Kirchengeschichte: Konstantinische Wende

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V. DIE FRÜHE KIRCHE IM VISIER DER
ÖFFENTLICHKEIT
Nicht nur die Kirche muss ihre Identität im noch unvertrauten hellenistisch geprägten Umfeld neu finden – auch die römische Öffentlichkeit sieht sich von der
stetig wachsenden religiösen Gruppierung gefordert: Welche Gründe gibt es für
die anfangs abwehrende Einstellung des Staates gegenüber den Christen? Was
aber motiviert die Staatsmacht schließlich zur Änderung ihrer Haltung?
TEXT 1
Brief Plinius' des
Jüngeren an Kaiser
Trajan
Ich habe bei denen, die mir als Christen angezeigt wurden, folgendes Verfahren eingehalten. Ich habe sie gefragt, ob sie Christen seien. Wenn sie bekannten, so habe ich sie zum zweiten und dritten
Mal gefragt und ihnen mit der Todesstrafe gedroht. Beharrten sie
darauf, so habe ich sie zur Hinrichtung führen lassen, denn worin
auch immer ihr Verbrechen mochte bestanden haben, das stand mir
fest, dass ihr Eigensinn und unbeugsamer Starrsinn jedenfalls bestraft werden müsse.
Andere von eben diesen Wahnsinnigen habe ich, weil sie römische
Bürger waren, zur Deportation nach Rom bezeichnet. Da im Verlauf dieses Prozesses, wie das zu geschehen pflegt, das Verbrechen
sich weiter ausbreitete, so haben sich auch nachgerade verschiedene Arten desselben gezeigt. Es wurde eine anonyme Anklageschrift vorgelegt, worauf viele Namen von Personen standen, die
jedoch leugneten, dass sie Christen seien oder es je gewesen seien.
Als diese auf die Weise, wie ich es ihnen vorsagte, die Götter anriefen und deinem Bilde, das ich zu diesem Zwecke mit den Götterbildern herbeischaffen ließ, Wein und Weihrauch opferten und
überdies Christus fluchten, was man von denen nicht soll erzwingen können, die wirklich Christen sind, so glaubte ich, sie entlassen
zu sollen.
Andere, die von einem Angeber angezeigt worden, sagten, sie seien
Christen, und leugneten es nachher wieder ab; sie seien Christen
zwar gewesen, aber wieder zurückgetreten, einige vor drei, andere
vor mehr, einer sogar schon vor zwanzig Jahren. Diese alle beteten
dein Bild und die Bilder der Götter an und verwünschten das Christentum. Sie gestanden aber, ihr größtes Verbrechen und ihr größter
Irrtum habe darin bestanden, dass sie an einem bestimmten Tage
vor Sonnenaufgang zusammengekommen seien und ein Lied auf
Christus als auf einen Gott wechselweise gesungen hätten; sodann
hätten sie sich durch einen Eid verpflichtet, nicht zu einem Verbrechen, sondern dass sie keinen Diebstahl, keinen Raub, keinen Ehebruch begehen, ihr Wort nicht brechen und Gott nicht verleugnen
wollten, wenn es von ihnen gefordert würde. Darauf seien sie gewöhnlich auseinander gegangenen, aber bald wieder zusammen gekommen, um gewöhnliche und unschuldige Speisen zu genießen.
Das hätten sie aber infolge meiner Verordnung unterlassen, in welcher ich dein Verbot der geheimen Verbindungen kundmachte. Für
umso notwendiger hielt ich es, von zwei Mägden, welche Dienerinnen (lat.: ministrae; hier möglicherweise im Sinn von Diakonin-
Marcus Ulpius Trajan, *53 n. Chr., römischer Kaiser
98–117.
nen) genannt wurden, durch die Folter zu erfahren, was Wahres an
der Sache sei. Ich habe aber nichts gefunden als einen verkehrten,
maßlosen Aberglauben. Deshalb habe ich die Untersuchung aufgeschoben, um bei dir Rat zu holen. Denn die Sache schien mir allerdings der Überlegung wert, besonders wegen der Menge derer, die
dabei in Gefahr geraten. Denn viele jeden Alters, jeden Standes und
beider Geschlechter kommen in diese Gefahr und werden noch
darein kommen, denn nicht nur in die Städte, sondern auch in Flecken und Dörfern hat sich das Verderbnis dieses Aberglaubens
verbreitet, welchem jedoch noch Einhalt getan werden könnte. Wenigstens ist es Tatsache, dass die beinahe verlassenen Tempel wieder anfangen besucht zu werden, dass die lange unterlassenen Festlichkeiten wieder gefeiert und hie und da auch wieder Opfertiere
verkauft werden, die bisher selten einen Käufer gefunden hatten.
TEXT 2
Der Kaiser antwortet …
Bei der Untersuchung gegen die Dir als Christen bezeichneten Personen hast Du, lieber Secundus, den richtigen Weg eingeschlagen;
denn es lässt sich nichts im allgemeinen, nichts, was gleichsam als
bestimmte Regel aufgestellt werden könnte, verfügen. Man darf sie
nicht aufsuchen, wenn sie aber angezeigt und überführt werden,
sind sie zu bestrafen, doch so, dass, wenn einer leugnet, Christ zu
sein, und es durch die Tat beweist, nämlich durch Anflehung unserer Götter, ihm wegen seiner Reue Verzeihung zuteil werden soll,
mag er auch früher noch so verdächtig gewesen sein. Anonyme
Anzeigen aber dürfen bei keinem Verbrechen berücksichtigt werden, denn das gibt ein sehr schlechtes Beispiel und ist mit dem
Geiste meiner Zeit nicht vereinbar.
(Beide Texte zitiert nach: M. Pfliegler, Dokumente zur Geschichte der Kirche,
Tyrolia, Innsbruck 1957, S. 23–25)
TEXT 3 Toleranzedikt von Serdika
(überliefert in der
Kirchengeschichte
des Eusebius, 1.
Hälfte 4. Jh.)
Unter den übrigen Verordnungen, die wir zum Wohle und Nutzen
des Staates erlassen, haben wir seinerzeit den Willen kundgetan, alle Verhältnisse entsprechend den alten Gesetzen und den römischen
staatlichen Grundsätzen zu ordnen und dafür zu sorgen, dass auch
die Christen, die die Religion ihrer Vorfahren verlassen, wieder zu
einem besseren Entschluss kämen. Aus irgendwelchen Gründen
hatte sie solcher Eigenwille erfasst und solche Torheit befallen,
dass sie nicht mehr den Bräuchen der Alten folgten, die vielleicht
sogar ihre eigenen Ahnen dereinst eingeführt, sondern nach eigenem Gutdünken so, wie jeder wollte, sich selbst Gesetze machten
und sich an diese hielten und da und dort bunte Menschenmengen
versammelten. Als nun durch uns ein Erlass erging, der sie zu den
von den Vorfahren festgelegten Sitten zurückführen sollte, wurde
sehr vielen der Prozess gemacht und sehr viele gerieten in Verwirrung und erlitten auf mannigfache Weise den Tod. Und da wir sahen, dass die meisten bei ihrer Torheit beharren und weder den
himmlischen Göttern die schuldige Verehrung erweisen noch den
Gott der Christen verehren, so haben wir geglaubt, mit Rücksicht
auf unsere Menschenfreundlichkeit und unsere ständige Gewohnheit, gemäß der wir allen Menschen Nachsicht zu schenken pfle-
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gen, auch auf diesen Fall bereitwilligst unser Entgegenkommen
ausdehnen zu müssen. Sollen also wiederum Christen sein und die
Häuser, in denen sie sich versammelten, wiederherstellen, jedoch
unter der Bedingung, dass sie in keiner Weise gegen die Ordnung
handeln. In einem weiteren Schreiben werden wir den Richtern
Weisung geben, wie sie sich zu verhalten haben. In Ansehung dieses unseres Gnadenerlasses sollen sie daher zu ihrem Gott für unser
Wohlergehen, für das des Volkes und ihr eigenes Flehen, damit das
Staatswesen in jeder Beziehung unversehrt bleibe und sie sorgenlos
in ihren Wohnungen leben können.
