbar wird. 9 Visuelle Suche   Der „bo�leneck“ besteht also im Bindungsstadium: Bindung kann nur für ein Objekt zu einem gegebenen Zeitpunkt erfolgen.   Bei der einfachen Merkmalssuche (pop-­‐out, flache Suchfunk�on) beruht die Target-­‐Entdeckung auf einem prä-­‐
a�en�ven Suchprozess (d.h., auf Basis der parallel arbeitenden Merkmalsdetektoren).   Aber: Spätere Befunden zeigten, dass visuelle Suche nicht vollständig durch eine Dichotomie von parallel-­‐prä-­‐
a�en�ver und seriell-­‐a�en�ver Suche erklärt werden kann.   So kann die Steigung der Suchfunk�on zwischen „flach“ und „sehr steil“ variieren.   Dabei spielt die Ähnlichkeit der Targets zu den Distraktoren und die Ähnlichkeit der Distraktoren 10 untereinander eine besondere Rolle. Visuelle Suche Ähnlichkeitstheorie (similarity theory) der visuellen Suche (Duncan & Humphreys, 1992):   Suchschwierigkeit wird durch zwei unabhängige Faktoren determiniert: Die Target-­‐Nontarget-­‐Ähnlichkeit und die Nontarget-­‐Nontarget-­‐Ähnlichkeit.   Die Suche ist leicht, wenn die T-­‐N-­‐Ähnlichkeit gering und die N-­‐N-­‐Ähnlichkeit hoch ist.   Die Suche ist schwer, wenn die T-­‐N-­‐Ähnlichkeit hoch und die N-­‐N-­‐Ähnlichkeit gering ist.   Objektbindung, also die Kodierung struktureller Objekteinheiten (structural units), erfolgt parallel-­‐
präa�en�v.   Strukturelle Objekteinheiten konkurrieren um Zugang zum visuellen Kurzzeitspeicher (visual short-­‐term memory, VSTM), dessen Kapazität auf bis zu 4 Items beschränkt ist. 11 Visuelle Suche Ähnlichkeitstheorie (similarity theory) der visuellen Suche (Duncan & Humphreys, 1992):   Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Objekteinheit ins VSTM eintri�, hängt vom zugeordneten Selek�onsgewicht (selec�on weight) ab.   Dieses Selek�onsgewicht ist insgesamt limi�ert, so dass die Erhöhung für bes�mmte Items mit einer Reduzierung für andere Items einhergeht (und umgekehrt).   Selek�onsgewicht wird top-­‐down zugewiesen, und zwar propor�onal zur Ähnlichkeit mit einem internen Suchbild (template) des Targets.   Je ähnlicher eine Objekteinheit zum template ist, desto mehr Gewicht erhält es. 12 Visuelle Suche   Einzelne Einheiten sind aufgrund ähnlichkeitsbasierter visueller Gruppierung miteinander verbunden.   Zurückweisung eines Distraktors setzt sein Selek�onsgewicht auf 0.   Diese Gewichtsreduk�on breitet sich auf gruppierte Einheiten aus. 13 Visuelle Suche   Diese spreading suppression führt zur parallelen Unterdrückung ganzer Distraktorgruppen.   Die Konsequenz ist eine Erhöhung des Selek�onsgewichts für nicht-­‐unterdrückte Einheiten, unter denen das Target sein kann. 14 Visuelle Suche Ähnlichkeitstheorie (similarity theory) der visuellen Suche (Duncan & Humphreys, 1992):   Das Selek�onsgewicht der Target-­‐Einheit wird durch das Ausmaß der Verbindung zu anderen, Nicht-­‐Target-­‐Einheiten moduliert.   Die Suche ist also effizienter, wenn Targets und Non-­‐
