Evang.-ref. Kirchgemeinde St. Gallen C Kirchkreis Linsebühl Predigt über 1. Mose 12,1-9: Abraham – Der Aufbruch Linsebühl, 1. Febraur 2015; von Pfr. Stefan Lippuner (Abraham I) Lesung: 1. Mose 11,27 – 12,9 (Abrahams Reise nach Haran und Kanaan) Dies sind die Nachkommen Terachs: Terach zeugte Abram, Nahor und Haran; Haran zeugte Lot. Dann starb Haran, noch vor seinem Vater Terach, in seiner Heimat Ur in Chaldäa. Abram und Nahor nahmen sich Frauen; die Frau Abrams hiess Sarai, und die Frau Nahors hiess Milka. Sarai war unfruchtbar, sie hatte keine Kinder. Terach nahm seinen Sohn Abram, seinen Enkel Lot, den Sohn Harans, und seine Schwiegertochter Sarai, die Frau seines Sohnes Abram, und sie wanderten miteinander aus Ur in Chaldäa aus, um in das Land Kanaan zu ziehen. Als sie aber nach Haran kamen, siedelten sie sich dort an. Die Lebenszeit Terachs betrug zweihundertfünf Jahre, dann starb Terach in Haran. Der Herr sprach zu Abram: "Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem grossen Volk machen, dich segnen und deinen Namen gross machen. Ein Segen sollst du sein. Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen." Da zog Abram weg, wie der Herr ihm gesagt hatte, und mit ihm ging auch Lot. Abram war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran fortzog. Abram nahm seine Frau Sarai mit, seinen Neffen Lot und alle ihre Habe, die sie erworben hatten, und die Knechte und Mägde, die sie in Haran gewonnen hatten. Sie wanderten nach Kanaan aus und kamen dort an. Abram zog durch das Land bis zur Stätte von Sichem, bis zur Orakeleiche. Der Herr erschien Abram und sprach: "Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land." Dort baute er dem Herrn, der ihm erschienen war, einen Altar. Von da brach er auf zum Bergland östlich von Bet-El und schlug sein Zelt so auf, dass er Bet-El im Westen und Ai im Osten hatte. Dort baute er dem Herrn einen Altar und rief den Namen des Herrn an. Dann zog Abram immer weiter nach dem Südland. "Hab keine Angst, ich liebe dich, du kannst meinem Wort vertraun, und du wirst sehn, wie ich dich führe Schritt für Schritt", so, liebe Gemeinde, haben wir gesungen (Gott sei Dank, Nr. 35: "Ich bin bei dir). Und diese Zusage Gottes steht sinngemäss auch über dem Anfang der biblischen Geschichte von Abraham, den wir in der Lesung gehört haben (wobei Abraham zu dem Zeitpunkt noch Abram hiess, den neuen Namen bekam er von Gott erst später, im Zusammenhang mit einer grossen Verheissung; der Einfachheit halber werde ich aber doch immer von Abraham sprechen). – Abraham also hat erfahren, wie er von Gott Schritt für Schritt geführt wurde. 2 Den ersten Aufbruch und die erste Reise in ein anderes, noch unbekanntes Land machte er zwar noch ohne eigene Entscheidung. Sein Vater beschloss, aus seiner Heimat auszuwandern (wir wissen nicht, weshalb), und Abraham ging mit der ganzen Sippschaft seines Vaters einfach mit, wie sich das gehörte. So kam er aus Ur in Chaldäa (das ist Babylon), einer Stadt im heutigen südöstlichen Irak, nach Haran, heute in der Osttürkei gelegen, nahe an der Grenze zu Syrien. Der zweite Aufbruch, derjenige von Haran, wahrscheinlich eine ganze Anzahl Jahre später, als der Vater gestorben war, der geschah dann aber auf Abrahams eigene Entscheidung hin. Allerdings auch nicht aus irgendeiner Laune oder eigenen Idee heraus, sondern weil er von Gott die Aufforderung dazu bekommen hatte. – Und hier kommen wir meiner Meinung nach bereits zu einem ersten Kernpunkt der ganzen Abrahams-Geschichte: Abraham hörte auf Gott und setzte sein Vertrauen auf ihn. Abraham kannte Gott, und zwar den Gott, der gemäss der Bibel der einzig wahre Gott ist, der die Welt erschaffen hat und der den Namen Jahwe trägt (der allerdings in unseren Bibeln meist mit "der