Nachgefragt in Bitterfeld: Wer wählt AfD?

Nachgefragt in Bitterfeld: Wer wählt die AfD | Manuskript
Nachgefragt in Bitterfeld: Wer wählt AfD?
Bericht: Markus Frenzel, Inga Klees, Alexander Ihme
Nachmittags um 5 beginnt im Jugendtreff Lutherhaus das Freizeitprogramm für die, die
noch hier geblieben sind. Sozialarbeiter Thomas Bork ist heute für die Unterhaltung
zuständig und hat jede Menge zu tun, um gegen den oft trostlosen Alltag der Jugendlichen
anzukämpfen.
Thomas Bork, Sozialarbeiter
Man kriegt schon irgendwie, auf der einen Seite ein bisschen ja, Frust mit ein Stück weit.
Oder vor allendigen auch diese Hoffnungslosigkeit würde ich sagen. Hoffnungslosigkeit
insbesondere eben, ich kann eigentlich machen was ich will, aber es ändert sich eigentlich
nicht wirklich was.
Hansi ist im Club der Star an der Dartscheibe. Er und seine Kumpels haben die Hauptschule
abgeschlossen oder sind gerade dabei. Dass sie damit schlechte Zukunftschancen haben, ist
ihnen bewusst. Tarik ist als einziger schon weiter. Er hat seine Lehre als Maler erfolgreich
absolviert. Bei einem Bildungsträger. Frustriert ist der 21jährige trotzdem.
Tarik , 21, Maler in Bitterfeld
Ich habe meinen Beruf abgeschlossen, ja aber was hat mir das gebracht? Im Endeffekt bin
ich jetzt wie alle anderen Jugendlichen, die jetzt vielleicht über den Staat ‘ne Lehre
machen, und ganzen Tag im Endeffekt alle danach beim Arbeitsamt sitzen. Weil es heißt
doch, ja wir vermitteln jedem Arbeit, aber im Endeffekt ist das hier nur so Schnulli-Arbeit
hier, vielleicht Ein-Euro-Job oder so was. Was einen gesellschaftlich auch nicht wirklich
hochbringt.
Weder Tarik, noch seine Kumpels haben bei der Landtagswahl ihre Stimme abgegeben. Ihrer
Meinung nach sind alle Politiker korrupt. Pauline, die gerne Altenpflegerin werden will, aber
im Moment keine passende Lehrstelle in Aussicht hat, sieht ihre Heimat als Hochburg der
Rechten.
Pauline Hübner 18, Bitterfeld
Ist das hier so eine rechte Gegend?
Ja, eigentlich schon. Mehr so Bitterfeld und Greppin, aber am meisten halt Greppin.
Haben die recht?
Ja, auf jeden Fall mehr recht als die Linken.
Warum?
Na, weil die mehr für Deutschland tun als die anderen. Also meiner Meinung nach.
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Die heutige AfD-Hochburg Bitterfeld – seit der Wende gebeutelt von ständigen Auf und
Abschwüngen. Die Abwicklung des alten Chemiekombinats, der Aufbau eines Chemieparks,
die boomende Solarindustrie und ihr Zusammenbruch. Wieder gingen viele Arbeitsplätze
verloren.
Ein Riesenproblem, die Abwanderung. 2001 war sie mit 1.940 Bürger am höchsten.
Was das mit Menschen macht, schildert uns Professor Thomas Kliche, Politikpsychologe:
Prof. Thomas Kliche, Politikpsychologe Hochschule Magdeburg-Stendal
Die Menschen haben erlebt, dass sozialer Wandel alles andere als freundlich sein muss,
dass der sehr ruppig daherkommt, dass er sehr zerstörerisch sein kann, dass er eine ganze
Region fast im Grunde um ihre Existenzberechtigung bringen kann.
Diese Verunsicherung der Menschen ist in Bitterfeld überall spürbar. Viele sind mit ihrer
persönlichen Situation unzufrieden, fühlen sich abgehängt, nicht verstanden oder mit ihren
Problemen allein gelassen. Einer von ihnen ist Matthias Quilitzsch, 48 Jahre alt, gelernter
Anlagentechniker, dann Hochdruckheizer, später im Werkschutz, seit 2000 arbeitslos und
Ein-Euro-Jobber als Hausmeister:
Frage: Wen haben Sie denn gewählt?
Matthias Quilitzsch: Ich sage mal die AfD.
Frage: Und was erhoffen Sie sich jetzt von der AfD?
Matthias Quilitzsch: Dass, wie das klappt, gerade für mich persönlich mal, dass wir auf
dem zweiten Arbeitsmarkt, die jetzt Schwierigkeiten haben, gesundheitlich, wie auch
immer, längerfristig Arbeit bekommen und das vielleicht nicht nur für nen Apfel und ein Ei
wie man so schön sagt. Dass es auf jeden Fall finanziell ein bisschen aufwärts geht auch
mit uns.
Politisch sieht sich Matthias Quilitzsch in der Mitte – auf keinen Fall rechts. Was ihn
umtreibt, so wie die meisten AfD-Wähler, ist ihre Skepsis gegenüber Flüchtlingen. Auch in
Bitterfeld gibt es inzwischen hunderte von Asylsuchenden.