(Zitiert nach: Eusebius v. Caesarea, Kirchengeschichte, hgg. v. H. Kraft, München 1967, S. 348f)
Was sagt der Pliniusbrief über die Vorwürfe an die Christen
aus?
Warum wurden die Verfolgungen schließlich eingestellt? Was
erhoffte man sich davon?
1.
Kontakte, Konfrontationen und Konflikte
Die frühchristlichen Apologeten
Verantwortung für
die Welt
skandalös oder bildungsverträglich?
Apologeten
Während für die frühchristlichen Gemeinden bis zum Ende des 1. Jhs. die Auseinandersetzung mit der Synagoge bestimmend gewesen war, mussten sie sich in
der folgenden Zeit auf ihre neue Umwelt einlassen. Auch das sich wandelnde
kirchliche Selbstverständnis drängte dazu: Erfuhren sich nämlich die ersten Generationen von ChristInnen noch als aus der bald vergehenden Welt Herausgerufene, die der nahenden Wiederkunft Christi harrten, so trat mit dem Ausbleiben
der Parusie stärker der Gedanke aktiver Verantwortung in der Welt und für die
Welt in den Vordergrund.
 Apologetik (von
gr.: apología, Verteidigungsrede): Rechtfertigung der christlichen Glaubenslehre;
heute v. a. Aufgabe
der Fundamentaltheologie
Nicht nur die soziale Anziehungskraft des christlichen Gemeindelebens gewann der Kirche Sympathisanten, sondern der Glaube
sollte auch die Gebildeten überzeugen. Dafür war es nötig, die Inhalte der klassisch-antiken Bildung zu kennen und sich in ihrer
Denkweise und Begrifflichkeit ausdrücken zu können. Christliche
Lehrer und ,Philosophen‘ traten in diese Auseinandersetzung ein.
Wir nennen diese ,Akademiker‘ die ,frühchristlichen Apologeten‘.
Einer der bekanntesten unter ihnen war der Märtyrer Justin († um
165). Der Dialog mit dem gebildeten Heidentum musste erst gelernt werden, denn die „törichte“ (1 Kor 1,23) Botschaft vom
„Fleisch gewordenen“ (Joh 1,14) Sohn Gottes, der den Verbrechertod am Kreuz gestorben war, um die Welt zu erlösen, war in den
Ohren des antiken verfeinerten Menschen eine wahre Zumutung.
Um von den Gebildeten akzeptiert werden zu können, musste der
Glaube systematisch und philosophisch-spekulativ zugänglich gemacht werden.
Im Osten entwickelte die berühmte Katechetenschule von Alexandrien ein beachtliches, vom kultivierten Milieu wohl zur Kenntnis genommenes ,Programm‘
Ikone Clemens’ v. Alexandrien, griechischer Theologe
und Kirchenvater (150–215)
einer christlichen Wissenschaft. Hier wirkte Clemens von Alexandrien († um
215) als Lehrer und Leiter; sein Schüler und Nachfolger Origenes († um 253/54)
wurde der bedeutendste Theologe der Alten Kirche.
Zu den prominenten Vertretern der frühchristlichen Apologetik im Westen des
römischen Reiches zählen Irenäus von Lyon († um 200), Hippolyt von Rom (†
um 235) und besonders Tertullian von Karthago († nach 220?).
Den Heiden keine Torheit mehr?
Annäherung
Rivalität
Die Begegnung und fundamentale Auseinandersetzung mit dem
zeitgenössischen antiken Denken hat im Christentum bleibende
Spuren hinterlassen: die hohe Wertschätzung v. a. der platonischen
Philosophie als Förderin der Glaubenseinsicht, aber auch die Schattenseite ihres deutlich leibfeindlichen Idealismus’ – eine gewisse
Spiritualisierung der biblischen Christusbotschaft war der Preis ihrer erfolgreichen Inkulturation.*
Je fruchtbarer antike Bildung und christlicher Glaube einander
durchdrangen – sie schienen nicht länger unvereinbar –, desto aufmerksamer und empfindlicher reagierten die heidnischen Gegner.
Während Kelsos (um 160/80) noch der Meinung sein konnte, das
Christentum erledigt zu haben, indem er dessen jüdischen Ursprung
bespöttelte und es als einen „Aufstand der Unterwelt“, d. h. der
Ungebildeten, abtat, erkannten die Philosophen des 3. Jhs. die
,gefährliche‘ Potential des Christentums: Die erfolgreiche Aneignung und Christianisierung des antiken Bildungsgutes ließ den
Aufstieg der Kirche zur Bildungs- und Kulturmacht der Zukunft
befürchten. Vermutlich gingen von gebildeten heidnischen Kreisen
die entscheidenden Anstöße zur Auslösung der letzten großen
Christenverfolgung aus.
Im Spannungsfeld von Frömmigkeit, Bildung und Theologie
Kultur und Philosophie
Gemeindeleben
alternative Praxis
Die Integration des antiken Bildungsgutes ins christliche Denken
brachte mit der Zeit eine niveauvolle christlich-hellenistische Philosophie und Theologie hervor. So konnte das gebildete Milieu
nach und nach für die Kirche gewonnen werden.
Die fortschreitende ,Kultivierung‘ der christlichen Botschaft und
ihre philosophische Durchdringung führten allerdings zu Spannungen mit der Glaubensüberzeugung und Frömmigkeit in den Gemeinden. Dort war man an der antiken Bildung wenig interessiert;
vielmehr fand man mit der Heiligen Schrift und der kursierenden
christlichen Erbauungsliteratur (z. B. apokryphe Apostelgeschichten) das Auslangen. ,An der Basis‘ orientierte man sich immer noch
eher am Ideal der Absonderung von ,der Welt‘: Im Ausgleich sozialer Gegensätze, im caritativen Engagement, im asketischen und
moralischem Bemühen der Gläubigen sollte die Überzeugungskraft
des christlichen Lebens erwiesen werden.
 Vgl. 1 Kor 1,23!
*Im zeitgenössischen rabbinischen Judentum lassen sich
vergleichbare Tendenzen feststellen.