Herr" übersetzt wird). Abraham kannte diesen Gott offenbar schon so gut, dass er es hörte, wenn der Herr zu ihm sprach. Und er kannte ihn so gut, dass er auf das Reden Gottes reagierte und gemäss seiner Aufforderung handelte: "Da zog Abraham weg, wie der Herr ihm gesagt hatte." Ich vermute allerdings, dass dies nicht ganz so schnell und glatt über die Bühne ging, wie es im Bibeltext geschrieben steht. Ich stelle mir vielmehr vor, dass Abraham durchaus zuerst dreimal leer schlucken musste, als er so klar und deutlich Gottes Auftrag hörte. Immerhin bedeutete dies eine neuerliche gewaltige Zäsur in seinem Leben. Jetzt hatte er sich doch gerade erst in Haran eingelebt, hatte wichtige Kontakte und Handelsbeziehungen knüpfen können, war vielleicht Mitglied im örtlichen Quartierverein oder Männerchor geworden (Sie sehen, meine Phantasie geht etwas mit mir durch); und er war in einer starken Grossfamilie eingebunden und eingebettet. Und das alles sollte er nun auf einen Schlag hinter sich lassen, sollte aufbrechen und in ein Land ziehen, das Gott ihm erst zeigen wollte, wenn er sich auf den Weg gemacht hatte? Wahrhaftig keine einfache Entscheidung! Und wir könnten Abraham sicherlich gut verstehen, wenn er gesagt hätte: "Nein, Herr, das kannst du nicht von mir fordern! Knall auf Fall alles, was mir lieb geworden ist, zurückzulassen, alle Brücken hinter mir abzubrechen und aufzubrechen ohne ein konkretes Ziel vor Augen, in ein unbekanntes Land, mich auf eine vielleicht gefährliche Reise zu begeben – nein, das ist zu viel verlangt. Dein Wort, Gott, in Ehren, aber das kann ich nicht, mich in eine solch grosse Unsicherheit hineinbegeben." Wir könnten gut nachvollziehen, wenn Abraham so reagiert hätte; es wäre nichts als vernünftig gewesen. Aber offenbar spielte bei Abraham noch eine andere Dimension hinein, nicht nur die Vernunft: nämlich die Dimension des Vertrauens. Er vertraute auf Gott, den Herrn, der ihn zu diesem Aufbruch aufforderte; er vertraute ihm. – Gut, Gott gab Abraham nicht einfach nur den Befehl zum Aufbruch und überliess ihn dann seinem Schicksal; nein, er gab ihm auch eine grossartige Verheissung mit auf den Weg: "Ich werde dich zu einem grossen Volk machen, dich segnen und deinen Namen gross machen. Ein Segen sollst du sein." Das war immerhin ein klarer Hinweis darauf, dass Abraham und seine Frau Sarah die Reise ins Unbekannte heil überstehen würden, sich ansiedeln könnten und eine Familie gründen könnten, die Bestand haben würde (bis jetzt hatten sie ja noch keine Kinder). Eine solche Zusage Gottes war sicher eine Hilfe für Abrahams Entscheidung. Trotzdem brauchte es immer noch einen grossen Akt des Vertrauens auf diesen Gott, damit sich Abraham tatsächlich auf den Weg machte. Und ich frage mich manchmal, wenn ich mir diesen Teil aus Abrahams Lebensgeschichte vor Augen halte: Hätte ich wohl ebenfalls ein so grosses Vertrauen auf Gott? Würde ich wohl ebenfalls eine solch weitreichende Entscheidung fällen einfach aufgrund dessen, dass ich Gott gehört habe (oder zumindest meine, ihn gehört zu haben)? Würde ich mich im Vertrauen auf Gott und sein Wort auf einen solchen Weg machen, auch ohne Netz und doppelten Boden, also auch ohne letzte Sicherheiten? – Abraham ist mir in dieser Hinsicht jedenfalls ein grosses Vorbild. 