Ärzteblatt Sachsen 9/2015 - Sächsische Landesärztekammer

Gesundheitspolitik
Menschen auf der
Flucht
Weltweit gibt es über 51 Millionen
Menschen auf der Flucht vor Krieg,
Folter und Vertreibung (Uno-Flüchtlingshilfe). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat
die erwarteten Zahlen für Zuwanderer nach Deutschland für dieses Jahr
auf 800.000 korrigiert. Bevor die
Zahlen des BAMF nach oben angepasst wurden, rechnete das DRK
Sachsen mit 30.000 Zuwanderern im
Freistaat. Aktuelle Prognosen gehen
inzwischen von 40.700 Flüchtlingen
nur in diesem Jahr aus. Es wird von
der größten humanitären Herausforderung seit den Balkankriegen in
den 90er-Jahren gesprochen.
Bisher wurde im Freistaat Sachsen
die Erstaufnahme der Flüchtlinge
durch die Landesdirektion Sachsen in
Chemnitz organisiert. Dort war die
Aufnahmekapazität zunehmend er­­
schöpft, sodass sich die Landesdirektion Sachsen kurzfristig entschied,
Asylsuchende nach Dresden zu verlegen. Damit sollte vermieden werden,
dass Hunderte Menschen in Chemnitz aufgrund fehlender Unterkünfte
die Nächte im Freien verbringen
müssen. Das Deutsche Rote Kreuz in
Sachsen erhielt dabei von der Landesdirektion Sachsen den Auftrag,
gemeinsam mit dem Technischen
Hilfswerk ein provisorisches Camp
für diese Asylsuchenden zu errichten,
was durch die hohe Einsatzbereitschaft zahlreicher ehrenamtlicher
Helfer innerhalb von 48 Stunden verwirklicht werden konnte.
Erik Bodendieck informiert sich bei Frau Dr. Taché über die medizinische Versorgung
der Flüchtlinge in Dresden.
© DRK LV Sachsen e.V.
kanstaaten. Darunter zahlreiche
Familien mit Kindern ebenso wie
allein geflüchtete Personen.
Die medizinische Versorgung einer
so großen Zahl an Flüchtlingen war
jedoch ungeklärt. Vermutlich hatte
weder die Landesdirektion Dresden
noch das zuständige Ministerium
eine Planung dafür vorgesehen. Nur
die schnelle Reaktion vieler Freiwilliger hat hier bei Temperaturen von
über 30 Grad im Dresdner Camp
Schlimmeres verhindert. Inzwischen
sichern rund 200 freiwillige Pflegekräfte, Hebammen, Medizinstudenten und Ärzte aus allen Dresdner
Krankenhäusern sowie niedergelassene Ärzte die medizinische Versorgung ab.
Täglich werden in der Sprechstunde
ca. 60 – 90 Patienten jeden Alters
behandelt. Für die Versorgung von
Kindern stehen Pädiater und Kinderkrankenschwestern bereit, für Pro­
bleme während der Schwangerschaft Hebammen. Patienten in kritischem Zustand und solche, die
erweiterter Diagnostik bedürfen (wie
Blutentnahmen, Bildgebung), werden zu umliegenden Arztpraxen
überwiesen oder in Krankenhäuser
eingewiesen. Sprachliche Barrieren
werden durch den koordinierten Einsatz von ehren- und hauptamtlichen
Dolmetschern verringert.
