M. Aufrecht 1 Überlegungen zur Produktentwicklung in Managementsystemen der Baustoffindustrie MICHAEL AUFRECHT Baustoffüberwachungs- und Zertifizierungsverband Baden-Württemberg e.V., Rutesheim Einführung Produktentwicklungsprozesse sind Grundlage einer systematischen Umsetzung der Kundenanforderungen in Produktmerkmale. Die Flexibilität bei Rohstoffauswahl, Produktplanung und kurzfristige Lieferfähigkeit ist maßgebend für den Unternehmenserfolg. Bisherige Managementsysteme, zu denen auch die werkseigene Überwachung des Herstellverfahrens zählt, hatten die Produktprüfung am fertiggestellten Endprodukt als Schwerpunkt. In Abhängigkeit des erforderlichen Prüfalters von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten verstreicht kostbare Zeit für Lieferant und Abnehmer: dem Lieferanten fehlt eine Datenbasis für eine gezielte Produktverbesserung zur Erfüllung der Kundenforderungen, der Abnehmer wird in den wenigsten Fällen die fehlenden Zusagen wegen der noch ausstehenden Endprüfung zum Nachweis der von ihm geforderten Produktmerkmale tolerieren. In diesem Spannungsfeld ist nur dann ein Konsens möglich, wenn die Umkehr von einem statischen System der Eigenüberwachung über die werkseigene Produktionskontrolle hin zu einem unternehmensspezifischen Managementsystem gelingt. Nachfolgende Ausführungen sollen einen Einblick in die bislang gemachten Auditerfahrungen bei der Zertifizierung von Herstellwerken für zementgebundene Baustoffe, Gesteinskörnungen, Gips, Kalksandstein und Ziegel geben und einen Ausblick auf sich abzeichnende Entwicklungen aufzeigen. 2 M. Aufrecht Elementorientierte Managementsysteme Ausgehend von den Mindestanforderungen der Darlegungsnorm DIN EN ISO 9001 (08/94) ist die Vorgehensweise einer exakten Umsetzung der 20 NormElemente in einem Managemtsystem ein möglicher, erfolgreicher Weg. Die nachfolgend ausgewählten, klassischen Qualitätswerkzeuge werden dabei meist en bloc beschrieben und dem Anwender mit den zugehörigen Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt: • FMEA - Fehlermöglichkeits- und Einflußanalyse: Alle am Produktentwurf und damit an den Produktentstehungsphasen Beteiligten prüfen die in ihrem Bereich möglicherweise auftretenden Fehler oder Toleranzen, die zu Abweichungen von den gewünschten Anforderungen führen würden. Im Einzelfall müssen daraus Kenngrößen und Parameter abgeleitet werden, die einzuhalten sind. Oftmals werden dabei die Forderungen aus Produktnormen festgesetzt, die zwar notwendig, jedoch aufgrund der verschiedenartigen Interessensbeziehung zwischen Lieferant, Hersteller und Abnehmer nicht hinreichend sind. In jedem Fall ist die weitere Klassifizierung und Spezifizierung der bei der FMEA erarbeiteten Daten erforderlich. Durch gezieltes Wissensmanagement erfolgt die Dateneinbindung in Produktentwicklungsphasen durch koordinierte Zusammenarbeit der beteiligten Organisationsebenen. • QFD - Quality Function Deployment: Diese Methode ermöglicht die Einbindung der Kundenforderungen in den Produktentwurf, um die Produktplanung kreativ zu unterstützen. Von großer Bedeutung ist dabei die massgeschneiderte Formulierung von Zielen für die Abteilungen des Unternehmens, die Ausarbeitung von Zielkonflikten und deren Lösung in einem positiven AufwandNutzen-Verhältnis. Starre, elementorientierte Managementsysteme erscheinen den Mitarbeitern des Unternehmens oftmals in sich unschlüssig und unvollständig. Wortwahl und Gestaltung der Aufzeichnungen werden von Vorlagen, Musterdarstellungen oder übergeordeten Unternehmensrichtlinien ohne Anpassung an die Standortverhältnisse übernommen. Die Sicherstellung der Akzeptanz bei den Anwendern ist dadurch nur eingeschränkt möglich. M. Aufrecht 3 Prozessorientierte Managementsysteme Die zukunftsorientierte Weiterentwicklung eines betrieblichen Managementsystems wird von vielen Unternehmen in einem nach den Prozessen des Unternehmens gegliederten Managementsystems gesehen. Eine derartige Strukturierung erfordert zunächst die Identifikation der Unternehmensprozesse und der Ausgestaltung u.a. mit dem Ziel, Normforderungen zu erfüllen. Die Unternehmensprozesse werden in einer QM-Dokumentation festgehalten, die somit nicht mehr streng nach den geltenden Normelementen gegliedert ist. Die derzeit in der Entwurfsfassung vorliegende DIN EN ISO 9001 (05/99) hebt hervor, dass technische Forderungen an Produkte und das einmalige Tätigkeitsfeld des Unternehmens in ein prozessorientiertes Managementsystem nach folgender Struktur integriert werden können: • Verantwortung der Leitung: Kundenforderungen, gesetzliche Forderungen, Qualitätspolitik, Planung, QM-System, QM-Bewertung • Management der Mittel: Personal, Information, Infrastruktur, Arbeitsumgebung • Produktrealisierung: kundenbezogene Prozesse, Design und Entwicklung, Beschaffung, Produktion und Dienstleistungserbringung, Prüfmittelüberwachung • Messung, Analyse und Verbesserung: Messung und Überwachung, Lenkung von Fehlern, Datenanalyse zur Verbesserung, Verbesserung Produktentwicklungsprozesse werden in diesem Managementsystem-Konzept als Optimierungspotential im Sinne einer verfahrensbezogenen Weiterentwicklung aller am Wertschöpfungsprozess des Unternehmens Beteiligten deutlich: planerische, verfahrenstechnische, organisatorische und kontrollierende Maßnahmen sind hinsichtlich den Erfolgsgrößen Qualität, Kosten, Zeit und Kundenzufriedenheit miteinander in Einklang zu bringen. Während die bisherige Produktentwicklung in einem elementorientierten Managementsystem nahezu ausschließlich im angeschlossenen Prüflaboratorium abgewickelt wird, kann dies in einem prozeßorientierten Managementsystem nur durch Einbindung von Einkauf, Werkleitung, Prüfstelle und Verkauf erfolgen. Diese 4 M. Aufrecht Projektgruppe sollte von der Geschäftsleitung geführt werden, da eine Produktentwicklung eine Führungsaufgabe im Rahmen der Unternehmensstrategie darstellt und mit ausreichenden Mitteln auszustatten ist, deren zweckmäßige Verwendung in entsprechenden Kennzahlen dargelegt werden sollte. Die Unterscheidung zwischen Produktweiterentwicklung und Produktneuentwicklung ist häufig ein schmaler Grat, da in den Unternehmen der Baustoffindustrie ein gewisses Mass an Flexibilität aufgrund von Schwankungen oder Nichtverfügbarkeit der Ausgangsstoffe sowie der Einarbeitung von Kundenwünschen erforderlich ist. Phasen der Produktentwicklung Die Umsetzung der Produktentwicklung gliedert sich in in vier Phasen: Phase 1: • Sensibilisieren der Mitarbeiter, Ist-Zustand ermitteln und offenlegen • Zieldefinition mit zeitlicher Eingrenzung und Auswahl von Kennzahlen • Management muß Vorbildfunktion und Überzeugung vorleben Phase 2: • Informieren und Integrieren der Mitarbeiter • Schulung der Mitarbeiter • Schaffung einer Vertrauensbasis für die Produktentwicklung und Aufgabenzuordnung an die beteiligten Mitarbeiter • Festlegung der Begrifflichkeiten zur methodenübergreifenden Wissensverarbeitung als Kommunikationsgrundlage Phase 3: • Förderung und Unterstützung der Mitarbeiter durch Rückkopplung mit der Geschäftsleitung, Audits und Management-Review M. Aufrecht 5 Phase 4: • Realisierung von Verbesserungsvorschlägen der Mitarbeiter, Abschluß der Entwicklungsphase und Erstellung einer nachvollziehbaren Dokumentation Ursächlich werden Produktentwicklungen meistens als Reaktion auf externe Marktbedingungen eingeleitet. Der sich