Nachgefragt in Bitterfeld: Wer wählt AfD? Bericht: Markus Frenzel

Nachgefragt in Bitterfeld: Wer wählt die AfD? | Manuskript
Nachgefragt in Bitterfeld: Wer wählt AfD?
Bericht: Markus Frenzel, Inga Klees, Frank-Wolfgang Sonntag
Bitterfeld - Sachsen-Anhalt – Wahlkreis 29.
Von 23.035 gültigen Stimmen bekam 7.358 die AfD.
Bei einer Wahlbeteiligung von 62%, fast jede dritte – exakt 31,9%.
Wir wollen wissen warum. Wie denken die Bitterfelder? Und warum trifft die AfD hier den
Nerv der Menschen?
Frage: Haben Sie gewählt?
Matthias Quilitsch: Ja
Frage: Wen haben Sie denn gewählt?
Matthias Quilitsch: Ich sage mal die AfD.
Frage: Und was erhoffen Sie sich jetzt von der AfD?
Matthias Quilitsch: Dass, wie das klappt, gerade für mich persönlich mal, dass wir auf dem
zweiten Arbeitsmarkt, die jetzt Schwierigkeiten haben, gesundheitlich, wie auch immer,
längerfristig Arbeit bekommen und das vielleicht nicht nur für nen Apfel und ein Ei wie man
so schön sagt. Dass es auf jeden Fall finanziell ein bisschen aufwärts geht auch mit uns.
Frage: Wie würden Sie sich einordnenden. Welche Art von AfD-Wähler sind Sie?
Matthias Quilitsch: Es ist ja nun das erste Mal die AfD, das erste Mal und ich gliedere mich
nicht rechts ein, nicht links, da haben wir genug Schlimmes erlebt zu DDR-Zeiten, ich
persönlich auch, meinen Vater verloren und alles, bin aber auf keinen Fall rechts, und das
wollte ich auch nicht wählen. Und nun wurde ja, wie gesagt, die AfD, ich denke mal das ist
die Mitte, sage ich mal, wird viel zu viel nach rechts geschoben meiner Meinung nach.“
Viele AfD-Wähler sind mit ihrer persönlichen Situation unzufrieden. Sie fühlen sich
abgehängt, nicht verstanden oder mit ihren Problemen allein gelassen. Ihre
Unzufriedenheit ist nicht neu – aber jetzt sehen sie einen Sündenbock. Denn auch in
Bitterfeld gibt es inzwischen hunderte Flüchtlinge.
Silke Frenzel arbeitet ehrenamtlich in einem Stadteilzentrum. Dort gibt es sowohl
Sprachkurse für Flüchtlinge als auch verschiedene Angebote für die einheimische
Bevölkerung. So kommt sie täglich mit den Nöten und Problemen der Menschen in
Kontakt.
Silke Frenzel
„Gerade die, die AfD gewählt haben, das ist einfach nur Protest. Weil man sich als Bürger
oder als Mensch in Deutschland von unserer Politik gar nicht mehr wahrgenommen fühlt,
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ganz einfach und jedes zweite Wort ist nur Flüchtling und die bekommen das und die
bekommen das.“
Seit Jahrzehnten ist die Region Bitterfeld gebeutelt von ständigen Auf- und Abschwüngen,
von Boomzeiten und Zusammenbrüchen. Ingrid Weinhold gehört ein florierendes
Maschinenbauunternehmen, sie hat sogar die Kanzlerin beraten. Auch ihre Firma kennt
Höhen und Tiefen, sie hat Menschen eingestellt und musste sie entlassen. Immer wieder.
Ingrid Weinhold
„Wenn von heute auf morgen tausende Menschen auf der Straße stehen, dann ist es
natürlich für die Menschen eine unwahrscheinliche Angst und aus dieser Angst wieder
herauszukommen und dann in andere Betriebe eingesetzt zu werden das hat ja auch eine
gewisse Zeit gedauert.“
Frage: „Was ist denn der Zusammenhang zwischen dieser Wirtschaftskrise hier für die
Region und dem Ergebnis für die AfD?“
Ingrid Weinhold: „Ich denke die Unzufriedenheit der Leute insgesamt, dass man gesagt hat,
endlich ham was geschafft, wir haben wieder unseren Job und unsere Arbeit. Etwas
rückläufig war ja die Arbeitslosigkeit, Gott sei Dank, aber wenn jetzt auf einmal fremde Leute
kommen, ja, die müssen in Arbeit, die Politik hat ja verkündet, die kriegen nicht nur ne
Einweisung sondern die kriegen ja auch ne Arbeit, wo kommt denn die Arbeit her? Wir
haben viele Arbeitslose noch, was machen wir dann? Diese sich zurückgesetzt fühlen, das
wird die Angst sein, denke ich.“
Protest gegen die Etablierten, das ist das Motiv für knapp die Hälfte der AfD Wähler.
