Predigt - Bonner Münster

Katholisches Stadtdekanat Bonn ▪ Stabsstelle Kommunikation
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Bonn, 06.12.2015 | Manuskript. Es gilt das gesprochene Wort.
Predigt
des Stadtdechanten von Bonn, Msgr. Wilfried Schumacher,
am zweiten Sonntag im Advent, 6. Dezember 2015,
im Bonner Münster
Erbarmen
Das Motiv des Schiffes, das uns in diesen Wochen des Advents begleitet, spricht viele
Menschen an. Das Schiff verbindet die Ufer eines Flusses und auch Länder und Kontinente.
Mit dem Schiff ein große Reise zu machen –das ist für viele Menschen heute Wirklichkeit
geworden. 2 Millionen Menschen sind jedes Jahr auf einem Kreuzfahrtschiff unterwegs und
lassen sich rund um die Uhr verwöhnen.
Letzte Woche sprach ich mit einem Ehepaar, das vor einigen Wochen im Suez-Kanal auf
einem Kreuzfahrtschiff unterwegs war, als das russische Verkehrsflugzeug über dem Sinai
abgeschossen wurde. „Die Angst fuhr mit“, sagten sie, „und sie stand in deutlichem Kontrast
zum Luxus und der Verwöhn-Atmosphäre auf dem Schiff“.
Dieser Kontrast bestimmt auch unseren Alltag. Um uns herum steht die Welt in Brand: der
Terror des islamischen Staates, die hilflosen Versuche der westlichen Politiker, eine friedliche
Lösung zu finden. In Paris feilschen die Staaten um die Gradzahlen der Erderwärmung in
einem Weltklima-Vertrag.
Millionen Menschen sind auf der Flucht. Wir staunen, wieviel ehrenamtliches Engagement
in unserer Gesellschaft lebendig wird, wenn es um die Flüchtlinge geht und sind entsetzt
über den Hass, der an vielen Stellen aufflackert.
Während die Nachrichten voll sind von Schreckensmeldungen, drängen sich die
Menschenmassen auf den Weihnachtsmärkten. Für mich ein Zeichen dafür, dass sich viele
Menschen nach glänzender Fülle sehnen, nach einem Leben in Gemeinschaft mit anderen.
Sagen wir es noch einfacher: in dieser Welt, in der wir uns kaum noch zurechtfinden, sehnen
wir uns nach Zuwendung, nach Geborgenheit, nach Erbarmen.
Katholisches Stadtdekanat Bonn ▪ Stabsstelle Kommunikation ▪ Reinhard Sentis (Leitung)
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Katholisches Stadtdekanat Bonn ▪ Pressemitteilung
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In der alttestamentlichen Lesung hieß es: „Erbarmen und Gerechtigkeit kommen von ihm“.
Das Leben in Jerusalem zur Zeit des Propheten Baruch war mühselig, ohne große Hoffnung.
Resignation überall. Diesen resignierten Menschen spricht der Prophet Hoffnung zu: Gott
kann auf ganz unerwartete Weise neue Wege zeigen. Er hat Erbarmen – er wendet sich dem
Menschen zu.
Das deutsche Wort „Erbarmen“ beschreibt eine Tätigkeit. “Ab-armen“ heißt „von Not
befreien“. Das entsprechende hebräische oder griechische Wort spricht vom Ursprung; denn
es bedeutet auch Mutterschoß, Mutterleib, Herz und Gemüt.
Barmherzigkeit ist nicht nur ein Mitgefühl, nicht nur Mitleid, sondern eine Hinwendung
zum Nächsten, die aus der eigenen Tiefe kommt. Barmherzigkeit ist nicht bloße Humanität,
sondern Abbild der göttlichen Zuwendung zu uns Menschen. „Seid barmherzig, wie auch Euer
himmlischer Vater barmherzig ist“. (Mt 5,38), sagt Jesus.
„The quality of mercy is not strain'd” – heißt es in Shakespeare’s “Der Kaufmann von
Venedig” (IV.Aufzug). “It is an attribute to God himself”. “Barmherzigkeit, die weiß von
keinem Zwang. Sie ist ein Attribut der Gottheit selbst. Und weiter weiß Shakespeare von der
Barmherzigkeit: „Sie segnet den, der gibt, und den, der nimmt.“ Ja, Barmherzigkeit
berechnet nicht. Sie gibt bedingungslos. Verschenkt und beschenkt nicht nur den Empfänger,
sondern auch den, der gibt.