 Inkulturation:
Eindringen einer Kultur in eine andere;
die Vermittlung der
christlichen Botschaft
erst ins hellenistische, später ins germanische Denken
sowie nach Südamerika und Fernost etc.;
erfolgte in Wechselwirkung mit der (unterunterschiedlich berücksichtigten) jeweiligen kulturellen Eigenart der betroffenen Völker
 (Neu)-Platonismus: Gesamtheit der
philosophischen
Richtungen in Fortführung der Philosophie Plato(n)s; wurde
im Zuge der Inkulturation mitunter prägend für das christliche Denken
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Die öffentlichen Schauspiele und Bäder waren zu meiden. Gewisse Berufe, die
in Zusammenhang mit dem römischen Staatskult standen**, durften von Getauften nicht ausgeübt werden. Für die Frauen galt im Gegensatz zu manchen emanzipatorischen Leitbildern der Zeit das Vorbild der guten, zurückgezogen lebenden Hausfrau. Als nicht un-attraktive Alternative blieb da das Ideal des jungfräulichen Lebens. Viele Frauen lebten es vor allem im Kreis ihrer Familie
(,Familienaskese‘). Es sind allerdings auch revolutionäre Formen weiblicher Askese – Eremitinnen in der ägyptischen Wüste, Wanderasketinnen in Syrien – bezeugt. Die zölibatär lebenden Frauen entwickelten aus ihrem Glauben alternative
Lebensformen zum konventionellen patriarchalen Ehemodell.
** Betroffen waren u. a. Soldaten, weil sie der Standarte
zu folgen hatten, Lehrer, die
ihren Unterricht anhand der
griechischen Dramen und Göttererzählungen hielten sowie
Schauspieler, die diese Stücke
zur Aufführung bringen mussten.
Gerüchte und Verdächtigungen
anstößig
Die abgesonderte und pointiert andere Lebensweise der christlichen
Gemeinden geriet zur Provokation und – bei wachsendem Interesse
der gebildeten und wohlhabenden Bürger – zur ernstzunehmenden
Gefahr für die überlieferte Gesellschaftsordnung mit ihren nicht
veränderbaren geheiligten Sitten und Gebräuchen. Dazu kam der
christliche Monotheismus, der den Vertretern der traditionellen pietas nicht nur als arrogant, sondern geradezu als gefährlich ,gottlos‘
erschien.
All das nährte Vorurteile und ließ teils abenteuerliche Gerüchte aufkommen: So
unterstellte man den ChristInnen u. a., Blutschande und Kinderopfer zu praktizieren. Auch gab man den Christen zeitweise die Schuld für Seuchen, Erdbeben,
Hungersnöte und andere Katastrophen.*
2.
Nero & Domitian
Trajan
,Volkszorn‘
* Ähnliche Beschuldigungen
führten im Mittelalter zur Verfolgung der Juden und in der
Neuzeit zur Ermordung unliebsamer Frauen als ,Hexen‘.
Staatlich gelenkte Christenverfolgungen
Bis ins 2. Jh. hinein nahm der Staat von der Minderheit der Christen dennoch kaum Notiz. Die Hinrichtung von ChristInnen unter
Nero (64) und unter Kaiser Domitian (Ende des 1. Jhs.) waren regionale Ereignisse und keineswegs Ausdruck staatlicher Planung.
Für die Verfolgung und Bestrafung des religiösen Bekenntnisses
der Christen gab es anfangs noch keine gesetzliche Grundlage. Kaiser Trajan stellte erstmals die bloße Zugehörigkeit zum Christentum unter Strafe. Inkonsequent erscheint aber seine Anordnung,
ChristInnen nicht von Amts wegen aufzuspüren. Auch anonymen
Denunziationen durfte nicht nachgegangen werden.
Fallweise gingen die staatlichen Behörden Anzeigen von Einzelpersonen nach,
um die aufkeimenden religiösen Bewegungen, in denen auch orientalische Kulte
an Einfluss gewannen, unter Kontrolle zu halten. Größere Gefahr aber ging von
der Bevölkerung aus, deren Misstrauen gegenüber den ChristInnen sich nicht nur
in Verdächtigungen und Anschuldigungen, sondern auch in pogromartigen Ausschreitungen entlud.
 Vgl. TEXT 1!
Die großen Verfolgungen des 3. Jahrhunderts
behördlich
angeordnet
Zu weiter reichenden staatlichen Zwangsmaßnahmen kam es ab der
Mitte des 3. Jhs.: eine erste große Welle brach 250 unter Kaiser
Decius im Zuge der groß angelegten 1000-Jahr-Feier der Gründung
Roms (248) los; die zweite zwischen 257/59 unter Kaiser Valerian
– „Von da an liefen die Verfolgungen nicht mehr vereinzelt wie
zuvor, sondern allgemein und überall“ berichtet Origenes.** Nach
einer fast 40-jährigen Friedenszeit veranlasste Kaiser Diokletian
303/04 dann die längste, gründlichste und grausamste Verfolgung
zur Wiederherstellung der alten Religion und zur endgültigen Eliminierung des Christentums.
** Selbst ein Opfer starb Origenes 253/54 an den Spätfolgen von Folter und Verfolgung.
In vier Edikten wurde befohlen, alle Gotteshäuser zu zerstören und die heiligen
Schriften herauszugeben; gottesdienstliche Versammlungen waren verboten;
Christen wurden degradiert, man sprach ihnen die Rechtsfähigkeit ab und entzog
ihnen jeden Rechtsschutz. Wer das Opfer vor den Staatsgöttern verweigerte,
wurde gefoltert, verbannt oder hingerichtet.
Das Martyrium als Nachfolge des gekreuzigten Herrn
Kreuzesnachfolge
Die frühe Kirche, die Jesu Tod als sinnstiftend, ja als erlösend und
lebensspendend erkannt hatte, sah im Blutzeugnis für Christus eine
Chance zur entschiedenen Nachfolge. Das Martyrium wurde als
„Mitsterben mit Christus“ (Röm 6,8) erfahren und so zur Teilnahme an seinem Erlösungswerk. Die Märtyrerakten bezeugen die für
Ankläger und Richter nicht selten irritierende Standhaftigkeit der
Männer und Frauen, die als Blutzeugen in den Tod gingen. Von ihren überlebenden Brüdern und Schwestern wurden sie als Heilige
verehrt.
Dass manche Gläubige regelrecht nach dem Martyrium verlangten, wurde dennoch als Irrweg erkannt. Bei aller drängenden Erwartung des kommenden Gottesreiches standen im christlichen Leben nicht Todessehnsucht und Weltverachtung im Vordergrund, sondern der Wunsch nach einem „Leben für Gott in Christus Jesus“ (Röm 6,11).
Grund der Verfolgung: aus Sorge um das Wohlwollen der
Götter
Bürgerpflicht
Seit Decius (250) lagen den religiösen Verfolgungen staatliche Gesetze zugrunde. Dies erklärt sich aus dem antiken Weltverständnis,
in dem alle öffentlichen Dinge religiös relevant und umgekehrt alles Religiöse von öffentlichem Belang waren: Die Wohlfahrt des
Staates hing ganz und gar vom Wohlwollen der Götter ab; um ihre
Gunst für das Gemeinwesen zu gewinnen, mussten die Bürger an
der Pflege der überlieferten religiösen Bräuche und Kulthandlungen festhalten. Dazu zählte auch der im Namen des Staates vollzogene Götterkult in den Staatstempeln. Der Kaiser selbst wurde als
 Märtyrer (von
gr.: martys, Zeuge;
martyrion, Zeugnis):
Menschen, die für ihre Glaubensüberzeugung Verfolgung und
Tod erleiden; davon:
martyría (Verkündigung und Bekenntnis
des Evangeliums) als
Grundvollzug der
Kirche
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dominus et deus (lat.: Herr und Gott) verehrt und stand zugleich als
höchster Priester an der Spitze dieses religiösen Systems, das unabdingbar zum Staat gehörte – wer dies ablehnte, beging Hochverrat.
Die antike politische Religiosität war für das Verhältnis zwischen
Staat und Kirche von Anfang an belastend und führte immer wieder
zu Konflikten.
