Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Refugee Law Clinic Vorlesung „Asyl- und Aufenthaltsrecht – Rechtliche Grundlagen der Flüchtlingsberatung“ Sommersemester 2015 Montag, 29. Juni 2015 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 1 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 Zentrale Bedeutung der Tatsachenfeststellung im Asylverfahren: Anspruch auf internationalen Schutz hängt ab • von der tatsächlichen (Verfolgungs-)Lage im Herkunftsstaat (z.B. Verfolgungsgeschehen, -akteure; Möglichkeiten internen Schutzes) -> Herkunftslandinformationen (COI [country of origin-information]) • von der individuellen Verfolgungsbetroffenheit -> individueller Asylsachvortrag (Was droht der einzelnen Asylbewerberin/ist dieser bereits geschehen? Glaubhaftigkeit Angaben/Glaubwürdigkeit Asylbewerber?) • allgemeine Erkenntnislage als „Folie“ für die Bewertung des individuellen Vorbringens Zusammenspiel/Spannungsverhältnis von • Amtsermittlungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 VwVfG; § 24 Abs. 1 AsylVfG; § 86 Abs. 1 VwGO) und • Mitwirkungsobliegenheiten des Asylbewerbers (§ 26 Abs. 2 VwVfG; §§ 15, 16 AsylVfG; § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2, § 87 Abs. 1 Nr. 2, § 87b Abs. 2 VwGO) 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 2 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung normative Grundlagen im Verwaltungsverfahren Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 § 24 VwVfG (Untersuchungsgrundsatz)/§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG • Behörde ermittelt Sachverhalt von Amts wegen und bestimmt Art und Umfang der Ermittlung • Untersuchungsgrundsatz bezieht sich auf alle im Einzelfall bedeutsamen, auch für die Beteiligten nicht als entscheidungserheblich erkannten Umstände • keine Bindung an Vorbringen oder Beweisanträge der Beteiligten • Heranziehung von Beweismitteln nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 26 Abs. 1 VwVfG) (u.a. Auskünfte jeder Art, Anhörung Beteiligte/Zeugen/Sachverständige, Beiziehung Urkunden/Akten, Einnahme des Augenscheins) • persönliche Anhörung als grds. Maßnahmen der Aufklärung (§ 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG) (Ausnahmen § 24 Abs. 1 Sätze 4 bis 6 AsylVfG) • Art und Umfang der Amtsermittlung wird durch Vorbringen Asylbewerber determiniert (u.a. keine sinnlosen Ermittlungen/„Ermittlung ins Blaue hinein“) 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 3 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung normative Grundlagen im Verwaltungsverfahren Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 § 25 AsylVfG • Pflicht des Asylbewerbers zur Bezeichnung der Tatsachen, die Verfolgungsfurcht/-gefahr begründen • Angaben über Wohnsitze, Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten, anderweitige Schutzgesuche (inkl. Verfahrensausgang) • Angaben zu (potentiell) abschiebungsrelevanten Tatsachen und Umständen • Möglichkeit der Präklusion verspäteten Vorbringens, wenn spätere Angaben zur Entscheidungsverzögerung führen (Belehrungspflicht) sprachliche Kommunikationsvorgaben • Grundsatz des VwVfG: Amtssprache ist deutsch (§ 23 Abs. 1VwVfG) • Belehrungen Asylbewerber über Rechte und Pflichten (§ 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) und Anhörung in Sprache, die Asylbewerber kennt/deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann • keine gesetzliche Pflicht zur Sprachmittlerunterstützung mit „Unterstützungspersonen“ (Rechtsanwälten etc.) 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 4 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 verteilte „Tatsachenverantwortung“ bei zentraler Bedeutung des Beweisproblems • Beurteilung eines Verfolgungsgeschehens außerhalb des Bundesgebietes • Tatsachen- und Ermittlungsrestriktionen durch Souveränität und fehlende Mitwirkungsbereitschaft Verfolgerstaat/nichtstaatliche Verfolgungsakteure, regelmäßige Intransparenz von Verfolgungshandlungen, unfreie Presse/Repression von NGO‘s u.a.m. begrenzt • verfolgungs- und fluchtbedingt verminderte Verfügbarkeit „objektiver“ Beweismittel -> sachtypischer Beweisnotstand für asylbegründende Vorgänge außerhalb des Zufluchtsstaates Schwerpunkt Amtsaufklärung Bundesamt • Aufklärung der allgemeinen Situation im potentiellen Verfolgerstaat • Aufbereitung der politischen Verhältnisse/Hintergründe/Entwicklungen • Dokumentation des allgemeinen Verfolgungsgeschehens (Verfolgungs“raster“ etc.) Schwerpunkt Mitwirkungslast Asylbewerber • schlüssiger/lückenloser, (im Kern) widerspruchsfreier Tatsachenvortrag zu den verfolgungsbegründenden Umständen • konkrete Angaben zu eigenen Erlebnissen/Erfahrungen • Vorbringen Asylbewerber muss zumindest die nicht entfernt liegende Möglichkeit einer Verfolgung ergeben, um gezieltere Ermittlungen BAMF anzustoßen 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 5 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 Konsequenz für Umfang und Gegenstand Tatsachenvorbringen Asylbewerber • Reiseweg/-stationen (§ 25 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) – Problem der „Dublin“-bedingten Informationszurückhaltung – Problem der „schleusergeforderten“ Informationszurückhaltung • eigene Erlebnisse und Erfahrungen (§ 25 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) – valide Angaben zur eigenen Identität, Herkunft/Staatsangehörigkeit – Darstellung der eigenen Lebenssituation – „stimmige“, detailreiche Darstellung der verfolgungs(furcht)begründenden Tatsachen/Umstände/Erfahrungen • Welche Verfolgungserlebnisse/-drohungen hat es gegeben? • Ablauf/zeitliche Struktur/Akteure? • Wann ist Fluchtentschluss gefallen? Wie ist Flucht vorbereitet worden/gelungen? – Berücksichtigung der persönlichen Voraussetzungen (z.B. Alter, Bildungsstand, berufliche Erfahrungen) 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 6 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 – faktenreiche, sachliche, präzise, „nüchterne“ Darstellung ohne Übertreibungen/überflüssige Ausführungen/“Ausschmückungen“ • aber: interkulturell divergierende Realitätswahrnehmungen, Erzählstile, Verhältnisse zu zeitlichen Angaben, subjektive Relevanzstrukturen • kulturelle, religiöse, geschlechtsspezifische Darstellungs“hindernisse“ • Darstellungs“hindernis“ Traumatisierung • Rücksichtnahme auf im Heimatstaat verbliebene Angehörige • Situation im Herkunftsstaat – grundsätzlich Sache des Bundesamtes – Benennung/Kenntnis der „handlungsleitenden Risikostrukturen“ zentrale Bedeutung der (Erst-)Anhörung • gesteigertes/verändertes Vorbringen bewirkt i.d.R. Glaubwürdigkeitsprobleme • Präklusionsmöglichkeit (§ 25 Abs. 3 AsylVfG) (wenig praxisrelevant) • jedenfalls erhebliche „Erklärungsanforderungen“ bei Änderung des Vorbringens 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 7 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 allgemeine Pflichten (Obliegenheiten) des Asylbewerbers zur Substantiierung des Asylantrages lt. UNHCR (CREDO-Projekt) in Anknüpfung an Art. 4 RL 2011/95/EU • Pflicht des Antragstellers, so schnell wie möglich alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen (Art. 4 Abs. 1 RL 2011/95/EU) • umfasst Angaben des Asylbewerbers zu Alter und familiären und sozialen Verhältnissen — auch der betroffenen Verwandten —, Identität, Staatsangehörigkeit(en), Land/Ländern und Ort(en) des früheren Aufenthalts, früheren Asylanträgen, Reisewegen und Reisedokumenten sowie zu den Gründen für seinen Antrag auf internationalen Schutz und sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen zu diesen Angaben Grundsätzliche Pflichten (Art. 4 Abs. 5 RL 2011/95/EU) • Beantragung internationalen Schutzes zum frühestmöglichen Zeitpunkt (oder Bezeichnung guter Gründe dafür, dass dies nicht möglich war) – – • offenkundiges Bemühen, Antrag zu begründen („genuine effort“) – – • (eigene Begründung; „Beweise“ [evidence] durch Experten, Familienmitglieder und andere Zeugen; Dokumente (Schriftstücke, Ton-/Bildaufnahmen, graphische Darstellungen, Augenscheinsobjekte, Narben) Beweismittel = alles was die entscheidungserheblichen Tatsachen bestätigt, unterstützt oder sich darauf bezieht „Bezeichnung aller verfügbaren Anhaltspunkte/Vorlage aller verfügbaren Beweismittel – – • „frühestmöglich“ ist kontextabhängig im Wissen „gute Gründe“ für Informationszurückhaltung -> Zulassung auch weiteren Vorbringens/späterer Bezeichnung/Vorlage von Beweismittel Zeitrahmen für „frühestmöglich“ hängt auch von Information über Substantiierungserfordernis in einer dem Asylbewerber verständlichen Sprache ab keine Rechtspflicht, jede entscheidungserhebliche Tatsache durch Beweismittel zu belegen Aussage/Stellungnahme Asylbewerber kann für Substantiierung ausreichen hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte – – 15.06.2015 keine überzogenen Erwartungen/Anforderungen der Entscheider in Bezug auf Stützung Vorbringen durch Dokumente/Beweismittel bestimmte behauptete/entscheidungserhebliche Tatsachen können nicht durch Beweismittel belegt werden Vorlesung Asylrecht SS 2015 8 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung COI-Informationen Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 BAMF: Informationszentrum Asyl und Migration (IZAM) • Fachinformationen zu Asyl und Migration für BAMF, andere Behörden, Gerichte und Privatpersonen – – – – – • Informationssammlung und Recherche in eigener Datenbank „MILo“ (MigrationsInfoLogistik) (nicht allgemein zugänglich) – – – – • • Spezialbibliothek Referate „Analyse islamischer Herkunftsländer“ und „Analyse nichtislamischer Herkunftsländer“ Austausch von Informationen mit anderen europäischen Staaten zum Zweck der Informationsbündelung Pressedokumentation Informationsvermittlungsstelle („IVS“) Serviceeinheit für konkrete länderkundliche Anfragen Informationen zu Migration, Integration, Rückkehr Rechtsprechungsdokumentation Erkenntnisse im Zusammenhang mit vor BAMF geführten Asylverfahren Herkunftsländerinformationen, insb.: Amtliche Auskünfte und Analysen, Gutachten, Ausarbeitungen von Partnerbehörden, Berichte humanitärer Organisationen Echtheitsprüfung von Dokumenten durch Stelle für Physikalisch-technische Urkundenüberprüfung in Nürnberg (§ 16 Abs. 1 bis 4a AsylVfG) Sprachanalysen durch ausgebildete Sprachwissenschaftler/Linguisten (§ 16 Abs. 1 AsylVfG) © de Castillejo/Leonhardt 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 9 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung COI-Informationen: exemplarische Quellen für „Erkenntnisquellen“ Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 Informations- und Dokumentationsstelle für Asyl- und Ausländerverfahren beim Verwaltungsgericht Wiesbaden (IuD-Stelle) • Sammlung, dokumentarische Aufbereitung und Speicherung politischer und sozio-ökonomischer Daten und Informationen über die Herkunfts-, Transit- und Zufluchtsländer der Asylsuchenden und Flüchtlinge in eigener Datenbank „asylfact“ • Aufbereitung unterschiedlichster Quellen (Auswärtiges Amt, Nichtregierungsorganisationen, wissenschaftliche Gutachter oder Institutionen; Presse-/Medien/-Internetberichte aller Art; Auskünftedokumentation; Parlamentsdrucksachen) • erfordert Registrierung (Zugangskosten?) ACCORD • Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (http://www.roteskreuz.at/migration-suchdienst/accord/) • Bereitstellung von Herkunftslandinformation mit (teils) öffentlichem Zugang (inkl. Länderberichte und Themendossiers) • kostenlos öffentlich zugängliches Portal mit Datenbank “ecoi.net” (European Country of Origin Information Network) (betreut vom Österreichischen Roten Kreuz mit Unterstützung von Informationsverbund Asyl & Migration, Deutschland) • Leitfaden zu „Qualitätsstandards und Prinzipien für Herkunftslandinformation“ (Asylmagazin Beilage 12/2014) weitere Datensammlungen (Auswahl/Beispiele) • Länderauskünfte/Berichte/Einzelauskünfte/Gutachten bei amnesty international (www.amnesty.org) und Pro Asyl (http://www.proasyl.de/de/themen/rechtspolitik/stellungnahmen/) • UNHCR (http://www.unhcr.de/service/publikationen.html) -> „Neueste UNHCR-Veröffentlichungen“): Aktuelle Dokumente, Einsatzberichte, Stellungnahmen) • Schweizerische Flüchtlingshilfe (https://www.fluechtlingshilfe.ch/herkunftslaender.html): Auskünfte, Themenpapiere und Updates der SFH-Länderanalyse • Berichte des British Home Office zu Herkunftsländern (https://www.gov.uk/government/collections/country-information-and-guidance) 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 10 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Beweismittel/-erhebung Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 Beweis-/Erkenntnismittel im behördlichen/gerichtlichen Verfahren Voraussetzung jeder förmlichen Beweiserhebung - unter Beweis gestellte Tatsache (nicht: Bewertung) ist entscheidungserheblich - Beweismittel sind tauglich und (grds. im Inland) erreichbar (z.B. keine Einholung einer amtlichen Auskunft des Verfolgerstaates über Verfolgungsaktivitäten) Allgemein-/Gerichtskundigkeit • allgemeinkundig = Tatsachen, die verständige erfahrene Menschen in aller Regel wissen bzw. von denen sie sich jederzeit aus allgemein zugänglichen Erkenntnisquellen ([seriöse] z.B. Presse, Internetquellen etc.) unschwer überzeugen können • gerichtskundig = Tatsachen, die dem Gericht/einem seiner Mitglieder bei amtlicher Tätigkeit bereits zuverlässig in Erfahrung gebracht wurden • Allgemein-/Gerichtskundigkeit ändert nichts an der Notwendigkeit zur Gewährung rechtliches Gehör (Benennung in Erkenntnismittelliste; Einführung durch Übermittlung von Präjudizien, in denen bestimmte Erkenntnismittel erkennbar verwertet sind 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 11 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Beweismittel/-erhebung Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 Urkundenbeweis • Beziehung von Verwaltungsvorgängen ist gesetzlich vorgesehene Sonderform • Urkunden (z.B. über Verfolgungsmaßnahmen [Haftbefehle, Strafurteile etc.) • keine Echtheitsvermutung/erhöhter Beweiswert ausländischer öffentlicher Urkunden (§ 418 ZPO nicht anwendbar [str.]) • Problem der Echtheit vorgelegter Urkunden; Trennung „Echtheit“ Urkunde und dem Freibeweis zugänglicher inhaltlicher Richtigkeit • fremdsprachige Urkunden sind auf Verlangen des Gerichts von zugelassenem Übersetzer in die deutsche Sprache zu übersetzen; keine schlichte Nichtberücksichtigung, wenn wesentlicher (entscheidungserheblicher) Urkundeninhalt skizziert wird • bereits im Zuge des Verwaltungsverfahrens erstellte Sachverständigengutachten (z.B. Sprach- oder Altersgutachten) sind im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten • „Informationsverkörperungen“ ohne Urkundenqualität sind Augenscheinsobjekte 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 12 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Beweismittel/-erhebung Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 Lagebericht/Informationen des Auswärtigen Amtes • i.d.R. keine öffentlichen Urkunden, sondern selbständige Beweismittel • als amtliche Äußerung besonderer Art Gegenstand des Freibeweises • keine Rechtspflicht des Auswärtigen Amtes, Informationsquellen für Auskünfte/Lageberichte offen zu legen (Nichtoffenlegung: Elemente des Freibeweises) • eigenständige Zuverlässigkeitsprüfung insb. dann, wenn berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der in der Auskunft verwerteten Informationen • Klassifizierungsvermerk (z.B. VS-NfD) hindert nicht prozessuale Verwertung, wenn Betroffenen Zugang/rechtliches Gehör gewährt wird (Problem: Weiterleitung an nicht Verfahrensbeteiligte Dritte durch Rechtsanwalt) informatorische Anhörung Beteiligte • Hauptform der Anhörung von Asylbewerbern im gerichtlichen Verfahren • im Amtsermittlungsprozess i.d.R. keine förmliche Parteivernehmung Beweiserhebung Einnahme Augenschein • Lichtbilder, Videos etc. • grds. keine Augenscheineinnahme im (potentiellen) Verfolgerstaat Zeugenbeweis • (verfügbare) Zeugen z.B. zu Verfolgungsmaßnahmen, (berücksichtigungsfähigen) Nachfluchtaktivitäten • In Ausnahmefällen auch Zeugeneinvernahme Anhörperson zum Verlauf der Anhörung • im Verfolgerstaat lebende Zeugen gelten als ungeeignete Beweismittel • im sonstigen Ausland lebende Zeugen: konkrete Erreichbarkeitsprüfung; Beweiswürdigkeit darf nicht vom persönlichen Eindruck des Zeugen abhängen 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 13 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Beweismittel/-erhebung Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 Sachverständigenbeweis • Klärung einzelner Tatsachen oder Tatsachenkomplexe/Geschehensabläufe zur rechtlichen/tatsächlichen Situation im Herkunftsstaat durch den Sachverständigen/die sachverständige Stelle aufgrund besondere Sachkunde/ Wissens/ Zugang zu Informationen • Auswahl Sachverständiger steht im Ermessen des Gerichts • Gericht kann (weiteres) SV-Gutachten zu bestimmtem Tatsachenkomplex ablehnen, wenn es aufgrund anderweitiger SV-Gutachten, Auskünfte und Stellungnahmen bereits eigene Sachkunde besitzt • neues SV-Gutachten u.a., wenn bisherige Erkenntnisquellen erkennbare Mängel aufweisen, von unzutreffenden Voraussetzungen ausgehen, nicht hinreichend neutral sind oder nicht mehr (hinreichend) aktuell sind Erkenntnismittellisten • Gericht muss zur Wahrung rechtlichen Gehörs die Beteiligten darauf hinweisen, welche Erkenntnismittel es bei der Entscheidungsfindung heranziehen will/wird und bei Bedarf den Beteiligten Einsicht in diese Erkenntnismittel gewähren (kein Anspruch auf [digitale] Übermittlung • Verwendung von Erkenntnisquellen aus anderen Verfahren muss Beteiligten auch dann mitgeteilt werden, wenn diese Verfahren den Beteiligten bekannt sein sollten • Aufbereitung der Erkenntnismittel in der Erkenntnismittelübersicht (nach Quelle, Datum, Aktenzeichen, Fundstelle, Inhalt/Themenbereich) muss so sein, dass rechtliches Gehör nicht durch „ungeordnete Informationsflut“ vereitelt wird 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 14 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Glaubhaftigkeit/Glaubwürdigkeit Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 zentrale Bedeutung der Glaubhaftigkeit/-würdigkeit im Asylverfahren • Angaben des Asylbewerbers konstituieren (individuelle) Verfolgungs“geschichte“ als Grundlage der materiellrechtlichen Prüfung • mangels sonstiger Beweismittel zum Nachweis des Verfolgungsgeschehens Asylbewerber als „Zeuge in eigener Sache“ • hoher Anteil ablehnender Asylentscheidungen, weil Vorbringen als nicht glaubhaft/ Asylbewerber als unglaubwürdig bewertet worden ist • normativ: Frage der Glaubhaftigkeit/-würdigkeit ist rechtlich gebundene, rational regelgebunden entscheidbare Entscheidung, keine (ungebundene/uneingeschränkte) Ermessensentscheidung der Entscheider (aber: [notwendig] dezisionistisches [Rest]Element) • -> Darstellungsproblem für Asylbewerber • -> Feststellungs-/Bewertungsproblem für Entscheider (Berater/Rechtsanwalt; BAMF; Gericht) Konsequenz für Beratungsprozess • BeraterIn muss sich auch eigenes Bild der „credibilty“ machen, um wirksam helfen zu können (zumindest ethisch-moralisches Problem: Beratung im Glauben/Wissen der Unglaubhaftigkeit der Angaben/der Unglaubwürdigkeit der Person) • Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Beratungsgespräche (soweit auf das Antragsvorbringen bezogen) wie durch die Entscheider selbst (dazu EASO-Leitfaden) • Umgang mit dem Risiko/dem Erlebnis, dass auch BeraterIn nicht die (volle) Wahrheit erzählt wird • „Arbeit am Sachverhalt“ als Teil des Beratungsprozesses? 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 15 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Glaubhaftigkeit/Glaubwürdigkeit Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 Terminologisches • Glaubhaftigkeit: Bezugspunkt sind (sachbezogen) die Tatsachenaussagen/einzelne Tatsachenkomplexe des Vorbringens: Treffen die Angaben zu? (credibility of the claim/facts/story) • Glaubwürdigkeit: Bezugspunkt sind (personenbezogen) die Asylbewerber und ihre persönliche Glaubwürdigkeit: Sagt der Asylbewerber die Wahrheit? (personal credibility of the asylum-seeker/applicant) • „Glaubhaftmachung“: Bezugspunkt ist das Beweismaß („standard of proof“) – – – § 108 VwGO: volle richterliche Überzeugungsgewissheit erfordert keinen unumstößlichen, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Raum für „Restzweifel“ lässt Beweiswert der Aussagen des Asylbewerbers ist wegen der asyltypischen Beweisnot im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen (st. Rspr. BVerwG) „Regelwerke“ zur Annäherung an das „Credibility“-Problem (Auswahl) • UNHCR (ERFC), Beyond Proof. Credibility Assesment in the EU Asylum System, May 2013 • IALRJ, Assessment of Credibility in Refugee and Subsidiary Protection claims under the EU Qualification Directive, Judicial criteria and standards, Haarlem 2013 • EASO, Practical Guide: Personal Intervies, December 2014 • im Grundsatz hohe Übereinstimmung, in Ausdifferenzierung/im Detail Unterschiede 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 16 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Glaubhaftigkeit/Glaubwürdigkeit Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 Grundlage der Prüfung • individuelle Antragsprüfung unter Mitwirkung des Antragstellers und unter Berücksichtigung besonderer Umstände (Art. 4 RL 2011/95/EU) • Anträge müssen einzeln, objektiv und unparteiisch geprüft/entschieden werden (Art. 10 RL 2013/32/EU) (Kenntnis Entscheider der Normen im Bereich Asyl-/Flüchtlingsrecht ist verlangt) • Angaben des Asylbewerbers in der mdl. Anhörung; Asylbewerber muss (Art. 16 RL 2013/32/EU) • hinreichend Gelegenheit zur Antragsbegründung in der (mdl.) Anhörung haben (aber: Reichweite Hinweis-/Nachfragepflicht? Protokollierung Vorbehalte?) • sich zu fehlenden Angaben und/oder Widersprüchen/Abweichungen/Zweifeln äußern UNHCR-Standards optimaler Prüfung (Credo-Projekt UNHCR/ERFC: Improving Credibility Assessments in EU Asylum Procedures) • Pflichten sowohl Asylbewerber als auch Entscheider – – • • • • • Asylbewerber: offenkundige Bemühung um Klärung/Wahrheit; Bereitschaft zu Angaben unter Übermittlung das Begehren stützender Unterlagen/Dokumente/Beweismittel; hinreichende Erklärung von Widersprüchen/fehlenden Angaben/unzureichenden Anhaltspunkten Entscheider: Informationsbereitstellung für/Anleitung von Asylbewerber; geeignete/“hilfreiche“ Fragen in Anhörung; Gelegenheit zur Klärung von Zweifeln/Widersprüchen/sonstigen (potenziell) nachteiligen Feststellungen; eigene Aufklärung (z.B. Herkunftslandinformationen [Amtsermittlungsgrundsatz]) individuelle, objektive und unparteiische Prüfung tatsachengestützte Prüfung unter Konzentration auf die wesentlichen Tatsachen genaue und gründliche Prüfung auf der Grundlage aller verfügbaren Informationen eindeutige Feststellungen und strukturierte Vorgehensweise bei Anhördung/Befragung Grundsatz der Auslegung zweifelhafter Tatsachen zugunsten des Asylbewerbers („benefit of doubt“) (Inhalt/Reichweite str.) 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 17 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Glaubhaftigkeit/Glaubwürdigkeit Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 bei Glaubhaftigkeits/Glaubwürdigkeitsbewertung zu berücksichtigende Umstände (lt. Credo-Projekt UNHCR/ERFC: Improving Credibility Assessments in EU Asylum Procedures) • Berücksichtigung aller individuellen und strukturellen Verhältnisse des Asylbewerbers – Persönlicher Hintergrund (Alter, Nationalität, Herkunft, Geschlecht, Bildung/Ausbildung, sexuelle Orientierung, kulturelle oder religiöse Prägung/Bindungen, städtischer/ländlicher Hintergrund, Gesundheitszustand) – erlittene Verfolgungen/Misshandlungen/ernsthafte Menschenrechtsverletzungen – politische, soziale, rechtliche, religiöse, wirtschaftliche, kulturelle etc. Verhältnisse im Herkunftsstaat; Menschenrechtssituation; Schutzbereitschaft/-fähigkeit staatlichen Schutzes Begrenzungen und Einflussfaktoren in Bezug auf die menschliche Erinnerung und ihre Wiedergabe • Erinnerung stets als „gedankliche Rekonstruktion“ von Geschehenem – – • -> große Unterschiede bei der Fähigkeit von Menschen, Erinnerungen zu berichten, zu behalten oder wieder aufzurufen -> Unvermeidlichkeit gewisser Inkonsistenzen große Unterschiede beim Erinnerungsvermögen – – 15.06.2015 z.B. in Bezug auf Daten, Zeiten, Häufigkeiten, Dauer, Abfolgen, wortgetreue Wiedergabe von Dialog, Nebeninformationen, Erinnerung an Alltägliches/Gewohntes -> Erinnerung stets auch (unbewusste) Rekonstruktion aus Schlussfolgerungen, Schätzungen/Annäherungen und Raterei (zum Auffüllen von Erinnerungslücken) Vorlesung Asylrecht SS 2015 18 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Glaubhaftigkeit/Glaubwürdigkeit • • • • • • • • • Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 Beeinträchtigung