Beurteilen im Mathematikunterricht

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19.02.2007
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Beurteilen im Mathematikunterricht
Ziel der
Beurteilung
Die Frage, wie schulische Leistungen beurteilt werden können und sollen, ist seit Jahren Gegenstand
ausgedehnter Diskussionen. Um entscheiden zu können, wie man beurteilen will, muss man wissen, wozu. Vorrangiger Auftrag der Schule ist es, den Schülerinnen und Schülern zu guten Lernprozessen zu verhelfen. Der vorliegende Artikel soll aufzeigen, wie die Beurteilung dazu beitragen
kann, Lernprozesse zu optimieren.
Lernen ist die Selbstorganisation des Gehirns zum Zweck optimaler Lebensbewältigung (vgl. den
Artikel «Unterricht aus konstruktivistischer Sicht», S. 13ff.). Oberstes Lernziel ist der Lernprozess
selbst. Jeder Mensch soll sein Leben lang lernfähig und lernwillig bleiben. Eine taugliche Beurteilung unterstützt deshalb – über alle Fachgrenzen hinweg – die Lernbereitschaft.
Fachlichen Aspekten übergeordnet formulieren die meisten Lehrpläne allgemeine Verhaltensziele
(z. B. Leitideen im Bereich der Sozial- und Selbstkompetenzen und in fächerübergreifenden Sachkompetenzen). Die Beurteilung hat in jedem Fach darauf zu achten, dass übergeordnete Ziele – z. B.
soziale Lernziele – nicht verloren gehen.
Kompetenzen
fördern
Waren Fachlehrpläne früher reine Stoffverzeichnisse, so sind sie heute mindestens so sehr Lernzielkataloge. Sie beschreiben nicht mehr in erster Linie, was zu behandeln, sondern was im Unterricht anzusteuern ist. Viele Lehrpläne nennen dazu auf der Richtzielebene allgemeine Fachkompetenzen und auf der Grobzielebene inhaltsbezogene Lernziele.
Die gleiche Einteilung findet man im Begleitband zu Beginn jedes Kommentars. Dort sind einerseits
themenübergreifende Richtziele genannt, andererseits inhaltliche Ziele. Die Richtziele sind nach den
vier Kompetenzen geordnet, die in einigen neueren Schweizer Lehrplänen aufgeführt sind: Vorstellungsvermögen, Kenntnisse und Fertigkeiten, Mathematisierfähigkeit, Problemlöseverhalten.
Im mathbu.ch 7–9 werden auf der Richtzielebene durchwegs dieselben 24 Formulierungen verwendet. Obwohl davon auszugehen ist, dass sowohl die vier Kompetenzbereiche wie auch die
darin gebündelten Teilkompetenzen hochgradig miteinander vernetzt sind, macht es aus Gründen
der Diagnose durchaus Sinn, sie getrennt wahrzunehmen.
Die Richtziele beschreiben Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche im Mathematikunterricht bei verschiedenen Themen entwickelt werden können. Der Begleitband enthält zu jedem Schuljahr einen
Planungsraster, aus dem hervorgeht, in welchen Lernumgebungen welche Kompetenzen schwerpunktmässig geschult werden können (S. 69ff.). Dass innerhalb eines Themas häufig an vielen
verschiedenen Richtzielen gearbeitet wird, ist Ausdruck gewollter Vernetzung. Weiter unten ist am
Beispiel der Lernumgebung «Verpackungen» aus Band 7 exemplarisch dargestellt, wie Richtziele
themenspezifisch auf die Grobzielebene umgebrochen werden. Daneben gibt es aber im mathbu.ch
auch Lernumgebungen, die einen bestimmten Richtzielbereich anvisieren. Beispiele sind «Signor
Enrico lässt fragen» in Band 7 zum Mathematisieren, «Chiara AHA!» in Band 8 zum Problemlösen
oder die «Kopfgeometrie» in allen Bänden zum Vorstellungsvermögen. Es empfiehlt sich darum
auch, solche Themen das ganze Jahr hindurch zu behandeln.
