ETHANOL löst ein Energieproblem – und schafft dafür andere

ETHANOL löst ein Energieproblem – und schafft dafür andere
Biotreibstoffe nehmen Nahrungsmitteln den Boden weg
Die Nahrungsmittelindustrie übt Kritik an der Verarbeitung von Getreide zu Biotreibstoff für Autos. Mais im Tank fördere den
Hunger, sagt auch die OECD.
Von Romeo Regenass
Für Nestlé-Chef Peter Brabeck steht fest: «Die allgemeine Begeisterung für Biotreib­stoffe ist ökologischer Wahnsinn.» In ei­nem
Interview im «Magazin» und der Wo­chenzeitung «Zeit» sprach der Manager von einer Subventionierung der Autofah­rer in den
Industriestaaten auf Kosten der Ärmsten der Welt. Die durch den Biosprit­Boom ausgelöste hohe Nachfrage nach Weizen, Zuckerrohr,
Mais und Raps führe nicht nur zu höheren Einkaufspreisen für die Nahrungsmittelindustrie (siehe Grafi­ken), sondern auch zu einer
dramatischen Verteuerung von Grundnahrungsmitteln. Die niederländisch-britische Unilever zeigt sich auf ihrer Homepage «besorgt
über die Auswirkungen, die eine erhöhte Nachfrage nach Biokraftstoffen auf die zukünftige Verfügbarkeit einer ganzen Reihe von
Rohstoffen hat». Vizepräsident Alan Jope meinte in der britischen «Times»: «Die Dimensionen sind drama­tisch. Setzt die EU ihre
Pläne beim Bio­Ethanol um, müssen 50 bis 80 Prozent der Raps-Produktion zu Treibstoff verarbeitet werden.»
In den Tank statt aufs Brot
Raps wird bei der Herstellung von Mar­garine verwendet, und Unilever befürch­tet eine Verknappung. Deshalb widersetzt sich Unilever
vehement «vorgeschriebe­nen Zielen, Verpflichtungen und Steuer­befreiungen, die Biokraftstoffe der ersten Generation fördern, die
bezüglich Ener­gie- und Umwelteffizienz keinen Nutzen bringen». Positiv beurteilt der Konzern hingegen Treibstoffe, die sich aus
Holzab­fällen, Stroh oder anderen organischen Abfällen gewinnen lassen.
In der Schweiz produziert die frühere Cellulose Attisholz
(heute Borregaard Schweiz) in Riedholz SO Ethanol aus Holz. Auch das aus kompostierbaren Haushalt­abfällen gewonnene
Kompogas oder das Biogas aus Gülle gehören zu den Kraftstof­fen der zweiten Generation.
In Deutsch­land baut die Müller-Milch-Gruppe
als Weltneuheit eine Anlage, mit der sich Bio­treibstoff aus
Molke herstellen lässt, ei­nem Abfallprodukt der
Käseherstellung.
Experten sagen: «Ein Irrweg»
Stefan Tangermann, Direktor für Han­del und Landwirtschaft
bei der Organisa­tion für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (OECD) in Paris, sieht in der Verarbeitung
von Bioabfällen eine sinnvolle Alternative, die aber noch
nicht konkurrenzfähig sei. Doch er betont: «Bio­sprit zu
subventionieren, der aus landwirt­schaftlichen Rohstoffen
gewonnen wird, die auch die Grundlage von Nahrungsmit­
teln sind, halte ich hingegen für einen Irr­weg. Mehr Mais im
Tank
bedeutet
mehr
Hungernde
in
den
Entwicklungsländern.» Die Basler Bank Sarasin spricht von
ei­ner «ungesunden Konkurrenz zwischen Biotreibstoff und Nahrung» und «beunru­higenden Folgen vor allem für Entwick­lungsländer
».
Treibstoffe aus Grundnah­rungsmitteln herzustellen, sei kein nach­haltiges Szenario. Entwicklungsorganisa­tionen weisen seit längerem auf die Folgen der ungebremsten Produktion von Etha­nol in Brasilien hin, wo grosse Waldflä­chen dafür gerodet werden. Landlose
Bau­ern haben Mitte März eine Ethanolfabrik besetzt, um gegen die Ausweitung der in­dustriellen Zuckerrohrproduktion für den Export
in die USA zu protestieren.
In Deutschland, wo Biosprit bereits dem Treibstoff beigemischt wird (siehe Stich­wort), macht sich in der Ernährungsindus­trie bereits
Unmut breit. Der Verband der Margarineindustrie hat Preiserhöhungen angekündigt, da auf Grund der aktuellen BiokraftstoffGesetzgebung fast die kom­plette heimische Rapsölerzeugung in die Herstellung von Biodiesel fliesse. Andere wittern im BiospritBoom ein Geschäft. Die Technologietochter des Bayer-Konzerns etwa rühmt sich, «für alle relevanten Rohstoffe eine geeignete und
hoch profitable Bioethanol-Anlage zu ent­wickeln ».
