brüderECHO - Barmherzige Brüder

04/2015
brüderECHO
brüderECHO
Fotos: ohsjd.org, Franz Zalubil
Neues von den Barmherzigen Brüdern Österreich
Spanische Auszeichnung
Tschechien
„Sie erfüllen einen
selbstlosen Dienst“
Coelestin-Opitz-Preis
in Prag verliehen
König Felipe würdigte den Kampf des Ordens gegen Ebola
und verlieh am 23. Oktober den Prinzessin-von-Asturien-Preis.
Ende Oktober wurde bereits zum sechsten Mal der
Coelestin-Opitz-Preis verliehen.
n
n
„Hingabe, Großmut und Professionalität gegen Armut und Krankheiten wie Ebola“ - mit diesen Worten würdigte der spanische
König Felipe den Einsatz gerade auch von Ordensleuten, „die sich
weltweit für die Linderung des Leidens der Menschen einsetzen, die
besonders benachteiligt sind“. Über die Barmherzigen Brüder sagte
er: „Sie, die das menschliche Leiden aus nächster Nähe kennen,
erfüllen einen selbstlosen Dienst, der aus ihrem Daseinsgrund,
aus ihrem Glauben und aus ihrem Pflichtbewusstsein erwächst.“
Der Preis, den der Orden für Völkerverständigung erhielt, wird
jedes Jahr in acht Kategorien vergeben. König Felipe überreichte
die Auszeichnung an Generalprior Pater Jesús Etayo. Er widmete
den Preis bedürftigen Menschen: „Es ist in meinen Augen wichtig
darauf hinzuweisen, dass alle Auszeichnungen und Preise eigentlich
diejenigen würdigen, für die wir sorgen.“
Ausgezeichnet wurden Personen, die sich im Gesundheits- und Sozialbereich für Kranke oder Bedürftige engagieren: MitarbeiterInnen
der Caritas Prag (im Bild mit Frater Martin Macek, Prior in Brünn),
die in Uganda eine Klinik betreibt, und der Priester Marián Kuffa.
Er baute in Žakovce (Slowakei) eine Einrichtung für Haftentlassene,
Obdachlose, Prostituierte und Waisenkinder auf. Die Caritas Prag
gründete 2007 eine Klinik in Uganda. Die Behandlung konzentriert
sich auf die Behandlung von Malaria, Tuberkulose, HIV-Infektionen
und Mangelernährung, aber auch chirurgische Eingriffe werden
durchgeführt. Ermöglicht wird das Projekt durch Spenden aus
Tschechien. Benannt ist der Preis nach Frater Coelestin Opitz, der
1847 im Prager Ordenskrankenhaus einen Arm unter Vollnarkose
amputierte. Damit war er der erste, der in der Donaumonarchie
einen größeren Eingriff unter Narkose erfolgreich durchführte.
orden
Berlin
Klinik Award:
Zweimal Silber für Marketing
„Made in Styria“
In Berlin fand der diesjährige Klinikmarketing-Kongress statt, dem am Abend die
Preisverleihung zum Klinik Award im Konzerthaus Berlin folgte. Die Steiermark war
dabei stark vertreten – gleich zwei eingereichte Projekte der Barmherzigen Brüder
in der Kategorie „Sonderpreis der Jury“ wurden mit Silber ausgezeichnet.
Foto: rotthaus.com – Sebastian Runge
Johannes von Gott-Pflegezentrum der
Barmherzigen Brüder in Kainbach bei
Graz aufgeführt werden. Als Projektleiterin der Passionsspiele erzählte sie
vom 40-köpfigen Theater-Ensemble,
bestehend aus Menschen mit und ohne
Behinderung, die auf berührende Weise
das Leben Jesu aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln erzählen.