Toleranz?
Staatskult
Religiös ,tolerant‘ zeigte sich Staat so lange, wie sich ein neuer Kult mitsamt
seinen Göttern Nutzen bringend in dieses System integrieren ließ. Angesichts
der Bedeutung von Religion als Rechtfertigungs- und Sicherungsinstanz des
 Pontifex maxiStaates war deshalb eine dauernde friedliche Koexistenz der überlieferten
mus (lat.: oberster
pietas (lat.: Frömmigkeit) mit dem kultlosen, ,atheistischen‘ Christentum vor
Brückenbauer): altallem in Zeiten wirtschaftlicher und militärischer Schwierigkeiten auf Dauer
römischer Religinicht denkbar.
onswächter; Titel des
Kaisers in Ausübung
Um die Mitte des 3. Jhs. war es um das Römische Imperium
seines sakralen Amnicht zum Besten bestellt: Inzwischen übten die durch Putsch an
tes; 328 von Kaiser
die Macht gekommenen Soldatenkaiser die Herrschaft aus, doch
Gratian abgelegt und
abgeschafft; seit dem
genossen sie als ,Emporkömmlinge‘ vergleichsweise geringes
5. Jh. Titel des BiAnsehen. Um die Legitimation ihrer Macht besorgt drängten sie
schofs von Rom
besonders auf die allgemeine Einhaltung der offiziellen Kult-
praktiken, um die Gunst der Götter zu sichern. Indem die ChristInnen sich weigerten, den Staatsgöttern die vorgeschriebenen Opfer darzubringen, verstießen sie offen gegen die Interessen des Reiches.
Ja, sie errichteten nicht einmal ihrem eigenen Gott Altäre oder Tempel, um ihm
zu opfern. Wie also sollte man den Christengott zum Nutzen des Staates gewinnen? Das alles brachte den ChristInnen den politisch gefährlichen Vorwurf des
Atheismus ein. Nicht zuletzt unterschied sich ihre gesamte religiöse Praxis von
der pietas (lat.: durch Überlieferung geheiligte Frömmigkeit) ihrer Zeit: Mit diesem Gott war also vorerst kein Staat zu machen.
Handlungsbedarf
Dem Staat blieben daher langfristig zwei Möglichkeiten: die Ausrottung des Christentums oder seine Übernahme als offizielle Religion. Allerdings hatte die Verfolgung der Christen bisher nicht zu
ihrem Verschwinden geführt, sondern sogar zu ihrer Stärkung beigetragen: „Das Blut der Märtyrer ist der Samen der Christen“ hieß
es. So schien die Adaption des Christentums als Staatsreligion besser geeignet, sich mit den Gegebenheiten der Zeit zu arrangieren:
Nicht das System, lediglich die Religion musste gewechselt werden.
Einstellung der Verfolgung: aus Sorge um das Wohlwollen
Gottes
Ende der
Sanktionen
Die staatlich gelenkten Christenverfolgungen hatten die Kaiser im
Zuge einer restaurativen Religionspolitik zur Neuordnung des Reiches betrieben. Die gleichen Gründe waren nun auch bei der Einstellung der Verfolgung ausschlaggebend. Wie die enge Verbindung von Politik und Religion anfangs zur gesellschaftlichen Ablehnung und staatlichen Verfolgung der Kirche geführt hatte,
 Vgl. TEXT 3!
brachte dieselbe Verbindung Anfang des 4. Jhs. die Wende.
Das offizielle Vorgehen gegen die Christen endete – in einzelnen
Reichsteilen und Provinzen auch etwas früher oder später – mit
dem Toleranzedikt vom 30. 4. 311: Darin duldete Kaiser Galerius
das Christentum als erlaubte Religion (lat.: religio licita) unter anderen. Zwei Jahre später erkannten Kaiser Konstantin d. Gr. und
sein Mitkaiser Licinius im Edikt von Mailand (313) die christliche
Religion als den anderen gleichwertig und veranlassten Gesetze zur
Restitution der vormals enteigneten Besitztümer an die Christen.
Galerius,
Konstantin &
Licinius
„Nachdem wir beide, Kaiser Konstantin und Kaiser Licinius, durch glückliche Fügung in Mailand zusammengekommen sind und uns mit allem befasst
haben, was zur öffentlichen Wohlfahrt und Sicherheit gehört, halten wir es
für notwendig, unter den Dingen, deren Nutzen für die Allgemeinheit wir
erkannt haben, vor allem die Verehrung (reverentia) der Gottheit zu regeln.
Wir wollen deshalb sowohl den Christen als auch überhaupt allen Menschen
freie Vollmacht gewähren, der Religion (religio) anzuhängen, die ein jeder
für sich wählt, damit die Gottheit auf ihrem himmlischen Throne – was immer ihr Wesen sein mag – uns und allen unseren Untertanen friedlich und
gnädig gesinnt sein kann. In heilsamer und sicher richtiger Erwägung aller
Umstände glaubten wir deshalb folgenden Beschluss fassen zu müssen: Keinem Menschen soll die Möglichkeit verweigert werden, sein Herz entweder
dem Kult (observatio) der Christen zu weihen oder aber der Religion (religio), die er selbst für die angemessenste hält. So kann uns die höchste Gottheit, nach deren Verehrung (religio) wir mit freiem Herzen streben, in allen
Dingen wie bisher gnädig und gewogen bleiben…
Bezüglich der Christen erlassen wir folgende Bestimmung: Wer die
Stätten, an denen sie zu früheren Zeiten zusammenzukommen pflegten…, in der Zwischenzeit entweder aus dem Staatsbesitz oder von einem anderen käuflich erworben hat, der muss sie den Christen unentgeltlich und ohne Rückforderung des Kaufpreises unverzüglich und ohne jede Einschränkung zurückgeben. Auch diejenigen, die durch ein Geschenk in den Besitz solcher Stätten gelangt sind, müssen sie so schnell
wie möglich zurückerstatten. Wenn aber diejenigen, die die Stätten gekauft oder als Geschenk erhalten haben, von unserem Wohlwollen einen
Ausgleich erwarten, so mögen sie sich an den zuständigen Statthalter
wenden, damit auch sie die Fürsorge unserer Milde erfahren.“
(CSEL [Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum] 27,2; 228–33;
übersetzt von H. Jürgens)
Büste Gaius Galerius’, römischer Kaiser von 305–11:
vormals heftiger Gegner des
Christentums, entschloss er
sich wenige Tage vor seinem
Tod zur Duldung der neuen
Religion.
Ein endgültiges Ende nahmen die Verfolgungen, als Konstantin I.
324 Alleinherrscher im Reich wurde.
im Dienste des
Gemeinwesens
Ein kaiserliches Toleranzedikt ist nicht vom modernen Begriff der
Toleranz her zu verstehen: Von einem Menschenrecht auf Religionsfreiheit konnte keine Rede sein, und schon gar nicht war Religion Privatsache! Im Gegenteil – freigegeben wurde die Religionsausübung nur aus Gründen der ,politischen Religiosität‘: Wurde
nämlich der Kult der Christen durch staatliche Zwangsmaßnahmen
beeinträchtigt, wäre zu fürchten, dass der Gott der Christen dem öffentlichen Gemeinwesen zürnte. Darum ermahnt das Edikt die
ChristInnen, in ihren wieder errichteten Gotteshäusern und bei ihren Zusammenkünften eifrig für das Wohl von Kaiser und Reich zu
beten, damit auch der christliche Gott dem Römischen Reich seine
Huld schenkte. Das Christentum wurde also nicht etwa als privater
Silbermünze zum 10-jährigen
Regierungsjubiläum Kaiser
Konstantins (um 315)
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Religionsverein anerkannt, sondern als ,öffentliche‘ Religion in die
Verantwortung für das Gemeinwohl genommen: Sein Weg zur
Staatskirche war geebnet.