Kompetenzen schulen heisst Lernziele festlegen, darauf hinarbeiten und deren Erreichen evaluieren – mit dem Zweck, diesen Prozess zu optimieren. Das gilt für Richtziele im Gesamtverlauf des
Unterrichts wie auch für inhaltsbezogene Grobziele bei der Arbeit an einzelnen Themen. Die Beurteilung soll helfen, die gesetzten Ziele zu erreichen.
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Richtziele
Die nachfolgende Zusammenstellung
beschreibt die vier Kompetenzen kurz, zählt
Themenspezifische Ausprägung
der Richtziele in der Lernumgebung
«Verpackungen»
charakteristische Teilaspekte auf und gibt
knappe Hinweise zur Beurteilung.
Vorstellungsvermögen
Vorstellungsvermögen meint die Fähigkeit,
Denkvorgänge mit inneren Bildern unterstützen zu können:
– Zahlen in einem strukturierten Zahlenraum
festhalten und verknüpfen können
– Den Bezug zwischen Grössen gedanklich
herstellen können
– Sich ebene und räumliche Figuren vorstellen
– Zahlen und Grössen: 120 000 Verpackungen,
178 Bäume, 23 km Seil, 1 Are Stoff, 15 g
Papier, 250 ml Inhalt
– Verhältnisse/Referenzgrössen: Fläche und
Umfang eines Fussballfeldes, Grösse der
Menschen auf dem Foto
– In der Ebene: Rechtecke, Dreiecke, Trapeze
– Im Raum: Abwicklungen, Schrägbilder
und in der Vorstellung verändern können
– Abläufe als «inneren Film» nachvollziehen
können
Das Vorstellungsvermögen kann anhand von
Skizzen und mündlichen Beschreibungen
beurteilt werden.
Kenntnisse und Fertigkeiten
Kenntnisse und Fertigkeiten bezeichnen die
mathematischen Instrumente und deren
– Längenmasse, Flächenmasse, Raummasse,
Hohlmasse, Gewichtsmasse
unmittelbare Handhabung:
– Flächenformeln
– Symbole und Begriffe verstehen und sinnge-
– Rechenverfahren, Schätzverfahren, Skizzieren
mäss gebrauchen
– Regeln und Gesetze kennen und anwenden
– Verfahren anwenden können: schätzen,
rechnen, konstruieren, grafisch darstellen,
algebraisch umformen
– Hilfsmittel gebrauchen können: Geodreieck,
Zirkel, Messinstrumente, Taschenrechner
Zur Beurteilung eignen sich isolierte, elementare, möglichst spezifische Aufgaben.
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Mathematisierfähigkeit
Mathematisierfähigkeit ist die Fähigkeit, den
mathematischen Gehalt von Situationen zu
– Begriffe wie «Teilfläche», «Netz», «Abwicklung» im Zusammenhang deuten
erfassen und auszuschöpfen:
– Aufträge interpretieren
– Informationen erfassen, ordnen, darstellen
– Grössen im Text und in den Abbildungen
– Daten gewinnen aus Texten, Bildern und
realen Gegebenheiten
– Zusammenhänge und Strukturen erkennen
und mathematisch beschreiben: Gleichungen, Tabellen, Diagramme, Modelle
– Sachverhalte mathematisch nachvollziehen
und bearbeiten; mathematische Ergebnisse
im Sachzusammenhang interpretieren
Beurteilt werden kann z. B. das Erfassen von
miteinander und mit den Fragen in Verbindung bringen (120 000 Verpackungen, 250 ml,
15 g
Fläche und Gewicht der Rolle)
– Sprachliche Formulierungen mathematisch
richtig deuten («mindestens», «höchstens»,
«durchschnittlich», «schwanken zwischen»)
– Mathematische von episodischer Information
trennen
– Mathematische Modelle zum Berechnen
Zusammenhängen, das Interpretieren von
finden (Gewicht der Rolle, Fläche einer 60 m
Daten (auch Ergebnissen), der Lösungsweg
breiten Umrandung)
bei Sachaufgaben.