3 Wir alle kennen das ja in unserem Leben, dass wir hin und wieder aufbrechen müssen, dass wir Gewohntes und Vertrautes hinter uns lassen und zu etwas Neuem aufbrechen müssen oder wollen. Dies kann, wie bei Abraham, auf eine äusserliche, ganz konkrete Art geschehen, dass wir also unseren Wohnort verlassen und an einen anderen Ort ziehen. Etwa so wie bei unserem Sohn, der nach der Matura beschloss, er wolle zum Studium nach Nordamerika gehen, und darum vor über sechs Jahren im wörtlichen Sinn von zuhause ausflog und zuerst nach Kanada und später nach Kalifornien zog. Oder so wie bei mir selber, als ich vor gut zehn Jahren erkannte, dass es an der Zeit war, von meinem damaligen Pfarramt in Münchwilen zu neuen Ufern aufzubrechen, und ich darum meine Stelle kündigte, ohne bereits zu wissen, wo es hingehen sollte (ich habe auch schon davon erzählt in einer Predigt). Damals ist es mir übrigens tatsächlich gelungen, ganz auf Gott zu vertrauen, auch wenn ich nach dem Entscheid zum Aufbrechen noch kein neues Ziel vor Augen sehen konnte. Es kann aber auch so geschehen wie bei jener älteren Frau, die von Tag zu Tag deutlicher merkte, dass ihre Kräfte nachliessen, die körperlichen wie die geistigen, dass sie immer mehr Mühe bekam, den Haushalt zu besorgen, und die sich darum entschloss, in ein Altersheim zu ziehen. Es fiel ihr sehr schwer, das Haus, in dem sie Jahrzehnte lang gewohnt hatte, zu verlassen und in ein einziges, nicht allzu grosses Zimmer im Altersheim überzusiedeln; und lange Zeit fühlte sie sich dort noch überhaupt nicht zuhause. Aber es musste sein, es ging nicht anders. Aufbrechen, ob es nun gewollt oder gezwungenermassen geschieht, Vertrautes hinter sich lassen, sich auf den Weg machen, mit allen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten, die damit verbunden sind, und sich auf etwas Neues, noch Unbekanntes einlassen, das braucht (wie bei Abraham) immer einen Akt des Vertrauens. Wir müssen darauf vertrauen, dass wir nicht allein sind auf dem Weg und am neuen Ort, dass Gott, der Herr, bei uns ist und uns Schritt für Schritt führt, auch wenn es uns nicht leicht fällt und wir nicht unbedingt alles verstehen können. – Wir haben die Zusagen, die Verheissungen Gottes, dass er dies tun wird; wir haben vielleicht sogar ein Wort oder einen deutlichen Eindruck von ihm, dass wir aufbrechen sollen. Dennoch braucht es eine bewusste Entscheidung des Vertrauens auf Gott; denn ein Wagnis ist ein solcher Aufbruch zu etwas Neuem immer. Ich wünsche uns, dass wir dieses Vertrauen haben können und den Mut zur richtigen Entscheidung bekommen, wenn wir uns in einer solchen Situation befinden. Es gibt nun aber auch noch eine andere Art des Aufbrechens, das ebenso viel Vertrauen auf Gott braucht, nämlich ein innerliches Sich-auf-den-Weg-Machen. Manchmal ist es zum Beispiel nötig, dass wir vertraute, aber veraltete oder nicht mehr angemessene Denkmuster, Vorstellungen und Haltungen bewusst hinter uns lassen und aufbrechen zu einem neuen Denken, zu veränderten inneren Einstellungen. Manchmal ist es auch dran, dass wir uns von unseren Plänen und Vorhaben verabschieden müssen und uns öffnen für neue Wege. Und oftmals ist es notwendig, dass wir vorgefasste Meinungen und Vorurteile bewusst loslassen, um auf eine neue Weise auf unsere Mitmenschen zugehen zu können und mit ihnen Beziehungen zu leben. ‒ Auch ein solches innerliches Aufbrechen zu etwas Neuem, vielleicht noch Unbekanntem und Unsicherem braucht Vertrauen auf Gott, dass er uns dabei hilft und leitet. Ich wünsche uns auch dazu Mut und Zuversicht. Zum Schluss möchte ich noch einen ganz aktuellen Aspekt in Bezug auf den Aufbruch Abrahams kurz ansprechen. Abraham wanderte ja aus zuerst aus dem Gebiet des heutigen Irak und dann von nahe der Grenze zum heutigen Syrien. Er machte sich damals freiwillig auf den Weg. Viele Menschen, gerade aus diesen Gebieten (Irak und Syrien), aber auch aus manchen anderen Ländern, müssen jedoch heutzutage unfreiwillig, gezwungenermassen ihre Heimat verlassen. Sie müssen gehen, weil sie bedroht und verfolgt werden, weil sie von anderen vertrieben werden. Dabei können sie, im Unterschied zu Abraham, kaum etwas von ihrem Hab und Gut mitnehmen. 