Gentechnik für grünen Treibstoff
Der Basler Saatgutkonzern Syngenta ist daran, mit Hilfe der Gentechnik eine Mais­sorte zu entwickeln, die eine besonders hohe
Ethanolausbeute ermöglicht. Sowohl beim Mais als auch bei Zuckerrohr können laut Syngenta-Chef Michael Pragnell bis zu 40
Prozent der Pflanze nicht genutzt werden.
Der US-Agrarkonzern Monsanto und deutsche Chemiegigant BASF wollen gemeinsam 1,5 Milliarden Dollar in die Produktion genetisch manipulierter Pflan­zen investieren, um die Nachfrage nach Treibstoffen aus Energiepflanzen zu be­friedigen. Entwickelt werden
sollen nach Angaben der Unternehmen unter ande­rem genetisch verändertes Korn, Soja und auch genmanipulierte Baumwolle.
Mit Gentechnik grünen Treibstoff her­stellen?
Nestlé-Chef Brabeck erinnert an einen anderen Zusammenhang, der nicht ausser Acht gelassen werden darf: «Ge­treide braucht
sehr viel Wasser, man be­nötigt eine Million Liter für eine Tonne. Für einen Liter Ethanol braucht man 4560 Liter Wasser.»
Wasser aber ist schon heute auf der Welt ein knappes Gut.
STICHWORT
Ethanol nicht besser als Benzin
Biotreibstoffe
San Francisco. – Der als Treibstoff eingesetzte
Rohalkohol ist bezüglich Umweltschutz gemäss einer
US-Stu­die keine bessere Alternative zu her­kömmlichem
Benzin. Würden alle Automotoren in den USA auf Etha­
nol umgestellt, gäbe es sogar rund 4 Prozent mehr
Todesfälle, die mit der Luftverschmutzung in Zusam­
menhang stünden. Das besagt eine in der
Wissenschaftszeitung «Environ­mental Sciences &
Technology» ver­öffentlichte Untersuchung der kali­
fornischen Stanford University. Mo­dellrechnungen am
Computer zeigen demnach, dass bei flächendeckender
Verwendung des Treibstoffgemischs E85 mit 85 Prozent
Ethanol-Anteil in einigen Landesteilen die Ozonwerte
in der Luft und damit die Smoggefahr steigen würden.
(SDA)
Treibstoffe aus Biomasse sollen den Klimawandel eindämmen, weil bei
ihrer Verbrennung nur so viel Koh­lendioxid freigesetzt wird, wie sie zuvor
aus der Atmosphäre gebunden hat – der Vorgang also klimaneutral ist.
Der Herstellungsprozess ver­schlingt aber Energie, die zum Teil auch
aus fossilen Rohstoffen stammt. In der Schweiz hat das Parlament
Treibstoffe aus erneuerbaren Roh­stoffen wie Biogas, Bioethanol und
Biodiesel gänzlich von der Steuer be­freit. Damit der Fiskus keine
Einbusse erleidet, steigen dafür die Abgaben auf dem Benzin. An der
Zapfsäule dürfte sich dies kaum auswirken, weil dem Benzin steuerfreie
Biotreib­stoffe beigemischt werden können. In Deutschland schreibt das
Ge­setz seit Anfang Jahr vor, dass Diesel­treibstoff im Minimum 4,4
Prozent Biodieselanteile und Benzin mindes­tens 1,2 Prozent biologischen Alko­hol, zumeist Ethanol, enthalten muss. Die EU will den Anteil
der Biotreib­stoffe am Totalverbrauch im Stras­senverkehr von gegenwärtig 0,8 Pro­zent auf minimal 5,75 Prozent im Jahr 2010 erhöhen. (meo
Brasilien verstärkt unbeeindruckt seine Ethanol-Offensive
Nach den USA will auch Chile von den Erfahrungen der Brasilianer bei der Herstellung von Biotreibstoffen profitieren.
Um in der Energieversorgung unabhängiger zu werden.
Von Hans Moser, Buenos Aires Brasiliens Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva setzt weiterhin voll und ganz auf die süsse Alternative
zum fossilen Brennstoff. Südamerikas grösstes Land gewinnt heute jährlich rund 17,5 Milliar­den Liter Ethanol aus Zuckerrohr und
liegt damit bei der Herstellung von Bio­sprit auf gleicher Höhe wie die USA und sehr deutlich vor China und der Europäi­schen
Union.
Da die Nachfrage nach dem Zucker­rohrtreibstoff nicht bloss im eigenen Land, sondern weltweit ständig zunimmt, soll die Produktion
in den kommenden Jahren nun kontinuierlich gesteigert wer­den.
Knowhow aus Brasilien gefragt
Im Ausland ist vorläufig allerdings in erster Linie das technische Wissen der Brasilianer gefragt, die auf diesem Gebiet über eine
inzwischen 30-jährige Erfah­rung verfügen: Im März vereinbarten Lula und US-Präsident George W. Bush, künftig bei der Nutzung
von biologischen Treibstoffen zusammenzuarbeiten, und dieser Tage haben der brasilianische Staatschef und seine chilenische
Kollegin Michelle Bachelet ein ähnliches Abkom­men unterzeichnet.