Targets keine (oder wenige) A�ribute gemeinsam haben (also unähnlich sind).   Sucheffizienz wird weiterhin durch das Ausmaß der Verbindungen der Non-­‐Targets verändert.   Starke Verbindungen der Non-­‐Targets ist essen�ell für effiziente „en-­‐masse“-­‐Zurückweisung. 15 Neuronale Mechanismen   Auf welcher Ebene beeinflusst Aufmerksamkeit die sensorische Reizverarbeitung?   „early selec�on“ (z.B. Broadbent): Nichtbeachtete Informa�on wird bereits auf einer frühen Stufe der Verarbeitung ausgefiltert.   „late selec�on“ (z.B. Deutsch & Deutsch): Auch nichtbeachtete Reize werden perzeptuell vollständig verarbeitet, die Filterung erfolgt auf einer späteren Stufe.   Ereigniskorrelierte Hirnpoten�ale (EKP) sind zur Beantwortung solcher Fragen besonders gut geeignet, da Hirnak�vität mit hoher zeitlicher Auflösung analysiert werden kann. 16 Neuronale Mechanismen   EKPs werden aus dem Elektroencephalogramm (EEG) berechnet.   Sie entstehen durch zeitlich gekoppelte Mi�elung des EEGs zu einem bes�mmten Ereignis (z.B. Präsenta�on eines Bildes oder Tons). 17 Neuronale Mechanismen Neuronale Mechanismen Neuronale Mechanismen Neuronale Mechanismen P1 Bsp.: P1-­‐Amplitude: ca. 4 μV P1-­‐Latenz: ca. 90 ms Neuronale Mechanismen Hillyard et al., 1973   Präsenta�on von �efen (häufig) oder hohen Tönen (selten), entweder im linken oder rechten Ohr.   Aufgabe: Beachte entweder das linke oder rechte Ohr und drücke eine Taste wenn ein hoher Ton kommt.   Vergleich der EKPs auf hohe Töne im beachteten versus nicht beachteten Ohr. 22 Neuronale Mechanismen 23 Neuronale Mechanismen   Beachtete Töne lösen eine erhöhte elektrische Nega�vität aus, und zwar bereits ab ca. 60 ms nach S�mulus-­‐Onset.   Insbesondere wird die sog. N1-­‐Komponente durch Aufmerksamkeit in ihrer Amplitude erhöht.   Hillyard et al. interpre�erten diesen Befund als Beleg für einen frühen Selek�onsprozess, d.h., ein früh einsetzender Filter verhindert die Verarbeitung nicht beachteter S�muli (oder reduziert sie stark).   Aber: Die Latenz des Aufmerksamkeitseffekts hängt von der Schwierigkeit ab mit der beachteter und nicht beachteter Kanal diskriminiert werden können.   Man spricht von einem Nd-­‐Effekt (Nd = nega�ve Differenz zwischen beachteten und nicht beachteten S�muli). 24 Neuronale Mechanismen Visuelle Aufmerksamkeit (siehe z.B. Hillyard & Picton, 1987)   Probanden schauen auf ein zentrales Fixa�onskreuz, sollen aber gleichzei�g S�muli in einem visuellen Halbfeld beachten (und das andere ignorieren).   Beachtete S�muli lösen größere Amplituden an posterioren Elektroden aus.   Der physikalische S�mulus ist iden�sch!   Besondere Bedeutung haben die P130 und N190 (oder P1 und N1). 25 Neuronale Mechanismen Vergleich zwischen Modalitäten:   Beachtete S�muli erzeugen generell größere Amplituden (sensory gain).   Aufmerksamkeitseffekte treten rela�v früh (< 100 ms) auf.   Die Latenz der Effekte scheint generell von der Schwierigkeit der Diskriminierung von beachtetem und nicht beachtetem Kanal abzuhängen.   Topographie („Skalpverteilung“) für visuelle und auditorische Modalität ist aber klar unterschiedlich. AEP
VEP
-20
µV
C3
N80 N140
P50
20
SEP
P100
LC
26 Neuronale Mechanismen Vergleich zwischen Modalitäten:   Dabei scheinen akus�sche Aufmerksamkeitseffekte im auditorischen Kortex generiert zu werden (z.B. Woldorff et al., 1993).   Visuelle Aufmerksamkeitseffekte scheinen in okzipitalen und posterior-­‐parietalen Arealen generiert zu werden.   Dies spricht für die Annahme, dass Aufmerksamkeit eine vollständigere perzeptuelle Verarbeitung der S�muli im modalitätsspezifischen Cortex bewirkt. 27