Entwurf Stand 21.02.16 Begrüßung und Einführung Reiner Hoffmann anlässlich der Ausstellungseröffnung „Vom Wert der Mitbestimmung. Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945“ am 7. März 2016 in der Akademie der Künste, Berlin Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Fahimi, sehr geehrter Herr Kardinal Marx, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist mir eine große Freude, Sie und Euch zur Ausstellungseröffnung in der Akademie der Künste am Brandenburger Tor herzlich willkommen zu heißen. Wir wollen mit unserer Ausstellung dokumentieren, was Betriebsräte und Aufsichtsräte in Deutschland seit 1945 geleistet haben und wie sie mit immer neuen Herausforderungen umgegangen sind. Wir wollen den „Wert der Mitbestimmung“ zeigen. Es gibt viele gute Gründe für die Mitbestimmung im Betrieb und in den Unternehmen. Ich möchte mich im Folgenden auf eine Begründung beschränken. Erstmalig 1968 wurde von der Bundesregierung eine Sachverständigenkommission zur Prüfung der Mitbestimmungsfrage eingesetzt, sie wurde bekannt als Biedenkopf-Kommission Eins. Diese Kommission legte 1970 ihren Abschlussbericht vor, der den Weg öffnete zum Mitbestimmungsgesetz von 1976 – auf dessen Jubiläum wir in diesem Jahr zurückblicken. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, so stellt die Biedenkopf-Kommission als erstes grundsätzlich fest, „leitet sich … aus dem richtigen Verständnis von der normativen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses und der Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen und damit einer Wertentscheidung ab.“ Bevor viele weitere gute Gründe im Abschlussbericht entfaltet werden, am Anfang steht also eine sozialethische Begründung für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Wie wird hier weiter argumentiert? Die Werteordnung der Bundesrepublik Deutschland setzt einen Rahmen und hier insbesondere der erste Artikel des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und weiter: Die Werteordnung, nach der speziell das Arbeitslebens zu gestalten sei, findet ihre Grundlage in den „theologischen Äußerungen beider christlicher Konfessionen zur sozialen Ordnung und zur Frage der Mitbestimmung in der Wirtschaft“, soweit die Biedenkopf-Kommission. Was ist das Fazit der Biedenkopf-Kommission an dieser Stelle? Unternehmen sind Sozialgebilde, die so gestaltet sein müssen, dass sie die Würde des Menschen nicht verletzen. Durch Mitbestimmung soll ein Ausgleich zwischen der Selbstbestimmung und Freiheit der Person einerseits und der Fremdbestimmtheit des Arbeitnehmers im Unternehmen andererseits geschaffen werden. Sehr geehrter Herr Kardinal Marx, wir haben vor wenigen Wochen zusammen mit weiteren Partnern eine Allianz für Weltoffenheit geschlossen. Unser Aufruf trägt den Titel: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Damit haben wir ein vielbeachtetes gemeinsames Bekenntnis zu Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat, gegen Intoleranz, Menschenfeindlichkeit und Gewalt abgelegt. Uns verbinden gemeinsame Werte, die wir angesichts der Flüchtlingskrise öffentlich thematisiert haben. Und wir sind auch einer Meinung, dass die Arbeitswelt so gestaltet sein muss, damit die Würde des arbeitenden Menschen nicht verletzt wird. 2 Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Die Menschenwürdige Gestaltung von Wirtschaft und Arbeit ist das große Thema der katholischen Soziallehre. Ich möchte in diesem Zusammenhang an eine Person erinnern, den Nestor der katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning. Willy Brandt nannte ihn einen „großen Soziallehrer“ und 1980 wurde Nell-Breuning mit der höchsten Auszeichnung der Gewerkschaften, dem Hans-Böckler-Preis, geehrt. Für die Gewerkschaften ist er die große Lichtgestalt der katholischen Soziallehre. Es ist mit das Verdienst von Nell-Breuning, dass die Einheitsgewerkschaft in Deutschland in den 1950er Jahren erhalten blieb und keine neuen christlichen Gewerkschaften entstanden, wie es vor 1933 der Fall gewesen war. Die Aussöhnung der Kirche mit der Arbeiterbewegung war eines seiner großen Lebensthemen. Und Nell-Breuning war ein klarer Befürworter