standpunkt - Denker & Wulf

STANDPUNKT
ZUM SLOGAN DES VEREINS
GEGENWIND SCHLESWIG-HOLSTEIN e.V.
»FÜR MENSCH UND NATUR« ???
Gegenwind-SH spricht sich grundsätzlich gegen den Ausbau der Windenergie aus –
und zwar in ganz Deutschland. Viele der vermeintlichen »Argumente« (Kosten,
Verfügbarkeit, Klimaschutzbeitrag etc.) sind jedoch 1:1 auch auf die Sonnenenergie
übertragbar, weshalb sich Gegenwind-SH im Endeffekt gegen die gesamte
Energiewende ausspricht. Für Mensch und Natur?
Mensch
Windparks werden in einer Entfernung zur Wohnbebauung errichtet, die sicherstellt,
dass die Grenzwerte für Schall- und Schattenemissionen nicht überschritten werden.
Auch aktuellste Untersuchungen belegen immer wieder eine ausreichende
Schutzwirkung dieser Grenzwerte für die menschliche Gesundheit.
Anders lautende Aussagen und Berichte sind nachweislich nicht sachkundig,
weshalb sie in keinem einzigen Fall in medizinisch oder wissenschaftlich
anerkannten Publikationen veröffentlicht wurden. Ihre Autoren verfolgen in der
Regel andere Ziele, als den Gesundheitsschutz.
75 Prozent der Deutschen leben in Städten. Ihre Belastung durch Lärm und
Infraschall ist regelmäßig höher, als bei direkten Anwohnern von Windparks.
Bedeutende Unterschiede bestehen jedoch in der Erwartungshaltung: Nicht zufällig
sind es meist die Zugezogenen, die höchste Ansprüche an ihr ländliches Umfeld
stellen und den Verlust von Weitblick und absoluter Stille als besonders störend
empfinden. Es ist also nicht die Windenergieanlage, sondern die eigene Erwartungshaltung, die sich negativ auf das Wohlbefinden Einzelner auswirkt.
Natur
Betrachtet man alle Schutzgebiete Schleswig-Holsteins, so ist die Nutzung der
Windenergie auf ca. 85 Prozent unserer Landesfläche im Grundsatz nicht erwünscht
und – wenn überhaupt – nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig. Dazu gehören
u.a. National- und Naturparke, Naturschutzgebiete, EU-Vogelschutzgebiete, FFHGebiete, gesetzlich geschützte Biotope, Landschaftsschutzgebiete, Brut-und
Rastgebiete gefährdeter Vogelarten, Hauptachsen des Vogelzuges, Charakteristische
Landschaftsräume und viele weitere.
Bei besonders gefährdeten Großvögeln werden in einem Umkreis von mehreren
Kilometern rund um den Horst Flugbewegungen betrachtet. In besonderen Fällen
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sind sogar mehrjährige Untersuchungen notwendig, um eine Kollisionsgefahr sicher
einschätzen zu können. Kann die Unbedenklichkeit eines Windenergievorhabens
gutachterlich nicht nachgewiesen werden, wird eine Baugenehmigung nicht erteilt.
Alles nur Theorie? Die Entwicklung des Seeadlers beweist eindrucksvoll, wie gut
Windenergie und Vogelschutz harmonieren: Seit dem Jahr 2000 hat sich seine
Population in Schleswig-Holstein parallel zum starken Ausbau der Windenergie bis
heute nahezu verdreifacht.
Auch Fledermäuse können wirksam geschützt werden, indem Windenergieanlagen
so programmiert werden, dass sie zu Zeiten erhöhter Fledermausaktivität
automatisch abschalten. Dies betrifft im Hoch- und Spätsommer niederschlagsfreie
Dämmerungs- und Nachtstunden bei Temperaturen über 10 Grad Celsius und einer
Windgeschwindigkeit unter 6 m/s. Dieser Schutzmechanismus wird als
Genehmigungsauflage erteilt und liegt keinesfalls im Ermessen des Betreibers.
Wohin mit der Windenergie?
In Schleswig-Holstein wird zurzeit die Ausweisung von Konzentrationszonen für die
Windenergie vorbereitet. Ziel der Landesplanung ist es, die konfliktärmsten Gebiete
zu ermitteln, um die Energie- und Klimaschutzziele des Landes zu realisieren.
Außerhalb dieser Konzentrationszonen wird die Errichtung von Windenergieanlagen
unzulässig sein.
Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig ist dafür jedoch eine
Neuabwägung aller Kriterien erforderlich geworden. Dazu gehören neben den
genannten Gebietskategorien z.B. auch Belange aus den Bereichen Denkmalschutz,
Tourismus oder Flugsicherung. Im Ergebnis werden etwa zwei Prozent der
Landesfläche benötigt.