Durch ein sehr engagiertes Projektteam und das Ensemble sprang bei den
Passionsspielen 2014 der Funke der
Begeisterung auf sehr viele Menschen
über, welche in Folge zu Partnern und
Mitträgern des Projektes wurden. So
wurden die „Kainbacher Passionsspiele“
verfilmt, im ORF übertragen und eine
DVD und Musik-CD produziert.
v.l.: Mag. (FH) Lydia Haider (Leitung Öffentlichkeitsarbeit), Prim. Dr. Werner Friedl
(Ärztliche Leitung Walkabout), Mag. Martina Pusterhofer (Theaterpädagogin)
Am 11. November fand im Konzerthaus
Berlin die Preisverleihung zum Klinik
Award 2015 für hervorragende Leistungen
im Bereich des Klinikmarketings statt.
Zwei von den Barmherzigen Brüdern
eingereichte Projekte, die „Kainbacher
Passionsspiele 2015“ des Johannes von
Gott-Pflegezentrums und das „Walkabout
Comic“ der Therapiestation für Drogenkranke „Walkabout“ wurden von der
international besetzten Jury des „Klinik
Award“ jeweils mit Silber in der Kategorie
„Sonderpreis der Jury“ ausgezeichnet.
Leistungen im Bereich Klinikmarketing
des deutschsprachigen Raums ausgezeichnet und ein Anreiz für mehr Transparenz und Wettbewerb im Klinikmarkt
geschaffen. Die nominierten Projekte
wurden im Rahmen des ganztägigen Klinikmarketing-Kongresses in Berlin einem
Fachpublikum präsentiert. So bot sich
die Möglichkeit, im persönlichen Dialog
mehr über die einzelnen Marketing-Projekte zu erfahren.
Thomas Bogensberger, ORF-Redakteur
und Regisseur des Films „Kainbacher
Passionsspiele“, beschrieb seine Eindrücke so: „Die Kunst der Inszenierung
und des Spiels holt das Geschehen
mitten ins 21. Jahrhundert: dabei ist es
für Zuschauer und Mitwirkende ohne
Bedeutung, wer als Person welche
Besonderheit oder Behinderung auf die
Bühne mitbringt: das ist barrierefreies
Miteinander.“ Dass Inklusion ganz ohne
Theater passieren kann und das gelebte
barrierefreie Miteinander überzeugte
auch die Jury des Klinik Awards.
Barrierefreies Miteinander
Comics gegen Drogen
Mit dem Klinik Award, der in der Presse
als „Oscar der Krankenhausbranche“
bezeichnet wird, werden hervorragende
Theaterpädagogin Mag. Martina Puster­
hofer präsentierte die „Kainbacher
Passionsspiele“, die alle zwei Jahre im
Das von Mag. (FH) Lydia Haider, Leiterin
der Öffentlichkeitsarbeit der Einrichtungen in Kainbach bei Graz, präsentierte
04/2015
Walkabout-Comic wurde in erster
Linie konzipiert, um Aufmerksamkeit
zu erzielen und für das Thema „Sucht“
zu sensibilisieren. Der banale Satz „Ein
Bild sagt mehr als tausend Worte“ hat
dabei besonderen Stellenwert, denn was
nicht wahrgenommen wird, wird nicht
verarbeitet und nicht erinnert.
Fotos: BB Kainbach
So entstand ein Comic, das den Leidensdruck vieler Drogenkranker in Form
von Bildern sicht-, spür- und erlebbar
macht. In starken Bildern und Texten
zeigt es den Weg eines Jugendlichen
in die Sucht und seinen persönlichen
Weg aus der Sucht. Die autobiografische Geschichte des drogenkranken
Patienten wurde mit ihm als Teil seiner
Therapie in einer Schreibwerkstatt auf
„Walkabout“ zu Papier gebracht und
mit BravoINK gestalterisch umgesetzt.