des Wiederaufrufs von Erinnerungen durch Emotionen und Stimmungen Kontextabhängigkeit des Wiederaufrufs von Erinnerungen (Situation; offene/geschlossene/suggestive Fragen) Beeinflussung durch traumatische Erlebnisse (Verdrängung/Wahrnehmungsverzerrungen) fehlendes Vertrauen in die Entscheider und/oder die Sprachmittler (Teil des Verfolgernetzwerkes? -> Zurückhaltung von Information) kulturelle Hintergründe und Gewohnheiten als Hintergründe von Kommunikation: Sprachgebrauch; Wahrnehmungsraster für Worte, Begriffe, Ansichten; Konzepte von Zeit, Dauer und Ort; divergierende normative Prägungen etc. Erziehung: formaler/realer Bildungsgrad steuert Fähigkeit, Gründe für Asylantrag klar/verständlich vorzutragen, auf Fragen zu antworten, die Erfassung und Wiedergabe allgemeiner Hintergründe etc.) Geschlecht als von vielfältigen Faktoren (Kultur, Religion, soziale Schicht, Herkunft, Alter) geprägtes „soziales Konstrukt“ beeinflusst Einstellungen, Verhalten, Äußerungen etc. sexuelle Orientierung (bei Unterdrückung im Verfolgerstaat: Selbstverleugnung, Leid, Scham, Isolation, Selbsthass etc. -> verzerrte Wahrnehmung und Prägung der Art und Weise der Selbstdarstellung Stigmatisierung, Scham, Furcht vor Zurückweisung durch Umfeld/Familie oder Selbstverleugnung (z.B. bei Erlebnissen von sexueller Gewalt) kann zu Erinnerungsverlusten (Verdrängung) oder Unvermögen der Verbalisierung führen 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 19 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Glaubhaftigkeit/Glaubwürdigkeit Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 Ansätze für „Indikatoren“ zur Bewertung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens • Detaildichte und Genauigkeit der Angaben – – – • (interne) Schlüssigkeit/ Konsistenz, Kohärenz bzw. Stimmigkeit der Angaben – – • Übereinstimmung der Angaben des Asylbewerbers mit den Informationen von Familienangehörigen/Zeugen Übereinstimmung der Angaben mit den Erkenntnissen zum Herkunftsland (allgemeine Erkenntnisse; besondere Erkenntnisse zur Verfolgungsstruktur; Einzelerkenntnisse) (s.a. Art. 4 Abs. 5 lit. c) RL 2011/95/EU) Plausibilität (Überschneidung mit [externer] Schlüssigkeit) – – – • Übereinstimmung der Angaben mit vorangehenden Angaben (keine [wesentliche] „Steigerung des Vorbringens; [schwierige] Rückausnahme: glaubhafte Erklärung für „Steigerung“) (s.a. Art. 4 Abs. 5 lit. c) RL 2011/95/EU) Übereinstimmung der Angaben mit vorgelegten (echten) Urkunden (Umkehrschluss aus Verwendung unechter/gebzw. verfälschter Urkunden?) (externe) Schlüssigkeit/ Konsistenz bzw. Stimmigkeit der Angaben – – • Art und Ausmaß der Angaben weisen nach Detaildichte, Anschaulichkeit, zeitlicher Einordnung/Abfolge der geschilderten Vorgänge etc. auf tatsächliche persönliche Erfahrungen/Erlebnisse gilt zumindest für die Mehrzahl der entscheidungserheblichen Tatsachen (Problembereich: „Übergreifen“ falscher Angaben zum Reiseweg auf sonstiges Vorbringen) Hinreichende Erklärung für Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte (s.a. Art. 4 Abs. 5 lit. b) RL 2011/95/EU) unlogische/nach allgemeiner Lebenserfahrung erwartbare, aber fehlende Angaben mit welchen Ereignissen/Reaktion der Verfolger etc. kann nach der Erkenntnislage gerechnet werden Tatsachenangaben, die (so) nicht stimmen können weitere Indikatoren – – 15.06.2015 Verhalten bei der Anhörung (z.B. glaubwürdige, nicht übertriebene persönliche/emotionale Betroffenheit bei entsprechenden Angaben) (UNHCR: generell kein tauglicher Indikator) Zeitpunkt von Angaben im Verfahren (s.a. Art. 4 Abs. 5 lit. cd RL 2011/95/EU) Vorlesung Asylrecht SS 2015 20 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Glaubhaftigkeit/Glaubwürdigkeit Ansätze für „Indikatoren“ zur Bewertung der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 Glaubwürdigkeit als problematische Kategorie • Was ist/Wonach bestimmt sich die „persönliche Glaubwürdigkeit“ • „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht …“ • keine Belohnung allein „schauspielerischer Leistungen“ vs. (sektorale) „Generalaussage“ über Person • Glaubwürdigkeitsbewertung erfordert Rückschlüsse aus