der paritätischen Mitbestimmung im Unternehmen. Er begrüßte das Montanmitbestimmungsgesetz von 1951, wenngleich seine Vorstellungen noch darüber hinausgingen. Er war für ein Unternehmensverfassungsgesetz, das neben der Hauptversammlung der Aktionäre die Belegschaftsversammlung als gleichberechtigten Akteur sah. Und zum Mitbestimmungsgesetz von 1976 stellte Nell-Breuning fest, dass es weder eine paritätische noch überhaupt eine Unternehmensverfassung gebracht habe, sondern die Mitbestimmung auf eine unveränderte Gesellschaftsstruktur gleichsam aufgepfropft worden sei. Nell-Breunings Vorstellungen für ein eigenes Unternehmensverfassungsgesetz gingen selbst den Gewerkschaftsspitzen zu weit, so wie Nell-Breuning auch seine Kirche dafür kritisierte, dass sie die Tarifautonomie nicht im eigenen Hause gelten lasse. Nell-Breuning verstand Wirtschaft als einen sozialen Prozess der wechselseitigen Abhängigkeiten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit sich daraus ergebenden Kooperationen und Verbindlichkeiten. Unternehmen, insbesondere Großunternehmen, waren für ihn kein Vermögensgegenstand, der den Anteilseignern allein gehört und für die die Arbeitnehmer nur ein Anhängsel sind. Das Unternehmen, so Nell-Breuning, muss ein Interaktionsraum gleichberechtigter Partner sein. Sein Plädoyer für gleichberechtigte Partner im Unternehmen ist genau das Gegenteil von dem, was heute als shareholder value Kapitalismus, was als das kapitalmarktgetriebene Unternehmensmodell der London City immer noch viele Anhänger findet. Selbst die Finanzmarktkrise von 2008 konnte sie keines Besseren belehren. Bundestagspräsident Lammert hat 2014 auf der 10. Konferenz für Aufsichtsräte in börsennotierten Unternehmen, veranstaltet von Hans-Böckler-Stiftung und DGB, an die Überlegungen von Oswald von Nell-Breuning faktisch angeschlossen, als er sich für die Ausweitung der Montanmitbestimmung „auf die ganze Wirtschaft“ ausgesprochen hat. Immer mehr anonymes Kapital von Fonds, so Lammert, die ausschließlich ein Renditeinteresse haben, mache das im Mitbestimmungsgesetz von 1976 enthaltene Letztentscheidungsrecht der Anteilseignerseite hinfällig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Die Mitbestimmung muss sich der veränderten Wirklichkeit, den großen Herausforderungen stellen. Wenn sich die Welt dramatisch verändert, kann die Mitbestimmung nicht so bleiben wie sie ist. Die Gewerkschaften sind dazu bereit. 3 Als erstes ist es erforderlich, dass alle Versuche, die Mitbestimmung im Unternehmen zu unterlaufen, unterbunden werden. Die Gründung von Scheinauslandsgesellschaften in Deutschland nach dem Unternehmensrecht eines anderen EU-Staates darf nicht zur Vermeidung von Unternehmensmitbestimmung missbraucht werden. Die Unternehmensmitbestimmung muss auf Unternehmen mit ausländischer Rechtsform und Verwaltungssitz in Deutschland ausgedehnt werden. Ebenso darf die Gründung von Europäischen Aktiengesellschaften nicht zur Schwächung der Unternehmensmitbestimmung führen. Wenn die Zahl der Beschäftigten in wachsenden Europäischen Aktiengesellschaften Schwellenwerte übersteigt, muss das Mitbestimmungsniveau angepasst werden können. Mehr Mitbestimmung ist der Garant, dass bessere Lösungen gefunden werden können. Warum gibt es die Unternehmensmitbestimmung nach dem Gesetz von 1976 nur in Kapitalgesellschaften mit mehr als 2000 Beschäftigten, warum gibt es das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden, wenn die Montanmitbestimmung doch zeigt, dass es auch anders, nämlich besser geht? Wir wollen mit unserer Offensive Mitbestimmung in diesem Jahr eine intensive Diskussion zur Zukunft der Mitbestimmung führen. Ich bin der Hans-Böckler-Stiftung dankbar, dass sie dafür eine Zukunftsdebatte gestartet hat. Dass wir zuversichtlich sein können, auf unserem Weg voranzukommen, zeigt uns die Geschichte der Mitbestimmung. Sie ist reich an Beispielen wie gute Lösungen gefunden werden können. Aber der Fortschritt kommt nicht von allein. Wir hoffen vor allem, im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Unterstützung für unsere Anliegen zu finden.
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