Eine Vergrößerung der Abstände zur Wohnbebauung wird es in Schleswig-Holstein
voraussichtlich nicht geben, da sie aus Gründen des Emissionsschutzes nicht
notwendig ist und das Flächenpotenzial aufgrund der sehr starken Zersiedelung des
Landes rapide verkleinert: Schon ein einheitlicher Mindestabstand von einem
Kilometer hätte den Verlust von 80 Prozent der potenziell geeigneten Kulisse zur
Folge und würde den Realisierungsdruck an anderer Stelle extrem vergrößern. Eine
Regelung »10-facher Abstand« in Bezug auf die Gesamthöhe der Anlagen wäre
faktisch sogar das Aus für die Windenergie in Schleswig-Holstein.
Wie lautet die Alternative?
Ein Stopp oder gar eine Rückabwicklung der Energiewende bedeutet die Fortsetzung
des atomar-fossilen Zeitalters und wäre ein katastrophales Signal im weltweiten
Bemühen um wirksamen Klimaschutz. Und dies keinesfalls nur aufgrund der
Vorbildfunktion Deutschlands als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt: Von den 194
Staaten der Erde liegt Deutschland im Ranking der größten CO2-Emittenten auf dem
sechsten Platz! Betrachtet man den Pro-Kopf-Ausstoß, liegen zwei der drei größten
Emittenten der Welt – China und Indien – sogar weit hinter uns.
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Gegenwind-SH: Für Mensch und Natur?
Atom, Kohle oder Erneuerbare – weitere Alternativen zur Deckung unseres
wachsenden Strombedarfs gibt es nicht. Gegenwind-SH spricht sich mit der
Ablehnung der Energiewende für die Fortsetzung des atomar-fossilen Weges aus.
Was das für Mensch und Natur bedeutet? Für die Beantwortung dieser Frage fühlt
sich unter den Protestlern offenbar niemand zuständig. Doch selbst wenn man die
gravierenden ökonomischen und humanitären Folgen einer ungebremst fortschreitenden Erderwärmung ausklammert, bleibt folgender Sachstand:
Atomenergie
Die IPPNW ist ein internationaler Zusammenschluss von Ärzten aus über 60
Ländern, die sich für eine atomtechnologiefreie Welt einsetzen. Für ihre
»sachkundige und wichtige Informationsarbeit« erhielt die IPPNW 1985 den
Friedensnobelpreis. Allein in der deutschen Sektion sind 6.400 Mitglieder aktiv. Ihnen
geht es nicht nur um die Verhütung eines Atomkrieges – die IPPNW warnt auch vor
den akuten und langfristigen Folgen einer zivilen Nutzung der Atomenergie.
Während die gesundheitlichen Auswirkungen eines Atomunfalls wie in Tschernobyl
oder Fukushima offenkundig sind, bestehen auch im Normalbetrieb ernsthafte
Risiken. So offenbart das deutsche Kinderkrebsregister in Mainz, dass Kinder umso
häufiger an Krebs und Leukämie erkranken, je näher sie an einem Atomkraftwerk
wohnen. Das erhöhte Erkrankungsrisiko konnte sogar in einer Entfernung von 50 km
noch nachgewiesen werden.
Für hochradioaktiven Müll existiert weltweit bis heute kein Endlager. Betrachtet man
die Halbwertszeit von 24.000 Jahren bei Plutonium-239 wird deutlich, dass eine
sichere Entsorgung nicht möglich ist. Das vermeintliche Endlager »Asse 2« für
schwach- und mittelaktiven Müll musste nach nur 30 Betriebsjahren aufgrund von
Leckagen wieder aufgegeben werden. Auch rund um dieses Lager wurden auffällig
hohe Krebserkrankungsraten festgestellt.
Sogar der Rückbau von Atomkraftwerken ist noch mit Risiken behaftet: Für die
Wiederverwertung »freigemessenes« Material kann mit einer ionisierenden
Strahlung bis zu 10 Mikrosievert auch in Zahnspangen oder künstlichen
Hüftgelenken landen. In Verbindung mit weiteren Strahlendosen natürlichen oder
technischen Ursprungs kann auch diese sehr geringe Dosis im Ergebnis die
Entstehung einer Krebserkrankung begünstigen.
Kohlekraft
Kohlekraftwerke stoßen nicht nur gewaltige Mengen des Treibhausgases CO2 aus,
sie gehören auch zu den größten Quellen giftiger Luftschadstoffe: Schwefeldioxid,
Stickoxide, Ruß und Staubemissionen aus Kohle sind die größten industriellen
Ursachen von Feinstäuben, die tief in die Lungen eindringen und vom Blutkreislauf
aufgenommen werden. Solche Schadstoffemissionen gefährden die Gesundheit von
Säuglingen, Kindern und Erwachsenen, verursachen Herzinfarkte und Lungenkrebs
und führen vermehrt zu Asthma und anderen Atemwegserkrankungen.
