Motorklassik 09/2015

Service Profi-Ti pp S für die o ptimale Aufbe r e it u n g
So bringen Sie Ihren
Wir dachten eigentlich, der 280 SE sei ein Fall für den Lackierer, jahrelange Vernachläs-
Klassiker zum Glänzen
Text Alf Cremers // Fotos Karl-Heinz Augustin
sigung setzte dem Lack übel zu. Aber da ging noch jede Menge mit simplen Bordmitteln.
Nach einem Arbeitstag
erzielt der Profi
eine Glanzleistung.
Das können Sie auch
Die S-Klasse ist nur
noch matt. Auch nach
penibler Handwäsche
keine Spur von Glanz
S
o ein hoffnungsloser Fall steht sicher nicht bei Ihnen in der Garage,
aber vielleicht haben Sie kürzlich
einen kerngesunden Scheunenfund gekauft, der nur frisches Öl
und etwas Kosmetik benötigt. Oder Sie ziehen gerade enttäuscht Ihren US-Import aus
dem Container, der das optimistische Prädikat „immaculate“ (makellos) nicht ganz verdient. Die 126er-S-Klasse auf diesen Fotos
stand zwei Jahre bei einem Fähnchenhändler
unter einem Baum. Das Einzige, was an ihr
gut aussah, waren die Aluräder, jeder andere
hätte den Wagen mattschwarz zur Ratte gerollt. Eine Neulackierung wäre zu teuer.
Ich wollte es wissen, fuhr mit dem im
seltenen Farbton Braun 427 lackierten Mercedes zu einen Profi-Aufbereiter.
Prämisse: Nur mit simplen Mitteln
Roberto Mercuri lebt seinen Beruf mit Leidenschaft, er betreibt in der Nähe von Hei-
delberg sein Quality CarCare und arbeitet
auch ambulant mit einem bestens ausgestatteten Service-Mobil. Roberto lächelt wissend, als ich ängstlich mit dem 280 SE vorfahre: „Geht da noch was?“, frage ich ihn vorsichtig. „Der ist ja eine echte Herausforderung“, grinst er vielsagend. „Bitte keine
teuren Wundermittel, nur Handelsübliches,
das sich jeder kaufen kann oder in der Garage hat“, schränke ich ein. „Innen ist er ja erstaunlich gut, auch die Aluräder sind nicht
korrodiert, wir müssen uns also vor allem auf
den Lack konzentrieren“, stellt Mercuri fest.
Von ihm erfahre ich, dass Uni-Lacke mit hohem Rotanteil, also auch mein Rubellanbraun, wie Code 427 seltsamerweise in manchen Mercedes-Farbkarten auch noch heißt,
auskreiden und einen Grauschleier bilden.
Natürlich ist auch UV-bedingte Verwitterung im Spiel, Baumharz und Vogelkot tun
ein Übriges. Chemisch betrachtet ist die obere hauchdünne Lackschicht oxidiert. Es kam
In der Politur sind
feine Schleifpartikel.
Sie entfernen
die tote, verwitterte
Lackschicht
bei dem 126er über die Jahre zu einer intensiven Reaktion mit Sauerstoff, die ein schützender Klarlack, wie er bei Zweischicht-Metallic verwendet wird, verhindert hätte.
„Ich kann diese Erosion spüren und auch
hören, wenn ich mit den Händen drüberstreiche“, sagt Roberto. „Der Lack fühlt sich
an wie Schleifpapier – und er klingt auch so.“
Der Benz ist Baujahr 1981, damals hat man
noch robusten Acryllack in einer Stärke von
etwa 120 Tausendstel Millimetern aufgetra-
Mit Reinigungsgummi abziehen
Mit grober Politur toten Lack entfernen
Mit feiner Politur nacharbeiten
Polierreste mit weichem Tuch entfernen
Nach der Wäsche ist der Wagen wieder so matt wie vorher. Um den
Restschmutz aus den Poren zu ziehen, sprüht man ein Lösungsmittel
auf (Cleaner Fluid) und massiert den Lack mit mineralischer Knetmasse
Erst auf einer kleinen Fläche ausprobieren und den Effekt kontrollieren.
Ist die grobe Politur nötig, oder reicht Stufe 2 mit feinerer Körnung?
Hier müssen wir grob ran, um alles aus dem stumpfen Lack zu holen
Für die großen Flächen matten Lacks brauchen wir eine Poliermaschine.
Sie wird je nach Arbeitsgang mit Polierscheiben verschiedener Härtegrade bestückt. Wolle ist am härtesten und holt den toten Lack runter
Politurreste erzeugen Schlieren und bilden unschöne Hologramme, die
in Regenbogenfarben schillern. Nach jedem Polier- und Wachsgang ist
gründliches Nachpolieren mit einem weichen Frotteetuch unerlässlich
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Motor Klassik 9/2015
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Service Profi- tipps für die o ptimale Aufbe r e it u n g
Gönnen Sie Ihrem Klassiker
einmal etwas Besonderes
Wachs als schützende Versiegelung
Eine Exzenter-Poliermaschine ist hilfreich
Scheibenreinigung innen und außen
Poliermittel auf Tuch oder Scheibe auftragen, nie auf den Lack. Es gibt
zwei Arten von Wachs: Die eine sorgt mit speziellen Ölen für Tiefenglanz
und versiegelt, die andere (billigere) baut nur einen Schutzfilm auf
Egal ob Bosch, Fein, Metabo oder Festool: Für Leute, die Spaß daran
haben, ihren Klassiker öfter auf Hochglanz zu bringen, lohnt sich eine
Exzenter-Poliermaschine, die obendrein effektiver ist als Handarbeit
Vergessen Sie Zeitungspapier, das schmiert. Nur Mikrofasertücher
zaubern in Verbindung mit dem Scheibenreiniger höchste Transparenz.
Klare Scheiben sind die Visitenkarte eines gepflegten Autos
gen, der verträgt es, wenn man ihn mit gröberen Schleifmitteln in der Politur abrasiv
behandelt, um die verschmutzte Oxidschicht
abzutragen. Nach Handwäsche und Trocknung sprüht Roberto Karosseriepartien mit
einem handelsüblichen Cleaner Fluid ein
und zieht eine reinigende mineralische Knetmasse über den Lack, die den Schmutz aus
den Poren bindet. Verwitterter Lack ist unter
dem Mikroskop porös wie Lava. Die einst
glatte Oberfläche ist durch unvermeidbare
Wäscheriefen und Außeneinflüsse so rau wie
Schleifpapier geworden.
Sechs goldene Regeln
Um den Glanz zurückzuholen, hilft auch nur
Abschleifen, aber nicht mit 1000er-Sandpapier wie beim Lackierer, sondern zuerst mit
einer Politur, die grobe Schleifkörper enthält.
Weil man mit Handarbeit der rund 14 Quadratmeter Lackoberfläche der 126er-S-Klasse nicht Herr wird, testen Roberto und ich
nur die Wirkung des Mittels per Hand auf
kleiner Fläche. Man muss schon viel schweißtreibenden Druck ausüben, um mit dem getränkten Mikrofasertuch die etwa 6 bis 8 Mikrometer dünne Oxidschicht abzutragen.
„Ich liebe Härtefälle.
Das Ergebnis macht mich
am Ende glücklich“
Roberto Mercuri, Aufbereiter
Das geht mit der Exzenter-Poliermaschine natürlich viel schneller. Aber ob per
Hand oder maschinell, immer gelten Roberto Mercuris „Sechs goldene Regeln“.
Erstens: Das Mittel immer aufs Tuch oder
auf die Polierscheibe, niemals auf den Lack
auftragen. Zweitens: Sauber arbeiten – jedes Mittel bekommt sein eigenes Tuch oder
seine eigene Polierscheibe. Drittens: Niemals kreisförmig arbeiten, sondern immer
rechteckig im Kreuzgang, sonst entstehen
Hologrammmuster, die sich nicht mehr
wegpolieren lassen.
Viertens: Kleine Flächen in Tuchgöße
bearbeiten. Fünftens: Mittel sparsam auftragen – das Motto „Viel hilft viel“ gilt nicht
für die Lackaufbereitung. Sechstens: Die
Poliermaschine ist nichts für Anfänger. Der
Umgang mit ihr will gekonnt sein, man
muss ihn sich von einem Profi zeigen lassen. Zu viel Druck auf einer Stelle erhitzt
den Lack zu stark, bei Karosseriesicken
muss der Neuling aufpassen, dass er den
Lack nicht bis zur Grundierung abschleift.
Mercuri zieht drei Arbeitsgänge hintereinander mit der Maschine durch: Die
Grobpolitur mit Wollscheibe, die Feinpoli-
tur mit der Mikrofaserscheibe „mittel“ und
die Wachspolitur mit der sanften „Samtscheibe“. Schon nach der Grobpolitur ist der
Effekt erstaunlich. Die S-Klasse kommt so
glänzend wie sonst nur im Regen. Nach
stundenlanger Intensivbehandlung verwandelt sich das einstige Mattbraun, das so
schlampig und stumpf aussah wie mit der
Walze aufgetragen, in einen spiegelblanken
Klavierlack. Dessen Tiefenglanz begeistert
und könnte bei Damen ohne Weiteres zur
Kontrolle von Frisur und Make-up dienen.
Zum Schluss betrommelt und massiert
Roberto das nun unwiderstehlich schokoladig wirkende Rubellanbraun mit gehaltvollem Carnauba-Wachs und feudelt euphorisch mit dem langflorigen Tuch nach, wie
jemand, der den 280 SE zum Concours-Winner schminken will. Das teure Edelwachs ist
das einzige Luxuspräparat, das wir uns bei
der Aufbereitung leisten. Unter den gnadenlosen Studiolampen kommen jetzt jeder
Kratzer und jeder Farbunterschied am Mercedes zum Vorschein, aber bei normalem
Betrachtungsabstand wirkt er wie ein Jahreswagen. Zweimal jährlich Wachsen reicht,
um diese Glanzleistung zu konservieren. ◾
Fazit
Vorher lag die
Reflexion des toten
Lacks bei null. Jetzt
kann ich mich darin
spiegeln. Was für ein
Unterschied! Fünf
langwierige, anstrengende Arbeitsschritte
haben den Uni-Lack
wieder zum Leben
erweckt. Aber es hat
sich gelohnt. Jetzt
weiß ich erst, wie
schokoladig das DBBraun 427 wirklich ist.
Kunststoffteile porentief reinigen
Chrompolitur mit Schleifpaste
Teures Edelwachs für finalen Tiefenglanz
Kunststoffreiniger gibt es von allen Autopflegemarken von Sonax über
Nigrin bis Armor All. Um genarbte Kunststoffe porentief rein zu kriegen,
muss man den Reiniger nach Aufsprühen mit einer Bürste einmassieren
Produkte wie Wenol oder Autosol enthalten grobe Schleifkörper in
zäher Pastenform. Die sind bei Chromteilen besonders wirksam.
Hartgesottene verwenden sie als letztes Mittel bei extrem mattem Lack
Fast alle Autopolitur-Hersteller haben ein Edelwachs mit besonders
hohem Carnauba-Anteil im Programm. Mit der Hand sorgsam aufgetragen, wirkt dieses Glanz-Finale wie ein sinnliches Erlebnis
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■ Der Newcomer bei der exklusiven Autopflege heißt Herrenfahrt. Der Name ist Programm, Gran- Turismo-Piloten dürften
sich von den Produkten aus natürlichen Rohstoffen angesprochen fühlen. Das Set gibt es für 340 Euro. www.herrenfahrt.com
■ Ohne die renommierte
Autokosmetik Meguiar’s
wäre der Concours in
Pebble Beach undenkbar.
High-End-Sammler wie
Ralph Lauren oder Jay
Leno schwören auf die
edlen Tinkturen. Das
Basis-Set kostet 180 Euro.
www.meguiars.de
■ Christian Petzoldt aus Hamburg ist der
Aufbereitungs-Guru in Deutschland mit
über 30 Jahren Praxis.
Petzoldt’s PremiumKollektion ist die
komprimierte Summe
seiner Erfahrung, die
Preise sind moderat.
Das Starter-Kit kostet
80 Euro. www.
petzoldts.de
■ Die Mutter aller kostbaren Pflegeprodukte für klassische
Automobile: Swizöl heißt jetzt Swissvax, aber geblieben ist
der hohe Anspruch an Rezeptur und Rohstoffe. Das große Set
mit allem und für alles kostet 760 Euro. www.swissvax.de
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