i.d.R. einzelnen Angaben/Verhaltensweisen, die in „komplexer Kommunikationssituation“ Asylverfahren vielfältigen Ursachen geschuldet sein können und keine eindeutigen Schlussfolgerungen erlauben • Kategoriale Unterscheidung im Bezugspunkt, de facto oftmals „qualifizierte“ Form der Unglaubhaftigkeit von Angaben unionsrechtlicher Anknüpfungspunkt (s.a. Art. 4 Abs. 5 lit. e) RL 2011/95/EU) • kein Nachweis für im übrigen glaubhafte Angaben erforderlich, für die Unterlagen/sonstige Beweise fehlen, wenn die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist • in der konkreten Ausgestaltung Reaktion auch auf den „beweisrechtlichen Ansatz“ der RL 2011/95/EU (Übernahme aus Rechtssystemen ohne Amtsermittlungsgrundsatz) 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 21 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Glaubhaftigkeit/Glaubwürdigkeit Ansätze für „Indikatoren“ zur Bewertung der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 in nationaler Rechtsprechung anerkannt • in Asylverfahren kommt Glaubhaftigkeit der Schilderung der Fluchtgründe und Glaubwürdigkeit der Person maßgebliche Bedeutung zu • kommt es für die Glaubwürdigkeit der tatrichterlichen Würdigung des individuellen Vorbringens des Asylbewerbers wesentlich auf Glaubwürdigkeit an, kann Gericht hierüber in aller Regel nur nach einer persönlichen Anhörung des Asylbewerbers entscheiden (stRspr; s. nur BVerwG 10.5.2002 – 1 B 392.01; insb. bei Abweichung von Vorinstanz [BVerwG 9.12.2010 – 10 C 13.09] oder allein auf Grundlage Einschätzung BMAF [BVerwG 10.5.2002 – 1 B 392.01]) -> i.d.R. keine Berufungsentscheidung nach § 130a Satz 1 VwGO • fehlende „generelle“ Glaubwürdigkeit kann Umfang weiterer Sachaufklärung/Beweiserhebung begrenzen • Tatsachenrichter kann Glaubwürdigkeitsbeurteilung selbst vornehmen und entscheidet nach eigenem Ermessen, ob er sich die hierfür notwendige Sachkunde selbst zutraut oder sich der Sachverständigenhilfe einer in Bezug auf die Aussagepsychologie fachkundigen Person bedient (BVerwG 27.9.1990 – 9 B 53.90) 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 22 Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung Glaubhaftigkeit/Glaubwürdigkeit Beweismaßvariationen Prof. Dr. Uwe Berlit SS 2015 „Offensichtlichkeit“ der Unbegründetheit iSv § 30 AsylVfG • wenn vernünftigerweise kein Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen • Ablehnung des Antrags drängt sich hiernach nach dem Stand von Rspr. und Lehre geradezu auf „ernstliche Zweifel“ • regelmäßig im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes (z.B. § 36 Abs. 4 AsylVfG) • es sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung nicht standhält • kann sich auch aus ernstlichen Zweifeln an der zugrundeliegenden Tatsachengrundlage ergeben „Tatsachen begründen Annahme …“ (§ 29a AsylVfG) • Formulierung für Quasi-Beweislastumkehr bei der Regelung zu den sicheren Herkunftsstaaten • schlüssiges, substantiiertes und auch glaubhaftes Vorbringen bezogen auf die individuellen Verhältnisse, dass Verfolgungsfreiheitsprognose des Gesetzgebers unzutreffend sein kann • abschließende Beurteilung, ob Vorbringen zutrifft, erst in einem zweiten Verfahrensschritt, in dem eine umfassende Bewertung zu leisten ist Prognosemaßstäbe • Welcher Grad der Wahrscheinlichkeit muss für ein entscheidungserhebliches Ergebnis bestehen (zumeist: Gefahrenprognose) • grds. beachtliche, also überwiegende Wahrscheinlichkeit für Vorgänge/Maßnahmen/Ereignisse, die nach Maßgabe der materiellen Voraussetzungen der Schutzgewähr (Asyl; Flüchtlingsschutz; subsidiärer Schutz; nationaler Abschiebungsschutz) • nach Rspr. EuGH zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung war frühere asylrechtliche Differenzierung BVerfG/BVerwG zum Prognosemaßstab (Anerkennung: beachtliche, überwiegende Wahrscheinlichkeit der Verfolgung; Widerruf: hinreichende Verfolgungssicherheit) zugunsten eines einheitlichen, „spiegelbildlichen“ beweisrechtlichen Ansatzes (Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU) des „real risk“ aufzugeben 15.06.2015 Vorlesung Asylrecht SS 2015 23
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