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Ziegen
Tierhaltung
Jung und kurz
Die Kurzrasenweide ist nicht nur mit Rindern möglich, sondern auch mit
Ziegen. Erste Praxiserfahrungen sind vielversprechend.
I
ch bin einfach begeistert“, lautet das kurze, aber
überzeugte Fazit von Regino Esch vom Hof Stein­
rausch in Wascheid. Der Bioland­Landesvorsit­
zende von Rheinland­Pfalz und dem Saarland schickt
seine 150 Milchziegen seit zwei Jahren auf die Kurz­
rasenweide und seine Bilanz ist bis jetzt positiv: weni­
ger Arbeitsaufwand, eine bessere Futterqualität, kei­
ne Mehrkosten, keine nachteiligen Nebenwirkungen.
Da die Kurzrasenweide bei Ziegen ein noch junges
System ist, liegen noch keine mehrjährigen Erfah­
rungswerte oder belastbare wissenschaftliche Zahlen
vor, aber die ersten Eindrücke sind gut.
Auf die Idee, seine Weideflächen als Kurzrasen zu
führen, kam Esch auf der Bioland­Ziegentagung vor
zwei Jahren, als sein Kollege Rolf Seim das System
erstmals vorstellte. Die Idee klang so vielverspre­
chend, dass Regino Esch, der für den Bundesfachaus­
schuss Schaf und Ziege im Bioland­Präsidium sitzt,
und etwa zehn weitere Kollegen umstellten.
Einen großen Vorteil des Systems spürte er sofort: Es
spart Arbeitszeit! „Ich muss viel weniger Trecker fah­
ren“, so Esch. Kein Zäuneumstecken, keine Zufütte­
rung von Silage oder Grünfutter im Stall während der
Vegetation – das macht etliche Stunden pro Woche
aus.
Ziegen mögen Rasen
Das Erste, was Esch nach der Umstellung auf Kurz­
rasenweide bei seinen Tieren beobachten konnte, war
ein verändertes Weideverhalten: „Die Ziegen gingen
auf einmal sehr viel lieber auf die Weide, liefen frei­
willig und gerne raus, auch bei geringeren Tempera­
turen und feuchter Witterung.“ Esch vermutet, dass
das junge, saftige Gras den Tieren besser schmeckt
und sich angenehmer anfühlt. Früher gingen seine
Ziegen nicht gerne auf die frisch gemähten Flächen,
wo das Gras stachelig und stupfig war, und auch nicht
auf Flächen mit hochstehendem Bewuchs – der war
schnell niedergetrampelt und wurde nicht mehr ge­
fressen. „Der dauerbeweidete Rasen bleibt weich, ist
besser begehbar und immer frisch“, so Esch.
Mehr Ertrag, besseres Futter
Esch lässt seine Tiere Mitte März auf die Weide, je
nach Witterung erhalten sie von Anfang April bis
Mitte Oktober kein Beifutter im Stall und bleiben bis
Mitte November draußen. Während Esch früher je
nach Witterung im Stall zufüttern musste, reicht der
Weideaufwuchs während der Vegetation jetzt voll aus.
Der Aufwuchs der Kurzrasenweide liefert einen ins­
gesamt höheren Jahresertrag und versorgt die Zie­
gen qualitativ besser.
Dennoch ging die Milchleistung um etwa zehn Pro­
zent zurück – ob das an der Kurzrasenweide lag oder
vielmehr an Selektionsfehlern oder der Einführung
des Durchmelkens, ist unklar. Gegen einen direkten
Zusammenhang von Kurzrasenweide und Milchrück­
gang spricht, dass die Futterqualität der Kurzrasen­
weide deutlich besser war. Außerdem beklagten viele
andere Kollegen, die keine Kurzrasenweide praktizie­
ren, ebenfalls einen Rückgang der Milchleistung im
selben Zeitraum. „Selbst wenn die Kurzrasenweide
einen leichten Leistungsrückgang bewirkt haben
sollte – wir haben die Milch ja auch billiger ermol­
ken“, so Esch.
bioland 12/2015
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Fotos: A. Widmaier
Otto Rees hält die Kurzrasenweide für seine 200 Milchziegen für geeignet.
Klein genug, damit jung genug
Der Weideaufwuchs veränderte sich nach der Um­
stellung. Auch in trockenen Monaten war die Fläche
dauerhaft grün und die Grasnarbe wurde rasch
dichter. Die Ziegen verwerteten den Aufwuchs voll­
ständig. Systembedingt gab es keine Reste durch nie­
dergetretenes Gras und die Tiere fraßen das kurze,
schnell abtrocknende Gras sehr gerne. Das Futter
war durchgehend jung und hoch im Ertrag, Esch
spricht von deutlich höheren Flächenleistungen. Auch
schwer mähbare Flächen, über die er früher höchs­
tens mal die Pferde lassen konnte, sind dank der
Kurzrasenweide nun für die Ziegen als vollwertige
Futterfläche nutzbar.
