Öffentliches Recht und Europarecht – Aktuell

51/2015 18.12.2015
I. Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit
a. Verwaltungsgerichtshof
13.10.2015, Ra 2015/01/0166
SPG; RLV. Gegenstand der zu Grunde liegenden Richtlinienbeschwerde war die telefonische Vorladung des Betroffenen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Dienste der Strafjustiz. Eine bloß telefonische Ladung
des Beschuldigten kann sich nicht auf § 153 Abs 2 StPO stützen. Vielmehr schließt § 153 StPO eine telefonische Ladung
aus und sieht neben der schriftlichen Ladung die Vorführung des Beschuldigten in den vom Gesetz genannten (dringlichen) Fällen vor. Der VwGH hat betreffend der Zulässigkeit einer Richtlinienbeschwerde bereits festgehalten, dass sich
die Rechtsfrage, ob der Betroffene von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei einer Blutabnahme nach
§ 5 Abs 10 StVO über die Freiwilligkeit seiner Mitwirkung aufgeklärt wurde, schon deshalb nicht stellt, weil eine Amtshandlung im Sinne von § 4 RLV nicht vorgenommen wurde (vgl VwGH vom 18.12.2014, Ra 2014/01/0028). Dieser
Rechtsprechung liegt zugrunde, dass eine Inanspruchnahme der Freiwilligkeit nach § 4 RLV nicht vorliegt, wenn sich
die Amtshandlung bereits auf eine andere gesetzliche Ermächtigung stützen kann. Da sich die telefonische Ladung
des Mitbeteiligten im vorliegenden Fall nicht auf § 153 Abs 2 StPO stützen konnte, kommt für die gewählte Vorgangsweise
nur die freiwillige Mitwirkung nach § 4 RLV in Frage. Zudem ist eine Richtlinienbeschwerde ist auch bei Amtshandlungen im Dienste der Strafjustiz zulässig.
b. Verwaltungsgerichte
Niederösterreich: 24.08.2015, LVwG-MB-13-0035
SPG. Wegweisung und Betretungsverbot sind nach § 38a Abs 1 und 2 SPG an die Voraussetzung geknüpft, dass auf
Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, es stehe ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer
gefährdeten Person bevor. Es kommt also maßgeblich darauf an, ob ein gegen die genannten Rechtsgüter des Gefährdeten gerichteter gefährlicher Angriff seitens des von der Maßnahme Betroffenen zu erwarten ist. Diese Erwartung muss auf
"bestimmte Tatsachen" gründen, wobei das Gesetz als solche insbesondere einen vorangegangenen gefährlichen Angriff nennt, der seinerseits jedoch nicht gegen Leben, Gesundheit oder Freiheit der gefährdeten Person gerichtet sein
muss (vgl VwGH 21.12.2000, 2000/01/0003). Was außer einem gefährlichen Angriff als "bestimmte Tatsache" für die anzustellende "Gefährlichkeitsprognose" gelten kann, sagt das SPG nicht ausdrücklich. Angesichts des sicherheitspolizeilichen Maßnahmen inhärenten Präventivcharakters kann allerdings kein Zweifel bestehen, dass nach den jeweiligen Umständen etwa auch Aggressionshandlungen unter der Schwelle eines gefährlichen Angriffs oder in der Vergangenheit liegende Gewaltakte als derartige "Tatsachen" in Frage kommen können, zumal dann, wenn mehrere dieser Faktoren
zusammenkommen. Entscheidend ist stets, dass daraus gesamthaft betrachtet die Prognose ableitbar ist, dass ein gefähr-
licher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person bevorstehe; auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe. Dass "bloße" Belästigungen drohen, reicht hingegen nicht aus (vgl VwGH 21.12.2000, 2000/01/0003, 24.02.2004, 2002/01/0280). Als
solche bestimmten Tatsachen iSd § 38a Abs 1 SPG kommen zunächst einmal die konkreten Angaben der gefährdeten
Person in Betracht, insbesondere auch Wahrnehmungen, die auf das Bevorstehen eines gefährlichen Angriffs der genannten Art schließen lassen. Auch das Erscheinungsbild der gefährdeten Person stellt eine bestimmte Tatsache dar und
kann je nachdem, wie es sich den Beamten darbietet (zB geschwollenes Gesicht, verängstigter Eindruck) allein oder in
Verbindung mit anderen Tatsachen eine Gefährlichkeitsprognose begründen. Auch das Verhalten einer Person (aggressives Verhalten gegenüber dem Gefährdeten, abnormes Verhalten, Gestiken usw) anlässlich des Einschreitens der Polizeibeamten im gegebenen Zusammenhang situationsbedingt Indizcharakter zukommen (vgl VwGH 24.02.2004,
2002/01/0280). Ob ein gefährlicher Angriff bevorsteht ist vom einschreitenden Organ zu beurteilen. Dabei ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen und zunächst zu fragen, ob er vertretbar annehmen
konnte, dass ein gefährlicher Angriff erfolgt ist und ob ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht (vgl VwGH 29.07.1998, 97/01/0448).
Wien: 27.08.2015, VGW-031/067/7428/2015
KFG. Strafbar iSd KFG ist, wer bei einer Sichtbehinderung durch Regen, Schneefall, Nebel und dergleichen das Abblendlicht, Nebellicht oder beide gemeinsam nicht verwendet. Das objektive Tatbild erfordert neben den Umstand von
Regen odgl eine durch den Regen bedingte Sichtbehinderung, was wiederum entsprechende Feststellungen zur konkreten tatsächlichen Sichtweite voraussetzt (vgl etwa VwGH vom 28.02.1996, 95/03/0226, oder vom 09.05.1990,
89/02/0220). Ohne die konkreten Sichtverhältnisse zu kennen, kann jedoch kein nachvollziehbarer Schluss daraus gezogen werden, ob die Beleuchtung des Fahrzeuges des Beschwerdeführers im Sinne der Vorschrift des § 99 Abs 5 KFG erforderlich gewesen ist oder nicht. Im ggst Fall konnte die für eine Bestrafung erforderliche Gewissheit nicht festgestellt
werden, weshalb keine Strafe verhängt werden darf.
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