Die Verfolgungszeit hatte die Kirche als Gottes Prüfung und Chance zur Läuterung angenommen. Ihr Ende freilich begrüßten die
Gläubigen erst recht als Gottes machtvolles Wirken.
Von einer unbedeutenden jüdischen Sekte war die junge Kirche zur
befremdlichen Größe im römischen Reich geworden: anziehend in
der Lebensführung und doch irritierend anders. Das provozierte zunächst Misstrauen und zeitweise auch heftige Verfolgung. Das Bemühen der ChristInnen, ihre Überzeugung in die Denkart und Sprache ihres hellenistisch-römischen Umfelds zu übersetzen, ebnete den
Weg zur gesellschaftlichen Akzeptanz: Wohl auch aus politischem
Kalkül entschied sich der römische Staat erst zur Duldung der
christlichen Kirche und wenig später zu ihrer – folgenreichen – Erhebung zur Reichskirche.
VI. DIE KIRCHE WIRD STAATSTRAGEND
Die Ambivalenz des christlichen Glaubens – sein gefährliches Potential ebenso
wie sein möglicher Nutzen für den Staat – wird immer deutlicher erkennbar, und
kluge Herrscher stellen die Weichen zur Umarmung des ,Gegners‘: Wo wird das
Christentum in der Folge erstmals zur Staatsreligion? Was bedeutet die so genannte „Konstantinische Wende“ für Kirche und Staat und welche Voraussetzungen hat sie? Welche Konsequenzen hat das Bündnis von Thron und Altar im
antiken römischen Reich?
TEXT 1
Agathangelos,
Geschichte des hl.
Gregors [des Erleuchters, † um
332] und der Bekehrung Armeniens
(um 491)
[Nach der Bekehrung des grausamen Königs Trdat III.* durch Gregor, den ersten
Bischof und Begründer der kirchlichen Hierarchie in Armenien prosperierte das
Land:]
… Armeniens Leuchte strahlte zu dieser wundervollen Zeit so hell
in der Welt, dass die anderen Länder es aufrichtig bewunderten und
spürten, dass es gesegnet sei. Alles stand in Blüte und der König
[Trdat III.] reiste weiterhin durchs Land, um das Volk zu bewegen,
Christus zu folgen. Gregor aber reiste nicht länger mit ihm; stattdessen lebte er in der Wüste, wo er betete und fastete …
Während all das in Armenien geschah, wurde Konstantin Kaiser
von Spanien und Gallien. Er war Christ und schloss mit seiner großen und mächtigen Armee den Pakt, gemeinsam zur Verherrlichung Gottes zu wirken.
König Trdat wollte dem anderen Herrscher, der seinen Glauben
teilte, eifrigen Respekt zollen. Er entsandte mit Gregor die Bischöfe Aristakes** und Albianos und andere höchstrangige Mitglieder
seines Hofes. Als sie von Vagharshapat durch Griechenland reisten,
wurden sie überall ehrenvoll empfangen, und bei ihrer Ankunft in
* Der hagiographischen Erzählung nach hatte er Gregor
martern lassen und 15 Jahre in
einem Erdloch lebendig begraben gefangen gehalten;
daraus befreit heilte und bekehrte Gregor den König und
mit ihm ganz Armenien.
** Sohn Gregors des Erleuchters.
Rom begrüßten sie der Kaiser und der große Patriarch Eusebius
herzlich. Nach dem Festmahl drängte Konstantin sie, ihm alles zu
erzählen, was sich Wunderbares in Armenien ereignet hatte. …
Es war überdies/übrigens Aristakes, der [325] nach Nizäa reiste, als
Konstantin dort alle christlichen Bischöfe zu einem ökumenischen
Konzil versammelt hatte. Auf diesem Konzil wurden Glaubenslehren dargelegt und Kirchengesetze verabschiedet. Aristakes machte
sie nach seiner Rückkehr in Armenien bekannt, bestärkte die Kirche und sicherte die rechte Praxis unter den Gläubigen …
Nun, eurer Anordnung folgend, König Trdat, haben wir all dies als
Chronik im literarischen Stil der Griechen aufgeschrieben. Wie die
Propheten und Könige das Alte Testament haben wir diese Ereignisse für die kommenden Generationen überall in der Welt niedergeschrieben, damit sie sie lesen und davon lernen: nicht ausgehend
von alten Erzählungen, sondern gemäß dem, was wir selbst gesehen und gehört haben.
Und wie der Schreiber Lukas haben auch wir die entscheidenden
Dinge festgehalten; ohne jedes kleine Detail zu berücksichtigen haben wir manches übergangen und nur das beschrieben, was wichtig
und erhellend ist. Wir haben diese Geschichte nicht verfasst, um
die zu ehren, die Gott durch ihren Dienst immer schon gefallen haben, sondern um deren Kinder und alle in der Welt zu inspirieren,
die diese Worte vernehmen werden. Mögen sie eines Tages kommen und zu Ihm sagen „Du bist unser Gott“ und seine Leben spendende Antwort hören „Ihr seid mein Volk.“
(Eigene Arbeitsübersetzung aus dem Englischen)
TEXT 2
Eusebius, Leben
des Konstantin, I,
25–31
Als er nun so die Herrschaft fest in die Hände genommen hatte,
richtete er zuerst sein Augenmerk auf das väterliche Erbe, indem er
allen Provinzen, welche früher unter der Herrschaft seines Vaters
gestanden hatten, unter Kundgebung der größten Menschenfreundlichkeit bereiste. Die am Rhein und am westlichen Ozean wohnenden Stämme, welche einen Aufstand wagten, unterwarf er sämtlich
und machte sie aus Barbaren zu gesitteten Völkern. Andere begnügte er sich nur zurückzudrängen und sie gleich wilden Tieren
von den Grenzen seines Reiches zu verscheuchen, diejenigen nämlich, welche nach seiner Wahrnehmung einer gesitteten Lebensweise nicht zugänglich waren. …
Als er dann später den gesamten Umfang des Erbreiches als einen
gewaltigen Körper betrachtend gerade Rom, die Hauptstadt der
Welt und die Königin des römischen Reiches, unter der Herrschaft
eines Tyrannen geknechtet sah … erklärte Konstantin, dass selbst
das Leben ihm unerträglich sei, wenn er die Fürstin der Städte in
solcher Bedrängnis erblicke, und rüstete sich daher, die Tyrannenherrschaft zu stürzen.
Da er aber wohl einsah, dass er höheren Beistandes bedürfe, als
eine Streitmacht ihm zu bieten vermöge, suchte er … einen Helfer
an Gott, indem er seine Rüstungen und Truppenmassen erst als das
zweite, die göttliche Hilfe aber für unüberwindlich und unbesiegbar
erachtete. Er überlegte also bei sich, was für einen Gott er als
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Bundesgenossen annehmen solle. … Während der Kaiser so noch
betete und inständig flehte, erschien ihm ein von Gott gesandtes
ganz wunderbares Zeichen. … Er versicherte, zur Mittagszeit, als
bereits der Tag sich neigte, am Himmel ein aus Feuer bestehendes
Kreuz, das über der Sonne schwebte, und an dem die Inschrift
befestigt war: „Hierdurch siege!“ mit eigenen Augen gesehen zu
haben. Über diese Erscheinung habe ihn und das ganze Heer,
welches ihn auf seinem Marsche begleitete und das Wunder
schaute, Staunen ergriffen.