Die Patienten weisen eine Bandbreite an verschiedenen akuten Problemen auf. Dazu gehören diverse
akute Gelenkbeschwerden aufgrund
monatelangen Durchmarschierens
auf der Flucht, Kriegsverletzungen,
Traumata sowie Infektionen jeder
Art (obere Atemwege, HNO-Bereich,
Haut, Blasenentzündungen etc.) und
Bereits am 24. Juli 2015 erreichten
die ersten Flüchtlinge Dresden. Zwei
Tage später war das Camp auf der
Bremer Straße mit über 800 Personen gefüllt. Innerhalb kurzer Zeit war
auch die Kapazität dieses Camps
erschöpft, sodass am 6. August eine
weitere Unterkunft für 600 Asylsuchende in den Sportstätten der TU
Dresden eröffnet werde musste. In
den beiden Dresdner Flüchtlingsunterkünften befinden sich hauptsächlich Asylsuchende aus Syrien, Afghanistan, Pakistan sowie aus den BalÄrzteblatt Sachsen 9 / 2015
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Gesundheitspolitik
akute Verschlechterungen chronischer Erkrankungen. Es traten auch
Fälle von Scabies („Krätze“) auf. Hier
wurde in Zusammenarbeit mit dem
Gesundheitsamt ein Hygieneplan
aufgestellt. Die Fallzahlen sind stabil
und erfüllen nicht die Kriterien einer
Epidemie. Es gab bisher keinen Fall
einer offenen Tuberkulose-Erkrankung. Grundsätzlich be­­steht derzeit
keine Ansteckungsgefahr für Dresdner Bürger!
Das Genfer Ärztegelöbnis ist nach
dem Hippokratischen Eid das neuver- Asylsuchende in der Erstaufnahmeeinrichtung in Dresden
fasste Gelöbnis für die ärztliche Ethik.
Es wurde vom Weltärztebund ver- Für die medizinische Versorgung von
Asylsuchenden in Sachsen besteht
fasst und lautet unter anderem wie
folgt (Auszug): „Bei meiner Auf- weiter dringender Handlungsbedarf:
nahme in den ärztlichen Berufsstand 1. Vordringlich ist der Aufbau einer
gelobe ich feierlich mein Leben in
koordinierten, zentralisierten und
den Dienst der Menschlichkeit zu
langfristig etablierten Struktur,
stellen. Die Gesundheit meines Patium eine Sicherstellung der medienten soll oberstes Gebot meines
zinischen Versorgung der täglich
Handelns sein. Ich werde mich in
eintreffenden Flüchtlinge nicht
meinen ärztlichen Pflichten meinem
nur in Dresden zu gewährleisten.
Patienten gegenüber nicht beeinflus- 2.Damit eine strukturierte und effiziente Kommunikation und Koorsen lassen durch Alter, Krankheit
dination möglich wird, muss ein
oder Behinderung, Konfession, ethSteuerungsgremium mit Vertrenische Herkunft, Geschlecht, Staatstern des Landes, der Stadt, der
angehörigkeit, politische ZugehörigKassenärztlichen Vereinigung, der
keit, Rasse, sexuelle Orientierung
Krankenkassen, der Sächsischen
oder soziale Stellung. Ich werde
Landesärztekammer, des DRK und
jedem Menschenleben von seinem
ungebundenen Helfern impleBeginn an Ehrfurcht entgegenbrinmentiert werden.
gen und selbst unter Bedrohung
meine ärztliche Kunst nicht in Wider- 3.Und es muss grundsätzlich eine
Klärung der langfristigen medizispruch zu den Geboten der Menschnischen Versorgung von Flüchtlinlichkeit anwenden. Dies alles vergen und Asylbewerbern in Sachspreche ich feierlich und frei auf
sen erfolgen.
meine Ehre. (…)“
Nach diesem Gelöbnis sollte die ärztUmfangreiche Informationen zur
liche Hilfe für Flüchtlinge gerade in
Deutschland eine Selbstverständlich- „Medizinischen Versorgung von Asylkeit sein. Ein Urteil über die Recht- suchenden“ finden Sie unter www.
slaek.de
mäßigkeit seines Aufenthaltes kann
und sollte dabei nicht von Ärzten
Uta Katharina Schmidt-Göhrich
getroffen werden. Dies obliegt den
Allgemeinmedizinerin und Vorsitzende der
zuständigen Behörden.
Kreisärztekammer Dresden
Kollegen aus dem niedergelassenen
Bereich, die Englisch, Arabisch, etc.
sprechen und Flüchtlinge daher
besonders gut behandeln können,
möchten sich unter der E-Mail:
[email protected] mit ihren
jeweiligen Sprachkenntnissen melden. Die Sächsische Landesärtzekammer wird die Kontaktdaten weitergeben.
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