Pflegende

Der Beitrag der Pflege zur
Gestaltung der Gesellschaft
Aufgabe und Herausforderung
Prof. Christel Bienstein
Department Pflegewissenschaft
Universität Witten/Herdecke
Wirtschaftsfaktor Gesundheit/Pflege
 Anstieg der Ausgaben im Gesundheitswesen von 1992 – 2014 mehr
als 45 % und weiter steigend
 10% versicherungspflichtiger Arbeitnehmer im Gesundheitswesen
tätig
 268 Milliarden Ausgaben( 11% des BIP) 2014
 Steigende Bedarfe durch:






weniger pflegende Angehörige
mehr alte und chronisch kranke Menschen
Abnahme von Kliniken
Zunahme stationärer Einrichtungen –
Zunahme polyklinischer Behandlung
Zunahme häuslicher Pflegedienste
2
Entwicklung des Krankheitsspektrums
 1990 ca 50% der Patienten leiden weltweit an chronischen Krankheiten
 2020 werden es schon 70% sein
 Zunahme der Mortalität durch Herz-Kreislauferkrankungen, maligne Tumore
(BMJ,2002: 325 (7370. Cover)
 Beispiel: weltweit betroffen Menschen mit Diabetes:

1995 ca 135 Mill. Menschen

2000 ca 171 Mill. Menschen

2030 ca 366 Mill. Menschen (Wild, et al, 2004)
Verwirrtheit :
Schon jetzt bis zu 17% postoperative Verwirrtheit nach cardiochirurgischen
Operationen (Evers, 2002)
Bis zu 30% verwirrte Menschen auf internistischen Stationen (Spierig)
Operationen 2011/2012
 1,9 Mill ambulante Operationen (Verdreifachung ab 2000), entspricht
2% aller Bundesbürger wurden ambulant operiert
 61% der Krankenhäuser operieren ambulant
 ICPM (International Classifikation of Procedures in Medicine) weist
2013 mehr als 15 Mill . stationäre Operationen aus ( dreimals so hoch
wie 2006) entspricht 19% aller Bundesbürger wurden stationär
operiert
 Gesamt 21% in Deutschland
 Vergleich zu den NL gesamt (ambulant und stationär) 1,4 Mill.
Bürger wurden operiert, entspricht 7,7% der Bevölkerung
Destatis 2013, Statline 2013
Verweildauer der Patienten und Patientinnen
im Krankenhaus
 1989
 1994
 2012
13,7 Tage
12,0 Tage
7,1 Tage
Reduktion umfasst 50%
(DeStatis 2012)
 Pflegende in Deutschland
versorgen 10,2 Patienten pro
Schicht
 Pflegende in Europa (NL,
S,N, GB)
Schicht
5 Patienten pro
 Casemanagement
problematisch
Pro Bett: 0,44 Ärzte ,
Anstieg von 1999 – 2013 um
41%
1 Arzt : 4 Pflegenden (1999)
1 Arzt : 2,2 – 1,75 Pflegenden
(2013)
5
Krankenhausaufenthalte von
pflegebedürftigen Menschen
 49,6% der Pflegebedürftigen
hatte 2013 mindestens einen
Krankenhausaufenthalt
 In Durchschnitt verbringt ein
pflegebedürftiger Mensch 15
Tage pro Jahr im Krankenhaus
 Menschen mit Pflegebedarf der
Pflegestufe II aus der
stationären Pflege verbringen
den höchsten Anteil im
Krankenhaus (28,3 %)
 Pflege-Report 2015 WldO
Pflegende 2012 - 2030
Vorhanden/Ausbildung
 zurzeit ca 760.000 Pflegende im pflegerischen Bereich tätig
 davon Ausbildungsplätze im Umfang von ca. 70.000
 das bedeutet, dass jetzt schon 15% Ausbildungsplätze fehlen und
bis 2017 sich dieses auf 30% erhöhen wird
Bedarfe
 nach Berechungen vonPWC / WifOR fehlen 400.000 Pflegende
in Deutschland (Alten- und Krankenpflege)
 Rückgang der Schulabsolventen im Westen Deutschlands (2005)
von 12,5 Mill. auf (2020) 10 Mill., Verlust von 18%
 Rückgang der Schulabsolventen im Osten Deutschlands (2005)
von zu (2020) um 21%
10% entspricht ca. 76.000
Pflegende, diese Quote muss
immer wieder überprüft
werden
Pro Jahr 1.800
Studienanfänger (2013)
Wenn es bei dieser Kapazität
bleibt benötigen wir mehr als
40 Jahre
Daher empfiehlt der WR die
Einrichtung
von 5.400 Studienplätze (15
Jahre)
Florence Nightingale
Medizin – Pflege
Evidenzbasiertes Wissen
 Medizin: Krankheitsursache
finden und Therapie festlegen
 ca 15 – 20% des medizinischen
Wissens
 Pflege: Pflegebedarf ermitteln,
Unterstützung zur
Alltagsbewältigung geben
ca 0,5% des pflegerischen
Wissens
Mythen und Sagen…
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Beispiel RN4CAST*
 Zusammenhang zwischen Workload und Ausbildungsstand der
Pflegenden auf Mortalitätsrate nach chirurgischen Eingriffen
 300 Kliniken in 9 europäische Länder (Belgien, England, Finnland,
Irland, Niederlande, Norwegen, Schweden, Schweiz, Spanien)
[Deutschland, Polen, Griechenland nicht vertreten, da keine
Bachelor]
 400.000 Patientenfälle (2009 - 2010)
* Aiken et al. 2014: „Nurse Staffing and Education and hospital mortality in nine European contries: a
retrospective observational study“. The Lancet. DOI: 10.1016/S0140-6736(13)62631-8
12
Beispiel RN4CAST: Pflegende
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Beispiel RN4CAST: Ergebnisse
 Erhöhung des Workloads => Erhöhung der Mortalitätsrate