Indes war er doch, wie er uns weiter berichtete, nicht ganz mit sich
im Klaren, was die Erscheinung bedeute. Während er noch darüber
nachdachte und in Gedanken versunken war, war plötzlich die
Nacht hereingebrochen. Da erschien ihm Christus, der Sohn Gottes,
im Traume mit jenem Zeichen, das er am Himmel gesehen hatte,
und befahl ihm, das am Himmel geschaute Zeichen nachzubilden
und sich desselben beim Zusammenstoß mit dem Feinde als
Schutzmittel zu bedienen.
Mit Tagesanbruch stand der Kaiser auf und teilte seinen Freunden
das Wunder mit. Darauf ließ er Goldarbeiter und Juweliere zu sich
kommen, setzte sich mitten unter sie, beschrieb ihnen die Gestalt
des Zeichens und befahl ihnen in Gold und Edelsteinen dieselbe
nachzubilden.
Dieses Zeichens unserer Erlösung bediente sich der Kaiser stets als
Schutzmittel gegen jede sich ihm entgegenstellende feindliche
Macht und ließ diesem nachgebildete allen seinen Heeren vorantragen.
TEXT 3
Eusebius, Leben
des Konstantin, IV,
23, 24
So war er selbst Priester Gottes. Durchaus wurden dagegen für alles Volk und alle Soldaten des römischen Reiches die Tore jedes
Götzentempels verschlossen, und jede Art von Opfer war untersagt.
Auch an die Statthalter der einzelnen Provinzen erging in ähnlicher
Weise ein Gesetz, das befahl, den Tag des Herrn zu ehren; diese
feierten aber nach dem Willen des Kaisers auch die Gedenktage der
Märtyrer und verherrlichten die Festzeiten durch Versammlungen
(…)
Darum konnte dieser (der Kaiser) mit Recht, da er einmal Bischöfe
gastlich bewirtete, sich äußern, auch er sei ein Bischof, und, wie
wir selbst hörten, ungefähr so zu ihnen sagen: „Ihr seid von Gott zu
Bischöfen dessen bestellt, was innerhalb des Bereiches der Kirche
liegt, ich aber wohl zum Bischof dessen, was außerhalb desselben
liegt“. Entsprechend diesem Wort war auch seine Gesinnung; er
war allen seinen Untergebenen gleichsam Bischof und trieb sie an,
soweit es nur in seiner Macht stand, einem Gott wohlgefälligen Leben nachzustreben.
(Beide Texte zitiert nach: Bibliothek der Kirchenväter, [1] 9, Eusebius, Vita
Constanini I. u. IV., Kösel-Verlag, Kempten 1913, S. 22–27* u. S. 158f)
TEXT 4
Ambrosius von
Mailand, aus einem
Brief an Kaiser Valentinian II. (März
386)
Habt Ihr jemals gehört, gnädigster Kaiser, dass in Fragen des Glaubens Laien über den Bischof zu Gericht saßen? Oder sollen wir in
höfischer Kriecherei den Rücken so tief beugen, dass wir des bischöflichen Rechts vergäßen – dass ich also das Recht, das Gott
selbst mir gab, anderen glaubte abtreten zu dürfen? Wenn der Bischof von Laien belehrt werden darf, was folgt daraus? Der Laie
hält Lehrvorträge – der Bischof darf zuhören; der Bischof muss
vom Laien lernen! Allein wahrhaftig: wenn wir in den heiligen
Schriften oder in den Akten vergangener Zeiten lesen, wer könnte
leugnen, dass in Sachen des Glaubens – ausdrücklich sage ich: in
Sachen des Glaubens – die Bischöfe immer über die christlichen
Kaiser, niemals aber die Kaiser über die Bischöfe zu Gericht saßen? …
Denn ich kann nicht wünschen, dass Euer Gesetz über dem Gesetz
Gottes stehe. Das Gesetz Gottes aber zeigt uns, in welcher Richtung wir zu gehen haben; ein menschliches Gesetz kann uns das
nicht zeigen. Das Staatsgesetz kann wohl furchtsamen Menschen
einen Gesinnungswandel abzwingen, aber es kann uns nicht den
Glauben vorschreiben …
(Zitiert nach: CSEL [Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum] 82, Übersetzer unbekannt, S. 75–87)
Mit welcher Motivation stellte Konstantin sein Wirken unter
das Zeichen des Kreuzes?
Welches Selbstverständnis der christlichen Kaiser lässt sich aus
den Texten herauslesen und welche Folgen hatte es?
In welchen Bereichen versuchten die Bischöfe die Kaiser in
Schranken zu weisen?
Mit welchen Argumenten versuchten die Bischöfe kirchliche
Freiräume zu erhalten?
1.
Von der ,Konstantinischen Wende‘ zur antiken
Reichskirche
Die Kirche gewinnt Ansehen und Einfluss
religionspolitische
Voraussetzungen
Die ,Konstantinische Wende‘ markiert die wahrscheinlich entscheidende Zäsur im Leben der Kirche: den Aufstieg der vormals
gesellschaftlich geächteten Minderheit zur erst bevorzugten und
schließlich allein staatstragenden Religionsgemeinschaft. Kaiser
Konstantin – Alleinherrscher im Westreich ab 306; von 324–337
im Gesamtreich – schuf mit seiner anfangs vorsichtigen, rasch aber
offenkundigen Förderung der Kirche die religionspolitischen
Grundlagen für die Entwicklung der späteren Reichskirche, der das
Wohlergehen des Römischen Reiches bald zum Eigeninteresse
wurde. Das Anliegen Konstantins traf bei den Christen auf die seit
längerem gewachsene Bereitschaft, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.
Seite 1
wachsende Bedeutung der Kirche
Im 3. Jh. war die Kirche unter bischöflicher Führung bereits zur
stärksten geschlossenen religiösen Gruppierung im Staat geworden,
deren Lebenskraft auch die Sanktionen nicht hatten brechen können.
Gut organisiert waren sie seit langem in der kommunalen Verwaltung präsent;
die Ausdehnung der römischen Bürgerrechte auf fast alle Reichsbewohner (212)
bot den Christen der mittleren Schichten* gute Aufstiegschancen im öffentlichen
Dienst; zudem war seit der Mitte des 3. Jhs. auch die wachsende Wirtschaftskraft
etlicher Gemeinden in Rechnung zu stellen. Nicht ohne Grund hatten die Behörden während der Verfolgungen unter Kaiser Decius und Diokletian das Vermögen der Christen beschlagnahmen lassen. Aber auch in geistig-kultureller Hinsicht hatte die Kirche zugelegt. Sie wurde zur ernsthaften Konkurrentin im Bildungsbereich.
politisch genutzt
* Die Einteilung der gesellschaftlichen Klassen erfolgte
nach den Vermögensverhältnissen.
Konstantin erkannte diese Entwicklung und reagierte politisch klug
und pragmatisch im Interesse seines Reiches: Er bestätigte rechtlich
jene Position, die die Kirche faktisch längst einnahm. Es lag nahe,
dass der Staat irgendwann diese neue Kraft in seine religionspolitischen Überlegungen einbeziehen und ihr einigendes Potential für
das Imperium nutzbar machen würde. Das weltpolitische Verdienst
Konstantins ist es, dass er der Religionspolitik des Römischen Reiches diese Wendung gab.
