Predigt über Argula von Grumbach am 28.6.2015 von Carolina

Predigt über Argula von Grumbach am 28.6.2015 von Carolina Baltes
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen
Geistes sei mit euch allen. Amen
An einem Spätsommertag des Jahres 1523 greift Argula von Grumbach in ihrer Schreibstube beherzt zu Federkiel und Papier. In entschlossenem Ton schreibt sie einen Brief an die gelehrten
Männer der Universität Ingolstadt, in dem sie den 18 Jahre jungen Magister und Lutheranhänger
Arsacius Seehofer verteidigt.
Wer ist diese Frau, die innerhalb kürzester Zeit die bekannteste Flugschriftautorin der Reformationszeit wurde? Und wie kommt sie dazu, diesen Aufsehen erregenden Brief zu schreiben?
Argula von Grumbach ist 1492 geboren – Kolumbus entdeckte da gerade Amerika. Sie stammt aus
altem bayrischen, verarmten Adel. Ihre Eltern hatten großen Wert auf die Bildung der Kinder gelegt. Bereits als 10jährige schenkt ihr Vater ihr eine deutsche Bibel, erzogen wird sie als Jugendliche am Hof des Herzogs von Bayern. Mit 17 Jahren verlor sie innerhalb von 5 Tagen beide Eltern
durch die Pest. Mit 23 heiratet sie Friedrich von Grumbach, Reichsritter aus fränkischem Uradel.
Zusammen haben sie vier Kinder. Am geistigen Geschehen ihrer Zeit nimmt sie hoch interessiert
teil, liest Luthers Schriften und korrespondiert mit ihm und mit Männern aus seinem Umfeld.
Bereits 1522 hatte der Herzog eine scharfe Verordnung gegen die Reformation erlassen. Schon
allein das Diskutieren über Luther stand unter Strafe.
Der junge, 18jährige Magister Arsacius Seehofer, der in Wittenberg bei Melanchthon studiert hatte, leistet daher in Ingolstadt, wo er seinen Abschluss machen will, den vorgeschriebenen Eid, wonach er kein Lutheraner sei. Trotzdem zitiert er in seiner Paulus-Vorlesung oft Melanchthon.
Er wird angeklagt, in Haft genommen, bei einer Hausdurchsuchung findet man Schriften Luthers,
er wird vor Gericht gestellt, ihm wird eine Liste von 17 Aussagen vorgelegt, denen er, der lutherische Ketzer, abschwören soll. Darunter sind tatsächlich die Kernaussagen der reformatorischen
Theologie: Glaube allein genügt, niemand kann durch sein Tun den Himmel erkaufen. Gott allein
rechtfertigt ohne unser Wirken, in der Kirche soll man niemandem glauben außer der Predigt vom
Wort Gottes. Es soll auch nur gelehrt werden was Jesus gelehrt und befohlen hat; das gilt auch
für Bischöfe.
Vor die Wahl gestellt, abzuschwören, „freiwillig“ ins Kloster Ettal zu gehen und nicht mehr öffentlich zu wirken oder aber als Ketzer verbrannt zu werden, widerruft Arsacius und geht nach
Ettal. 12 seiner Studenten werden eingekerkert.
Kurz in Klammern: Später flieht Arsacius aus Ettal nach Wittenberg, bekommt schließlich mithilfe
Melanchthons in Eichsfeld, eine Stelle als Schulmeister, später wurde wird er Prediger in Leonberg und Winnenden und schreibt die erste evangelische Predigtlehre.
Zurück nach Ingolstadt: Einer von Argulas Brüdern studiert in Ingolstadt. Er berichtet, sie ist empört. Für das, was die Ingolstädter unter Androhung von Gewalt fordern, können die doch keine
biblischen Belege vorbringen! Im Gegenteil, aus Sicht der Bibel hat doch Seehofer Recht. Und
genau das das Neue, das Reformatorische, das Aufrührerische: „Allein das Wort, allein die
Schrift“ Dagegen wehrt sich die Kirche mit Händen und Füßen, denn dann könnte ja jeder kommen. In ihr herrschen die Tradition, die „Worte der Konzilien, Päpste und Bischöfe““ und die lateinische, unverständliche– Bibel ist demgegenüber nebensächlich.
Nur: Kein Mensch tritt für den Magister ein; haben all die reformatorisch gesinnten Gelehrten kein
Interesse, hier einen weiteren Schauplatz von Auseinandersetzungen zu eröffnen? Argula berät
sich mit Andreas Osiander, dem Reformator der Freien Reichsstadt Nürnberg, der vielleicht ganz
froh ist, dass jemand anderes die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen versucht…
Zwei Wochen nach Ende des Seehofer-Verfahrens schreibt sie der Universität Ingolstadt ihren besagten Brief. Sie beginnt mit dem Matthäusevangelium: „Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor
den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“ „Wer“ ist geschlechtsneutral. Damit sind also, findet sie, Männer und Frauen gleichermaßen angesprochen,
sich zu Jesus Christus zu bekennen. Und sie erläutert: „Wer Gott nicht bekennt, ist kein Christ,
auch wenn er tausendmal getauft würde. Man nennt mich lutherisch, ich bin es aber nicht. Ich bin
im Namen Christi getauft, ihn bekenne ich, nicht Luther. Aber ich bekenne, dass ihn Martinus
auch als treuer Christ bekennt.“
Sie erinnert: Jesus hat ausführlich mit Frauen diskutiert und gelehrte Gespräche mit ihnen geführt
– denken Sie an die Samaritanerin am Brunnen, oder an Maria und Martha. Sie kennt ihre Bibel
exzellent, sie kennt auch die weiblichen Bilder für Gott, die sich an etlichen Stellen im Alten und
Neuen Testament finden. Sie folgert: Männer wie Frauen sind berufen und haben die Pflicht, für
ihren Glauben öffentlich einzutreten und ein Bekenntnis zu Jesus Christus abzulegen: „Auch wenn
es dazu kommen sollte, wovor Gott sei, dass Luther widerruft, so soll es mir nichts zu schaffen
machen. Ich baue nicht auf sein, mein oder sonst eines Menschen Verstand, sondern allein auf den
wahren Felsen Christus selber.“
Zur Sache, also zum Verhalten der Ingolstädter gegen Seehofer wettert sie: „Ich finde an keinem
Ort der Bibel [Sie merken: Allein die Schrift!], dass Christus noch seine Apostel oder Propheten
jemanden eingekerkert, gebrannt noch gemordet haben oder das Land verboten.“ Also sollten die
Herren Gelehrten bitte einmal darlegen, wo sie das herhaben; sie mögen bitte mit ihr darüber diskutieren:. Dabei attackiert sie das Vorgehen der Universität scharf: „„Disputationen sind leicht zu
gewinnen, wenn man sie nicht mit Worten führt.“
Selbstbewusst schließt sie ihren Brief.„Ich habe euch kein Frauengeschwätz geschrieben, sondern
das Wort Gottes als ein Glied der christlichen Kirche.“ Nur eine einzige Bedingung stellt sie: Das
Gespräch möge auf Deutsch stattfinden, denn Latein, die damals gängige Universitätssprache, beherrscht sie nicht.
Wie geht es weiter? Für die damalige Gelehrtenwelt und auch die Herrscherschicht ist dieser Brief
eine Ungeheuerlichkeit, eine Kriegserklärung, eine Anmaßung. Schon diese evangelischen Anwürfe: Etwas belegen. Aus der Bibel. Allein die Schrift. Was soll das? - Zur Diskussion mit der Universität kommt es nie. Noch nicht einmal eines Antwortbriefes aus Ingolstadt wird sie für wert geachtet.
Aber ihre Schrift wird auf evangelischer Seite gedruckt und verbreitet sich in Windeseile, innerhalb von zwei Monaten erlebt sie 13 Auflagen mit insgesamt 30 000 Exemplaren. Eine solche Resonanz hat nur Martin Luther selbst mit seinen Schriften aufzuweisen. Mit einem Schlag ist Argula
bekannt. Die Landbevölkerung tuschelt lobend, „Sie kann die Bibel auswendig! Sie ist gelehrter
als mancher Professor!“. Auf den Kanzeln von Ingolstadt wird sie schlicht nur als Ketzerin bezeichnet.
Für sie und ihre Familie wird daraus eine bittere Zerreißprobe. Argulas Mann ist gläubiger Katholik. Er teilt ihre Ansichten ganz und gar nicht. Seit 1515 ist Friedrich von Grumbach als Pfleger
von Dietfurt an der Altmühl herzoglicher Statthalter mit besonderen Vollmachten, Ob aus beruflicher Abhängigkeit oder aus Glaubensüberzeugung oder beides, er bleibt Katholik. Er hält dagegen,
streitet mit ihr, aber er sperrt sie nicht ein. Denn das lässt sie nicht zu, So schreibt sie „Ich bin ihm
auf diesem Gebiet nicht schuldig, gehorsam zu sein, denn Gott sagt in Matth 10 und Mk 8: Wir
müssen alles verlassen, Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Kinder, Leib und Leben.“
Argula hatte nicht nur an die Ingolstädter, sondern zeitgleich auch an Wilhelm IV. Herzog von
Bayern geschrieben. Den Herzog, den sie noch aus ihren Kindertagen am Münchener Hof persönlich kennt, will sie für ihre Position gewinnen. Sie erinnert ihn daran, wie er sie als 17jährige beim
Tod ihrer Eltern getröstet hatte, nun wolle er für sie wie ein Vater sein. Sie legt eine Kopie ihres
Schreibens an die Universität bei. Ihr Brief an Wilhelm IV. wird später als Reformationsmanifest
großen Stils gelesen, denn unter anderem befasst sich die Autorin mit dem Gehorsam eines Christenmenschen gegenüber der Obrigkeit.
Aber auch Wilhelm hält Argula keiner Antwort für würdig. Stattdessen schickt er ihren 10jährigen
Sohn Georg, der seinem Hof zur Erziehung lebt, kommentarlos zurück und entlässt er ihren Mann
umgehend aus dem Dienst, da er seine Frau nicht am Schreiben solcher Briefe gehindert hat. Er
sichert ihm allerdings Straffreiheit zu, wenn Friedrich seine Frau zum Schweigen bringt – z.B.
durch das Abhacken zweier Finger oder auch durch beherztes Erwürgen. So weit geht Friedrich
zum Glück nicht. Aber er verliert seine gut dotierte Stellung und die Familie gerät in finanzielle
Schwierigkeiten. Da Friedrich bis zu seinem Tod 1529 gläubiger Katholik bleibt, ist das eheliche
Verhältnis wohl zerrüttet. Argula schreibt über ihren Mann: „Er tut leider viel zu viel dazu, dass er
Christus in mir verfolgt.“
Argula ist dennoch nicht zu bremsen. Trotz der familiären Spannungen schreibt weiter, diesmal an
den Rat der Stadt Ingolstadt, in dem sie auf die vielen Anhängerinnen der Reformation in der Stadt
anspielt: „Ja, wenn ich allein sterbe, so werden doch hundert Frauen wider sie schreiben. Denn
ihrer sind viele, die belesener und geschickter sind als ich.“ In den Jahren 1523 und 1524 verfasst
sie insgesamt 7 Schriften, die als Flugschriften weite Verbreitung erfuhren. Danach meldet sich
Argula von Grumbach nie wieder öffentlich zu Wort.
Wir wissen nicht warum. Ein Grund könnte sein: Argula hatte in einem Vakuum agiert; die reformatorischen Gedanken waren noch ganz frisch, es gab noch nicht überall klare feste Fronten, viele
Nichttheologen ließen sich von den neuen Gedanken anstecken, vieles war im Fluss. Wenig später
ist die reformatorische Lehre gewissermaßen komplett ausgearbeitet und gelangt nun wieder ganz
in den Händen der gelehrten Theologen. Denn die Reformation breitet sich auch rasend aus, in vielen Reichsstädten, Universitäten und Herzogtümern, und fasst damit Fuß in der Gesellschaft. Und
die Gesellschaft damals hat keinen Platz für öffentlich wirksame Frauen. Auch in einer Pfarrfamilie, wie sie damals überall entstehen, ist klar: Die Frau herrscht im Haushalt, nur der Mann agiert
in der Öffentlichkeit.
Ein Zweites: Die Bauern begannen, die reformatorische Botschaft für sich in Anspruch zu nehmen
– Stichwort Bauernkriege. Argula fühlte sich durchaus dem Adel zugehörig – das steht außer
Zweifel - und wollte es sicher vermeiden, mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden. Was die
Bauern wollten, war umstürzlerisch und – auch aus Sicht Luthers – nicht im Sinn der Bibel. Ungehörig. Zu leicht wurde man mit diesen Rabauken erwechselt.
Wie es mit Argula weitergegangen ist: 1529 starb ihr Mann, und sie musste die Verwaltungsaufgaben für ihre Ländereien übernehmen und Geld für den Lebensunterhalt zusammenbringen, ihre
Kinder waren noch in Ausbildung. Sie heiratete ein zweites Mal, war 2 Jahre später wieder Witwe,
auch wenn diese Heirat wohl ihre finanzielle Situation verbessert hat. Aber sie bleibt geistig auf
der Höhe der Zeit und ständig im Kontakt mit der Reformation. Sie hält engen Briefkontakt mit
Luther, der sie dafür bewundert, wie sie inmitten einer traditionalistischen Familie, er schreibt „allein unter diesen Monstern“, lebt. Persönlich treffen die beiden sich ein einiziges Mal auf der Veste
Coburg, als Luther sich 1530 während des Augsburger Reichstages dort aufhält, sie sprechen sehr
vertraut miteinander, in einem Brief an seine Fraui, die gibt Martin Luther Argulas Ratschläge
zum allmählichen Abstillen ihre ersten Kindes weiter.
1554 stirbt sie 62jährig auf Schloss Zeilitzheim bei Schweinfurt, von ihren 4 Kindern hat nur der
wenig gut geratene Sohn Georg sie überlebt.
Mit Argula von Grumbach begegnet uns eine Frau, die mutig und selbstbewusst ihren eigenen
Glauben lebte und öffentlich für ihn einstand: Allein der Glaube; allein die Schrift. Die für eine
kurze Spanne bekannteste Publizistin der Reformationszeit, die danach verstummt ist. Auf einer
Gedenkmünze ihr zu Ehren ist als bitteres Lebensresümee zu lesen: „Verlogen und neidisch Zungen, haben mich zu Not und Leid gedrungen“. Damit steht sie mit ihrem Lebensweg exemplarisch
für manches Schicksal auch anderer Frauen, die durch Repressalien und eine patriarchalische Gesellschaftsordnung daran gehindert wurden, zu entfalten was an Möglichkeiten in ihnen steckte
und eigentlich nur darauf wartete, Segen und Lebendigkeit in die Welt bringen zu können.
Ich will diese Predigt beschliessen mit einigen Worten Martin Luthers, die er in einem Brief über
Argula 1523 geschrieben hat.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus
Jesus, unserm Herrn. Amen