Der Bioland­Ziegenhalter will die Kurzrasenweide
auf jeden Fall weiterführen und in der nächsten Sai­
son versuchen, die derzeitige Wuchshöhe von sieben
bis acht Zentimetern auf unter fünf zu bringen. „Wenn
Besucher und Berufskollegen sagen, ‚Oh, auf Hof
Steinrausch haben die Ziegen kein Futter mehr’, dann
stimmts“, sagt Esch mit einem Augenzwinkern. Bei
Rindern wird häufig mit einer sehr geringen Wuchs­
höhe von drei bis vier Zentimetern gearbeitet, da hat
Esch allerdings Bedenken: „Die Ziege ist keine kleine
Kuh. Sie ist ein Selektionsfresser und kommt mit dem
viel einheitlicheren Futter der Kurzrasenweide even­
tuell nicht so gut klar. Vielleicht müsste man aber
einfach mutiger sein.“
Offen ist, wie sich das dauerhafte Beweiden derselben
Fläche langfristig auf den Parasitendruck auswirkt.
Esch stellte bei seiner Herde bisher keine Proble­
me fest, trotz des feuchten Herbstes. Da die Wurm­
eier vor allem in Tautropfen und an Grashalmen hän­
gen, kann er sich vorstellen, dass das kurze Gras, das
schneller abtrocknet und viel intensiver der prallen
Sonne ausgesetzt ist, für die Parasiten eher hinder­
lich ist. Dazu gibt es derzeit jedoch noch keine Lang­
zeiterfahrungen oder wissenschaftliche Erhebungen.
„Wir müssen unsere Tiere sehr genau beobachten
und rechtzeitig gegensteuern, wenn wir ein Problem
bemerken“, sagt Esch.
Erste wissenschaftliche Versuche
Im vergangenen Jahr wurden auf dem Ringlihof von
Otto Rees in Horben bei Freiburg erste wissenschaft­
liche Erhebungen durchgeführt. Bioland­Berater An­
dreas Kern hatte Rees, Mitglied im Bioland­Bundes­
fachausschuss Ziege, mit Franziska Steiner und Sissi
Jaggy zusammengebracht. Die Wissenschaftlerinnen
nahmen im Rahmen einer Master­ und Doktorarbeit
Gras­ und Kotproben und begleiteten das Projekt
(siehe Interview Seite 40).
Otto Rees ist angetan von der Kurzrasenweide. Den
Hauptvorteil sieht er vor allem in der Erleichterung
der Arbeitswirtschaft. Bei ihm macht der Wegfall des
Zäuneumsteckens über eine Stunde pro Tag aus:
„Das ist für mich die Hauptmotivation.“ Otto Rees
stellte ebenso wie Regino Esch im vergangenen Jahr
von der Umtriebs­ und Portionsweide auf Kurzrasen­
weide um und behielt das System auch im aktuellen
Jahr bei. Dabei erhielten seine 200 Milchziegen wäh­
rend der Vegetation den Weideaufwuchs sowie etwas
Kraftfutter und Heu im Stall.
Vorteile bei feuchten Flächen
Die Kurzrasenweide hatte für den Ringlihof mit sei­
nen vielen steilen, schattigen und feuchten Nord­
hängen aus einem weiteren Grund Vorteile: Das nun
kürzere Gras trocknet am Morgen und auch nach
Regenfällen sehr viel schneller ab. Früher waren die
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Tierhaltung
Ziegen
Noch unklar ist,
wo die optimale
Wuchshöhe für den
Selektionsfresser
Ziege liegt.
Interview
„Allgemeine Aussagen schwierig“
Franziska Steiner, Universität Hohenheim, und Sissi Jaggy, Doktorandin an der
Klinik für Wiederkäuer der LMU München, untersuchten im vergangenen Jahr
auf dem Betrieb von Otto Rees die Futterqualität und die Parasitenbelastung.
bioland-Fachmagazin: Was ergaben die Futterproben?
Franziska Steiner: Wir konnten auf allen Flächen durchweg hohe Energiege­
halte beim Grünfutter messen, nahezu gleichbleibend über die ganze Zeit hin­
weg. Die Werte lagen fast im Kraftfutterbereich. Das ist für Wiederkäuer ideal.
Was schließen Sie daraus?
Steiner: Dieses Weidesystem ist mit Ziegen möglich, wenn der Aufwuchs
nicht zu hoch wird. Darunter leiden die Schmackhaftigkeit und die guten
Energiegehalte des Grünfutters. Zum anderen darf die Zufütterung im Stall
die notwendige Menge von Rau­, Kraft­ und Mineralfutter nicht übersteigen,
da sonst weniger Grundfutter aufgenommen wird.
Welche Ergebnisse konnten Sie bezüglich des Parasitendrucks gewinnen?
Sissi Jaggy: Wir wurden zu dem Projekt hinzugerufen, um es tiermedizinisch
zu begleiten und den Verwurmungsgrad im Auge zu behalten. Als Parallel­
versuch untersuchten wir ein Entwurmungssystem für Ziegen. Wir entnah­
men in sechswöchigen Abständen Kotproben und werteten diese parasi­
tologisch aus. Der Parasitendruck nahm im Verlauf der Weidesaison wie
erwartet zu. Das ist jedoch bei allen Weidesystemen so. Ob der Anstieg bei
der Kurzrasenweide deutlicher ist als bei anderen Weidesystemen, können
wir jedoch nicht sagen, weil wir keinen Vergleich haben.
Können Sie eine allgemeine Aussage daraus ableiten?
Jaggy: Da wir unsere Ergebnisse mit keiner Kontrollgruppe vergleichen
können, ist eine allgemeine Aussage nicht möglich. Dazu hätten wir eine
Vergleichsgruppe untersuchen müssen, die auf dem selben Betrieb und
auf gleichwertigen Flächen in Umtriebs­ oder Portionsbeweidung komplett
separat gehalten wird, aber der anderen Herde nicht begegnen darf – nicht
im Stall oder Melkhaus und vor allem nicht auf der Weide. Das ist unter Pra­
xisbedingungen über einen längeren Zeitraum hinweg schwer durchführbar.
Die Fragen stellte Anna Widmaier
Wiesen oft bis in den Mittag hinein taunass. „Das mö­
gen die Ziegen nicht. Feuchte ist auch wegen der
Wurmeier eine Gefahr – die hängen sich nämlich
gerne an die langen, feuchten Halme“, so Rees.
Nach der ersten Beweidung ließ der Landwirt die Flä­
chen jeweils zwei bis drei Wochen ruhen, mähte nach
und ließ sie im Anschluss wieder beweiden. Im Ver­
lauf der Vegetation zeigte sich in diesem Jahr weniger
Ampfer, dafür etwas mehr Hahnenfuß und Weißklee,
den die Ziegen nicht so gerne mögen. Ob das eine vo­
rübergehende Erscheinung ist und an der Kurzra­
senweide liegt, kann Rees jedoch nicht sagen. Die
Wuchshöhe lag zwischen acht und zehn Zentimetern,
vergleichsweise hoch für eine Kurzrasenweide. „Zie­
gen verbeißen grundsätzlich nicht so tief und mögen
auch anhängende Erde nicht“, begründet der Ziegen­
halter seine Entscheidung.
Gesteigerte Probleme mit Parasiten oder andere ge­
sundheitliche Beeinträchtigungen im Vergleich zu
den Vorjahren konnte Rees bislang nicht beobachten,
auch die Milchleistung veränderte sich nicht. „Die
Milchinhaltsstoffe waren im ersten Jahr leicht erhöht,
das kann aber genauso gut am neuen Milchleistungs­
futter liegen“, sagte er. Im aktuellen Jahr gingen die
Milchinhaltsstoffe zurück, was Rees auf den trocke­
nen Sommer zurückführt.
Es besteht Forschungsbedarf
Ob die Kurzrasenweide uneingeschränkt und als
dauerhaftes Weidesystem empfehlenswert ist, ist
derzeit schwer zu sagen. Dazu müsste zunächst die
Entwicklung des Parasitendrucks über mehrere
Jahre hinweg auf derselben Fläche untersucht wer­
den. Ziegen sind anfälliger, sie entwickeln keine so
wirksame Immunität gegen Parasiten wie Kühe. Pro­
blematisch ist dies auch deshalb, weil es bislang kein
speziell für Milchziegen zugelassenes Entwurmungs­
mittel gibt. Derzeit muss ein Wirkstoff für Schafe
oder Kühe umgewidmet werden, was die Wartezeit
auf 14 Tage verdoppelt. Außerdem ist unklar, ob die
Kurzrasenweide einen Einfluss auf die Milchleistung
sowie die Milchinhaltsstoffe Fett und Eiweiß hat. Das
ist schwer zu erfassen, weil dies von vielen variablen
Parametern abhängt, die wesentlich einflussreicher
sind als das Weidesystem. Fraglich ist auch die opti­
male Wuchshöhe für den starken Selektionsfresser
Ziege.
Regino Esch würde das System dennoch weiteremp­
fehlen: „Die Kurzrasenweide ist eine schöne Innovation
– sie ist nicht mit kostenintensiven Investitionen ver­
bunden, man ist flexibel und kann jederzeit wieder um­
stellen, wenn man merkt, dass es nicht funktioniert.“
Anna Widmaier
bioland 12/2015
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