dabei aufbauende Druck auf die Mitarbeiter, den unvorgesehenen Anforderungen gerecht zu werden, erhöht das Fehlerrisiko und kann sich auf den Unternehmenserfolg negativ auswirken. Ein Agieren aus eigener Kraft wird zukünftig für kleine und mittlere Unternehmen noch schwieriger als bisher, da durch Rationalisierungsmaßnahmen personal- und anlagenspezifische Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind. Darstellung prozessorientierter Managementsysteme für Kunden Basierend auf einem nach DIN EN ISO 9001 (08/94) zertifizierungsfähigen Managementkonzept, das im Aufbau losgelöst von einer starren elementorientierten Gliederung in firmenspezifische Ablaufprozesse aufgebaut ist, soll ein Konzept einer praxisgerechten, prozessorientierten Darstellung dargestellt werden: 1. QM-(Kompakt)-Handbuch Die Darstellung des Unternehmens mit ausgewählten, kundennahen Ablaufprozessen, der Unternehmensstruktur, namentlicher Nennung der Ansprechpartner und deren Erreichbarkeit sollte den Leser ansprechen und Interesse für das Managementkonzept des Unternehms entwickeln. Bisherige Erfahrungen zeigen, daß Darstellungen bis ca. 8 Seiten die Obergrenze darstellen sollten. 6 M. Aufrecht Tabelle 1: Inhalte des QM-Kompakt-Handbuchs für den externen Gebrauch Unternehmens- Elemente bereich nach DIN EN Aussagen ISO 9001 Geschäftsleitung 4.1, 4.2, 4.4, Umsetzung der Managementaufgaben, Prin4.14, 4.17 zipien der Organisation, 4.18 Qualitätsanspruch an die hergestellten Baustoffe, Einbindung von Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen, regelmäßige, systematische interne Überprüfung, Qualifikation der Mitarbeiter, Nachweis der externen Überprüfung durch Zertifizierung Einkauf 4.3, 4.6, 4.7 Zusammenarbeit mit Lieferanten, Anspruch an Rohstoffqualität Marketing, 4.3, 4.15, 4.19 Bearbeitung von Kundenanfragen, Ange- Verkauf botserstellung, Auslieferung und Kundenbetreuung Werkleitung 4.8, 4.9, 4.13 Lenkung und Überwachung des Herstellverfahrens Prüfstelle, Labor 4.4, 4.10, Entwicklung und Prüfung der Produktqualität 4.11, 4.12 QM-Beauftragter 4.2, 4.5, 4.16, Einrichtung und Pflege des Managementsy- Spedition 4.17 stems 4.15 Auslieferung mit Subunternehmen erfolgt nach festgelegten Qualitätsvereinbarungen Lieferanten 4.6 Abschluß von Qualitätsvereinbarungen mit Zulieferern (z. B. Stichprobenprüfung im Lieferwerk) M. Aufrecht 7 Aufbau und Einführung Unternehmen Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten der Vorgensweise mit Vor- und Nachteilen bei der Erstellung und Einführung eines QM-Systems: • Der QM-Beauftragte erstellt nach Befragung der Bereiche sämtliche Prozessbeschreibungen und führt diese mit den zuständigen Leitern ein. Diese ist die am häufigsten praktizierte Vorgehensweise. Vorteilhaft ist der relativ geringe zusätzliche Aufwand für die Betroffenen, da sämtliche Arbeiten durch den QM-Beauftragten durchgeführt werden. Bei ungenügender Zusammenarbeit der Betroffenen mit dem QM-Beauftragen werden die Anweisungen häufig als Fremdkörper betrachtet, der erst mittelfristig integriert werden kann. Nach der Implementierung der QM-Regelungen erfährt der QM-Beauftragte oftmals nur teilweise von Verfahrensänderungen, die nicht ausreichend eingearbeitet werden können, da der QM-Beauftragte aufgrund seiner Arbeitsbelastung mit anderen Aufgaben diese Funktion nur noch eingeschränkt wahrnehmen kann. • Jeder Bereichsleiter ist für die Erstellung und Pflege der Prozessbeschreibungen selbst verantwortlich. Der QM-Beauftragte wirkt bei der Gestaltung und Wahrung einer einheitlichen Form sowie bei der Anwendung der Managementtechniken (z. B. Dokumentenüberwachungs-verfahren, internes Audit, kontinuierliche Verbesserung) mit. Diese