Auf andere zuzugehen, ihnen etwas zu schenken, sich für sie einzusetzen, befreit. Etwas, das
ich vielleicht für mich eingeplant hatte: Zeit, Geld, Kraft anderen zur Verfügung zu stellen,
sprengt meine Pläne, meine Sicherheiten, meine Kalkulationen. Ich lasse mein Herz
sprechen: Ich gebe es dir, gratis, ohne Bedingung, einfach so. Mein Herz wird weiter und ich
selbst auch. Meine Ich-Sucht, meine Angst, meine Härte, meine Herzlosigkeit werden
aufgesprengt.
Andererseits: Wer Barmherzigkeit empfängt weiß sich geschätzt, wertvoll und geliebt. Wie
oft plagen uns die Selbstzweifel? Wie oft stoßen wir uns an unseren Grenzen? Wie oft
erleben wir unsere Unfähigkeiten? Dann sind wir angewiesen auf Barmherzigkeiten, die uns
berühren, und alles Angstmachende und Verhärtete in uns lösen.
„Barmherzigkeit“ ist ein Schlüsselwort in der Verkündigung von Papst Franziskus. Er hat
ein Heiliges Jahr, ein Jahr der Barmherzigkeit, ausgerufen, das am Dienstag beginnen wird.
Das Bild unserer Stadtkrippe zeigt an diesem 2.Adventssonntag Szenen der
Unbarmherzigkeit: Korruption, die in ihrer Rücksichtslosigkeit und Gier die Zukunftspläne
der Schwachen zerstört und die Armen erdrückt. Einen Bettler, dem ein anderer das Wenige,
das er hat, wegnimmt. Und einen Priester, der Menschen wegschickt – aus welchen Gründen
auch immer.
Katholisches Stadtdekanat Bonn ▪ Pressemitteilung
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„Wie sehr wünsche ich mir, dass die kommenden Jahre durchdrängt sein mögen von der
Barmherzigkeit und dass wir auf alle Menschen zugehen und ihnen die Güte und
Zärtlichkeit Gottes bringen!“ schreibt der Papst in dem Dokument, mit dem er dieses Jahr
ankündigt.
Lassen wir den Papst mit diesem Wunsch nicht allein
Msgr. Wilfried Schumacher, Stadtdechant & Münster-Pfarrer, Bonn
Msgr. Wilfried Schumacher (66) ist seit 1998 Stadtdechant in der Bundesstadt Bonn und
Pfarrer am Bonner Münster sowie seit 2000 Leiter der katholischen Citypastoral Bonn.
Nach dem Studium der katholischen Theologie in Bonn und München wurde er 1974 durch
Erzbischof Josef Kardinal Höffner im Kölner Dom zum Priester geweiht. Nach Stationen in
Euskirchen und Köln Buchforst war er von 1978 bis 1981 Diözesanreferent für
Öffentlichkeitsarbeit in den Pfarrgemeinden. 1981 wurde er Pfarrer in Ägidienberg im
Siebengebirge, bevor er 1988 als Hochschulpfarrer nach Düsseldorf ging. Während dieser
Zeit machte er eine Ausbildung zum geistlichen Begleiter. wilfried-schumacher.de
Stadtdekanat Bonn
Das Stadtdekanat Bonn ist Teil der Katholischen Kirche und eines der 16 Stadt- und
Kreisdekanate im Erzbistum Köln. In den vier Dekanaten des Stadtdekanates leben 120.500
Katholiken (Gesamtbevölkerung Bonn: 320.000). Stadtdechant ist seit 1998 Msgr. Wilfried
Schumacher. katholisch-bonn.de
Bonner Münster
Das Bonner Münster ist die Hauptkirche der katholischen Kirche in Bonn. Seit mehr als 1300
Jahren werden dort die heutigen Bonner Stadtpatrone und christlichen Märtyrer Cassius und
Florentius verehrt. Baubeginn des heutigen Gotteshauses, welches als Stiftskirche des
bedeutenden Cassius-Stiftes diente, war Mitte des 11. Jahrhunderts. Im Bonner Münster
wurden zwei Könige gekrönt (1314 Friedrich III. von Österreich und 1346 Karl VI. von
Luxemburg). 1956 wurde das Bonner Münster zur päpstlichen Basilika Minor erhoben.
Der Legende nach soll die Kaiserin Helena die erste Kirche an diesem Ort gestiftet haben,
wovon zahlreiche Darstellungen zeugen. Dadurch wird sie zur Schwesterkirche des Trierer
Doms, wo die Helena-Verehrung ebenfalls auf eine lange Tradition zurückblickt. Die
Stadtpatrone Cassius und Florentius hingegen gehören den christlichen Märtyrern der
sogenannten Tebäischen Legion, wodurch das Münster weiterhin mit Stätten wie Köln,
Xanten, Saint Maurice, Zürich, Turin und Mailand verbunden ist. bonner-muenster.de