Offen bleiben muss, wie weit Kaiser Konstantin persönlich vom Christentum ergriffen war. Die vorhandenen Zeugnisse – etwa die Darstellung seines Biographen Eusebius von Caesarea – reichen zur Beantwortung dieser Frage nicht aus,
da sie den Kaiser als idealen christlichen Herrscher zeichnen (mussten).
 Vgl. TEXT 1!
… und verdrängt die anderen Religionen
Verbot anderer
Kulte
Die Vorrangstellung der Kirche, die Konstantin ihr nach seinem
Sieg über Licinius 324 ohne jede weitere politische Rücksichtnahme eingeräumt hatte, warf die Frage auf, welche Stellung ab nun
der alten Reichsreligion zukommen würde. Der römische Kult und
seine Bräuche waren inzwischen zwar zurückgedrängt, aber noch
nicht bekämpft oder gar verboten worden. Der alleinige Wahrheitsanspruch der neuen Religion veranlasste aber bereits Konstantins
Nachfolger zum Erlass schärferer Gesetze, die die öffentliche Ausübung der nichtchristlichen Religionen sukzessive einschränkten.*
* Um 400 gab es etwa so viele
Christen wie Nichtchristen im
Reich.
Sieg des Christentums
Intoleranz im Namen der Wahrheit
Unter den Kaisern Gratian († 384) und Theodosius († 395) kam dieser Prozess
zum Höhepunkt: Theodosius erließ 380 das berühmte Edikt, in dem erstmals alle
römischen Bürger, die Christen waren, an das ,katholische‘ Bekenntnis gebunden
wurden. 391 verbot er ausdrücklich alle anderen Kulte und erhob das Christentum zur Reichsreligion. Damit fand die Entwicklung der Ereignisse des 4. Jhs.
ihr Ende: von seiner Duldung durch den heidnischen Staat (311) über seine
Gleichstellung (313) und immer deutlichere Bevorzugung war das Christentum
schließlich zu alleiniger Geltung im offiziell christlich gewordenen Reich
(380/391) gelangt – jeder Schritt und alles in allem die logische Konsequenz der
politischen Religiosität der Antike.
Das antike politisch-sakrale Weltbild hatte seinerzeit dazu geführt,
jeder im Reich vertretenen Religion ein Existenzrecht und womöglich sogar Gleichberechtigung einzuräumen, sofern dies für den inneren Frieden und Bestand des Reiches förderlich erschienen war.
Das änderte sich unter christlichen Vorzeichen radikal: Der christliche Gott war ein einziger, und dieser Wahrheitsanspruch musste
nach damaliger Auffassung zur Verurteilung jedes ,Götzendienstes‘
– und bald auch jeder innerkirchlichen ,Häresie‘ – als gefährlicher
Abirrung und teuflischem Trug führen. Die Geschichte staatlicher
,Ketzer’verfolgungen nahm hier ihren Anfang.
Die Intoleranz des christlichen Staates, die von der Antike bis in die Neuzeit hinein ein bestimmendes Merkmal der Kirchengeschichte bleiben sollte, zeigt sich
also als Ergebnis der verhängnisvollen Vorstellung, das biblisch-christliche Bekenntnis zu dem einen „Gott und Vater Jesu Christi“ (2 Kor 1,3) mit politischen
Mitteln durchsetzen zu können.
Reich Gottes auf
Erden?
Nach den bedrängten und beschwerlichen ersten Jahrzehnten des 4.
Jhs. brach für die Kirche eine Zeit noch nicht da gewesener Freiheit
an. Die zeitgenössischen ChristInnen sahen in dieser neuen Entwicklung mehrheitlich keine Gefahr. Im Gegenteil: Manch einem –
so auch dem Kirchenhistoriker Eusebius von Caesarea – galt sie gar
als ein das Ende der Geschichte ankündigendes Heilsereignis und
Kaiser Konstantin als endzeitlicher Heilsbringer, der den Sieg Gottes proklamiert hatte. Nach Armenien (301/314) und Georgien
(337) wurde nun auch das Staatswesen des römischen Reiches
christlich beglaubigt und seine bestehende irdische Ordnung als
Werk und Ausdruck des göttlichen Willens angesehen. Die Kirche
– selbst eine sakrale Größe – trat an die Seite des ebenfalls sakral
verfassten Staates. Das Misstrauen auf beiden Seiten war im
Schwinden, und die große Synthese der mittelalterlichen christianitas (lat.: christliche Welt) kündigte sich an.
Das sakrale Selbstverständnis des Kaisers
neu: christliche politische Theologie
Im Sakralwesen des römischen Reiches hatte der Kaiser von jeher eine überaus
wichtige Rolle innegehabt, zu der auch die Ausübung gewisser priesterlicher
Funktionen gehörte. In der Reichskirche fiel die priesterliche Amtsausübung nun
nicht mehr in seine Zuständigkeit; dennoch setzte sich das sakrale Kaisertum in
christlich modifizierter Weise fort: Zwar war der Kaiser nicht mehr Mittler des
himmlischen Wohlwollens; trotzdem blieb er als irdischer Repräsentant, Schutz-
 katholisch (gr.:
allgemein, umfassend): bezeichnet seit
Ende des 1. Jhs. die
Gemeinschaft aller
Christen in der einen,
heiligen, allgemeinen
und apostolischen
Kirche; spätestens
seit der Reformation
verengte sich der Begriff auf die römischkatholische Kirche
Seite 1
herr und Vollstrecker des göttlichen Weltregiments bedeutend.
kaiserliche
Interessen
Im Bewusstsein seiner nach wie vor erheblichen sakralen Würde
übte der Kaiser seinen Einfluss auf die Kirche aus: Er besetzte
nicht nur wichtige Bischofsstühle nach eigenem, religionspolitischem Gutdünken; er griff auch in die brisanten theologischen
Auseinandersetzungen seiner Zeit ein und berief Konzilien ein, wo
die anstehenden trinitarischen und christologischen Fragen rasch
geklärt werden sollten, um die religiöse Einheit und politische Stabilität seines Reiches zu sichern. Er verordnete Glaubenssätze als
Reichsgesetze und ging konsequent gegen (von der gerade angesagten Reichstheologie) abweichende Bischöfe und Theologen vor.
Die Kaiser, die zugleich Herrscher und Christen zu sein versuchten,
gewannen ein Selbstverständnis, das sie immer mehr in die Rolle
der Universalverantwortlichen für Staat und Kirche drängte und zur
Einmischung in innerkirchliche Belange veranlasste.
Allerdings blieb die Machtausübung des Kaisers in Konstantinopel durch zuwiderlaufende Interessen seiner Mitkaiser und ihrer Teilreiche durchaus eingeschränkt. In kirchenpolitischen Fragen musste er immer wieder den Kompromiss
suchen. Erst nach dem Untergang des weströmischen Reiches (476) kann für den
Osten – und unter Kaiser Justinian (527–565) auch für manche von den Germanen zeitweilig zurückeroberten Gebiete im Westen – von einem regelrechten
Staatskirchentum gesprochen werden.
Kaiser Justinian mit Gefolge,
San Vitale, Ravenna, 6. Jh.