pro 1 Patient zusätzl. => 7% höhere Mortalitätsrate
 Erhöhter Anteil Bachelors => Verminderung der Mortalitätsrate

10% mehr Bachelors

weniger „Drehtüreffekt“
=> 7% geringere Mortalitätsrate
 Bestätigung früherer internationaler Studien

Pro investiertem 1$ => mindestens 0,75$ ökon. Benefit
14
Magnetkrankenhäuser
400 Krankenhäuser in den USA, entspricht 6,5%
(6 außerhalb der USA, keines in Europa)
15
Anforderungsprofil an Magnethäuser
 Kräfte des Magnetismus

Qualität der pflegerischen Führung

Organisationsstrukturen

Managementstil

Personalpolitik- und programme

Professionelles Pflegemodell

Qualität der Versorgung

Qualitätsverbesserung

Beratung und Ressourcen

Autonomie

Gemeinde und Gesundheitseinrichtung

Pflegende als Lehrer

Image der Pflege

Interdisziplinäre Beziehungen

Professionelle Entwicklung
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Freiheitsentziehende Maßnahmen im Krankenhaus
Krüger, C. (2011/2015)
Prävalenzerhebung über insgesamt 6 Monate bei 3.436
Patienten
4 Krankenhäusern (von 1200 – 420 Betten), eine
Vollerhebung und 3 Erhebungen zwischen 25% - 35 %, drei
Messpunkte
Ergebnis:
 390 FEM erfasst
 Unterschied zwischen den Stationen von
5,7% – 18,7 %
 8 Allgemeinstationen von insgesamt 48 wurden
keine FEM angewandt, 1 Intensivstation von 15
Stationen wurden keine FEM angewandt (hier
existierte eine Variationsbreite von 7,2 % - 80%)
 71% Anbringung von Bettgittern
 Problematik : Einzelzimmer, MRSA, keine
Schulungen zu FEM
 Hilfen : Mediatoren, Dokumentationsformulare,
Richtlinie, Nachtbeleuchtung, Sturzmatratzen
Werdenfelser Weg entwickelt ( Vormundschafts/
Betreuungsrichter, Verfahrenspfleger)
www.fem-leitlinie.de
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Warten und Durchhalten
Quernheim G. (2013)
Untersuchung der Bedeutung des Wartens
für Patienten auf eine Operation bei HüftKnie- und Wirbelsäulenoperationen
(25 Interviews )
„Durchhalten müssen“
(nervös, ängstlich, ruhig und gelassen,
Resignation, Hoffnung und Eskalation)
Einflussfaktoren:
Qualitätsverbesserung:
Dauer der Op-Verzögerung
Versichertenstatus
Krankheitsbezogene Bedingungen
Präoperative Schmerzsituation
Prämedikation
Dauer von Flüssigkeits- und
Patientenorientierung
Unaufgeforderte Information
Freundliche Pflegende
Für Bedürfnisse Zeit nehmen
Gezielter Umgang mit der Nüchternheit (2.
Nahrungskarenz
Exikose
Std. vorher noch trinken, 5 Stunden vorher noch
Essen)
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Konzepte der Begleitung von Menschen mit
Demenz in Krankenhäusern
 GISAD – Projekt Bethanien
Krankenhaus, Heidelberg
 Demenzcafe
Gemeinschaftskrankenhaus, Herdecke
 Altenpfleger zur Begleitung von
Menschen mit Demenz in St.
Franziskus-Krankenhaus, Münster
 Schulungsprogramm für Gesundheitsund KrankenpflegerInnen im AlbertinenKrankenhaus, Hamburg
 Expertenstandard
Entlassungsmanagement
 Rahmenempfehlungen zum Umgang mit
herausforderndem Verhalten
 Konsiliarischer Liaison-Dienst,
Kaufbeuren/lüdenscheid
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Akutversorgung im Altenheim
 Bewohner verbleiben in ihrer
gewohnten Umgebung

Zusammenarbeit mit einem
Krankenhaus
 Pflegeexperten übernehmen
die Versorgung
 Diagnosefindung wird
kurzfristig im Krankenhaus
durchgeführt
 Ärzte sind nicht nur
konsiliarisch tätig, sondern es
kann unter DGR abgerechnet
werden
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Versorgung akut erkrankter AltenheimbewohnerInnen im
Altenheim
Bienstein, C. et. al. 2013 - 2015
 1.229 Daten von Krankenhauseinweisungen (5 Altenheime, Zeitraum 2011 – 1.Quartal
2013)
 Häufigste Gründe, u.a.:

Sturz

Synkope

Somnolenz/Bewusstlosigkeit

Erbrechen

Neurologische Symptome

Verschlechterung des AZ
 Angaben bei Entlassung:

Frakturen/Prellungen/Wunden

Osteosynthes

Exikose
 Lösungsansätze:

Qualifizierung der Pflegenden in AH

Zusammenarbeit mit Ärzten und Krankenhaus verbessern

Netzwerke ausbauen

ANP in AH installieren
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Das Konzept der Unterstützung pflegender
Kinder
Metzing, S.(2011); Nagel-Cupal, Metzing (2013)
225.000 Kinder zwischen 3 – und 18 Jahre,
die ihre eigenen Angehörigen pflegen.
„Sie tun alles“
• wollen unbedingt in ihrer Familie bleiben
• haben schlechtere Chancen einen Schuloder Berufsabschluss zu erreichen
Erstes Zentrum für pflegende Kinder
http://www.supakids.de/cms/
23
Forderungen ANP
Schwerpunkt Family Health Care
Alma Ata (WHO 1978)
Ottawa Charta (WHO 1986)
Gesundheit 21 (WHO 1999)
Münchener Erklärung (WHO 2000)
EU-Richtlinie, 2005 (36/ EG:Nr. 39:26/Art. 22 b: 36) generalistische
Ausbildung der Pflegefachpersonen
Sachverständigenrat (SVR, 2007) Übertragung von Aufgaben
Pflegebildung Offensiv (DBR, 2008)
Pflegeweiterentwicklungsgesetz (PWG, 2008) § 63 (3 b , c)
Gutachten Igl (2008) Vorrang- und Vorbehaltsaufgaben
Sachverständigenrat (SVR 2009) Prävention von Pflegebedürftigkeit
Sachverständigenrat (2013) Versorgung in ländlichen Regionen, LVZ
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 http://medcontent.metapress.com/content/eg47n076q420501q/
 http://www.dbfk.de/download/download/Advanced-Nursing-Practice---Pflegerische-Expertise2013-02.pdf
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ANP optimiert die Pflege
 Hauptaufgabe: Gewährleistung
der Koordination, Kontinuität und
Qualität der Pflege für die
einzelne Patienten
 Nehmen diagnostische
Aufgaben wahr
 Initiiert und/oder begleitet
Implementierungs- und
Innovationsprozesse
 Fördert die Kompetenzen ihrer
Kollegen
 Hält selbstständige
Sprechstunden mit PatientInnen
ab
Ausbildung ANP (ICN)
Ausbildung
Gehobener
Ausbildungsstand
Formale
Anerkennung der Ausbildungsprogramme
Formale
Lizensierungs- Registrierungs-Zertifizierungs- oder Anerkennungsprogramme
Pflegepraxis
Forschung,
Case
Studium und klinisches Management werden verbunden
Management
Durchführung
Anerkannte
von Assessments, Beratung, Entscheidungsfindung
und ausgeprägte klinische Kompetenzen
Anerkennung
als erste Anlaufstelle im Gesundheitswesen
Regulierungsmechanismen
Das
Recht eine Diagnose zu stellen, Medikamente und Behandlungen zu verordnen,
Einweisungen und Überweisungen zu veranlassen
Titelschutz
Eine
spezifische, die ANP betreffende Gesetzgebung
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Pflegekompetenz
C. Olbrich 2010
 Regelgeleitetes Handeln

Fachwissen

Können und sachgerechtes
Anwenden

Vollzug in der Routine und der
vorgefundenen Normen
 Reflektiertes Handeln
 Situativ-beurteilendes Handeln

Wahrnehmung und Sensibilität
ist auf eine spezifische
Situation gerichtet

Handeln erfolgt auf der
Grundlage der Einschätzung
der Situation
 Aktiv-ethisches Handeln

Nicht nur Patient Gegenstand
der Reflexion sondern auch
die eigene Person

Aktiv werden (Kommunizieren,
Streiten, Handeln) auf der
Basis von Werten

Eigene Gefühle und
Gedanken werden
wahrgenommen

Es erfolgt Hilfe für den
Patienten/Bewohner

Wird kein Erfolg wirksam,
erfolgt Grenzendefinition
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Skill – and Grade Mix
Skill, beschreibt die Berufserfahrung und
individuellen Fähigkeiten
Skill- Mix, die beste
Teamzusammensetzung
Grade, beschreibt die offizielle
Ausbildung und
Weiterbildung/Zusatzqualifikation
Grade- Mix, stellt eine Durchmischung
unterschiedlicher Bildungsabschlüsse
dar
Die Zeit, dass Alle Alles machen
ist vorbei.
Sie wird dem Bedarf der Patienten/
Pflegebedürftigen nicht mehr
gerecht.
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Veränderungen, die erforderlich sind,u.a.
 Vorsorge stärken
 Vereinbarkeit von Familie, Beruf und
Angehörigenpflege
 Gemeinden beraten
 Zusammenarbeit mit
Wohnungsbaugesellschaften
 Unterstützung im Quartier
 Neue Wohn- und Lebensformen
entwickeln
 Gesundheitsangebote in
Discounterunternehmen





Friseuren
Tandempraxen
Schoolnurse
Pflegegeleitete Krankenhäuser
Pflegespezialisten in Alteneinrichtungen
und Krankenhäusern
 Akutbetten in Alteneinrichtungen
 Familien- und Gesundheitspflegende
http://www.dbfk.de/manifest/
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„ Die reinste Form des Wahnsinns ist es alles beim
Alten zu belassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich
etwas ändert.“
Albert Einstein
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