– Lösungen vergleichen und interpretieren
Problemlöseverhalten
Problemlöseverhalten umfasst Einstellungen,
Verhaltensweisen, Denk- und Handlungsstrategien in herausfordernden Situationen:
– Mit ungewohnten Aufgaben fertig werden
– Situationen beurteilen, Vermutungen formulieren, Annahmen treffen können
– Lösungswege planen, verfolgen, mitteilen,
beurteilen können
– Experimente und Simulationen durchführen
und auswerten können
– Flächen ohne bekannte Formeln berechnen
(Trapeze)
– Nicht vorhandene Information ergänzen
(den kleinen Druckbogenausschnitt auf die
ganze Rolle umdenken)
– Strategien entwickeln und formulieren
(z. B., um die Fläche des Verpackungsmaterials abzuschätzen)
– Situationen auf Grund weiterführender
Fragen tiefer ausloten (z. B. Druckbogen für
– Strategien entwickeln und darstellen können
die anderen Verpackungen entwerfen und
Zur Beurteilung eignen sich ungewohnte,
berechnen; das Verhältnis «Inselfläche
komplexe Aufgabenstellungen. Aufschluss
zu Umrandungsfläche» mit bestimmten
geben z. B. Lösungsprotokolle, mündliche
Parametern untersuchen und optimieren)
Rückschauen oder direkte Prozessbeobachtungen.
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Beurteilungsanlässe
Leistungen von Schülerinnen und Schülern lassen sich in vielen Phasen des Unterrichts beurteilen.
Die Aussagekraft der Beurteilung nimmt mit der Breite der betrachteten Lernaktivitäten zu. In der
Praxis werden sich aber Beurteilungsschwerpunkte ergeben.
Spontane Beurteilung
Spontane Beurteilung findet im Unterricht laufend statt. Jede verbale oder nonverbale Rückmeldung
– auch jede nicht stattfindende Reaktion – auf eine Äusserung oder eine Tätigkeit einer Schülerin
oder eines Schülers wirkt im Sinne einer Beurteilung. Sie wird wahrgenommen und beeinflusst den
weiteren Lernverlauf. Hier ist zu bedenken, was an anderer Stelle zur «ressourcenorientierten Grundhaltung» gesagt wird: Soziale Anerkennung gehört zu den stärksten Stimuli des Gehirns (vgl. den
Artikel «Unterricht aus konstruktivistischer Sicht», S. 13ff.). Je bewusster eine Lehrkraft spontanes
Feedback geben kann, umso gezielter kann sie es im Sinne der Lernförderung einsetzen. Sie wird
sich auch besser an die Situation erinnern, was wiederum ihre Gesamtbeurteilung differenzierter
und zuverlässiger macht. Jede Lehrkraft kann feststellen, dass sie ihre spontanen Reaktionen in einer
Klasse ungleich verteilt. So werden Knaben meistens mehr Feedback erhalten als Mädchen. Gewisse Schülerinnen oder Schüler werden fast leer ausgehen. Oft werden nicht alle Lernenden gleich
deutlich wahrgenommen. Von einigen Schülerinnen und Schülern weiss man vielleicht sehr wenig.
Deren Lernen gilt es besonders zu beobachten – auch sie haben ein Recht auf Rückmeldung.
Lernzielkontrollen
Lernzielkontrollen und die Beurteilung von Unterrichtsprodukten sind wichtige Elemente einer systematischen Evaluation. Sie werden hier schwerpunktmässig besprochen.
