Von Gott berufen - ELFK.de - Evangelisch

Von Gott berufen
Unser Leben als Christen – eine Berufung
1. Er macht uns zu seinen Kindern
Wenn Gott spricht, öffnet er seinen Mund weit. Seine Stimme lässt sein Gegenüber
nie unverändert. Sie ruft ins Dasein oder zerstört. Sie lädt ein oder verhärtet. Sie
donnert oder flüstert. Der Ruf Gottes wirkt sich auf unser ganzes Leben aus, auf
unsere Welt.
Als Menschen sehnen uns wir uns danach, einen Sinn in unserem Dasein zu finden. Keiner möchte vergeblich leben. Wir sind keine Tiere, die mit Fressen und
Schlafen zufrieden sind. Wir sind nicht blind gegenüber der Welt, in der wir leben.
Als denkende Wesen sehnen wir uns danach, dass unser Leben eine Bedeutung
hat. Gott antwortet auf diese Sehnsucht des Menschen, indem er ihm sagt: „Dein
Leben hat Bedeutung, weil ich etwas mit dir vorhabe. Ich möchte, dass du ein Teil
meines Königreiches bist.“
Geschaffen nach Gottes Ebenbild
Am Anfang der Zeit schuf Gott Himmel und Erde. Finsternis bedeckte die ungeformte, leere Erde. Doch schon die ersten Verse der Bibel lassen Gottes Gnade ahnen, wenn sie berichten, dass der Leben schaffende Geist über den Wassern
schwebte. Er wartete darauf, dieser neuen Welt Leben einzuhauchen. Dann öffnete
Gott seinen Mund und sprach: „Es werde Licht.“ Und plötzlich durchdrang Licht die
Finsternis. Mit rasanter Geschwindigkeit breitete es sich aus und erfüllte die Welt
mit seinem Glanz. Und Gott sah, dass das Licht, das er gemacht hatte, gut war. Es
war seinem Wesen nach gut.
Aber wozu sollte dieses Licht dienen? Da öffnete Gott noch einmal seinen Mund
und nannte das Licht „Tag“. Damit verlieh Gott dem Licht nicht nur einen Namen.
Er gab dem Licht auch seine Aufgabe: Es sollte die Zeit zum Arbeiten und Spielen
sein, in der man nicht schläft. Es sollte die Zeit für Wachstum und Gedeihen sein,
nicht für Schlaf. Nun hatte das Licht einen Sinn, eine Aufgabe in der Welt. Und es
erfüllte die Aufgabe, zu der es Gott ins Dasein gerufen hatte: „Da ward aus Abend
und Morgen der erste Tag“ (1Mose 1,5).
Wenn die Bibel die Worte „Ruf“ oder „Berufung“ gebraucht, ist damit immer eine
Absicht verbunden. Wenn Gott uns ruft, dann nimmt er uns in seinen Dienst und
verfolgt damit einen bestimmten Zweck. Er lädt uns ein, das zu sein, was mit uns
vorhat. Vor allem beruft er uns dazu, seine Kinder zu sein.
Stell dir den Moment vor, als Gott den Mann aus Erde und die Frau aus Adams
Rippe geformt hatte. Als Adam und Eva vor ihrem Gott und Schöpfer stehen, ist das
der Höhepunkt der Schöpfung. Sie bilden die Krone seines Werkes. Sie sind geschaffen nach Gottes Ebenbild. Vor der Schöpfung des Menschen schaute Gott auf
die Welt und nannte sie „gut“. Aber diese gute Schöpfung war noch unvollständig.
Ihr fehlte die Krone. Als er auf den Mann und die Frau inmitten seiner Schöpfung
schaute, da nannte sie Gott „sehr gut“ (1Mose 1,31).
Und das ist nicht verwunderlich. Denn der Mensch war Gottes Kind. Er war so, wie
ihn Gott haben wollte. Er lebte in Gemeinschaft mit seinem Schöpfer. Der Mensch
war der Herr seiner selbst und seiner Welt. Alles, was ihn umgab, liebte er mit Gottes Liebe. Das war lauter Segen, den der Mensch von Gott geerbt hatte und an dem
er sich für immer erfreuen sollte.
Zum Kind des Zorns geworden
Doch das war dem Menschen nicht genug. Die Gemeinschaft mit Gott befriedigte
ihn nicht vollständig. Er wollte mehr. Er hörte auf die Einflüsterungen. Er wollte
wie Gott sein und den Unterschied zwischen Gut und Böse kennen. Er glaubte der
Lüge, dass Gott ihm etwas vorenthielte. Gottes Kind wurde freiwillig zu einem Kind
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des Zorns. Der Mensch glaubte lieber den Halbwahrheiten der Sünde als seinem
Schöpfer und Herrn.
Durch sein Wort hatte Gott eine vollkommene Welt der Liebe und des Friedens geschaffen. Ohne auch nur ein Wort zu sprechen, hat der Mensch diese Welt ruiniert.
Die Sünde verspricht zwar etwas, aber sie hält ihre Zusagen nicht. Gottes Kinder,
die bisher nur das Gute kannten, wollten wissen, worin der Unterschied zum Bösen
bestand. Nun wussten sie es. Der Unterschied zwischen Gut und Böse wurde ihnen
noch deutlicher, als ihr Sohn Kain den eigenen Bruder tötete. Die Sünde unterwarf
alles, was Gott gemacht hatte, der Gefangenschaft des Todes und der Verdorbenheit.
Der Mensch wollte sein wie Gott. Doch seine Sünde machte ihn zum genauen Gegenteil. Aus dem vollkommenen Menschen, der in Gemeinschaft mit Gott lebte,
wurde ein erbärmlicher Feigling, der sich hinter den Bäumen des Gartens versteckte. Alles hatte sich verändert: die Beziehung zu Gott, zu seinem Ehepartner und
auch die zu seiner Umgebung. Den Lebensraum, den ihm Gott zum Segen gegeben
hatte, beutet der in Sünde gefallene Mensch nun aus. In seiner Torheit unternimmt
er den sinnlosen Versuch, sich vor Gott zu verstecken. Völlig der Sünde verfallen
findet sich der Mensch in einem neuen Leben wieder - jenseits von Eden (1Mose
4,16).
Aufs Neue eingeladen
Gott schickte den Menschen nicht mit leeren Händen aus dem Paradies. Er hatte
nicht gewollt, dass der Mensch so lebt. So verließen Adam und Eva den Garten mit
einer Verheißung.
In unserer Lutherbibel wird gern das Wort „Verheißung“ verwendet, um das Evangelium zu beschreiben. Das griechische Wort Evangelium bedeutet „gute Nachricht“. Mit „Verheißung“ wird das Wesen des Evangeliums deutlicher beschrieben.
Denn Evangelium ist nicht nur das Gegenteil von schlechten Nachrichten. Das
Evangelium ist die Zusage, dass unsere Sünden wegen Christus vergeben werden.
Diese Verheißung bedeutet: Der Teufel wird mit seiner Versuchung am Ende keinen
Erfolg haben! Diese göttliche Zusage scheint zum Scheitern verurteilt zu sein. Sie
stellt Adams Handeln auf den Kopf. Sie ist die Einladung, etwas ganz Törichtes zu
glauben: Damit wir sein können wie Gott, wurde Gott wie wir. Er wurde ein zweiter
Adam, um das zu tun, was der erste Adam nicht tun konnte (Röm 5,12-19). Gott
lädt uns ein zu glauben, dass die unerhörte Bezahlung geleistet wurde: Gottes eigener Sohn litt und starb für die sündige Menschheit. Gott ruft uns zum Glauben daran, dass durch diesen wunderbaren Wechsel Sünder zu Heiligen werden und Bettler auf Thronen sitzen. Was der Mensch durch seine Sünde erreichen wollte, ist
durch Gottes Sohn Tatsache geworden: Wir werden sein wie Gott.
Das Erste, was die Heilige Schrift unter Berufung versteht, ist Gottes Zusage: Er
nimmt uns als seine Kinder an durch den Glauben an seine Verheißungen. Bei unserer Berufung geht es also nicht zuerst um das, was wir tun, sondern um das, was
Gott uns schenkt.
Was schenkt er uns? Unsere Berufung ist Gottes Einladung, das zu sein, wozu wir
geschaffen wurden. Gott lädt uns ein, wieder seine Kinder zu sein – Kinder, die wie
sein Sohn sind. „Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass
sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei
unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die
er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht
hat, die hat er auch verherrlicht“ (Röm 8,29f). Gottes Berufung hat als Ziel, dass er
uns zu Kindern machen möchte, die genau wie Jesus sind.
All das meint Gott mit dem Wort Evangelium. Das ist mehr als eine „gute Nachricht“, es ist die Zusage Gottes, wieder seine Kinder zu sein. Er will uns so machen,
wie der erste Adam war und wie Jesus Christus, der zweite Adam, ist.
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2. Gottes Einladung an alle
Unsere Berufung ist ein Geschenk
Gott beruft uns, ohne Vorbedingungen zu stellen. Er ist bei unserer Berufung der
allein Handelnde. Wir haben nichts anzubieten, was uns dieser Einladung würdig
machen würde. Paulus sagt: „Gott hat uns selig gemacht und berufen mit einem
heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Ratschluss und
nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt“ (2Tim
1,9).
Was Gott will, ist ganz einfach: Er möchte die Schöpfung und den Menschen als
deren Krone wieder zu der Vollkommenheit bringen, mit der er sie geschaffen hat.
Aus Gnade, ohne jede Vorbedingung, lädt er die Menschheit ein, durch das Werk
Christi wieder zu seiner Familie zu gehören. Er verspricht, dass die Schuld bezahlt
ist. Alles Nötige ist erledigt. Der Himmel steht wieder offen.
All das gibt Gott der Menschheit gratis. Wir sind eingeladen, zu kommen und uns
gütlich zu tun im Reich Gottes, ohne dafür etwas bezahlen zu müssen ohne Geld
und ohne Kosten (Jes 55,1f). Obwohl wir Gott nichts anzubieten haben, liebt Gott
uns überreichlich. Luther sagte: „Gottes Liebe findet bei uns nichts, das er lieben
kann; Gottes Liebe bringt es erst hervor.“
Gott beruft durch Mittel
Gott wählte selbst den geeigneten Weg, auf dem er uns seine Liebe mitteilen wollte.
Dies sollte durch die Zusage des Evangeliums geschehen. Durch dieses Werkzeug
wirkt der Heilige Geist den Glauben. Unsere Augsburger Bekenntnis sagt: „Diesen
Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, das Evangelium und die
Sakramente gegeben, durch die er als durch Mittel den Heiligen Geist gibt, der den
Glauben wirkt - wo und wann er will - in denen, die das Evangelium hören“ (Art. 5).
Als lutherische Christen wissen wir, wie wertvoll die Gnadenmittel sind. Das Wort
und die Sakramente sind die einzigen Werkzeuge, die der Heilige Geist seiner Kirche
gegeben hat, um menschliche Herzen zu öffnen. Keine Methode, kein beeindruckender Prediger oder Evangelist kann den Glauben in einem sündigen Herzen erwecken – das vollbringt allein das Evangelium.
Luther fasst das in der Erklärung zum 3. Artikel des Glaubensbekenntnisses kurz
und treffend zusammen: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigner Vernunft noch Kraft
an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann. Sondern der
Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen…“
Gottes Berufung gilt allen Menschen
Wem gilt diese Berufung? Gottes Einladung gilt allen Menschen, jedem Mann, jeder
Frau und jedem Kind. Alle sind gerufen. Die Berufung Gottes gilt der ganzen
Menschheit, weil alle Menschen die Predigt der Buße nötig haben. Auch die Zusage
des Evangeliums gilt der ganzen Menschheit. Christus trägt seiner Kirche auf, diese
Zusage allen Menschen anzubieten.
Diese Einladung Gottes, sein Ruf, ist ernst gemeint. Er will, dass alle Menschen
gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1Tim 2,4). Die Bibel
lehrt, dass Gott zur Seligkeit erwählt. Diejenigen, die er vorherbestimmt hat, die
beruft er auch (Röm 8,28-30). Die Bibel sagt klar, dass nur die Erwählten gerettet
werden. Das ändert aber nichts daran, dass Gottes Ruf ernst gemeint ist und allen
Menschen gilt. Dieser Ruf Gottes meint nur einigen und andere nicht. Er ist eine
umfassende Einladung an alle Menschen – damit sie gerettet werden.
Diese Berufung bleibt nicht ohne Wirkung
Wir sind eingeladen, Gottes Gnadenzusage zu glauben. Dadurch macht er uns zu
seinen Kindern. Wir Menschen sind so tief gefallen, dass wir nicht einmal dieser
Zusage glaubten. Wir konnten diese Einladung nicht annehmen. Unser Verstand
war verblendet, unsere Herzen verfinstert, unsere Seele war Gott feind. Was sollte
da geschehen? Gott musste eingreifen.
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Gottes Einladung wartet nicht auf eine Antwort. Er bewirkt sie selbst. Der Heilige
Geist erleuchtet und beruft mich durch das Evangelium. Wie macht er das? Er tut
es, indem er mich tötet. Sünder verdienen den Tod, sie müssen sterben (Röm 6,23):
Entweder ewig oder in der Taufe. Gott tötet mich mit dem Gesetz, damit er mich mit
dem Evangelium zu neuem Leben erwecken kann.
Gottes Einladung bewirkt immer etwas. Das Evangelium ist lebendig und aktiv. Es
ist die Kraft Gottes. Es kommt niemals leer zu ihm zurück. Dieser Ruf hat die Kraft,
das menschliche Herz zu öffnen und es wieder für Gott mit Beschlag zu belegen.
Obwohl Gottes Ruf nie ohne Wirkung bleibt, heißt das doch nicht: Jeder, der das
Wort hört, kommt zum Glauben. Der Heilige Geist wirkt den Glauben „wann und
wo es Gott gefällt“. Was passiert also? Wenn der Ruf Gottes ergeht, glauben einige.
Andere glauben nicht. Lukas berichtet: „Als das die Heiden hörten, wurden sie froh
und priesen das Wort des Herrn, und alle wurden gläubig, die zum ewigen Leben
bestimmt waren“ (Apg 13,48).
Warum sagt Jesus dann: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt“ (Mt
22,14)? Gottes Einladung gilt allen Menschen. Aber warum werden dann nur wenige gerettet, verglichen mit den vielen, die berufen wurden? Wenn Gott wirklich will,
dass alle Menschen gerettet werden, und wenn sein Ruf ernst gemeint ist und immer wirksam ist, - warum sagt Jesus dann nicht, dass alle Berufenen und auch
auserwählt sind?
Gottes Einladung ist ein Angebot, das man ausgeschlagen kann. Sein Ruf ist wirksam, aber nicht unwiderstehlich. Sein Ruf wirkt immer. Aber nicht so, dass jeder,
der berufen wird, in den Himmel kommt, sondern indem das Wort bei jedem Hörer
etwas bewirkt. Jeder, der berufen wird, steht unter der Wirkung dieses Rufes. Die
Menschen, die am Ende nicht in den Himmel kommen, haben dieselbe Einladung
wie alle anderen erhalten. Aber sie haben sie nicht angenommen. Dass es nur „wenige Auserwählte“ geben wird, liegt nicht daran, dass Gott seine Einladung nicht
ernst meint, dass viele sie nicht annehmen wollen und missachten.
„Erwählung“ nennt die Bibel die ewige Absicht und den ewigen Plan Gottes, an den
Gläubigen so zu handeln, dass sie in den Himmel kommen. Wie Paulus schreibt:
„Gott hat euch als Erste zur Seligkeit erwählt…, in der Heiligung durch den Geist
und im Glauben an die Wahrheit, wozu er euch auch berufen hat durch unser
Evangelium, damit ihr die Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus erlangt“
(2Thess 2,13f). Aus reiner Gnade werden wir in Christus zum ewigen Leben erwählt. Was er uns zugesagt hat, beglaubigt er mit einem Eid und vergewissert es
uns in den Sakramenten.
Das Ergebnis
„Ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christus Jesus“ (Gal 3,26). In
der Tat hätten wir es alle verdient, Kinder Adams zu bleiben: Wir sind in gleicher
Sünde geboren, seinem Weg gefolgt und von Natur aus Geschöpfe des Zorns. Doch
die Liebe Gottes bricht durch die Dunkelheit der Sünde und ruft uns zur Kindschaft durch eine Zusage: Mein Sohn wurde so, wie du bist, damit du so, wie er
sein kannst. „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes
Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!“ (1Joh 3,1).
3. Wo mich Gott hinstellt
Es war beinahe 3 Uhr morgens als er die letzte Frage beantwortete. Der Freund,
Justus Jonas, spürte, dass das Ende nahe war, und fragte: „Lieber Vater, willst du
beständig in Christus und den Lehren sterben, die du gepredigt hast?“ „Ja!“ sagte
jene deutliche Stimme zum letzten Mal. Dann, am 18. Februar 1546, geschah das
Unwahrscheinliche: Dieser Professor, der vom mächtigsten Kirchenmann seiner
Zeit zum Scheiterhaufen verurteilt und vom mächtigsten Herrscher der Welt als
Staatsfeind steckbrieflich gesucht wurde, starb in Eisleben eines ganz natürlichen
Todes.
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Dieser Professor der Theologie hatte mit seinen Hammerschlägen beim Wittenberger
Thesenanschlag, die durch die ganze Welt hallten, die Kirche bis in ihre Grundfesten erschüttert. Die Frage, die bei seinem Tod viele beschäftigte, war: „Was wird
nun, wenn er nicht mehr lebt? Was wird aus seiner Lehre, an der er bis an sein
Ende festgehalten hatte?“ Gott sei Dank, dass das Evangelium von Jesus Christus
- nachdem es im Mittelalter fast völlig vergessen war - nun in den lutherischen Kirchen wieder hell leuchtete. Bis heute sind uns die Lehren Luthers durch Gottes
Gnade erhalten geblieben.
Ein Teil von Luthers Erbe, der uns von der Römisch-katholischen Kirche und Theologie bis heute unterscheidet, ist seine Lehre vom Beruf. Das Wort Beruf kommt
vom lateinischen „vocatio“ und kann auch mit „Berufung“ übersetzt werden. Von
Berufung reden wir, wenn wir nach dem Sinn unserer Arbeit und unseres Daseins
fragen. Als Christ frage ich mich: Gefällt Gott das, was ich tue? Hat er mehr Freude
daran, wenn ich in meiner Gemeinde mitarbeite oder wenn ich an meiner Arbeitsstelle tätig bin? Kann ich Erfüllungen an einem Arbeitsplatz finden, der mir kaum
Aufstiegschancen bietet? Warum gestaltet sich das Zusammenleben in meiner Ehe
so schwierig? Habe ich den richtigen Partner gefunden? Solche Fragen haben etwas
mit Berufung zu tun. Gott stellt uns an eine bestimmte Stelle. Und wie immer,
wenn Gott beruft, verfolgt er mit seinem Ruf eine bestimmte Absicht.
Aktiv oder passiv?
Früh in der Geschichte der Kirche begann sich der Irrtum der Werkgerechtigkeit
auszubreiten. Man meinte, dass gute Werke eine Rolle bei unserer Erlösung spielen
müssten. Ein Ergebnis dieses Denkens war es, dass die Römisch-Katholische Kirche das Leben in zwei Bereiche aufteilte: Es gab Menschen, die sich allein auf Gott
und sein Reich konzentrierten. Das waren die Mönche und Priester. Und es gab
Menschen, die sich auf die Welt konzentrierten, wie z.B. Bauern, Handwerker, Eheleute. Natürlich musste es besser erschienen, sein Leben ganz dem Dienst für Gott
zu widmen. Wenn ein Mensch ein heiliges Leben führen wollte, dann kehrte er der
Welt den Rücken und ging ins Kloster. Wer das tat, der galt als fromm. Er folgte in
besonderer Weise dem Ruf Gottes.
Luther ging diesen Irrtum der Werkgerechtigkeit ganz grundsätzlich an. Er zeigte,
dass die Heilige Schrift zwei Arten der Gerechtigkeit kennt: passive und aktive Gerechtigkeit. Vor Gott rettet uns nur die passive Gerechtigkeit, d.h. die Gerechtigkeit,
die Christus für uns erworben hat und die er uns durch den Glauben schenkt. Wir
sind gerecht, weil Gott uns Christi Gerechtigkeit anrechnet. Kein gutes Werk – und
sei es noch so groß – kann uns vor Gott gerecht machen. Kurz gesagt: Wir sind vor
Gott gerecht, nicht aufgrund dessen, was wir tun (aktiv), sondern aufgrund dessen,
was Christus für uns getan hat (passiv).
Was Gott gefällt
Jeder Mensch, der auf Gottes Zusage vertraut, hat, was Gott anbietet: Vergebung
und Gerechtigkeit in Jesus. Kein Beruf oder kirchliches Amt macht einen Menschen
vor Gott wertvoller als alle anderen. Ein Mönch im Kloster führt kein gottgefälligeres
Leben als ein Schuhmacher, der seine Arbeit tut. Gott hat genau so viel Freude am
Lebenswerk eines Ingenieurs wie an dem eines Kirchenmitarbeiters. Die einzelnen
Dienste mögen sehr unterschiedlich sein, doch geschehen alle, weil Gott dazu gerufen hat. Alle Gläubigen dienen in ihren Berufen Gott. Sie sind seine Priester in dieser Welt.
Luthers Lehre eröffnet jedem Christen eine positive Sicht auf seinen Beruf. Wir dürfen aktiv werden, um Gott zu danken für sein großes Geschenk. Jeder kann das an
dem Platz tun, an den ihn Gott geführt hat. Im Kleinen Katechismus spricht Luther
in der Haustafel über unseren Beruf und unsere Berufung. Da zählt er auf, wo wir
überall unserem Herrn dienen können und sollen: als Ehepartner, Eltern und Kinder, Vorgesetzte und Angestellte, Pastoren und Mitarbeiter. Alle diese Lebensbereiche bezeichnet Luther als „Stände“. Und er nennt diese „göttliche Ordnungen“. Er
will damit zeigen, dass das Leben der Mönche und Nonnen nicht heiliger ist, als die
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Erfüllung unserer täglichen Aufgaben. In diesen Ordnungen beruft Gott Männer
und Frauen dazu, ein Leben in Dankbarkeit gegenüber Gott und in Liebe zu unserem Nächsten zu führen. Dazu sind wir berufen. Darin können wir Erfüllung finden.
Befreit zum Dienen
Man könnte meinen, dass Christen durch Luthers Lehre von guten Werken abgehalten werden. „Warum sollte ich mir Mühe geben, ein guter Arbeiter zu sein, wenn
meine Erlösung allein von Christus abhängt? Warum sollte ich für mein Gehalt ehrliche Arbeit abliefern, wenn ich mir damit vor Gott nichts verdienen kann?“
Doch es ist erstaunlich: Das Gegenteil ist der Fall. Wer von der Last befreit ist, sich
seine Gerechtigkeit vor Gott erarbeiten zu müssen, der geht den guten Werken gerade nicht aus dem Weg. Er ist froh, dass er damit seinem Gott eine Freude machen kann. Wer durch Gottes Gerechtigkeit beschenkt worden ist, wird umso lieber
in dieser Welt aktiv.
Firmen kennen das Geheimnis einer positiven Motivation schon lange. Wenn Arbeitnehmer sich wohlfühlen und hinter ihrem Produkt stehen, leisten sie freiwillig
eine viel bessere Arbeit, als sie es unter Zwang und Druck tun würden. Man merkt
den Unterschied schnell, ob jemand seine Arbeit gern oder nur erzwungen tut.
Die passive Gerechtigkeit, die uns Christus schenkt, wird bei Christen zu der Quelle, die gute Werke hervorbringt. Weil sie wissen, dass sie durch Jesus Christus eine
himmlische Berufung haben, sind sie nun umso freier, Gott in ihrer irdischen Berufung zu dienen. Sie tun das, nicht weil sie sich damit Gottes Gunst verdienen
müssten, sondern aus Liebe und Dankbarkeit. Im Licht seiner Vergebung sind wir
frei zu guten Werken.
Wozu hat uns Gott berufen? Wir dürfen durch Christus seine Kinder sein. Das
bleibt nicht ohne Wirkung in unserem Leben. Die Zusagen des Evangeliums verändern auch unsere Einstellung im Blick auf unseren Beruf. Es ist nicht mehr nur
der Job, mit dem ich mir meine Brötchen verdiene, sondern der Platz, an den mich
Gott gestellt hat. Meine Berufung ist es, auch an dieser Stelle meinem Herrn zu
dienen. Nicht gezwungen, sondern freiwillig. Durch das Evangelium wird aus dem
„Ich muss“ des Sklaven, das fröhliche „Ich will“ des Sohnes, der seinen Vater lieb
hat.
4. Anderen ein Christus sein
„Warum bin ich hier?“ Oder: „Was für einen Sinn hat mein Leben?“ Viele Menschen
unserer Zeit plagen sich mit solchen Fragen herum und finden keine Ruhe. Weil sie
nicht an Gott glauben, kennen sie kein Ziel, das über dieses irdische Leben hinausgeht. Sie wissen nichts von Jesus Christus und dem Sinn, der hinter dieser Welt
steckt.
Wenn wir als Christen von unserer „Berufung“ sprechen, meinen wir damit nicht
nur die Arbeit, durch die wir unsere Brötchen verdienen. Dass Gott sich uns Menschen zuwendet und uns zu sich ruft, gibt unserem Leben einen tiefen Sinn. Er
möchte, dass wir als seine Kinder in dieser Welt leben. Er stellt uns dazu an einen
bestimmten Platz und er gibt uns Aufgaben, die wir erfüllen sollen. Eine ganz wichtige Aufgabe ist, dass unser Herr uns als seine Botschafter in dieser Welt beruft.
Wir sollen ihn vor anderen Menschen vertreten. Luther hat es einmal so gesagt:
„Wir sollen für andere ein Christus werden.“
Als Luther 1518 in Heidelberg seine Theologie vor der Versammlung seines Augustinerordens verteidigte, da tat er das mit einer Thesenreihe. In der 20. Heidelberger
These arbeitete er heraus, wie absurd Gott handelt: Er offenbart sich uns Menschen, indem er sich verbirgt. Er zeigt uns seine tiefste Liebe dort, wo er seinen
Sohn am Kreuz für uns grausam sterben lässt.
Gott handelt im Verborgenen
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Wir sterblichen Menschen können die Herrlichkeit des ewigen Gottes nicht erfassen. Vor ihm erzittern die Berge und die Elemente schmelzen. Und doch will sich
Gott uns bekannt machen. Er kann uns nicht einfach seine Herrlichkeit zeigen.
Das würde uns umbringen. Mose ließ er hinter sich herschauen (2Mose 33,21-23).
Zu Elia kam er in einem stillen, sanften Sausen (1Kön 18,11-13). Weil er sich uns
in seiner unbegreiflichen Liebe offenbaren will, kommt er nicht unmittelbar zu uns,
sondern er verbirgt seine Macht und Herrlichkeit.
Luther redet davon, dass Gott deshalb verborgen hinter einer „Maske“1 auftritt,
wenn er an uns handelt. Kinder tragen gern eine Maske oder verkleiden sich, um in
eine andere Rolle zu schlüpfen. Gott geht es nicht darum, eine andere Rolle zu spielen. Aber weil selbst die Engel vor ihm ihr Angesicht verhüllen müssen, können wir
ihm nicht einfach in die Augen schauen. Er wohnt in einem Licht, das kein Mensch
ertragen kann (1Tim 6,16).
Was für eine Maske trägt Gott, wenn er in dieser Welt auftritt? Zum Beispiel: Dich!
Er möchte dich als sein Werkzeug gebrauchen. Du sollst sein Botschafter in dieser
Welt sein. Das gibt unserem Leben eine hohe Würde. Wir sind nicht nur Gottes
Kinder und dürfen uns so nennen. Er will uns auch dazu gebrauchen, in dieser
Welt zu wirken. Wenn er für unsere Kinder sorgt, trägt er z.B. die Maske eines Vaters oder einer Mutter. Er steht den Hilfsbedürftigen bei, indem er in die Maske eines Polizeibeamten schlüpft. Er tröstet und heilt Kranke, indem er die Maske von
Krankenschwestern oder Ärzten trägt.
Ein Christ steht vielleicht Tag für Tag am Fließband im Autowerk. Selbst die eintönigste Arbeit kann ihm das Wissen nicht nehmen: Meine Arbeit geschieht, weil Gott
durch mich meine Familie versorgen will. Eine christliche Mutter, die sich um ihr
Baby kümmert, darf wissen: Selbst wenn ich sonst vielleicht kaum Anerkennung
für diese Mühe erfahre, Gott wirkt durch mich an diesem Kind. Vom Hausmeister
bis hin zum Chef eines Unternehmens, vom Ingenieur bis zum Leiharbeiter – jeden
will Gott in seinen Dienst nehmen. Jeder darf mithelfen, Gottes Ziele an seinem
Mitmenschen zu erfüllen.
Auf diese Weise bekommen die ganz alltäglichen Werke unseres Lebens als Christen
einen unendlichen Wert. Mit ihnen können wir uns nicht den Himmel verdienen.
Aber durch sie dürfen wir als Werkzeuge unseres Herrn in dieser Welt wirken. Er
benutzt uns als „Masken“2, durch die er unseren Mitmenschen begegnet. Durch das
Evangelium macht uns Gott zu seinen Kindern. Das Evangelium lädt uns aber
auch dazu ein, als Kinder Gottes zu leben - überall da, wo uns Gott hinstellt. Dazu
sind wir von Gott berufen.
Gabe und Aufgabe
Unsere Berufung, Gottes Masken zu sein, ist in erster Linie eine Gabe, dann aber
auch eine Aufgabe. Sie enthält sowohl Gesetz als auch Evangelium. Gott macht uns
zu seinen Kindern. Das ist ein Geschenk seiner Gnade und Liebe. Doch er überträgt
uns damit auch eine Rolle, die mit Aufgaben verbunden ist. Diese sollen wir nach
Gottes Willen erfüllen.
Ein Pastor, der Gottes Wort predigt und lehrt, aber in seiner Rolle als Familienvater
scheitert, wird seiner Aufgabe als Gottes Maske gegenüber seinen Kindern nicht
gerecht. Ein Vorstandsvorsitzender, der den Börsenwert seines Unternehmens verdreifacht, aber die Frau seiner Jugend verstößt und durch eine jüngere ersetzt,
scheitert als Maske Gottes in seiner Ehe. Ein Gemeindeglied, das im Missionskreis
der Gemeinde mitarbeitet und drei Abende pro Woche von Haustür zu Haustür
geht, aber auf Arbeit müde und träge ist, gibt seiner Umgebung kein gutes Beispiel
für Gottes Wirken in dieser Welt.
Es gibt nur eine Stelle, an der wir Menschen mit unseren Versäumnissen und unserem Scheitern Hilfe finden: Durch Christi Blut erhalten wir Vergebung. Diese
Vergebung macht aus Sündern Gottes Kinder. Und sie sendet diese zugleich hinaus
in die Welt, damit sie dort als Botschafter ihres Herrn wirken. Durch Christus sagt
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Luther spricht wörtlich von „Larven“ Gottes.
Hier bedeutet das Masken (Larven) soviel wie „Werkzeug“ oder „Mittel“ Gottes.
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Gott zu uns: „Ihr seid meine Kinder. Alles in dieser Welt gehört euch. Darum gebraucht alles als meine Kinder. Nutzt alles zu meiner Ehre im Dienst an eurem
Nächsten. Das ist eure Berufung. Ich will durch euch als Masken wirken.“
Gott beruft uns und macht uns zu seinen Werkzeugen an unseren Mitmenschen.
Nur Christen wissen, was sie da eigentlich tun. Durch den Glauben an ihren Heiland sind sie Gottes geliebte Kinder. Durch diese „Berufung“ bekommt auch unser
Gehorsam ein neues Vorzeichen. Aus dem sklavischen „Ich muss!“ wird nun ein
kindliches „Ich will!“ Weil durch Christus unsere Beziehung zum himmlischen Vater wiederhergestellt ist, ergibt sich daraus auch ein neues Verhältnis zu dieser
Welt. Indem wir als Christen nach Gottes Willen leben, werden wir zu Masken Gottes an unserem Platz. Dieses Vorrecht schenkt uns Gott. Alles in dieser Welt steht
uns zur Verfügung, um Gott zu ehren. Gottes Kinder dienen dem Wohl dieser Welt.
Und dabei verbirgt Gott sich hinter ihrem Tun.
Ohne Gott hat unser Leben keinen Sinn. Mit Gott bekommt es ein Ziel und eine
Aufgabe. Das gilt für jeden Menschen, ob er in höchsten Positionen tätig ist oder
ganz unscheinbare Dienste verrichtet. Das alles gehört zu unserer hohen Würde, zu
der wir als Gottes Masken in dieser Welt berufen sind.
5. Gott wirkt durch Menschen
Zu dem Unbegreiflichen an Gottes Erlösungsplan gehört, dass er von Anfang an
geplant hat, sein Volk daran zu beteiligen. Er sagte zur Schlange, als er von unserer
Mutter Eva sprach: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen“ (1Mose 3,15). Der Heiland sollte die Erlösung bringen, aber das sollte nicht ohne die Menschheit geschehen.
Durch Menschen macht Gott seine Verheißungen wahr
Bereits als Adam und Eva das Paradies verlassen mussten, begann Gott damit, die
Menschen daran zu beteiligen, dass seine Verheißung erfüllt wird. Zu diesem Zweck
berief er sich im Alten Testament das Volk Israel. Der Herr erscheint dem Abram,
einem kinderlosen, alten Mann, der mit einer unfruchtbaren Frau verheiratet ist. Er
verspricht ihm, ein großes Volk aus ihm zu machen (1Mose 12). Diese Volk soll dazu dienen, die Verheißung Gottes mit der ganzen Welt zu teilen: „Ich will dich zum
großen Volk machen und will dich segnen… und in dir sollen gesegnet werden alle
Geschlechter auf Erden.“
Gott hatte einen Plan und er rief ein Volk ins Dasein, um sein Vorhaben auszuführen. Er gab den Patriarchen die Zusage, dass alle Völker auf der Erde durch die
Ankunft Gottes im Fleisch gesegnet werden sollten. Die Berufung Israels bestand
darin, das Volk zu sein, aus der Nachkomme der Frau kommen würde. Von Generation zu Generation sollte diese Verheißung gelten, bis Gott sie in einem Nachkommen Abrahams erfüllen würde.
Aus welchem Grund berief Gott dieses Volk? Warum ließ er die Israeliten an seinem
Erlösungsplan Anteil haben? Seine Gründe können wir mit unserem Verstand nicht
erfassen. Es geht um Gnade. Die Israeliten waren kein besonderes Volk, trotzdem
wurde es von Gott erwählt. Sie trugen die Verheißung vom kommenden Erlöser
auch weiter, wenn sie sich selbst dessen nicht bewusst waren. Sogar die in die Irre
gehenden Könige von Juda setzten das Geschlecht Davids fort.
Dann, an einem Tag - ungefähr 2.000 Jahre nachdem Abram diese Verheißung gehört hatte und 2.000 Jahre bevor sie uns erreicht hat – erfüllte dieses Volk seinen
Zweck. Eine Jungfrau wurde von der Macht des Allerhöchsten überschattet und
durfte den verheißenen Gottessohn zur Welt bringen, die Hoffnung aller Menschen.
Berufen, das Evangelium mit anderen zu teilen
Im Neuen Testament ist keine Blutsverwandtschaft mehr notwendig, um die Ver8
heißung des Erlösers weiter zu tragen. Doch Gott wollte, dass seine Botschaft von
der Vergebung der ganzen Welt mitgeteilt wird. Deshalb nahm er diesen unbezahlbaren Schatz und legte „in irdene Gefäße“. Er berief schlichte Männer und Frauen
dazu, seinen Erlösungsplan bekannt zu machen.
So wie Gott einst das Volk Israel ins Dasein rief, um sein Vorhaben zu verwirklichen, so berief er sich jetzt eine neues Volk aus aller Welt. Dieses neue Gottesvolk,
die Kirche, sollte die Botschaft von Jesus Christus zu allen Menschen bringen. Petrus schreibt an seine Gemeinden: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die
königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu
seinem wunderbaren Licht; die ihr einst ‚nicht ein Volk‘ wart, nun aber ‚Gottes Volk‘
seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid“ (1Petr 2,9f).
Die Kirche ist ein auserwähltes Volk, eine Priesterschaft von Königen, ein heiliges
Volk. Sie gehört Gott, sie ist sein Eigentum. Dazu hat Gott uns gemacht, als er uns
zum Glauben rief. Durch Christus wurden wir zu seinen Kindern. Das sind ganz
erstaunliche Aussagen. Petrus verschweigt auch nicht, warum uns Gott zu alledem
gemacht hat: Wir sind dazu da, das Lob dessen zu verkündigen, der uns aus der
Finsternis in sein Licht gerufen hat. Unsere Berufung als Kirche besteht darin, Gottes „Mund“ für diese Welt zu sein. Was für eine Gnade! Gott gibt uns eine Aufgabe
von der die Engel wünschten, sie hätten sie bekommen. Christus lädt uns ein, an
der Rettung dieser Welt mitzuarbeiten.
Was Zweck und Aufgabe der Kirche ist, macht Jesus am Ende des Lukasevangeliums deutlich: „Da öffnete er ihnen das Verständnis, so dass sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen: So steht‘s geschrieben, dass Christus leiden wird und
auferstehen von den Toten am dritten Tage; und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Fangt an in Jerusalem“
(Lk 24,45-47). Das ist der Sinn, den Gott unserem Leben gibt. Er beruft uns dazu,
Gesetz und Evangelium zu predigen, Buße und Vergebung, und zwar einer Welt, die
diese Botschaft unbedingt hören muss.
Gottes Stimme erklingt nicht länger im Donner von einem Berg oder aus dem Himmel. Der Allmächtige legt seine Worte in den Mund seiner Diener. Gott spricht
durch uns. Und seine Botschaft lautet: „Aber das alles [kommt] von Gott, der uns
mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt [= Dienst] gegeben,
das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit
sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt,
denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2Kor 5,18-20).
Austeilen und erhalten
Als Glieder der Kirche sind wir dazu berufen, das Evangelium zu verkündigen. Gott
hat uns dazu eine doppelte Anweisung gegeben: Teilt mein Wort mit der Welt und
erhaltet mein Wort für die Welt! Die Weitergabe des Evangeliums hat zwei Seiten
wie eine Medaille. Auf der einen Seite sollen wir den Menschen die Rettungsbotschaft nahebringen, die sonst verloren gehen. Auf der anderer Seite ist es auch nötig, das Evangelium unverfälscht zu erhalten. Die Bibel ermuntert uns dazu. Paulus
ermahnt z.B. Timotheus „Hab Acht auf dich selbst und auf die Lehre!“ (1Tim 4,16).
Oder: „Bemühe dich darum, …das Wort der Wahrheit recht zu teilen [in Gesetz und
Evangelium]“ (2Tim 2,15; Luthertext). Und Petrus schreibt: „Seid allezeit bereit zur
Verantwortung!“ (1Petr 3,15).
Unser Herr Christus möchte nicht, dass wir nur eine Seite der Medaille sehen. Beide gehören zu ein und derselben Berufung. Einerseits sollen wir das Wort mit anderen Menschen teilen, andererseits sind wir aber auch dafür verantwortlich, dass es
uns und unseren Zuhörern unverfälscht erhalten bleibt.
Gott hat uns von Ewigkeit her dazu berufen, seine Kinder zu sein. Er macht uns in
dieser Welt zu seinen Söhnen und Töchtern. Wir sollen unsere Rolle dort ausfüllen,
wo uns Gott hinstellt. Und aus lauter Gnade beruft uns Gott auch dazu, als Glieder
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der Kirche sein rettendes Evangelium in die Welt zu tragen. Was für eine wundervolle Aufgabe!
Jonathan Schroeder
(aus: Forward in Christ 2010; Der Verfasser ist Pastor der Wisconsin Evangelical Lutheran
Synod in den USA; Übersetzung: Karsten Drechsler; Abdruck aus: Lutherische Gemeindebriefe 2011; Nr. 1-8)
Vgl. zum gleichen Thema:
Robert Kolb: Berufen, Kühe zu melken und Königreiche zu regieren; Martin Luthers Lehre von der christlichen Berufung, in: Theol. Handreichung 2013/4 (siehe THI-Archiv)
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