Stoffgleichheit

Konversatorium Strafrecht IV
Vermögensdelikte
7. Stunde
Viviana Thompson
Lehrstuhl Prof. Dr. Schuster
Prüfungsschema des Betrugs, § 263 Abs. 1 StGB
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Täuschung
b) Irrtum
c) Vermögensverfügung
d) Vermögensschaden
e) Kausalität zwischen a) – d)
2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz
b) Bereicherungsabsicht
c) Stoffgleichheit
d) Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Bereicherung
e) Vorsatz bzgl. der Rechtswidrigkeit der Bereicherung und bzgl. der Stoffgleichheit
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
IV. Strafzumessung, § 263 Abs. 3 StGB
V. Strafantrag, § 263 Abs. 4 StGB (§§ 247, 248a StGB)
Täuschung i.S.v. § 263 Abs. 1 StGB (1)
Definition
= Täuschung ist die intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines
anderen, um bei diesem eine Fehlvorstellung über Tatsachen hervorzurufen
→ Tatsachen sind konkrete Vorgänge und Zustände der Gegenwart oder Vergangenheit, die
einem Wahrheitsbeweis zugänglich sind.
(bei Werturteilen, Zukunftsprognosen, Meinungen etc. ist ein Betrug also nicht möglich)
→ Täuschung durch wahre Angaben?
(+), etwa sog. rechnungsähnliche Angebotsschreiben (sog. Insertionsofferte)
→ Täuschung durch Unterlassen?
(+), wenn garantenpflichtwidrig die Entstehung eines Irrtums nicht verhindert oder ein bereits
vorhandener Irrtum nicht beseitigt wird, d.h. Strafbarkeit dann nach allgemeinen Regeln über das
unechte Unterlassen möglich (Vss.: Unterlassen, Garantenpflicht zur Aufklärung, Unterlassen
entspricht Tun i.S.v. § 13 StGB)
Täuschung i.S.v. § 263 Abs. 1 StGB (2)
Konkludente Täuschung/Täuschung durch schlüssiges Verhalten
= von einer solchen ist im Allgemeinen auszugehen, wenn das Gesamtverhalten des Täters Schlussfolgerungen auf das
Vorliegen oder Nichtvorliegen bestimmter Tatsachen zulässt; der Erklärungswert des Täterverhaltens hängt von der
Verkehrsanschauung ab, wobei diese nach dem jeweiligen Geschäftstyp und der dafür geltenden Risikoverteilung zu
beurteilen ist
→ typische Beispiele für konkludente Täuschung:
• Eingehen einer Vertragsverpflichtung – konkludente Erklärung, dass Erfüllungswille und –fähigkeit gegeben sind
• Einfordern einer Leistung – konkludente Erklärung, dass ein entsprechender Anspruch besteht
• Abgabe von rechtsgeschäftlichen Erklärungen – konkludente Erklärung, dass die erforderlichen
Wirksamkeitsvoraussetzungen in der Person des Verpflichtenden/Verfügenden vorliegen z.B. Veräußerungsbefugnis
• Abschluss eines Rechtsgeschäfts – konkludente Erklärung derjenigen Tatsachen, die den Geschäftstyp ausmachen, d.h.
Geschäftsgrundlage, z.B. Risikosituation bei Risikogeschäften wie einer Wette
→ typische Beispiele, bei denen keine Täuschung durch schlüssiges Verhalten vorliegt:
• bloße Entgegennahme einer Leistung – keine Erklärung, dass die Leistung auch geschuldet ist
• Angebot oder Lieferung einer Sache – enthält idR nicht die konkludente Behauptung bzgl. der Mangelfreiheit
• Anbieten einer Ware oder Leistung zu einem bestimmten Preis - enthält idR nicht die Erklärung, dass dieser üblich oder
angemessen ist (es sei denn der Preis ist tax- oder listenmäßig festgelegt und Vertragspartner darf nach
Marktgepflogenheiten von diesem ausgehen; oder wenn im Fordern eines bestimmten Preises die schlüssige Zusicherung
einer bestimmten Qualität, Eigenschaft oder Herkunft liegt)
• (h.M.) sog. Fehlüberweisung und sog. Fehlbuchung
Irrtum i.S.v. § 263 Abs. 1 StGB
Definition
= Ein Irrtum ist jede Fehlvorstellung über Tatsachen.
→ Das Erregen eines Irrtums liegt vor, wenn der Täter die Fehlvorstellung durch Einwirkung auf die
Vorstellung des Getäuschten selbst hervorruft oder mitverursacht.
→ Unterhalten wird ein Irrtum dadurch, dass der Täter eine bereits vorhandene Fehlvorstellung, die
von ihm selbst nicht verursacht zu sein braucht, bestärkt oder deren Aufklärung verhindert oder
erschwert.
→ bloßes Ausnutzen einer bereits vorhandenen Fehlvorstellung ist nicht tatbestandsmäßig i.S.v. § 263
StGB
→ sog. ignorantia factii – wer gar keine Vorstellung hat, kann nicht irren (anders: bei einer
unreflektierten, latenten Fehlvorstellung im Sinne sog. sachgedanklichen Mitbewusstseins)
(diese Fragen insbes. auch relevant bei der Vorlage sog. Legitimationspapiere)
→ Irrtum bei zweifelndem Opfer? (+), wenn Tatsache für möglicherweise wahr gehalten wird ( durch die
Vornahme der Vermögensverfügung zeige das Opfer, dass es sich für die Möglichkeit der Wahrheit
entschieden habe)
Vermögensverfügung i.S.v. § 263 Abs. 1 StGB
Definition
= Eine Vermögensverfügung ist jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten,
das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt.
Was ist Vermögen bzw. was ist unter diesem Begriff geschützt?
= die Summe aller geldwerten Güter und Rechte
→ juristisch-ökonomischer Vermögensbegriff
Zum Vermögen gehören alle Wirtschaftsgüter einer Person, die diesem unter dem Schutz der Rechtsordnung
zustehen – d.h., der Vermögensschutz erstreckt sich nicht auf Positionen, die nicht im Einklang mit der
Rechtsordnung stehen. Arg.:
• Prinzip der Einheit der Rechtsordnung
→ rein wirtschaftlicher Vermögensbegriff
Vermögen ist die Gesamtheit aller wirtschaftlichen Güter einer Person, unabhängig von ihrer rechtlichen
Anerkennung – d.h., es gibt grds. kein gegen Betrug ungeschütztes Vermögen (auch Ansprüche aus verbotenen
oder sittenwidrigen Rechtsgeschäften und widerrechtlich erlangte Vermögenspositionen sind geschützt); nichtige
Forderungen haben Vermögenswert, wenn eine tatsächliche Erwerbschance bestehe, sie also realisierbar sind.
Arg.:
• kein strafrechtsfreier Raum im sog. „Ganovenumfeld“
• Verhinderung einer der Rechtsordnung widersprechenden Vermögensverschiebung ist i.R.d Merkmals der
„Rechtswidrigkeit“ des erstrebten Vermögensvorteils möglich
Vermögensschaden i.S.v. § 263 Abs. 1 StGB
Definition
= Ein Vermögensschaden liegt vor, wenn der Gesamtwert des Vermögens infolge der
Vermögensverfügung und der minderwertigen Gegenleistung nach dem Prinzip der
Gesamtsaldierung gesunken ist
→ Schaden trotz wirtschaftlicher Entsprechung von Leistung und Gegenleistung?
(+) sog. subjektiver/individueller Schadenseinschlag
Fallgruppen:
• empfangene Leistung ist für den Erwerber individuell unbrauchbar, weil er sie nach dem vernünftigen
Urteil eines unbeteiligten Dritten nicht zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer
zumutbarer Weise verwenden kann (z.B. nicht ohne Verlust)
• der Empfänger der Gegenleistung ist infolge der eingegangenen Verpflichtung zu
vermögensschädigenden Folgemaßnahmen genötigt
• keine vernünftige alltägliche Lebens-/Vermögensführung mehr möglich = der Erwerber kann infolge
der eingegangenen Verpflichtung nicht mehr über die Mittel verfügen, derer er nach seinen
wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen zur angemessenen Lebens- und Wirtschaftsführung
zwingend bedarf
Stoffgleichheit im Rahmen des § 263 Abs. 1 StGB
Bedeutung:
• § 263 StGB ist eine Vermögensverschiebungsdelikt
• Stoffgleichheit ist deshalb gegeben, wenn der erstrebte Vermögensvorteil unmittelbar
aus dem Vermögen des Geschädigten in der Weise stammt, dass der Vorteil die
„Kehrseite“ des Schadens ist, d.h., durch ein und dieselbe Verfügung vermittelt wird
• die Vermögensverfügung, durch die das Opfer geschädigt wird, ist genau diejenige, die
beim Täter die erwünschte Bereicherung bewirkt
Überblick Fall 5
1. Tatkomplex
• § 263 Abs. 1 StGB durch Abheben der € 3000
℗ Auszahlungsbegehren bei Fehlbuchung als Täuschung?
• §§ 263 Abs. 1, 13 StGB durch Nichtaufklärung über Buchungsfehler
℗ Täuschung durch Unterlassen – Garantenstellung?
2. Tatkomplex
• § 263 Abs. 1 StGB durch Verwenden des abgelaufenen Parkschein
℗ Geldbußen etc. als Vermögen (Vermögensbegriff)?
3. Tatkomplex
• § 263 Abs. 1 StGB zulasten der P
℗ Abgrenzung Tatsachenaussage/Werturteil bei Aussage zur Eignung der Zeitschrift für Einsteiger
℗ Vermögensschaden:
 Vermeintliches Sonderangebot
 Zweckverfehlung: Provision doch nicht für sozialen Zweck
 Fehlende Eignung der Zeitschrift für Laien (sog. individueller Schadenseinschlag)
• § 263 Abs. 1 StGB zulasten des Q
℗ Stoffgleichheit bei Provisionsvertreterfall