4 Andere Menschen brechen auf und machen sich auf den Weg, zum Bespiel nach Europa, weil die Not sie dazu treibt, da sie in ihrem Heimatland keine Lebensperspektiven mehr sehen. ‒ Alle diese Menschen sind ganz besonders auf die Zusagen Gottes angewiesen, dass er bei ihnen ist, dass er ihnen hilft, dass er seine Hand über sie hält. Und ich bin überzeugt, dass er dies auch tut. In unserem Bibeltext wird zwar Gottes besondere Beziehung zu Abraham hervorgehoben, dass er ihn speziell segnen wolle. Aber ich glaube, dass der Gott Abrahams letztlich der Gott aller Menschen ist und für alle Menschen da sein will, sie führen und ihnen helfen will. Darum dürfen alle Menschen, die aufbrechen wollen oder müssen, die auf dem Weg sind, aber das Ziel noch nicht kennen und vor einer Zukunft voller Unsicherheiten stehen, alle Menschen dürfen auf Gott, den Herrn vertrauen in ihrer Lebenssituation. – Und dort, wo das gerade notleidende Menschen selber vielleicht nicht mehr tun können, besteht die Möglichkeit, dass andere, dass wir mit unserem eigenen Gottvertrauen für sie einstehen. Liebe Gemeinde. Im Blick auf alle unsere Lebenswege, im Blick auf unser Aufbrechen, Unterwegssein und Ankommen möchte ich abschliessend nochmals die erste Strophe des Liedes lesen, das wir vor der Predigt gesungen haben. Es sind keine direkten Worte der Bibel; aber die Zusagen Gottes darin sind durchaus sehr biblisch. Vertrauen wir doch auf ihn, unseren Herrn und Gott! ‒ Er sagt zu uns: "Ich bin bei dir, wenn die Sorge dich niederdrückt, wenn dein Leben dir sinnlos scheint, dann bin ich da. Ich bin bei dir, auch wenn du es nicht glauben kannst, auch wenn du es nicht fühlen kannst, ich bin dir nah. Und ich hab alles in der Hand, kenn dein Leben sehr genau, ich weiss um alles, was du brauchst Tag für Tag. Hab keine Angst, ich liebe dich, du kannst meinem Wort vertraun, und du wirst sehn, wie ich dich führe Schritt für Schritt." AMEN Gebet Herr, du treuer Gott. Wir danken dir für deine Zusage, dass du bei uns bist, wo immer wir sind. Du hast Abraham gerufen und ihm gesagt, er soll in ein noch unbekanntes Land aufbrechen. Dabei hast du ihm deine Gegenwart, deine Hilfe und deinen Segen versprochen. Danke, dass dies auch für uns gilt, wenn du uns rufst, wenn du uns dazu bewegst aufzubrechen, sei es äusserlich umzuziehen oder sei es, uns in unserem inneren Leben auf den Weg zu machen. Bitte hilf uns, Herr, dass wir dich hören können. Gib uns den Mut, auf das, was du uns sagst, zu reagieren und es umzusetzen. Schenk uns Weisheit, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Führe uns auf unserem Weg und lenk unsere Schritte. Und vor allen Dingen: Stärke du selber unser Vertrauen auf dich, so dass unser Leben wirklich ganz von diesem Vertrauen geprägt ist. Wir danken dir dafür. Wir wollen jetzt auch noch beten für alle Menschen, die unterwegs sind. Wir bitten dich für diejenigen, die freiwillig an einen anderen Ort ziehen, vielleicht sogar in ein anderes Land auswandern. ‒ Und wir bitten dich für diejenigen, die dies gezwungenermassen tun müssen, weil sie vielleicht ihre Arbeit verloren haben und oder in ein Heim gehen müssen. Bitte begleite sie auf ihrem Weg ins Neue, ins Unbekannte. Hilf ihnen, sich am neuen Ort zurechtzufinden und einzuleben. Ganz besonders bitten wir dich, Herr, für diejenigen Menschen, die aus grosser Not heraus an einen anderen Ort, in eine fremde Welt gehen müssen, die flüchten müssen, die verfolgt und vertrieben werden oder die in ihrer Heimat keine Lebensmöglichkeiten mehr sehen. Erbarme dich über ihnen und hilf ihnen. Beschütze sie und lass sie erfahren, dass sie nicht allein gelassen sind. Herr, wir danken dir, dass du unsere Gebete hörst, und wir vertrauen auf deine Hilfe. Amen.
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