Lernzielkontrollen (Tests, Prüfungen, Proben, Klassenarbeiten ...) sind wohl die gängigsten Beurteilungsanlässe. Gerade weil sie so selbstverständlich zum Unterricht gehören, bergen sie die Gefahr,
dass lernschädigende Anlagen unhinterfragt tradiert werden. Es gilt zu bedenken, was aus lernbiologischer Sicht Lernen unterstützt bzw. blockiert. Wesentliche positive Aspekte sind Herausforderung, Erfolgserlebnis, Anerkennung, Wir-Gefühl. Negativ wirken Angst, Ohnmachtsgefühl und Verlassenheit. Daraus ergeben sich Gütekriterien für Lernzielkontrollen.
Lernzielkontrollen sollen als sinnvolle Herausforderung im Lernprozess zu erfahren sein. Dazu müssen Lernende grundsätzlich verstehen, was Lernen in der Schule kann und soll und welche Bedeutung darin der Beurteilung zukommt. Natürlich heisst das nicht, dass jede Lernzielkontrolle lerntheoretisch begründet werden muss. Wichtig ist, dass eine gute Lernatmosphäre herrscht und ein
Konsens besteht, dass Lernen Sinn macht. Auch eine gewisse Ritualisierung mag helfen, Lernzielkontrollen im Unterrichtsganzen einzubetten; z. B. wenn sie in einem bestimmten Rhythmus oder in
immer wieder ähnlicher Ausprägung durchgeführt werden.
Eine Herausforderung kann dann als sinnvoll erlebt werden, wenn sie Anstrengung verlangt und zu
meistern ist. Wer unter- oder überfordert ist, fühlt sich kaum ernst genommen. Die Heterogenität
jeder Schulklasse stellt hier ein Problem dar. Die Lerntheorie fordert einen differenzierenden Unterricht. Diesem können nur ebenfalls differenzierte Lernzielkontrollen genügen. Eigentlich müsste jede
Schülerin/jeder Schüler die ihrem/seinem Lernstand entsprechende Kontrolle zum optimalen Zeitpunkt durchführen.
Das mathbu.ch stellt im Begleitband exemplarische Bausteine für Lernzielkontrollen zur Verfügung.
Diese sind nach zwei Anforderungsniveaus differenziert. Sie können direkt übernommen oder mit
eigenen Aufgaben ergänzt werden. Ferner mögen sie als Hinweis für mögliche Aufgabenstellungen
in Lernzielkontrollen oder zur Vorbereitung auf eine solche dienen. Im folgenden Schuljahr können
sie helfen, den Wissensstand vor der Bearbeitung eines Anschlussthemas festzustellen.
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Eine abgestufte Überprüfung von Grundanforderungen und erhöhten Anforderungen verhilft zu
mehr Verbindlichkeit im Bereich der grundlegenden Lernziele. Diese müssen Schülerinnen und
Schüler erfüllen, um in der Bandbreite der Klasse sinnvoll weiterlernen zu können bzw. um nicht
«abgehängt» zu werden. Insbesondere Lernzielkontrollen auf dem Grundniveau müssen deshalb
wiederholbar sein. Damit können sie auch einem Auseinanderklaffen der Klasse entgegenwirken.
Es ist nicht sinnvoll, bei Schülerinnen und Schülern, die im Bereich der grundlegenden Lernziele
noch Lernbedarf haben, das Erfüllen erhöhter Anforderungen zu überprüfen. Andererseits sollen Lernende, welche Grundanforderungen meistern, mit grösseren bis sehr grossen Ansprüchen konfrontiert werden. Differenzierte Lernzielkontrollen verbinden nachhaltiges Lernen im Bereich der
grundlegenden Lernziele mit motivierender Herausforderung lernstarker Schülerinnen und Schüler.
Lernzielkontrollen sollen die Lernhaltung zumindest nicht negativ beeinflussen. Darum ist darauf zu
achten, dass
– die Lernenden den Zeitpunkt, den Inhalt und die Modalitäten einer Lernzielkontrolle kennen,
– das Anforderungsniveau bekannt und realistisch ist,
– die Lernzielkontrolle unter guten Arbeitsbedingungen stattfinden kann (Zeitdruck ist z. B. höchstens
dann angebracht, wenn hohes Tempo ein zu beurteilendes Kriterium ist),
– wirklich das gemessen und bewertet wird, was behauptet wird: das Erreichen bestimmter Lernziele und das Ausweisen bestimmter Kompetenzen,
– die Lernenden eine detaillierte Rückmeldung oder die Gelegenheit zu einer individuellen Nachbesprechung erhalten.
Je nach Inhalt und Ausrichtung einer Lernzielkontrolle ist es durchaus sinnvoll, Theorieunterlagen
oder einen selbst konzipierten Spickzettel – auch dieser kann beurteilt werden – zu gebrauchen.
Ausserdem müssen Lernzielkontrollen nicht grundsätzlich als Einzelarbeit stattfinden.
Produkte
Eine Beurteilung, welche sich nur auf Lernzielkontrollen stützt, greift zu kurz. Sie ist weder umfassend noch besonders aussagekräftig, da Lernzielkontrollen immer eine spezielle Situation im Ganzen des Lerngeschehens darstellen. Ergiebiger sind beispielsweise Produkte, die im Unterricht entstehen (vgl. den Artikel «Zum Umgang mit Schülerprodukten», S. 63ff.). Schon während der Arbeit
bieten sich viele prozessbezogene Beobachtungs- und Rückmeldemöglichkeiten. Am fertigen Produkt kann gewöhnlich eine breite Palette von Kompetenzen abgelesen werden. In der produktorientierten Arbeit lassen sich auch Arbeitsverhalten und Einstellungen entwickeln und beurteilen
sowie – bei geeigneter Anlage – Kooperationsfähigkeit und Problemlöseverhalten im Team. Zur
Beurteilung von Produkten braucht es Kriterien – welche sinnvollerweise zu Arbeitsbeginn bekannt
sind. Auch hier geht es ja um zielorientiertes Lernen. Gerade bewusste Selbststeuerung des Lernprozesses ist auf Kriterien angewiesen.
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11.8.2005
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Kriterienorientierte Beurteilung eines Produktes – Beispiel aus einer 8. Realklasse
Projekt Pralinéschachtel
Kugelförmige Pralinés werden in quaderförmigen Schachteln angeboten.
Auftrag
Eine «bessere» Verpackung herstellen.
«Besser» kann z. B. heissen:
– originellere Form
– weniger Materialverbrauch
Arbeitsform
Zweierteam
Material
Tischtennisbälle, starkes Papier, Schere, Leim
Zielsetzung
Am 7. Juni liegen vor:
– eine Verpackung für sechs Tischtennisbälle;
(1)
(2–4)
– eine Beschreibung, welche über die Grösse der
Verpackung Auskunft gibt und ihre Vorzüge hervorhebt;
(5–6)
– ein Protokoll, aus dem der Arbeitsverlauf ersichtlich wird.
Beurteilungskriterien
(7)
1. Termingerechte Abgabe
2. Genaue Konstruktion und saubere Ausführung
3. Optimaler Materialverbrauch und -einsatz
4. Die Kugeln sitzen fest in der Verpackung
5. Korrekte Angabe der Oberfläche und des Volumens
6. Informative Beschreibung, welche die Originalität der Form belegt
7. Nachweis von effizienter Arbeitsorganisation und gutem Teamgeist
Neben harten Kriterien fliessen bei diesem Beispiel auch Aspekte in die Beurteilung ein, die einer
Klärung bedürfen. Eine vorgängige Diskussion der Beurteilungskriterien hilft den Lernenden, ihre
Arbeit während des Entstehungsprozesses und am Ende selbst zu beurteilen. Und dies ist unverzichtbar, wenn Schülerinnen und Schüler Verantwortung für ihr Lernen übernehmen sollen.
Im mathbu.ch laufen viele Aufgaben oder ganze Lernumgebungen auf Produkte hinaus. Kleinere
Produkte in Band 7 sind etwa der Flechtwürfel in der «Kopfgeometrie» oder das Versuchsprotokoll
in der Lernumgebung «Snowboard». Beispiele von umfangreicheren Projekten sind die Fermi-Poster oder die Bändeli. In Band 8 können Produkte zum Beispiel bei der Auseinandersetzung mit dem
Phänomen Rad in der Lernumgebung «... und dreht und dreht ...» entstehen, als Sammlung zu den
Fibonacci-Zahlen («Zahl folgt auf Zahl folgt auf Zahl ...») oder in Form von Problemlöseprotokollen
(«Chiara AHA!»). In Band 9 stellen die Lernenden Untersuchungen zu Zeitungsartikeln und Daten
aus dem Internet an. Sie bauen Modelle zur Analyse und Berechnung von Körpern.
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2.8.2005
9:12 Uhr
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Beurteilen im Mathematikunterricht
Alltägliche Spuren aus dem Unterricht
Unauffälliger als eigentliche Unterrichtsprodukte sind die alltäglichen Spuren aus dem Unterricht –
also das, was jeden Tag beim Lernen selbstverständlich anfällt: Lösungen zu Aufgaben, Skizzen,
notierte Vermutungen und Erkenntnisse, Konstruktionen, Kommentare usw. Sie belegen den aktuellen Lernprozess am unmittelbarsten. Wer umfassend beurteilen will, ist darum darauf angewiesen,
immer auch Arbeiten aus dem laufenden Unterricht auszuwerten. Dabei ist es nicht nötig, von allen
Schülerinnen und Schülern gleich viel und das Gleiche zu sichten. So lässt sich auch die Unausgewogenheit spontaner Beobachtungen im Unterricht kompensieren.
Portfolio
Eine Beurteilungsanlage, die einem aktuellen Lernverständnis in hohem Masse entspricht, ist das
Portfolio. Idee ist es, darin den Lernverlauf umfassend und nuancenreich abzubilden. Mit den Spuren aus dem Unterricht und der Selbstbeurteilung wurden bereits zwei Elemente dieses Ansatzes
angesprochen.
Im Portfolio werden datierte Dokumente aus dem Unterricht gesammelt, zum Beispiel:
– Unterrichtsspuren, die aus irgendeinem Grund für die persönliche Lernbiografie bedeutsam sind,
sei es, weil sie einen markanten Lernzuwachs festhalten oder weil es sich um eine Stelle handelt,
die besonders harte Arbeit erforderte. Vielleicht zeigen die Dokumente eine ausgesprochen persönliche Vorgehensweise oder ein subjektiv wertvolles Ergebnis. Wichtig ist bei alledem, dass die
Lernenden selbst entscheiden, welche Dokumente ins Portfolio aufgenommen werden. Ihren Entscheid sollen sie hierbei auch begründen. Dies ist eine erste Form der Reflexion.
– Dokumentationen zu grösseren Arbeiten wie Referaten, Ausstellungen, Experimenten oder Modellen. Als Dokumente geeignet sind Arbeitsprotokolle, Fotos, Skizzen, Computerausdrucke. Wichtig
ist auch hier die Reflexion in Form einer persönlichen Stellungnahme.
– Am Anfang eines Portfolios – und in regelmässigen Abständen wiederkehrend, z. B. im Jahresrhythmus – können die bisherige Lernbiografie und damit auch die Einstellung zum Fach bzw. zum
Lernen festgehalten werden.
– Der Lernstand ist in kürzeren Abständen aufzunehmen, z. B. nach der Bearbeitung eines Themas.
Leitfragen können sein: Was habe ich gelernt? Was fällt mir leicht? Wo fühle ich mich noch unsicher? Was möchte ich zu diesem Thema noch wissen? Die beiden letzten Fragen weisen auf einen
wichtigen Aspekt hin: Das Reflektieren des momentanen Lernstandes – etwa auf Grund einer Lernzielkontrolle – muss zu weiteren Lernvorhaben führen. Lernende setzen sich für einen bestimmten Zeitraum ein Lernziel, stellen ein persönliches Lernprogramm auf und überprüfen den Lernerfolg. Nachhaltige Reflexion mündet in Verantwortung für das eigene Lernen.
Wie exemplarisch oder umfassend, wie individuell in der Auswahl oder wie stark vom Klassenunterricht her gesteuert der Inhalt eines Portfolios sein soll, ist eine Frage des Stils. Ob Lernzielkontrollen generell im Portfolio gesammelt werden, ob Reflexionen zu bestimmten Zeiten im Unterricht
stattfinden oder tagebuchartig individuell als permanenter Bestandteil der Hausaufgaben, ob sich
im Portfolio auch ausserschulisches Lernen niederschlagen soll – all das und vieles mehr liegt im
Ermessen der Lehrkraft und der Lernenden, vielleicht der ganzen Klasse. Denkbar ist natürlich auch
ein fächerübergreifendes Portfolio. Die Wirkung wird optimiert, wenn auf der Basis des Portfolios
die Selbstbeurteilung der Schülerin, des Schülers und die Fremdbeurteilung durch die Lehrkraft verglichen und besprochen werden, z. B. im Hinblick auf ein Zeugnis. Die Anlage muss für die Lehrperson stimmen. Auch hier gilt es, Überforderung zu vermeiden. Also: In kleinen Schritten aufbauen und wenn immer möglich im Team.
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2.8.2005
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Beurteilen im Mathematikunterricht
Falls die Klasse und die Eltern noch keine Portfolio-Erfahrung haben, ist der Information grosse
Beachtung zu schenken. Lernende und Eltern müssen das Instrument in den Hauptzügen kennen
und die Zielsetzungen verstehen. Für Schülerinnen und Schüler wie auch für Eltern ist ein starkes
Argument pro Portfolio, dass im Hinblick auf die spätere Laufbahn, etwa für die Lehrstellensuche,
eine eindrückliche und umfassende Selbstdarstellung bereitsteht. Eltern können zudem erfahren,
dass sie im Elterngespräch auf der Basis der Portfoliodokumente eine detaillierte und fundierte Auskunft über das Lernen ihrer Tochter, ihres Sohnes erhalten.
Für die Lehrkraft stellt das Portfolio eine aussagekräftige Grundlage für die Semester- oder Jahresbeurteilung dar. Dieser Zweck muss aber natürlich von Anfang an deklariert sein.
Wie auch immer die schulische Beurteilung angelegt wird, zu bedenken sind die folgenden Punkte:
– Beurteilt werden Leistungen, Arbeitsweisen, auch Haltungen – nicht aber Schülerinnen und Schüler.
– Beurteilen heisst im Idealfall: im Konsens zwischen Lehrkraft und Schülerin oder Schüler den Lernverlauf oder den Lernstand feststellen.
– Die Beurteilung unterstützt das Lernen – und folgt damit dem Auftrag der Schule –, wenn sie von
den Lernenden als sinnvoll erfahren wird und für die individuellen Lernprozesse fruchtbar gemacht
werden kann.
– Ist die Beurteilung ein Machtinstrument zur Erzwingung eines bestimmten Lernverhaltens oder zur
Verteilung von sozialen Chancen, so schadet sie dem Lernen.
Über die Beurteilung können Weichen gestellt werden zwischen kurzatmigem Pauken auf Geheiss
(mit der Konsequenz späterer Lernhemmungen) einerseits und lebenslanger Lernfähigkeit und Lernbereitschaft andererseits. Ein Unterrichtswerk kann die Art der Schülerinnen- und Schülerbeurteilung beschränkt beeinflussen. Das mathbu.ch setzt aber bewusst starke Signale für eine lernfördernde Beurteilungspraxis.
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