Die Bischöfe setzen dem Herrscher Grenzen
überschrittene
Kompetenzen?
loyal – kritisch
Herrschaftskritik
Das musste die Frage nach der Kompetenzverteilung zwischen
Kaisern und Bischöfen provozieren: Wo das kaiserliche Engagement nicht ureigenen kirchlichen Interessen (z. B. der Abwehr von
Heiden und Häretikern) entgegenkam, legte man es gerne als Anmaßung aus – etwa dann, wenn der Kaiser Synoden militärisch beherrschte oder unliebsame Bischöfe in die Verbannung schickte.
Die Bischöfe blieben ihrem in der christlichen Frühzeit ausgebildeten Selbstverständnis verpflichtet. Bei aller grundsätzlichen Loyalität gegenüber Kaiser und Staat sahen sie sich für den Schutz des
rechtmäßigen (,orthodoxen‘) Glaubens verantwortlich und wiesen
die Kaiser unter Berufung auf Gottes Gesetz in die Schranken. So
konnte es noch im christlichen Reich zu (punktuellen) Christenverfolgungen kommen, wenn engagierte Bischöfe Widerstand gegen
kaiserliche Bevormundung und jurisdiktionelle Übergriffe der Kaiser leisteten.
Im Namen Christi, des einzigen Herrn, traten Bischöfe selbst Kaisern entgegen:
Diese mussten es hinnehmen, vom Bischof für schwer unchristliches Verhalten
gemaßregelt zu werden.* Die Erfahrung mit manch ,christlichem‘ Kaiser veranlasste prophetische Bischöfe und Theologen mitunter zu drastischen Worten, in
denen sie die Herrscher schon auch einmal mit dem ,Antichrist‘ identifizierten.
* Schon Kaiser Theodosius
wurde nach dem von ihm angeordneten Blutbad in Thessaloniki von Bischof Ambrosius
v. Mailand solange die Teilnahme am Gottesdienst verwehrt, bis er Kirchenbuße getan hatte.
Der Preis der Freiheit
Die Hoftheologie hatte die staatliche Anerkennung und die Annahme des christlichen Bekenntnisses durch die Kaiser als Gottes großes Wunder und als wesentlichen Schritt bei der Durchsetzung des Reiches Gottes auf Erden gefeiert. Es
zeigten sich aber sehr bald die Schattenseiten der Allianz von Thron und Altar.
Gesellschaftskritik?
Einförmigkeit statt
Einheit in Vielfalt
Zwar hörte die Kirche nicht auf, sich als Gegenmodell zu den etablierten Gesellschaftsordnungen zu begreifen. Doch in der Praxis
verlor sie ihr herrschafts- und gesellschaftskritisches Potential
weitgehend: Lediglich die Lebensweise der AsketInnen blieb für
Jahrhunderte der einzige Stachel im Fleisch der Mächtigen in Kirche und Staat.
Das Bestreben, politische Einheit mittels eines vereinheitlichten
christlichen Bekenntnisses herbeizuführen, löste auch Gegenströmungen aus: Wer sich aus nationalen Interessen nicht in die
Reichseinheit einfügen wollte oder konnte, sah sich unter Umständen genötigt, mit ihr auch das offiziell-reichskirchliche christliche
Bekenntnis abzulehnen. Umgekehrt wurde bisweilen auch die redliche theologische Argumentation den politischen Plausibilitäten
untergeordnet. Während ihrer Konsolidierungsphase musste die
neue Reichskirche schmerzliche theologische Verluste hinnehmen:
wo es als Folge der politisch-religiösen Gegebenheiten der Zeit zur
Aufkündigung der kirchlichen Gemeinschaft kam, gingen der
Reichskirche wertvolle altkirchliche Traditionen verloren. Wirken
des Geistes Gottes ist es, dass die dadurch getrennten Christen
nicht aufhörten, Kirche Jesu Christi zu sein.
Dass die orientalisch-orthodoxen Kirchen nicht, wie lange unterstellt, ,Häretiker‘
sondern von Gottes Geist geleitete Kirchen sind, stellte aus katholischer Sicht
das Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio des 2. Vatikanischen Konzils unmissverständlich klar.**
Kirchenzugehörigkeit als Bürgerpflicht
staatlich definierte
,Religionsfreiheit‘
Die religiöse Intoleranz des christlichen Staates machte eine zumindest formelle Zugehörigkeit zur Kirche zur Bürgerpflicht. Dies
ergab sich durch die Verbindung der politischen Religiosität mit
dem Absolutheitsanspruch des biblisch-christlichen Gottesglaubens. Für den einzelnen gab keine Religionsfreiheit, für die
Kirche Zwangsmitgliedschaft von Menschen, denen das Christentum nicht selten äußerlich blieb.
Die Frage nach der Religionsfreiheit wurde in der Geschichte der Kirche(n) solange negativ beantwortet, wie eine Kirche den exklusiven Besitz der Wahrheit
beanspruchte: diese habe der Staat zu schützen, und eine Trennung von Kirche
und Staat sei daher undenkbar. Erst das 2. Vatikanische Konzil hat sich in einer
eigenen Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae dazu bekannt,
dass aus der Anerkennung des persönlichen Gewissens als letzte moralische Instanz jedes Menschen* das Grundrecht der menschlichen Person auf religiöse
Freiheit folgen muss.
 Siehe Teil C IV. 3!
** „Alle sollen um die große
Bedeutung wissen, die der
Kenntnis, Verehrung, Erhaltung und Pflege des überreichen liturgischen und geistlichen Erbes der Orientalen zukommt, damit die Fülle der
christlichen Tradition in Treue
gewahrt … werde.“ (UR 15)
 Siehe Teil C IV. 3!
* Eine spät umgesetzte ältere
Erkenntnis: Schon Thomas v.
Aquin hatte festgehalten, dass
auch dem irrenden (!) Gewissen jedenfalls zu folgen sei.
Seite 1
Die Reichskirche in der ausgehenden Antike
4.–7. Jh.
im Westen …
und im Osten
Das Zusammenspiel von Kirche und Staat nahm im östlichen und
im westlichen Teilreich infolge der Ereignisse eine unterschiedliche Entwicklung.
Die militärische Macht Westroms war schon seit längerem geschwächt: Bevölkerungsrückgang, abnehmende Wirtschaftskraft, zunehmender Bildungsverlust und
die häufige Umgehung des Militärdienstes durch die römischen Bürger machten
dem Reich zu schaffen. So konnten germanische Stämme auf der Suche nach
besseren Lebensräumen die Grenzen ohne nennenswerten Widerstand überschreiten. Diesem Einsickern folgten weitere Migrationsschübe, die Rom vom
4.–6. Jh. stürmische Zeiten bescheren sollten.
Kaiser Heraklios (610–641) betrieb die konsequente Hellenisierung des oströmischen Reiches: Nicht mehr die im Volk kaum mehr verstandene lateinische, sondern die griechische Sprache und Kultur bestimmten fortan die oströmische
(nach westlichem Sprachgebrauch ,byzantinische‘) Kirche und das Reich. Als
Ideal galt die ,Symphonie‘ von weltlicher und geistlicher Gewalt. Die Einheit
von Religion und Reich wurde in Theologie und Frömmigkeit gefeiert. Daran
änderte auch die gelegentliche Opposition von Patriarchen, Bischöfen und Mönchen gegenüber der kaiserlichen Kirchenpolitik wenig. Zur entscheidenden Herausforderung wurde für den Osten die Ausbreitung des Islam ab dem 7. Jh.