Referat Herr André Lorenzetti, Rektor Gymnasium

Kommunikation
Kanton Bern
Staatskanzlei
Anlass
Medienkonferenz der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion
Thema
Verkehrsspitzen glätten mit späterem Schulbeginn
Datum
Dienstag, 28. April 2015
Referent
Herr André Lorenzetti, Rektor Gymnasium Kirchenfeld
Umfragedesign
Die heute hier vorgestellte Umfrage soll den zu erwartenden Effekt eines späteren
Schulbeginns an den Gymnasien der Agglomeration Bern auf den öffentlichen Verkehr
präzisieren helfen und die Meinung der von einer allfälligen Verschiebung des Schulbeginns
direkt Betroffenen erfragen. Unsere Schülerinnen und Schüler gehören – wenn auch nicht
allein – ja auch zu den Pendlern, welche die Verkehrsspitze mitverursachen.
Selbstverständlich gibt es Schülerinnen und Schüler, welche zu Fuss oder mit dem Fahrrad
zur Schule kommen; aber es steht uns keine Datenbasis zur Verfügung, um diese Anteile zu
quantifizieren. Man möchte also mit der Umfrage detaillierter wissen, wie viele Pendler von
einem späteren Schulbeginn am Gymnasium betroffen wären und wann sie welche Linien
befahren. Es wird beispielsweise bei der Schülerschaft des Gymnasiums Kirchenfeld
erhoben, wie viele mit dem Fahrrad zur Schule kommen, wie viele den 19er-Bus und wie
viele die Tramlinie 6 benützen.
Für uns im Zentrum steht hingegen die Fragen nach der Einschätzung der Auswirkungen auf
die Ausbildung, auf die Schule und auf die Schülerinnen und Schüler. Wir müssen davon
ausgehen, dass sich der Unterricht kaum komprimieren lässt und die Schülerinnen und
Schüler abends entsprechend länger in der Schule sind. Uns interessieren die
Auswirkungen: Schlafen die Schülerinnen und Schüler länger, oder gehen sie einfach später
ins Bett? Falls sie länger schlafen, worauf verzichten sie? Oder verlagern sich die
Freizeitaktivitäten gar in die frühen Morgenstunden?
Aus Sicht der Gymnasien ist es wichtig, dass ein späterer Schulbeginn nur dann
vorgenommen wird, wenn keine Nachteile im pädagogischen Bereich zu erwarten sind. Mit
Hilfe der Umfrage sollte also abgeschätzt werden können, ob die Auswirkungen von den
Betroffenen positiv, neutral oder negativ beurteilt werden.
Der Stichprobe der Schülerinnen und Schüler wird so gewählt, dass sie repräsentativ ist und
statistische Aussagen auf dem 95%-Niveau erlaubt. Befragt werden knapp die Hälfte aller
Gymnasiastinnen und Gymnasiasten der Agglomeration Bern.
Diese Mediendokumentation ist auch online: www.be.ch/medienmitteilungen
Medienkonferenz der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion vom Dienstag, 28. April 2015
Um die gleiche Güte erreichen zu können, werden bei den Eltern und den Lehrpersonen
Vollerhebungen durchgeführt. Die Eltern erhalten die Informationen per Briefpost,
Lehrpersonen und Schülerschaft per Email, der Versand erfolgt heute. Alle Umfragen
werden online erhoben und im Auftrag der BVE durch die Firma Interface ausgewertet.
Einem möglichen Missverständnis möchte ich noch vorbeugen: Die Umfrage spricht von
einem „9-Uhr-Stundenplan“. Es wird im Fragebogen dann präzisiert, was darunter zu
verstehen ist: Es ist damit nicht gemeint, dass alle Gymnasien den Unterricht um 9 Uhr
beginnen würden. Im Fragebogen wird spezifisch pro Schule angegeben, mit welchen
Schulanfangs- und Schulendzeiten an wie viel Tagen die Woche gerechnet werden müsste.
Herausforderungen bei einem späteren Unterrichtsbeginn
Eine Herausforderung des späteren Schulbeginns stellt der Wunsch dar, zwar später zu
beginnen, aber die Schule nicht später verlassen zu können. Als ehemaliger Stundenplaner
eines Gymnasiums kenne ich die Möglichkeiten und Grenzen der Stundenplanung gut. Es
sind nicht, wie oft vermutet, die Wünsche von Lehrpersonen, welche grosse Teile des
Stundenplans festlegen, sondern die Verfügbarkeit der Fachräume.
Fachräume
Rund die Hälfte der Lektionen kann in polyvalent verwendbaren Klassenzimmern stattfinden,
beispielsweise Sprachen oder Mathematik. Die andere Hälfte der Lektionen, beispielsweise
Naturwissenschaften, Sport oder Kunstfächer, werden in Fachräumen unterrichtet, welche
jeweils fachspezifisch ausgestattet sind.
