Mythen und Tatsachen aus der Schlaf forschung. 98 | MM40, 28.9.2015 | LEBEN Migrosmagazin.ch Gesundheit Schlafstörungen Jedem vierten Menschen in der Schweiz fällt es schwer, ein- oder durchzuschlafen. Stress ist einer der Gründe dafür. Experte Jens Acker erklärt, was man dagegen tun kann. Text: Thomas Vogel Bild: René Ruis Jens Acker, eine aktuelle schweizerische Gesundheitsbefragung zeigt, dass jede vierte Person Schlafprobleme hat. Woran liegt das? Das hat verschiedene Ursachen. Eine ist sicher, dass wir heute der Problematik mehr Aufmerk samkeit schenken und sie entsprechend auch mehr diag nostizieren. Denn Schlafprob leme sind so alt wie die Mensch heit. Einer der Auslöser ist der heute allgegenwärtige Stress, der zu psychischen Belastungen führen kann. Aber wenn ich den ganzen Tag Stress habe, macht mich das doch müde. Wieso führt das zu Schlafproblemen? Wir haben zwar heute viel Stress im Job, sind permanent präsent, können kaum mehr abschalten, aber körperlich müde sind wir nicht. Stress ermüdet nur geistig. Wer zum Beispiel das Gefühl hat, er müsse permanent erreichbar sein, und das ein geschaltete Telefon auf den Nachttisch legt, der wartet im mer darauf, dass etwas passiert. Er steht unter Stress, kann nicht mehr abschalten. Doch genau das ist wichtig für einen guten Schlaf ebenso wie regelmässige und ausreichende Bewegung. Also soll ich nach der Arbeit ins Fitnesszentrum gehen, um mich körperlich auszupowern? Ausdauertraining ist zwar sinn voll, aber nicht direkt vor dem Schlafengehen. Denn erst ein mal putscht der Sport auf. Wich tig ist es, eine Balance zwischen Entspannung und Anspannung zu finden. Das geht gut mit einem Spaziergang in der Natur oder einer entspannten Velo fahrt. Auch etwas Müssiggang hilft, um abzuschalten. Die meisten Menschen kennen den Zustand der Langeweile nicht mehr. Sie müssen permanent etwas tun. Kann man Abschalten trainieren? Wer das Gaspedal permanent durchdrückt, muss auch mal die Bremse betätigen sprich: ent spannen. Und dies lernt man zum Beispiel sehr gut mit Yoga, QiGong oder TaiChi. Was ist gut für die Nachtruhe? Grundsätzlich soll das Bett gedanklich mit zwei Tätigkeiten verknüpft sein: Schlafen und Sex. Alles andere hat im Bett nichts verloren. Sowohl SMS schreiben, im Internet surfen, am iPad Spiele spielen, spannende Bücher lesen als auch Probleme wälzen. An sonsten wird das Bett nicht mit Schlafen verbunden, sondern mit Aktivitäten und Wachheit. Auch sollte man den nächsten Tag nicht im Bett planen, son dern im Büro. Im Bett lese ich, spiele am Laptop oder sehe fern und kann doch gut schlafen. Sollte ich jetzt damit trotzdem aufhören? Nein, auf keinen Fall! Ein guter Schläfer braucht keine starren Regeln. So lange jemand gut schläft und am Morgen erholt erwacht, solange ist alles erlaubt. Was mache ich, wenn ich nachts aufwache, ins Grübeln komme, Probleme wälze und deshalb nicht mehr einschlafen kann? Wenn ein baldiges Einschlafen unwahrscheinlich ist und sich innere Anspannung einstellt: aufstehen und sich mit einer entspannenden Tätigkeit ablen ken, zum Beispiel Wäsche bü geln, Kreuzworträtsel lösen oder ein entspannendes Buch lesen, bis die Müdigkeit wiederkommt. Dann ins Bett zurückgehen. Wie definiert man Schlafprobleme? Wenn jemand Mühe hat, einzu schlafen oder durchzuschlafen, kann man von Schlafproblemen sprechen. Grundsätzlich stellt aber weder das nächtliche Erwachen noch das späte Einschlafen ein Problem dar, sofern es nur kurze Zeit anhält und man am nächsten Tag fit und ausgeruht ist. Wie viel Schlaf benötigt ein erwachsener Mensch? Der Schlafbedarf ist individuell verschieden. Für die meisten Menschen liegt er zwischen 6 und 9 Stunden. In der Schweiz wird im Durchschnitt werktags 7,4 Stunden und am Wochenende 8,5 Stunden geschlafen. Wir verzichten also unter der Woche auf Schlaf und versuchen das am Wochenende zu kompensieren. Es gibt Menschen, die konsequent um 22 Uhr ins Bett gehen, ob sie müde sind oder nicht. Ist das sinnvoll? Nein. Man soll sich ins Bett legen, wenn man müde ist und dann auch gut schlafen kann. Jeder muss seinen eigenen Schlafrhythmus finden – das gilt auch in einer Beziehung. Eine von zwölf Personen in der Schweiz nimmt Schlafmittel, um überhaupt schlafen zu können. Ist es sinnvoll, bei Jens Acker, Chefarzt an der Klinik für Schlafmedizin Bad Zurzach. Schlaflosigkeit Medikamente zu schlucken? Bei akuten Schlafproblemen können Schlafmittel aus der Hand des Arztes durchaus hilfreich sein. Es macht aber keinen Sinn, diese über mehrere Monate zu nehmen. Denn es dauert nicht lange, und die Be troffenen haben zwei Probleme: Tablettensucht und Schlaflosig keit. Wer andauernd Schlaf störungen hat, sollte sich von einem Experten beraten lassen. Wie steht es mit naturheilkundlichen Präparaten wie LEBEN | MM40, 28.9.2015 | 99 8. Oktober, 20.05 Uhr, SRF 1 Dok-Sendung Schlaflos in der Schweiz «Wenn der Schlaf ausbleibt – Szenen einer unruhigen Gesellschaft» Jürgen Sahli (61), Chefredaktor Radio Argovia Sahlis Beruf ist sein Leben. Steigt er abends ins Bett, nimmt er das Geschäft mit. Sein erster Gedanke beim Aufstehen: das Geschäft. Wacht er nachts auf, was häufig vorkommt, gilt sein erster Blick dem Smartphone. «Ich wäre gern mal abends so müde, wie ich es am Morgen bin», sagt er. Neben wirkung seiner Schlaflosigkeit: Er ist launisch und dünnhäutig. Bernhard Marti (38), Berufsschullehrer Informatik Marti schläft seit Jahren schlecht. Die Folge der Schlafprobleme ist eine permanente Erschöpfung. Der Unterricht strengt ihn an, er hat Angst vor einem Burnout. «Mir wäre lieber, ich hätte eine Krank heit, die alles erklären würde», sagt er. Es sei schwierig, sich einzugeste hen, dass man eine Grenze erreicht habe. Mehrmals pro Tag zieht er sich in einen Ruheraum zurück. Martina Ritter (50), Bewegungsund Entspannungstherapeutin Bilder: SRF Baldrian, Hopfentee oder Melisse? Diese Mittel können helfen. Für sie gilt jedoch das Gleiche wie für klassische Schlafmittel. Wenn die Schlafstörung nicht von selbst abklingt und die Alltagsform leidet, sollte eine weitere Abklärung erfolgen. Kann man nach einer medikamentösen Behandlung wieder lernen, ohne Tabletten einzuschlafen? Schlaf ist natürlich und braucht keine chemische Unterstützung. Wir können auf unsere Schlaf- funktion vertrauen – auch nach längerer Schlafstörung kann gesunder Schlaf wieder erlernt werden. Ist es sinnvoll, einen Mittagsschlaf zu halten, oder sind wir dann abends nicht müde genug, um richtig einschlafen zu können? Den sogenannten Powernap von maximal 15 bis 20 Minuten kann ich nur empfehlen. Er gibt Energie für den Rest des Tages. Doch ist er nur für Menschen ohne Einschlafprobleme sinnvoll. MM Sie lebt mit dem Widerspruch, Entspannungstherapien anzu bieten, selber aber nachts seit Jahrzehnten keine Entspannung zu finden. «Das stresst mich», gibt sie zu, obwohl sie sich beruflich nicht als gestresst fühlt. Zur persönli chen Entspannung zieht sie sich in den Wald zurück und macht fernöstliche Übungen. Schlafen kann sie trotzdem nicht. Urs Z’graggen (52), Mitarbeiter «Tagesschau» SRF Die Schlafstörungen begannen in der Zeit als Flight Attendant – aufgrund der unregelmässigen Arbeitszeiten und der Zeitverschie bungen nach langen Flügen. Aus Rücksicht auf die Gesundheit hat er den Beruf vorerst aufgegeben. Er ist tagsüber permanent müde, deshalb fehlt ihm häufig der Antrieb – manchmal gar die Kraft, seine Wohnung zu verlassen.
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