Chile ist dringend auf Alternativen an­gewiesen, um seinen rasch steigenden Energiebedarf decken zu können. Im Un­terschied zu
anderen lateinamerikani­schen Staaten verfügt es nicht über ei­gene Gasvorkommen und auch bloss über wenig Erdöl. Beim Gas,
das die Chi­lenen aus Argentinien importieren, kommt es zusehends zu Engpässen, weil die Nachbarn in der Energieversorgung
ebenfalls mit beträchtlichen Problemen kämpfen und die Exporte deshalb dros­seln.
Bolivien gibt sein Erdgas nicht her
Am naheliegendsten wäre in dieser Si­tuation, dass die Chilenen sich mit Gas aus Bolivien eindecken, befinden sich dort doch die
zweitgrössten Reserven Lateinamerikas – grössere Vorräte gibt es nur in Venezuela. Für die Mehrheit der Bolivianer käme es jedoch
einem Landesverrat gleich, den Nachbarn im Süden auch nur einen Kubikmeter Gas zu verkaufen. Sie haben es bis heute nicht
überwunden, dass Bolivien Ende des 19. Jahrhunderts nach seiner Nieder­lage im so genannten Salpeterkrieg den Zugang zur
Pazifikküste verloren hat und seither ein Binnenstaat ist. Das Gas ist für die Regierung in La Paz die stärkste Trumpfkarte, um eines
nicht allzu fernen Tages ihre Forderung nach einem direk­ten Meereszugang eventuell doch noch durchzusetzen.
Fidel Castro und Peter Brabeck
Die chilenische Regierung sieht in der Produktion von biologischen Brennstof­fen eine willkommene Möglichkeit, die Energiequellen
zu diversifizieren und die Importabhängigkeit zu verringern. Die Biosprit-Offensive stösst allerdings nicht auf grenzenlose Begeisterung
– in Chile genauso wenig wie anderswo. Umwelt­schutzorganisationen, Bauernvereinigun­gen und Globalisierungsgegner, aber auch
namhafte Wirtschaftsführer wie etwa Nestlé-Chef Peter Brabeck halten es für verfehlt, aus Nahrungsmitteln wie Mais, Zucker oder
Palmöl Treibstoff her­zustellen (siehe Bericht oben).
Sie warnen vor schweren Umwelt­schäden und dramatischen Preiserhö­hungen für Grundnahrungsmittel, die für unzählige Arme in
den Schwellenländern verheerende Folgen hätten. «Mehr als drei Milliarden Menschen wären zum Verhungern und Verdursten
verurteilt», schrieb kürzlich der kubanische Staats­chef Fidel Castro, einer der schärfsten Kritiker dieser Art von Energiegewin­nung,
in einem Leitartikel im Zentralor­gan der Kommunistischen Partei.
Dass die Sorgen der Gegner nicht un­berechtigt sind, lässt sich an der Entwick­lung der Maispreise verfolgen: Da bereits ein beträchtlicher Teil der US-amerikani­schen Maisernte zur Herstellung von Ethanol verwendet wird, hat sich dieser innerhalb des vergangenen
Jahres fast verdoppelt. Im Nachbarland Mexiko führte dieser enorme Preisanstieg zur so genannten Tortillakrise, da sich die arme
Bevölkerung die als Nahrungsgrundlage dienenden runden Maisfladen kaum mehr leisten konnte.
Lulas «Energiedemokratisierung»
Lula zeigt sich allen Einwänden zum Trotz fest entschlossen, die Herstellung und die Nutzung von Biotreibstoffen ziel­strebig voranzutreiben. Auf diese Weise, so betont er immer wieder, leiste sein Land einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen die Treibhausgase
und zur «Demokratisierung der Energie welt­weit ».
Der brasilianische Präsident versi­cherte wiederholt, dass Brasilien durch­aus noch mehr Ethanol gewinnen könne, ohne dass deswegen die Versorgung mit Nahrungsmitteln beeinträchtigt oder der Amazonas-Regenwald weiter abgeholzt werde. Dies wird allerdings nicht ohne massive Kurskorrekturen möglich sein, da die bisherige Ethanolproduktion in Brasilien bereits schwer wiegende
Um­weltschäden hervorgerufen hat.
Ethanol ist keine Patentlösung
Wahrscheinlich liegt auch im Streit um die Biotreibstoffe die Wahrheit irgendwo zwischen den Extremen. Aus nachwach­senden
Pflanzen gewonnenes Ethanol ist nicht grundsätzlich gut oder besser als die fossilen und damit endlichen Energie­träger. Es ist wohl
nicht das Wundermit­tel, als das es angepriesen wird, es kann aber in einer diversifizierten Energiever­sorgung eine sinnvolle Ergänzung
dar­stellen.
Damit das «grüne Benzin» nicht mehr Probleme schafft, als es löst, müssen al­lerdings nicht bloss die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen stimmen, sondern auch die sozialen und die ökologischen in den Produktionsländern.
Preisentwicklung: