Ersatzvornahme und der Ersatz von Kosten, die durch

Die Rechtsprechung / La Jurisprudence BR/DC 6/2015
Ersatzvornahme und der Ersatz von Kosten,
die durch einen Vorschuss nicht gedeckt sind
Der Unternehmer hat die Kosten der Ersatzvornahme vorzuschiessen, wobei die Vorschussleistung ihn nicht davon
befreit, dem Besteller auch die durch den Vorschuss nicht gedeckten Kosten zu ersetzen.
L’entrepreneur doit avancer les coûts de l’exécution par substitution, ce qui ne le libère pas de l’obligation de payer
à son client les frais que l’avance ne couvre pas.
BGE 141 III 257 (= 4A_2/2015 [25. Juni 2015])
Hubert Stöckli, Dr. iur., Professor an der Universität Freiburg
Der Fall
(561) Als Vorinstanz hatte hier das Handelsgericht des Kantons Zürich entschieden, dessen Urteil ich in BR/DC 2015,
S. 149 f., besprochen und kritisiert habe. Auch die Zusammenfassung des Sachverhalts findet sich dort. Hier deshalb
nur kurz: Es geht um Ersatzvornahme im Werkvertrag. Das
Handelsgericht spricht den Klägern in einem ersten Prozess
(dem Vorschussprozess) einen Vorschuss zu. Tatsächlich
aber sind die Kosten der Ersatzvornahme höher, weshalb die
Kläger in einem zweiten Prozess (dem Abrechnungsprozess)
vom Unternehmer Ersatz der durch den Vorschuss nicht gedeckten Kosten verlangen. Im Abrechnungsprozess unterliegen sie, weil das Handelsgericht sich von der Meinung leiten
lässt, im Vorschussprozess sei über die Höhe des vom Unternehmer geschuldeten Aufwandersatzes rechtskräftig entschieden worden. Das Bundesgericht schlägt sich in der
Rechtsfrage zwar auf die Seite der beschwerdeführenden
Kläger, weist deren Beschwerde aber gleichwohl ab.
Der Entscheid
1. Das Bundesgericht stellt zunächst klar, dass es sich beim
Kostenersatz nicht um Schaden-, sondern um Aufwendungsersatz handle, sodass sich der Kostenvorschuss als «ein
­vorweggenommener Aufwendungsersatz für die Kosten der
Ersatzvornahme und somit eine weitere Änderung des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs» erweist (E. 3.3).
2a. «Schreitet der Besteller zur Ersatzvornahme ohne Vorschuss, wozu er auch ohne richterliche Ermächtigung befugt
ist (…), muss er nach getätigter Mängelbeseitigung im Rückerstattungsprozess gegen den Unternehmer sowohl den
grundsätzlichen Anspruch auf Ersatzvornahme wie die Berechtigung des konkret getätigten Aufwands nachweisen.»
b. «Klagt er aber zuerst auf Leistung eines Vorschusses und
kommt es nach der Mängelbeseitigung zum Streit über die
Kostenabrechnung, umfassen Vorschussprozess und Abrechnungsprozess in zwei Schritten denselben Inhalt, der im
Rückerstattungsprozess in einem Schritt erfolgt. Daraus
Abkürzungen: BR/DC 2015 S. 53 ff. Abréviations: BR/DC 2015 p. 53 ss
folgt, dass die Hauptfrage des Vorschussprozesses, das Bestehen des Anspruchs auf Ersatzvornahme und damit des Vorschussanspruchs, im Abrechnungsprozess nicht mehr in Frage gestellt werden kann (…)». c. «Die Höhe der Kosten ist
dagegen nur insoweit Gegenstand des Vorschussprozesses,
als darin in Bezug auf den Lebenssachverhalt, auf den sich
das Vorschussbegehren stützt, definitiv über die Höhe des
Vorschusses entschieden wird. Bezüglich der Höhe der
­tatsächlichen Kosten, die in diesem Zeitpunkt noch gar nicht
aufgelaufen sind und für die am Ende Ersatz geschuldet ist,
entfaltet das Urteil keine Rechtskraft (vgl. das analoge
­Problem bei der Ersatzvornahme nach Art. 343 Abs. 1 lit. e
ZPO). Daran ändert sich nichts, wenn die Abschätzung der
mutmasslichen Kosten nicht auf blossen Offerten usw., sondern wie vorliegend auf Gutachten beruhte. Vorschüsse sind
Akonto-Zahlungen, die definitionsgemäss unter dem Vor­
behalt definitiver Kostenliquidierung geleistet werden. Das
Kostenvorschussurteil schliesst demzufolge im Abrechnungsprozess weder die Rückforderung eines zu hohen Kostenvorschusses durch den Unternehmer noch die Nachforderung der noch nicht gedeckten Kosten durch den Besteller aus
(…)». d. «Entgegen der Vorinstanz ist daher kein mass­
gebliches Kriterium, dass im Kostenvorschussurteil lediglich
eine Rückzahlungspflicht der Besteller für den nicht be­
anspruchten Teil der Bevorschussung festgehalten wurde, jedoch nicht umgekehrt eine Nachzahlungspflicht der Unternehmerin. Ebensowenig ist von Bedeutung, dass beim
Vorschuss eine Reserve einberechnet wurde. Dass es zu­lässig
ist, eine Reserve im Rahmen der Schätzung zu berücksich­
tigen, hängt vielmehr damit zusammen, dass mit dem Kostenvorschussurteil rechtskräftig über den Anspruch auf ­Vorschuss
entschieden und daher gestützt auf den bereits beurteilten
Lebenssachverhalt eine erneute Einforderung ­eines weiteren
Kostenvorschusses ausgeschlossen ist» (alles in E. 3.3).