Frische Luft gegen den Frust. Matthias Quilitzsch verbringt seine Freizeit gern an der
Goitzsche. Er befürchtet, dass die Flüchtlinge die Probleme in der Region noch verschärfen.
Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt ein Job zu bekommen, sieht er für sich nicht mehr.
Matthias Quilitzsch:
Es ist einfach, dass der Staat das eigentlich zulässt, gerade in unserem Bereich
Mitteldeutschland, Bitterfeld wo die Armut schon am größten ist, immer noch so viele
Leute herholen und bekommen dann eben das Geld, was ihnen dann zusteht von Staat,
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vom Land, von der Stadt, ohne eigentlich an die Bevölkerung, die Bewohner BitterfeldWolfen, sei es hier in Sachsenland selbst zu denken.
Ängste, dass Flüchtlinge den Einheimischen etwas wegnehmen, werden durch die AfD
bewusst geschürt.
Prof. Thomas Kliche, Politikpsychologe Hochschule Magdeburg-Stendal
So abstrakte Dinge, wie „Wir zähmen den internationalen Finanzfluss“, da muss man
genau drüber Bescheid wissen, da muss man kompliziert diskutieren. Da gibt es Für und
Wieder. Das ist alles sehr unübersichtlich. Wenn man dagegen sagt, „Die Flüchtlinge
müssen raus und dann sind unsere Arbeitsplätze sicher, unsere Straßen werden saniert
und unsere Kitas finanziert!“ dann ist das was Griffiges und so kann man sich das auch
schön vorstellen und deshalb hauen die Flüchtlinge als Feindbild so schön rein.
Protest gegen die Etablierten, das ist das Motiv für knapp die Hälfte der AfD-Wähler. In der
Stadt treffen wir Helmut Büchner. Zum ersten Mal seit 1990 ist er überhaupt zur Wahl
gegangen:
Frage: Was haben Sie denn gewählt?
Helmut Büchner: „Die Rechtsradikalen.“
Frage: Wen denn?
Helmut Büchner: Na, wie hieß die? AfD.
Frage: Warum haben Sie die AfD gewählt?
Helmut Büchner: Protestwähler. Mehr war das nicht.
Frage: Was erhoffen Sie sich denn von denen?
Helmut Büchner: Nichts. Ob ich nun die CDU wähle oder FDP oder die SED wähle oder SPD
ist, kommt doch nichts anderes. Wir haben so viele Ausländer hier in Deutschland. Das
nimmt überhand.“
Helmut Büchners komplettes Leben wird vom Staat finanziert – Miete, Hartz IV und
Betreuung. Er ist schwer alkoholkrank – kann kaum für sich sorgen. Alle zwei Wochen kommt
eine Putzfrau. Unzufrieden ist er trotzdem.
Frage: Haben sie das Gefühl, dass der Staat sie alleine gelassen hat?
Helmut Büchner. Ja
Frage: Aber er hat ihnen zumindest eine Wohnung gegeben, gibt ihnen Geld und gibt ihnen
eine Putzfrau.
Helmut Büchner: Ja. Ja. Ja. Aber wenn sie sich die Wohnung angucken, da wissen sie
Bescheid.
Frage: Was ist denn kaputt?
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Helmut Büchner: Na alles, das sehen sie doch.
Frage: Was ist das, Schimmel oder was?
Helmut Büchner: Na, Schimmel ist das nicht. Aber nicht richtig verputzt und in der Stube
genau das Gleiche.
Dabei geht es Bitterfeld-Wolfen so gut, wie seit Jahren nicht mehr: Die Zahl der Arbeitslosen
hat sich innerhalb der letzten acht Jahre fast halbiert. Und während 2007 die
sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigen durchschnittlich 1.964 Euro brutto im
Monat verdienten, liegt 2013 der Bruttomonatsverdienst um 330 Euro höher.
Ute Hirsch und Ingrid Weinhold vom Unternehmerinnen-Stammtisch haben Auf- und
Abschwung in der Region erlebt. Doch positive Entwicklungen werden von vielen nicht
wahrgenommen.
Ute Hirsch, Vereinsvorsitzende Unternehmerinnenstammtisch e. V.
Momentan ist es so, dass die Unternehmen hier schon wieder Fachkräfte suchen. Es sind
schon wieder, also die Generation, die mit der Wende in die Selbstständigkeit oder in den
Betrieben, die die Unternehmen weiter fortgeführt haben, die gehen jetzt langsam in die
Rente und da brauchen wir halt Nachwuchs.
Ingrid Weinhold, Geschäftsführerin MABA Spezialmaschinen GmbH
Die Region insgesamt ist ja am Aufblühen; kann man wirklich sagen. Es gab so viele
Veränderungen in den letzten Jahren, aber vielleicht haben sich die Leute nicht
mitgenommen gefühlt in jeder Hinsicht.
Zurück im Jugendtreff. Es ist 20 Uhr. Sozialarbeiter Thomas Bork hat Feierabend. Seine
Schützlinge haben überhaupt nichts vom Fachkräftemangel, meint er, denn sie sind nicht
qualifiziert genug.
Thomas Bork, Sozialarbeiter
Wir sehen uns morgen, wa? Vielleicht.
Was er für sie tun kann? Im Sommer, wenn es wärmer wird, macht er den Club länger auf,
damit sie sich nicht die ganze Nacht im Park betrinken.
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