Theater: Freiburg: Zukunft des Schulunterrichts als Tagungsthema

Theater: Freiburg: Zukunft des Schulunterrichts als Tagungsthema im Theater - badische-zeitung.de
23.02.16, 12:12
23. Februar 2016
FREIBURG
Zukunft des Schulunterrichts als Tagungsthema im
Theater
Friedrich Schillers Forderung, die Bühne solle eine moralbezogene Veranstaltung
sein, wird vom Theater Freiburg in einer Reihe von Veranstaltungen beherzigt.
Frontalunterricht oder von den Kindern selbst organisiertes Lernen? Über erfolgreiche
Modelle von Schule wurde bei einer Tagung in Freiburg diskutiert. Foto: Maurice Korbel
In Zusammenarbeit mit dem Hamburger Archiv der Zukunft (ADZ) war es Gastgeber einer
Tagung zum Thema Lernen und Schule unter dem Titel "Aufbruch Bildung. Abschied von der
Erschöpfung". Trotz eines beeindruckenden Aufgebots von Referenten und Unterrednern
blieb die Bilanz bescheiden: Nur Freunde besprachen sich, man klopfte einander kräftig auf
die Schultern und präsentierte vorwiegend rhetorische und praktische Kabinettstücke eigener
pädagogischer Aktivität, ohne sich von rechtlichen oder bildungsökonomischen Erwägungen
zum Thema Schule dazwischenreden zu lassen.
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Mitten im Wahlkampf waren weder Schuladministration noch Bildungspolitik anwesend.
Selbst die Schirmherrin der Tagung, Freiburgs Schulbürgermeisterin Gerda Stuchlik, ließ sich
von einem Beamten ihrer Abteilung vertreten. Auch der schwarze Pudel (namens Erbse) des
philosophischen Referenten Andreas Weber entpuppte sich leider nicht als ein dringend
erwünschter Mephisto im Feuerschweif, sondern zeigte sich als braves Haustier, das zuerst
vor dem Publikum Männchen machte und sich dann behaglich auf dem Podium
zusammenrollte.
Doch von Erbsenzählerei wollte Weber nichts wissen. Seine Kritik der Schule war wuchtig
und umfassend, nämlich gegen die Dressur und die "Verzweckung der Lebensenergie der
Kinder" gerichtet. Das "Versprechen der Optimierung" und der Effizienz ziele ins Leere, denn
wir lebten "in einer Welt, die sich massiv und kollektiv gegen das Fühlen entschieden hat".
Das war ein Generalangriff aufs entfremdete Bestehende, con fuoco im Stil eines
amerikanischen Predigers vorgetragen. Als Maxime gab Weber aus: "Ich höre auf, gewinnen
zu wollen, weil ich der sein will, der ich bin." Aber gibt es nicht viele Welten in der einen?
Wollen nicht manche wirklich im Spiel des Lebens selbstbestimmt zu den Gewinnern
gehören? Weber, Biologe von Hause aus, wandte sich gegen die aus dem 19. Jahrhundert
stammenden Theorien der Knappheit (Malthus, Darwin) und schloss direkt an die
Ausführungen des Jenenser Soziologen Hartmut Rosa über Resonanz an.
Rosa hatte für ein offenes Unterrichtsgeschehen plädiert, bei dem nicht "klar ist, was dabei
herauskommt". Das war das uralte Konzept des platonischen Sokrates. Resonanz meine nicht
Echo, führte der Soziologe aus, sondern eine offene Frage-Antwort-Situation zwischen dem
Lernenden und dem Lehrenden. Resonanzerfahrungen vermittelten die Musik und die
Naturerfahrung, die Religion und die Lyrik: "Um Resonanz kann man nicht kämpfen."
In der Tat zeigten die vom Moderator Reinhard Kahl auf
der Tagung eingespielten, eindrucksvollen Kurzfilme über
Eine bessere Schule
alternative Schulen in Deutschland und der Schweiz die
Lebendigkeit eines selbstorganisierten Lernens unter
oder bloße Romantik?
Kindern und Jugendlichen. Die beständige
Zusammenarbeit mit der Deutschen Kammerphilharmonie
verwandelte etwa die Bremer Gesamtschule Ost
vollkommen, wo in jedem Jahr das Komponieren und Musizieren Energie und Lebensfreude
auch unter den sozial Benachteiligten weckt. Die Max-Brauer-Schule in Hamburg-Altona
stellte ihr Unterrichtsgeschehen ganz auf die Eigentätigkeit der Kinder um – mit großem
Erfolg. Und von ihrer Schulzeit in der Schweizer Villa Monte berichteten ehemalige
Schülerinnen und Schüler voller Begeisterung: Alle fanden sie ihren Weg zum
selbstbestimmten Leben.
War dies eine bessere Wirklichkeit von Schule oder bloße Romantik? Dieses Wort hat seit
Heinrich Heines Wort vom "Luftreich des Traums" in Deutschland einen schlechten Klang. Aus
dem Volk der Dichter und Denker ist ein Volk der Schaffer und Raffer geworden. Kinder- und
Jugendpsychiater sind alarmiert vom Burn-out-Syndrom gerade bei den ehrgeizigen
Inhabern allerbester Zensuren. Die Günzburger Gymnasiastin Anna-Rosina Weindl, die
jüngste der Referentinnen, berichtete, sichtlich bewegt, von ihrem ehemaligen Selbstbild
totaler Entfremdung: "Ich wollte perfekt sein."
Die auf Rousseau zurückgehende Tradition der idealistischen deutschen Pädagogik, die das
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Kind und seine Lebendigkeit in den Mittelpunkt stellt, dominierte die Tagung allerdings so
massiv, dass eine fällige Einrede aus der Sicht eines anderen, vielleicht nicht so positiven
Menschenbildes, nicht vorkam. Die Einsicht des berühmten Soziologen Max Weber, dass der
Kampf "potentiell alle Arten von Gemeinschaftshandeln" durchzieht, dass jede
"Einverständnisgemeinschaft" auch Phänomene der Macht und Dominanz beinhalte, hatte auf
der Freiburger Tagung keine Chance.
Doch die meisten Schulen sind staatliche Behörden. Sie sind an Erlasse und Gesetze
gebunden, die meisten Lehrerinnen und Lehrer haben als Beamte einen Treueeid abgelegt
und müssen als besoldete und pensionsberechtigte Funktionäre Anforderungen ihrer
Vorgesetzten und Ministerien erfüllen. Informelle Hierarchien durchziehen Kollegien und
Klassen gleichermaßen. Reichen denn die Spielräume noch aus? Hier gibt es, wie überall,
Optimisten und Pessimisten.
Die Nahtstelle zwischen dem unverzichtbaren pädagogischen Anspruch auf lebendige
Beziehungen in der Schule und der Verfasstheit im Rahmen demokratisch-gesetzlichen
Handelns bildet indes die Politik. Bei der nächsten Tagung sollte sie auf jeden Fall zu Wort
kommen. Wird sie die nötigen Freiräume schaffen und das Problem der regelmäßigen
Zensurenpflicht sowie der öden Stundentafeln, der übergroßen Klassen und der viel zu hohen
Deputate der Lehrpersonen, auch das der vollgestopften Lehrpläne, beherzt angehen? Es
wäre zu wünschen. Vielleicht folgt dann aus dem Freiburger Traum vom lebendigen Lernen in
der Schule doch kein böses Erwachen.
Autor: Peter Winterling
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