Vorgehensweise ist besonders für Unternehmen mit teamorientierter Führung zu empfehlen, in denen z. B. der Junior-Chef die Funktion des QM-Beauftragten übernimmt. Wenn der QMBeauftragte sich vorab die notwendigen Managementkenntnisse angeeignet hat und die Bereichsleiter geschlossen hinter der Einführung eine firmenspezifischen Managementsystem stehen, ist diese Variante sicherlich die effizienteste, erfolgreichste und dauerhafteste Vorgehensweise, da die Eigenverantwortung nicht angetastet wird und der Unternehmenserfolg transparent wird. Ferner sind bereichsspezifische Erweiterungen wie z. B. um Umweltschutz, Arbeitssicherheit, Controlling oder Dienstleistungen für Dritte jederzeit möglich. 8 M. Aufrecht Umsetzung von Produktentwicklungsprozessen Eine Optimierung bei der Ablaufgestaltung von Produktentwicklungen ist nur möglich, wenn nachfolgende Grundprinzipien projekt- und unternehmensbezogen ausgestaltet werden. Es soll hier beispielhaft insofern erläutert werden, daß Kleinstunternehmen wie mittelständische Betriebe einen Lösungsansatz finden. 1. Markt- und Kundenforderungen abfragen und festlegen. 2. Zeitplan und Investitionsvolumen eingrenzen. 3. Beschaffung qualifizierter Ausgangsstoffe, Herstellverfahren und Dienstleistungen regeln. 4. Beschreibung der Vorgehensweise in kurzen Textabschnitten oder Darstellung in Ablaufdiagrammen mit schrittweiser Benennung der Verantwortlichkeiten, Terminsetzung und Ausarbeitung von Aufzeichnungen/Softwarelösungen. 5. Übergeordnete Koordination und Prüfung der Einhaltung der Prozessabläufe durch den Projektleiter. 6. Reproduzierbare Entscheidungsfindung.Vervollständigung der Dokumentation mit den Aufzeichnungen sämtlicher Teilschritte sowie des Dokumentenüberwachungsverfahrens. Dieses sollte als Matrix aufgebaut sein, in der die Gliederung der Vorgehensweise, Verteiler, Dateinamen und Revisionsstand aufgeführt sind. Zusammenfassung Im Mittelpunkt eines Managementsystems stehen einzelne Tätigkeiten von Mitarbeitern eines Unternehmens. Die Herausforderung für die Unternehmensleitung zur Erzielung eines Erfolges besteht in Nutzung der Leistungsträgerschaft und Bereitschaft des einzelnen Mitarbeiters. Ein Netzwerk dieser verknüpften Tätigkeiten ergibt den Prozess. Prozesse wiederum sind koordinierte Aktivitäten, um Politik und Ziele zu etablieren und diese Ziele auch umzusetzen. Die Organisation dieser Aktivitäten erfolgt durch den Beauftragten der obersten Leitung mit Hilfe des Managementsystems. M. Aufrecht 9 Die Architektur von Produktentwicklungsprozessen ist individuell und nicht standardisierbar. Prozesskenngrößen als Eingangs-, Führungs- und Ergebnisparameter sind unabdingbar für die Erfolgssicherung. Formalismus, Technikfeindlichkeit der Darstellung, schlechte Schnittstellenanbindung, Unfähigkeit zur Umsetzung von Veränderungen dienen der Demotivation und zeigen das Mißtrauen in die Funktionsfähigkeit eines gelebten, nach außen vielleicht weniger perfekten Systems. Die Umgestaltung der Produktnormen im Rahmen der europäischen Harmonisierung fordert von den Unternehmen eine Abkehr von der ehemaligen Eigenüberwachung der Produkte über die werkseigene Produktionskontrolle des Herstellverfahrens hin zu einem Handbuch zur Prozesslenkung des Herstellers. Dabei steht es den Unternehmen offen, eine Ausgestaltung exakt nach den Darlegungsnormen für QM-Systeme vorzunehmen oder den Konformitätsnachweis anhand individueller Regelungen zu erbringen. Es gilt, diese Entwicklung als Chance zur Reorganisation, Vereinfachung und Innovation im Sinne der Sicherung des Unternehmenserfolges zu verstehen und zu verwirklichen.
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