Unter dem Titel „Vor’m Anfang kam das
Ende, aber jedes Ende ist auch ein neuer Anfang“ richtet sich das mit Silber
ausgezeichnete Comic an Interessierte,
Betroffene, Eltern, Beratungsstellen
und Schulen. Es ist im HerzStern-Verlag gelistet und in der Steiermark kostenfrei über die Walkabout Ambulanz
Mariahilf in Graz erhältlich. n
walkabout comic
www.bbwalkabout.at
brüderecho
Zum Geleit
Sehr geehrte
Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter!
Das „Jahr der Barmherzigkeit“, das am
8. Dezember begonnen hat, steht unter
dem Motto „Barmherzig wie der Vater“.
Wenn wir Gott suchen, der immer bereit ist
zu verzeihen, wird es uns leichter fallen, zu
barmherzigen Menschen zu werden. Die
Einladung Christi: „Seid barmherzig, wie
es auch euer Vater ist“ (Lk 6,36), wird dann
persönlich und konkret.
Der hl. Johannes von Gott
lebte aus der Erfahrung der
göttlichen Barmherzigkeit.
Ich wünsche uns allen eine
ähnliche Erfahrung, denn sie
kann Leben verwandeln!
Das erleben wir jeden Tag,
wenn wir ein wenig darauf
achten, wie professionell und
menschlich sich unsere Kolleginnen und Kollegen für die
uns anvertrauten Personen und füreinander
einsetzen! Daraus entsteht Großes, wie die
verschiedenen Auszeichnungen bestätigen,
die der Orden in letzter Zeit entgegennehmen durfte. Darüber berichten wir hier
natürlich sehr gerne.
kainbacher passionsspiele 2014
www.kainbach.at/passion
Dass es auch viele andere „Zeugen der
Barmherzigkeit“ gibt, zeigt der Bericht über
unseren traditionellen Coelestin-OpitzPreis. Den haben diesmal ein Priester erhalten, der sich sehr für Obdachlose einsetzt
sowie die Caritas Prag.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Angehörigen
ein frohes Weihnachtsfest und Gottes
Segen für das kommende Jahr und sage
Vergelt’s Gott für Ihre Arbeit!
Mit freundlichen Grüßen,
n
Frater Joachim Mačejovský,
Provinzial
orden
Weltkirche
Heiliges Jahr der Barmherzigkeit
Am 8. Dezember 2015 begann das von Papst Franziskus ausgerufene „Heilige
Jahr der Barmherzigkeit“, in dem er die Barmherzigkeit als einen zentralen
Begriff des Christentums wieder mehr in den Vordergrund stellen möchte.
Wie Barmherzigkeit konkret gelebt werden kann, das formuliert die christliche
Tradition in den „Werken der Barmherzigkeit“. Zu den leiblichen Werken der
Barmherzigkeit gehören: Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Nackte
bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke
pflegen, Gefangene besuchen und die
Toten begraben. Zu den geistigen Werken
der Barmherzigkeit zählen: den Zweifelnden recht raten, die Unwissenden lehren,
die Sünder zurechtweisen, die Betrübten
trösten, Beleidigungen verzeihen, die
Lästigen geduldig ertragen und für die
Lebenden und Verstorbenen zu beten.
Barmherzigkeit ist ein zentraler Begriff
des Christentums, der das Wesen
Gottes beschreibt. Im „Lexikon für
Theologie und Kirche“ wird sie als
„freie und freigiebige, nicht geschuldete, liebend-vergebende Hinwendung
Gottes zum Geschöpf“ beschrieben.
„Seid barmherzig, wie es auch euer
Vater ist!“ fordert Jesus im LukasEvangelium (6,36). Darauf nimmt das
Motto des Heiligen Jahres „Barmherzig wie der Vater“ Bezug und deutet
damit dessen doppelte Ausrichtung an:
Einerseits die Barmherzigkeit Gottes
zu erfahren, die uns das Herz öffnet
für die Hoffnung, dass wir von ihm für
immer geliebt sind. Und andererseits
den Nächsten mit den Augen Gottes
zu sehen, sich anrühren zu lassen und
auf seine Nöte und Bedürfnisse zu
antworten.