Diese fachspezifische Infrastruktur wie Gas-und Stromanschlüsse an den Schülertischen,
Rauchkapellen, feste Medieninstallationen oder Spezialgeräte, in den Spezialräumen ist für
den Unterricht auf gymnasialem Niveau unverzichtbar. Weil diese Räume zudem für andere
Fächer kaum verwendet werden können, sind sie bei der Stundenplangestaltung limitierende
Faktoren. Aktuell sind die Fachräume sehr gut ausgelastet, eine Komprimierung des
Unterrichtstages ist daher kaum möglich. Bei späterem Unterrichtsbeginn ergibt sich daher
ein späteres Unterrichtsende; dem verständlichen Wunsch, bei einem späteren Schulbeginn
trotzdem die Schule nicht später zu verlassen, könnte nicht nachgekommen werden.
Bei den Sportanlagen ist diese Situation folgenreicher, weil der Vereinssport betroffen ist.
Sportanlagen
Stellvertretend für alle Gymnasien folgt das Beispiel Kirchenfeld. Dem Angebot von 136
Hallenstunden steht bei den aktuell 60 Sportklassen ein Bedarf von 135 Stunden gegenüber.
Die Hallen sind also fast total ausgelastet. Wenn nun der Unterricht auch im Sport später
beginnen würde, so müsste die Verschiebung am Morgen praktisch 1:1 auf den Abend
übertragen werden. Davon betroffen wäre der Vereinssport, welcher die Hallen
entsprechend erst später benützen könnte. Der Sport müsste also von einem späteren
Unterrichtsbeginn ausgenommen werden.
Wie eingangs erwähnt, müsste ein späterer Schulbeginn auch im pädagogischen Bereich
positive Folgen erwarten lassen.
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Medienkonferenz der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion vom Dienstag, 28. April 2015
Pädagogische Herausforderungen
Eine Umfrage der PH Bern im Jahr 2013 unter Gymnasiallehrpersonen im Kanton Bern hat
gezeigt, dass diese den Unterricht in den Morgenlektionen auch dann bevorzugen, wenn sie
selber keine Morgenmenschen sind. Die mögliche Begründung, dass die Lehrpersonen die
Morgenstunden vorziehen würden, weil dann die Schülerinnen und Schüler noch halb
schlafen und entsprechend leicht zu halten seien, greift zu kurz. Das Lernen gelingt besser
zu Beginn des Tages, weil dann sowohl Lernende wie Lehrende frischer und
aufnahmefähiger sind.
Die absolute Tageszeit und damit die Zeit des Schulbeginn ist aber wohl gar nicht der
wesentlichste Faktor: Müdigkeit und Leistungsfähigkeit richten sich zu Beginn des
Arbeitstages vor allem nach der Schlafdauer und der Dauer, welche seit dem Aufstehen
vergangen ist. Eine kürzlich verfasste Maturaarbeit des Gymnasiums Kirchenfeld zeigt, dass
die Schülerinnen und Schüler unter der Woche generell mit rund 6-7 Stunden zu kurz
schlafen und den Schlafrhythmus am Wochenende umstellen können. Es ist schwierig
abzuschätzen, ob unsere Schülerinnen und Schüler bei einem späteren Schulbeginn wirklich
am Morgen länger schlafen würden oder am Morgen verloren gegangene Abendzeit
nachholen, ob sie zu unveränderter Zeit oder entsprechend später ins Bett gehen, um die
verpasste schulfreie Zeit am Abend nachzuholen. Es ist also offen, ob die Schlafdauer gleich
bleiben würde oder sich verändert .Auch diesbezüglich fragt die Umfrage nach den
Einschätzungen der Betroffenen.
Wie Herr Battaglia ausgeführt hat, ist aus pädagogischer Sicht und gemäss dem heutigen
Kenntnisstand ein späterer Schulbeginn für uns kein Anliegen Es ist deshalb entscheidend
wichtig, vor einer weiteren Prüfung einer Verschiebung des Schulbeginns zur Entlastung des
öffentlichen Verkehrs sorgfältig zu klären, wie die Betroffenen die Auswirkungen eines
späteren Schulbeginns einschätzen. Darum interessieren uns die Ergebnisse dieser
Umfrage sehr.
Fazit
Die Gymnasien der Agglomeration Bern unterstützen das Projekt zur Prüfung eines allenfalls
späteren Schulbeginn und die Umfrage, um herauszufinden, wie günstige
Rahmenbedingungen für unsere Schülerinnen und Schüler gestaltet werden können.
Uns ist dabei wichtig, dass nicht nur die Schülerinnen und Schüler als Betroffene angesehen
werden, sondern auch deren Eltern und auch die Lehrpersonen. Wir gehen auch davon aus,
dass ein späterer Schulbeginn einen Einfluss auf das Sozialleben unserer Schülerinnen und
Schüler haben wird. Es ist bedeutsam, ob dieser Einfluss eher positiver oder negativer Natur
ist.
Deshalb unterstützen wir diese Umfrage und sehen den Ergebnissen erwartungsvoll
entgegen.
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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