In der Stadt treffen wir Helmut Büchner. Zum ersten Mal seit 1990 ist er überhaupt zur
Wahl gegangen.
Frage: Was haben Sie denn gewählt gestern?
Helmut Büchner: „Die Rechtsradikalen.“
Frage: Wen denn?
Helmut Büchner: Na, wie hieß die? AfD.
Frage: Warum haben Sie die AfD gewählt?
Helmut Büchner: Protestwähler. Mehr war das nicht.
Frage: Was erhoffen Sie sich denn von denen?
Helmut Büchner: Nichts. Ob ich nun die CDU wähle oder FDP oder die SED wähle oder SPD,
is, kommt doch nichts anderes. Wir haben so viele Ausländer hier in Deutschland. Das nimmt
überhand.“
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Helmut Büchners komplettes Leben wird vom Staat finanziert – Miete, Harz 4 und
Betreuung. Er ist schwer alkoholkrank – kann kaum für sich sorgen. Alle zwei Wochen
kommt eine Putzfrau. Unzufrieden ist er trotzdem.
Frage: Haben Sie das Gefühl, dass der Staat Sie alleine gelassen hat?
Helmut Büchner: Ja.
Frage: Aber hat Ihnen zumindest eine Wohnung gegeben, gibt Ihnen Geld und gibt Ihnen
eine Putzfrau.
Ja. Ja. Ja. Aber wenn Sie sich die Wohnung angucken, da wissen sie Bescheid.
Frage: Was ist denn kaputt?
Büchner: Na alles, das sehen sie doch.
Frage: Was ist das Schimmel oder was?
Büchner: „Na Schimmel ist das nicht. Aber nicht richtig verputzt und in der Stube genau das
gleiche.
Bitterfeld geht es so gut wie seit langem nicht. Trotzdem sind die Menschen unzufrieden –
und die Bürgermeisterin bekommt das täglich zu spüren.
„Die Aggressivität in der Bevölkerung, die nimmt enorm zu. Wenn früher jemand
geschrieben hat, Frau Wust, der Kanaldeckel klappert, heute schreiben die ´da sitzen doch
nur noch Idioten, habt ihr das nicht gesehen…`Also in so einem Jargon geht das. Also nett
höflich – ich erreiche doch das Gleiche – das gibt es, also es gibt noch nette Leute, aber bei
vielen ist das gar nicht mehr…es ist nur noch Schimpfen, unzufrieden. Also wir werden ja
auch als Staat definiert, die Verwaltung. Man ist unzufrieden mit allem, wo Staat dran steht.“
Auch Michael Bock hat die AfD gewählt – er ist sogar Mitglied. Gegen Ausländer hat er
nichts – mit dem vietnamesischen Gemüsehändler ist er befreundet. Michael Bock war
Geschäftsmann, jetzt ist er Rentner. Früher war er in der CDU, heute ist die AfD seine
politische Heimat. Dabei sei er nicht rechts und auch nicht links.
Michael Bock: „Ich kann Ihnen nur sagen, dass die AfD in allen Punkten, also den
überwiegenden Punkten, meinen politischen Vorstellungen entspricht. Das ist das, was ich
bei der CDU verloren habe. Die CDU nach der Wende war anders, war wesentlich deutlicher,
wesentlich klarer, wesentlich mittelstandsfreundlicher, wesentlich konservativer und die
CDU heute ist nicht mehr konservativ.“
Dönerverkäufer: „Diese Wahlergebnisse, 100 Prozent, das ist eine Wut und Hass an die
Systempartei. Und die haben dort gewählt. Aber, das heißt nicht, diese 33 Prozent, das sind
Nazis oder rechts und so weiter. Das sind unzufriedene Menschen hier.“
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