Beim Durchdenken der Werke sollte jeder
für sich erkennen, für welches er Talente
hat. Aber auch die Kirche solle immer
mehr „Dienerin und Mittlerin“ der Liebe
Gottes werden, so der Papst. „In unseren
Pfarren, Gemeinschaften, Vereinigungen
und Bewegungen, das heißt überall,
wo Christen sind, muss ein jeder Oasen
der Barmherzigkeit vorfinden können“,
schreibt er in der Eröffnungsbulle zum
Heiligen Jahr. Er selbst möchte in diesem
Jahr seine Aufmerksamkeit für „Menschen in existenziellen Randsituationen“
verstärken und die persönliche Begegnung suchen.
Heilige Jahre
Die Tradition der Heiligen Jahre ist mehr
700 Jahre alt. 1300 rief Papst Bonifatius
VIII. erstmals eines aus. Das nächste
sollte nach 100 Jahren folgen, der
Abstand wurde aber immer weiter verringert. Seit 1475 sind es 25 Jahre, denn
jede Generation sollte ein solches Jahr
erleben. Der Papst kann darüber hinaus
weitere Heilige Jahre ausrufen, zuletzt
war das 1983 der Fall. In diesen Jahren
sind die Gläubigen eingeladen, die Bezie-
hung zu Gott und den Mitmenschen zu
erneuern.
Das Logo
Das Logo präsentiert sich als eine
kleine „Summa Theologiae“ zum Thema
der Barmherzigkeit. Es zeigt den Sohn,
der sich den verlorenen Menschen auf
die Schultern lädt. Hier wird ein Bild
aufgegriffen, das schon die Urkirche
schätzte, weil es die Liebe Christi zeigt,
der seine Menschwerdung im Werk
der Erlösung zur Vollendung führt. Im
Bild wird deutlich, wie der gute Hirte
in direkten Kontakt mit dem Menschen
kommt: Er tut dies mit einer Liebe, die
in der Lage ist, Leben zu verändern.
Der gute Hirte trägt symbolisch die
Menschheit auf den Schultern und
seine Augen verbinden sich mit denen
des Menschen. Christus sieht mit dem
Auge Adams, und dieser mit dem Auge
Christi. Jeder Mensch entdeckt also in
Christus, dem neuen Adam, die eigene
Menschlichkeit und, indem er in Christi
Blick die Liebe des Vaters wahrnimmt,
die Zukunft, die ihn erwartet.
Die Szene ist von einer mandelförmigen
Figur eingefasst, eine in der antiken
und mittelalterlichen Ikonographie
beliebte Form, welche die gleichzeitige Präsenz der göttlichen und der
menschlichen Natur in Christus ausdrückt. Die drei konzentrischen Ovale
mit ihrem progressiven, nach außen
immer heller werdenden Farbverlauf
symbolisieren die Bewegung Christi,
der den Menschen aus der Macht
der Sünde und des Totes zum Licht
bringt. Auf der anderen Seite steht die
tiefdunkle Farbe im Zentrum auch für
die Undurchdringlichkeit der Liebe des
Vaters, der alles verzeiht. n
04/2015
brüderecho
Wien
Fußballturnier
Mitte November trafen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Provinzialats, der Krankenhäuser in Wien und Eisenstadt sowie Auszubildende
der Pflegeakademie und vier Ordensbrüder, um ein freundschaftliches
Hallenfußballturnier auszutragen. Nach einem spannenden Turnierverlauf
wurde das Team aus Eisenstadt durch einen Sieg im letzten Spiel gegen
das Team des Wiener Krankenhauses zum Sieger gekürt. Den dritten Platz
belegte das Team der Pflegeakademie. Das „Team Orden“ mit Mitarbeitern
des Provinzialats und vier Ordensbrüdern hingegen nahm in der Verteidigung den Ordensgrundsatz der Hospitalität, also Gastfreundschaft, wohl
etwas zu ernst und belegte daher den vierten und letzten Platz.