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Die Schornsteine unserer Kohlekraftwerke stoßen zudem zehntausende Kilogramm
toxischer Metalle wie Blei, Arsen und Cadmium aus. Quecksilber ist ein starkes
Nervengift und gehört zu den drei schädlichsten Substanzen überhaupt. Es gelangt
über den Regen in die Nahrungskette uns schädigt insbesondere das ungeborene
Kind im Mutterleib. Etwa jedes dritte Neugeborene in Europa hat bereits eine
bedenkliche Menge Quecksilber im Körper. Die deutschen Kohlekraftwerke stoßen
jährlich über 3.000 kg Quecksilber aus und sind für 70 Prozent dieser Emissionen
verantwortlich.
Die Universität Stuttgart ermittelte 2013 in ihrer von Greenpeace beauftragten Studie
»Tod aus dem Schlot« allein für Deutschland etwa 3.100 jährliche Todesfälle durch
den Betrieb deutscher Kohlekraftwerke.
Und die Natur? Der Abbau von Braunkohle im Tagebau geht mit einer unwiderruflichen Zerstörung von Böden und Landschaften einher. Wasserhaushalt und
Wasserqualität können dauerhaft beeinträchtigt werden. Von der Natur bleibt hier
nichts übrig – sie wird in Gänze ausradiert. Die bislang zur Braunkohlegewinnung
abgebaggerte Fläche entspricht bereits der Größe des Saarlandes.
Und das Klima?
Die unmittelbaren Auswirkungen der Atom- und Kohlekraft auf die menschliche
Gesundheit und die Natur wären bereits Grund genug, um einen Umstieg auf
Erneuerbare Energien zu vollziehen. Der von Kohlekraftwerken mitverursachte
Klimawandel zwingt uns letztlich aber dazu. Die Wissenschaft ist sich weltweit einig:
Der Klimawandel ist eine existenzielle Bedrohung für große Teile des Lebens auf
diesem Planeten und hätte ohne ein weltweites Gegensteuern humanitäre und
ökonomische Folgen von kaum absehbarem Ausmaß.
Doch auch jenseits von Naturkatastrophen und extremen Wetterereignissen leidet
die menschliche Gesundheit unter einer fortschreitende Erderwärmung. Schon
heute beschäftigt sich das Umweltbundesamt mit den Auswirkungen »biotroper«
Wettersituationen, die unser körperliches und psychisches Befinden – und damit
unsere Leistungsfähigkeit - beeinflussen werden.
Tödliche Hitze droht laut aktueller Forschung zunächst den Golfstaaten. Sollte der
Klimawandel nicht zeitnah gestoppt werden, wird ein Leben ohne künstliche Kühlung
dort bereits in wenigen Jahrzehnten nicht mehr möglich sein. Der menschliche
Körper schafft es im Freien dann nicht mehr, die Wärme, die bei der
Fettverbrennung entsteht, durch Schwitzen loszuwerden. Die Folge: Hyperthermie
bis hin zum Hitzetod.
Für die Natur bedeutet ein beschleunigter Temperaturanstieg einen folgenschweren
Eingriff in die ebenso komplexen wie empfindlichen Ökosysteme. Noch ist unklar,
wie vielen Arten es gelingen wird, sich an veränderte Bedingungen anzupassen.
Unstrittig ist allerdings, dass der in erster Linie durch die Intensivierung unserer
Landwirtschaft ohnehin Besorgnis erregende Artenverlust sich drastisch verschärfen wird.
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Gegenwind-SH: Für Mensch und Natur?
Dies alles passt nicht in das Weltbild vom Gegenwind Schleswig-Holstein e.V. und
sinnverwandten Initiativen, denn hier wird ausschließlich über den Gartenzaun, nicht
aber über den Tellerrand geschaut. Um von diesem eklatanten Mangel abzulenken,
wird der Kampf gegen die Windenergie auch mit unhaltbaren Argumenten gegen die
wirtschaftliche und technologische Eignung einer Stromversorgung aus
Erneuerbaren Energien gerechtfertigt. Für weniger »fortgebildete« Mitstreiter bleibt
der argumentative Notausgang: Der Energiewende wird kurzerhand nicht nur
jegliche Klimaschutzwirkung abgesprochen – nein, auch die Ursache und das
Bedrohungspotenzial des Klimawandels werden unverblümt in Frage gestellt.
Tatsächlich wird in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft beim Thema Energiewende
schon lange nicht mehr über das »Ob«, sondern nur noch über das »Wie« gerungen,
denn die Notwendigkeit des Systemwechsels wird heute von keiner Seite mehr
ernsthaft in Frage gestellt.
So bleibt festzuhalten, dass die Energiewende einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz liefert, und – wie die Österreichische Ärztekammer es kürzlich formulierte –
ein »Gesundheitsprojekt ist, da mit jedem Windrad viele – vor allem Kinder – vor dem
Krankwerden bewahrt werden«.
Gegenwind-SH sei empfohlen, einmal vertieft über den Slogan »Für Mensch und
Natur« nachzudenken. Vielleicht wäre »My home is my castle« eine glaubwürdigere
Alternative?
04.11.2015
Denker & Wulf AG
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