3. Die Vorinstanz stützte sich «auf die Formulierung in BGE
128 III 416 E. 4.2.2, dass ‹eine Nachforderung ausgeschlossen› sei, ‹wenn wie im vorliegenden Fall über den Umfang
der Nachbesserungsarbeiten im Detail bereits entschieden
wurde und insofern eine res iudicata vorliegt›. Diese Formulierung ist in der Tat missverständlich», wie das Bundesgericht einräumt, um zu verdeutlichen, dass mit der «zitierten
Formulierung (…) klargestellt [wurde], dass die Methode
der Sanierung bei der Abrechnung der Kosten nicht mehr in
Frage gestellt werden kann» (E. 3.3).
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4. Abgewiesen wird die Beschwerde trotzdem! In einer
Eventualbegründung hatte die Vorinstanz dargelegt, dass die
«Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Nachforderung des die Bevorschussung übersteigenden Aufwands
nicht hinreichend substantiiert» hätten. An diese Fest­
stellung zum Prozesssachverhalt sieht sich das Bundes­
gericht ge­
bunden; es hält den Beschwerdeführern (den
vor­
­
maligen Klägern) vor, in der Beschwerde fehle es
diesbezüglich «an rechtsgenüglichen Rügen» (E. 4.2.2).
­
Dazu führt es aus: «Beruht die Schätzung des Kosten­
vorschusses (…) auf de­taillierten Abklärungen, z. B. einem
entsprechenden Gutachten, begründet dies (…) zwar keine
Bindungswirkung, jedoch können sich daraus erhöhte
Substanziierungsanforderungen ergeben hinsichtlich der
­
Begründung der Abweichung vom vorgeschossenen Betrag» (E. 3.3). Zu pauschal war dem Bundesgericht der
­Hinweis der Beschwerdeführer, «sie hätten die Aufwendungen angesichts der in der Klageschrift aufgeführten Rechnungen und Zahlungsbelege einwandfrei und lückenlos
­substanziiert und belegt» (E. 4.2.2).
Anmerkungen
1. Das Urteil orientiert sich am lesenswerten Beitrag von
Martha Niquille-Eberle, Probleme rund um die Ersatzvornahme, insbesondere die Bevorschussung der Kosten, in:
Koller (Hrsg.), Neue und alte Fragen zum privaten Baurecht,
St. Galler Baurechtstagung 2004, S. 63 ff., den schon die Vorinstanz herangezogen hatte.
2. Man kann dem Bundesgericht nur zustimmen, wenn es
(anders als die Vorinstanz) zum Schluss kommt, dass der
Entscheid über die Vorschussleistung einer Nachforderung
auf Ersatz jener Kosten, die den Vorschuss übersteigen, nicht
entgegensteht. Diese Nachforderung ist im Abrechnungsprozess geltend zu machen, wo der Kläger sich augenscheinlich
nicht damit begnügen darf, Rechnungsbelege einzureichen,
sondern jedenfalls dann, wenn die Vorschusshöhe gestützt
auf ein Gutachten festgelegt wurde, überdies zu substanziieren hat, «weshalb der Aufwand viel grösser ist als gemäss
den Schätzungen im Gutachten» (E. 4.2.2).
Le droit de résoudre le contrat en cas d’application
de l’art. 97 CO : vers un régime de l’inexécution
­toujours plus unifié
Dans cet arrêt non publié, mais d’une grande importance, le Tribunal fédéral reconnaît le droit pour le créancier de
résoudre le contrat en cas d’impossibilité subséquente imputable au débiteur lorsque la prestation qu’il a déjà reçue
est sans intérêt pour lui. L’application par analogie des art. 107 al. 2 et 109 CO à une hypothèse de l’art. 97 CO cons­
titue un changement important dans la jurisprudence du Tribunal fédéral. Le droit suisse semble désormais prêt à
faire le pas d’un régime unifié de l’inexécution pour lequel les conséquences seraient potentiellement identiques quel
que soit le type d’inexécution (impossibilité, demeure ou violation positive du contrat).
Dieses Urteil wurde zwar bloss im Internet publiziert, hat aber gleichwohl grosse Tragweite. Das Bundesgericht an­
erkennt, dass der Gläubiger auch in Fällen nachträglicher, vom Schuldner zu verantwortender Leistungsunmöglichkeit
zum Vertragsrücktritt befugt ist, wenn die schon erhaltene Leistung für ihn keinen Nutzen hat. Diese analoge An­
wendung der Art. 107 Abs. 2 und Art. 109 OR ist ein markanter Schritt, mit dem sich nun augenscheinlich auch das
Schweizer Recht auf ein System zubewegt, in dem sich die Folgen der Nichterfüllung eines Vertrages unabhängig von
der Ursache (Unmöglichkeit, Verzug oder positive Vertragsverletzung) bestimmen.
Arrêt du Tribunal fédéral du 21 juillet 2015 (4A_101/2015)
Pascal Pichonnaz, docteur en droit, professeur et doyen de
la Faculté de droit de l’Université de Fribourg
Les faits
(562) 1. Des époux concluent un contrat d’entreprise avec
une entreprise générale, par lequel celle-ci s’engage à
332
construire une villa sur leur parcelle pour un prix de
CHF 478 300. Agissant pour le compte des maîtres d’ouvrage, l’entrepreneur dépose une demande de permis de
construction, qui est refusée par la Commune ; le refus est
confirmé par le Conseil d’État valaisan. La cause du refus
tient au fait que la parcelle se trouve dans la « zone de danger
élevé » du plan sectoriel concernant la 3e correction du
Rhône, dans laquelle toute demande de construction nécesAbkürzungen: BR/DC 2015 S. 53 ff. Abréviations: BR/DC 2015 p. 53 ss