n
Foto: Team „Orden“ mit den Brüdern Johannes, Johnson (hinten 1.u.2.v.l.), Saji
(vorne 1.v.l.) und Thomas (vorne 1.v.r.) und Mitarbeitern des Provinzialats
Linz
Mit dem Hofkammerdekret Nr. 72 vom 7. Jänner 1791 gestattete
Kaiser Joseph II. den Barmherzigen Brüdern in Linz die Errichtung einer
öffentlichen Apotheke, der damals vierten in der Stadt. Trotz einer
Beschwerde der drei bisherigen Linzer Apotheker konnte die Apotheke
am 29. Dezember 1791 offiziell eröffnet werden. Untergebracht war sie
im Benefiziatsstöckel des ehemaligen Karmelitinnenklosters, das Joseph
II. aufgelöst hatte. Bis 1920 wurde die Apotheke von einem Bruder als
Provisor geleitet. Seither liegt die Leitung der Apotheke in weltlichen Händen. 1936/37 wurde das „Apothekerstöckl“ abgetragen und ein Neubau
errichtet. 1979 erfolgte eine Generalsanierung und 1999 ein Umbau des
Innenraums. Modernisierungen und Innovationen prägten die Apotheke in
den vergangenen Jahren, so eröffnete sie im Vorjahr eine Online-Apotheke:
apotheke.barmherzige-brueder.at
n
Pinsdorf
Zweisprachiges Bilderbuch
Nur wenige Schritte von der Lebenswelt Pinsdorf entfernt liegt die Volksschule des Orts. Durch diese räumliche Nähe ergaben sich seit Eröffnung
der Lebenswelt 2011 immer wieder gemeinsame Aktivitäten. Ein wohl
einmaliges Projekt wurde 2012 verwirklicht: Volksschulkinder und gehörlose Menschen erarbeiteten gemeinsam ein Bilderbuch in Schrift- und
Gebärdensprache. Auszeichnungen wie „PHILIPP. Der Lese-Award 2012“ als
bestes Leseprojekt Österreichs im außerschulischen Bereich und der „Ober­
österreichische Bildungskristall“ bestärkten Volksschule und Lebenswelt,
die Kooperation zu vertiefen. Ergebnis ist das eben erschiene Bilderbuch:
„Bibbi & Bobbo – Die Freundschaftsprobe“. Wie schon im ersten Band geht
es um hörende und gehörlose Fantasiewesen. (net-Verlag, € 15,50)
n
Foto: Michael Hierner / hierner.info
225 Jahre Apotheke
O RD E N
Jahr der Barmherzigkeit
Mit offenen Augen von
Jerusalem nach Jericho
Wenn am 8. Dezember 2015 in der Katholischen Kirche weltweit das „Jahr der Barmherzigkeit“
beginnt, dann wird auch regelmäßig das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter erwähnt werden.
Diese Erzählung beinhaltet zahlreiche Denkanstöße, von denen viele ethische Relevanz für unsere
Arbeit in den Einrichtungen der Barmherzigen Brüder besitzen.
Bild: Paula Modersohn Becker
Im Anschluss an dieses Gleichnis fragt
Jesus nun den Gesetzeslehrer, wer sich
denn in der Lehr-Erzählung als Nächster
des Niedergeschlagenen erwiesen hat.
Der Gesetzeslehrer versteht: es war der
Samariter, der barmherzig gehandelt hat.
Und was hat das mit Ethik zu tun?
Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter ist eine oft wiedergegebene Lehr­
erzählung Jesu. Die Erzählung hat einen
Vorspann. Dabei fragt ein Gesetzeslehrer
Jesus, was er tun müsse, um das ewige
Leben zu gewinnen, d.h. vollkommenes
Glück. Der Gesetzeslehrer und Jesus sind
sich über die Antwort einig: Gottes- und
Nächstenliebe sind der Schlüssel zum
Glück. Doch der Gesetzeslehrer fragt
nach: „Und wer ist mein Nächster?“ –
Auf diese Frage erzählt Jesus das folgende Gleichnis:
Wer ist mein Nächster?
„Ein Mann ging von Jerusalem nach
Jericho hinab und wurde von Räubern
überfallen. Sie plünderten ihn aus und
schlugen ihn nieder; dann gingen sie
weg und ließen ihn halb tot liegen.
Zufällig kam ein Priester denselben Weg
herab; er sah ihn und ging weiter. Auch
ein Levit kam zu der Stelle; er sah ihn
und ging weiter. Dann kam ein Mann
aus Samarien, der auf der Reise war.
Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu
ihm hin, goss Öl und Wein auf seine
Wunden und verband sie. Dann hob er
ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer
Herberge und sorgte für ihn. Am anderen
Morgen holte er zwei Denare hervor,
gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für
ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst,
werde ich es dir bezahlen, wenn ich
wiederkomme.“ (Lk 10, 30–35)
Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter hat natürlich einen religiösen Kontext.
Wie es im Vorspann bereits geheißen hat,
ist es für den Gesetzeslehrer und Jesus
klar, dass die Gottesliebe ein notwendiger
Aspekt für ein gelungenes, geglücktes –
ein „ewiges“ – Leben ist. Bereits der
Gesetzeslehrer weist darauf hin, dass die
Gottesliebe zwar ein notwendiger, aber
kein hinreichender Aspekt für das ewige
Leben darstellt. Zugleich ist nämlich die
Nächstenliebe nötig. Wie wir Menschen
miteinander umgehen, ist aber eine
ethisch relevante Frage – eine Frage, in
der unsere Moral, unsere Lebensziele und
unser Charakter mitspielen.
Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter enthält eine Fülle ethisch relevanter
Aspekte, die in diesem Artikel und in
den drei folgenden Ausgaben beleuchtet
werden:
• Im heutigen Beitrag wird es um die
Haltung der offenen Augen gehen.
• In der ersten Ausgabe 2016 wird
gezeigt, wie die Sorgen und der Druck
des Alltags trotz aller Haltung der
offenen Augen selbst einen „barmherzigen Samariter“ blind machen können.
04/2015
• In der zweiten Ausgabe 2016 wird deutlich, dass ethisches Verhalten mitunter
erfordert, sich die Hände schmutzig zu
machen.
• Und in der dritten Ausgabe 2016 gehen
wir einen Schritt über das individuelle
Verhalten des Samariters hinaus und
werden sehen, dass es längerfristig nötig
ist, an der Straße von Jerusalem nach
Jericho zu arbeiten.
Eine Frage der Haltung
Die erste ethisch relevante Lektion, die im
Gleichnis vom Barmherzigen Samariter
enthalten ist, betrifft unsere Haltung.
„Haltung“ ist ein ethisch sehr alter Begriff,
der heute gerne in Beruf und Politik
angeführt wird, wenn man Standfestigkeit
und Integrität ausdrücken möchte. Eine
Haltung ist jedoch nicht nur auf diese
Persönlichkeitsmerkmale reduziert. Der
Begriff ist eigentlich viel allgemeiner zu
verstehen und drückt sich sehr gut in
folgendem Sprichwort aus:
„Achte auf deine Gedanken, denn sie
werden deine Worte. Achte auf deine
Worte, denn sie werden deine Taten. Achte
auf deine Taten, denn sie werden deine
Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn er wird
dein Schicksal.“
Haltungen bilden sich durch wiederholte,
eingeübte Handlungen aus. So setzt sich
zum Beispiel eine hilfsbereite Haltung aus
zahlreichen einzelnen Handlungen zusammen, die ein Mensch immer wieder setzt.
Weder genügt ein bloßes Lippenbekenntnis („Ich möchte hilfsbereit sein.“), noch
eine singuläre Aktion („Ich habe einmal
einem Patienten, der sich verirrt hat, den
Weg gewiesen.“). Von einer Haltung wird
erst gesprochen, wenn in das Verhalten eine gewisse Beständigkeit kommt.
Haltungen beschreiben deshalb eine
verlässliche Eigenschaft, die ich anderen
Menschen zuschreibe oder die mir von
anderen Menschen zugeschrieben wird.
Die Beständigkeit einer Haltung kommt
vielleicht am besten dann zum Ausdruck,
wenn das Verhalten auch unter schwierigen Bedingungen, in der Krise, Bestand
hat. Es mag manchmal schwierig genug
brüderecho
sein, unter „Schönwetterbedingungen“
gegenüber anderen Menschen hilfsbereit
zu sein; aber von einer erprobten Haltung
der Hilfsbereitschaft wird man wohl vor
allem dann sprechen, wenn jemand auch
unter widrigen Umständen anderen hilft;
etwa dann, wenn er für seine Hilfe kein
Lob bekommt, sondern vielleicht sogar
angefeindet wird.
Eine Mystik der offenen Augen
Von religiösen Menschen wird bisweilen
gesagt, sie haben eine „mystisch-spirituelle“ Haltung. Meistens meint man damit
ein beständiges Verhalten, das die Nähe zu
Gott sucht und Ausdruck der eingangs aus
dem Vorspann zum Gleichnis erwähnten
Gottesliebe ist. Diese Haltung wird nicht
selten gleichgesetzt mit einer sehr weltabgewandten, in-sich-gekehrten, kontemplativen Lebensweise.
Im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter
begegnet uns diese Haltung prototypisch
im Priester und im Leviten. Beide Männer
waren ihren formalen Ämtern zufolge sehr
fromm, sie gehörten den Gruppen an, die
den Gottesdienst im Jerusalemer Tempel
durchzuführen hatten. In der Erzählung
heißt es von beiden, sie „sahen“ den
Niedergeschlagenen, aber gingen weiter.
Der Theologe Johann Baptist Metz meint
zu diesem Verhalten:
Priv.-Doz. Dr. Jürgen Wallner
Leiter Personalmanagement,
Organisationsentwicklung,
Ethikberatung im KH Wien
buchtipp
Johann Baptist Metz:
Mystik der offenen Augen:
Wenn Spiritualität aufbricht. Freiburg: Herder; 2.
Auflage 2011. EUR 27,70.
„Der Priester geht vorüber, sieht und sieht
doch nicht, der Levit geht vorüber, sieht
und sieht doch nicht. Ihre Religiosität
hat keine Augen für die Anderen. Jesus
insistiert: Wer nicht aufwacht, wer die Augen nicht öffnet, kurzum, wer nicht genau
hinsieht, ist auch nicht für den Tempel
disponiert, ihm bleibt auch das göttliche
Geheimnis verschlossen. Im Entdecken,
im ‚Sehen‘ von Menschen, die in unserem
alltäglichen Gesichtskreis gerne gemieden werden und die deshalb zumeist
unsichtbar bleiben, beginnt der Vorschein,
beginnt die Sichtbarkeit Gottes unter uns,
befinden wir uns in seiner Spur.“
Die Haltung des Priesters und Leviten war
also eine des Nicht-sehen-Wollens (bewusstes Wegsehen) oder des Nicht-sehenKönnens (unbewusstes Wegsehen). In der
Regel wird die erstgenannte Haltung, die
des bewussten Wegsehens, als die ethisch
eine haltung der
offenen augen
zu bewahren ist
professionell
orden
Der Samariter, der ebenfalls den Weg
entlang kommt, sieht den Niedergeschlagenen einerseits genauso wie der
Priester und der Levit zuvor. Aber der
Samariter sieht ihn mit anderen Augen,
mit einer anderen Haltung: sie wird als
jene des „Mitleids“ übersetzt – eigentlich
der „Barmherzigkeit“. Für Johann Baptist
Metz kommt darin auch eine andere
Spiritualität zum Ausdruck: eine „Mystik
der offenen Augen“. Sie sucht ihr Heil
nicht in einem Jenseits, sondern sieht
das Unheil in dieser Welt und handelt
hier und jetzt barmherzig gegenüber den
Menschen in Not.
Was wir für unsere Alltagsethik lernen können
Die erste ethisch relevante Lektion aus
dem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter lautet also: Ich sollte eine Haltung
der offenen Augen kultivieren, wenn ich
durchs Leben gehe. Im Alltag (ob beruflich oder privat) ist es gar nicht so leicht,
eine solche Haltung auszubilden und
durchzuhalten. Die Sinneseindrücke, die
uns heute konfrontieren, sind bei weitem
mehr oder vielschichtiger als jene, die
auf der kargen Straße von Jerusalem
nach Jericho warteten. Im Alltag drohen
daher Patientinnen oder Bewohner,
Angehörige und Kolleginnen, unbeachtet zu bleiben – gerade dann, wenn sie
unsere Achtsamkeit vielleicht am meisten
bräuchten. Jede Pflegeperson, die in einer
Akutambulanz arbeitet, weiß, dass sie
ein besonderes Auge auf jene Patienten
werfen muss, die still warten und sich
nicht lautstark über die Wartezeit
beschweren. In diesen Situationen eine
Haltung der offenen Augen zu bewahren,
ist damit nicht nur eine Voraussetzung,
um barmherzig zu agieren, sondern auch
professionell.
Eine Haltung der offenen Augen einüben
verlangt von mir auch, meine „Filter“ –
d.h. meine Sichtweisen, Vorannahmen,
Vorurteile –, durch die ich den Alltag sehe,
laufend zu hinterfragen. Die „Wirklichkeit“, wie ich sie sehe, ist in aller Regel
nur eine mögliche Sichtweise. Allzu
schnell gerät jeder von uns in die Gefahr,
die Welt wie der Priester oder Levit im
Gleichnis zu sehen. Nur im gegenseitigen
Austausch im Team, zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, mit Bewohnerinnen, Patienten und Angehörigen kann
sich ein vollständigeres Bild von einer
gemeinsamen Wirklichkeit ergeben. Viele
Therapieansätze schlagen ebenso fehl wie
Managementansätze, wenn diese Verstän­
digung nicht erfolgt oder gelingt. Zu einer
Haltung der offenen Augen gehört deshalb
auch das Bewusstsein, dass meine Weltsicht nicht die einzig wahre sein kann.
n Priv.-Doz. Dr. Jürgen Wallner MBA
Kainbacher Passionsspiele 2016
Premiere: 12. Februar 2016, weitere Termine: 19. / 26. Februar sowie 4. / 11. / 18. März 2016
jeweils um 19.30 Uhr in der Freizeit- und Kulturhalle des Johannes von Gott-Pflegezentrums in Kainbach bei Graz
Frühzeitige Kartenreservierung unter [email protected] wird empfohlen.
Informieren Sie sich auch auf Facebook unter
/BB.Austria
Produktionsdatum dieser Ausgabe: 30. November 2015
problematischere angesehen. Denn hier
entscheidet sich ja jemand willentlich,
die Not des Anderen nicht zu sehen. Vielleicht aber ist die zweitgenannte Haltung,
jene des Nicht-sehen-Könnens, sogar
noch problematischer. Denn während
beim Nicht-wollen grundsätzlich noch
Moralität vorhanden ist, geht beim Nichtkönnen nichts mehr ab: es fällt gar nicht
mehr auf, dass der Mensch in Not übersehen wird. Nicht umsonst finden Achtsamkeits-Trainings heute regen Zuspruch,
denn viele Menschen merken, dass ihnen
das Sensorium für grundlegende ethische
Urteilsbildung verloren geht.