Adams, Der Tatbestand der Vergewaltigung im Völkerstrafrecht Laubenthal _____________________________________________________________________________________ B uc hre ze ns io n Alexandra Adams, Der Tatbestand der Vergewaltigung im Völkerstrafrecht, Duncker & Humblot, Berlin 2013, 740 S., € 109,90. Die von Thomas Weigend betreute im Wintersemester 2011/12 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln angenommene Dissertation hat ausweislich der Einleitung (S. 17-23) zum Ziel, „einen Tatbestand der Vergewaltigung im Völkerstrafrecht nachzuweisen“ (S. 17). Zudem sollen dessen Tatbestandsmerkmale bestimmt werden (S. 19). Die Autorin geht das Vorhaben an, indem sie zunächst unter Heranziehung einer großen Zahl von Quellen und Publikationen die zu Vergewaltigungen im Krieg gewonnenen Erkenntnisse referiert. Dabei liegt der Schwerpunkt dieser Darstellung auf der Instrumentalisierung sexueller Gewalt, auf den Begehungsformen, den Beweggründen und den für die Betroffenen gravierenden Auswirkungen im Zweiten Weltkrieg, während der Jugoslawien-Kriege sowie in Ruanda (S. 24-46). Im anschließenden Kapitel (S. 47-307) unternimmt es die Verf. zu belegen, dass es sich bei Vergewaltigung um einen völkerrechtlich anerkannten Verbrechenstatbestand handelt. Hierzu greift sie weit aus und erörtert zunächst mit seinem Gegenstand (S. 47-52) und Durchsetzungsmechanismen seitens nationaler bzw. internationaler Gerichte (S. 52-58) Grundfragen des Völkerstrafrechts. Verworfen findet sich die vereinzelt vertretene Auffassung, Vergewaltigung gebe bereits per se ein völkerrechtliches Verbrechen im engeren Sinne ab, ohne dass die Voraussetzungen eines Rahmenverbrechens (hier von Relevanz: Kriegsverbrechen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit) erfüllt sein müssten (S. 50 Fn. 106). Ebenfalls Vorfragen werden im Anschluss mit der Rechtsfindungsmethode im Völkerstrafrecht abgehandelt (S. 58-91). Das erscheint schon deshalb zwingend, weil die Wirksamkeit derjenigen Rechtsquellen überprüft werden muss, aus denen sich die Existenz wie der Inhalt des völkerstrafrechtlichen Vergewaltigungstatbestands u.U. ableiten lassen (S. 59). Die Autorin benennt als somit – mangels ausdrücklich vereinbarter allgemeingültiger Regelungen – zu überprüfenden Komplex zunächst Völkergewohnheitsrecht (S. 62-83), welches wiederum abgeleitet werden kann aus völkerrechtlichen Verträgen (S. 69-72), Beschlüssen der Vereinten Nationen (S. 73-76), staatlicher Gesetzgebung als Ausdruck von Staatenpraxis, Militärvorschriften, nationaler Judikatur wie solcher internationaler Gerichtshöfe (letztere als Erkenntnis-, nicht als Normsetzungsquelle) und gewichtigen Äußerungen wissenschaftlichen Charakters (S. 77-83). Als weitere Rechtsquelle kommen die von den Kulturvölkern in mehr oder weniger übereinstimmender Weise anerkannten Rechtsgrundsätze in Betracht, weshalb es repräsentativer rechtsvergleichender Untersuchungen bedarf (S. 83-89). Gerade unter Berücksichtigung der teilweise sehr umfangreichen und inhaltsschweren Fußnoten lässt sich der voranstehend skizzierte Teil des Buches als kurze Gesamtdarstellung eines Teils völker(straf)rechtlicher Grundlagen lesen. Zwar erscheint es angemessen, eine vergleichende Untersuchung prinzipiell auf das angloamerikanische Common Law, das kontinentaleuropäische System und islamische Rechtsgrundsätze zu erstrecken (S. 87). Skepsis bleibt aber angebracht, wenn erwogen wird, bei unterschiedlichen Lösungen in mehreren Rechtssystemen sich – um der mit dem Völkerstrafrecht intendierten Optimierung des Menschenrechtsschutzes willen – an denjenigen zu orientieren, die den Schutz in optimaler Weise sicherstellen (S. 86) bzw. den Gedanken der Gleichberechtigung durch den Abbau männlicher Dominanzbestrebungen auch auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts zu verwirklichen suchen (S. 348 f.). Mag dies auch eine häufig eingeschlagene Vorgehensweise sein, dürfte dadurch gleichwohl die Gefahr eines Zirkelschlusses bestehen, indem das als wünschenswert Angesehene zur allgemeinen Rechtsüberzeugung erklärt wird. In jedem Fall beinhaltet die Erstellung einer Rangliste des Schutzniveaus eine stark wertende Komponente. Zudem geht es letztlich gerade auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts nicht nur um die Freiheit der Bürger (so S. 349), sondern um eine Abgrenzung ihrer Freiheitssphären untereinander, wie gerade die jüngste Diskussion darüber belegt, ob im Hinblick auf Art. 36 des – in der Arbeit noch nicht berücksichtigten – Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt (Istanbul-Konvention)1 jegliche sexuelle Handlung gegen den Willen einer anderen Person unter Strafe zu stellen ist.2 Die Notwendigkeit einer Balance zwischen Schutz, Freiheit und Rechtssicherheit – durch hinreichend klar gefasste und praktikabel anwendbare Tatbestände – wird insoweit von der Autorin nicht deutlich genug gemacht. Das mag freilich den Besonderheiten der Tatsituation in bewaffneten Konflikten geschuldet sein, nachdem hier – wie im weiteren Verlauf der Untersuchung noch gezeigt wird – etwa bei Gefangenschaft oder Besatzung oder wegen der Intention des Völkermords das Fehlen konsentierter sexueller Kontakte naheliegt. Im dritten Teil des dritten Kapitels (S. 91 ff.) prüft Adams anhand des errichteten Gerüsts die Strafbarkeit der Vergewaltigung nach Völkergewohnheitsrecht, wobei sie die Frage im Ergebnis bejaht (S. 289-307). Eingangs wird betont, die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens nach Völkerrecht allein führe noch nicht zu dessen Strafbarkeit (S. 91 f.). Es müssten deshalb folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Existenz einer Verbots- oder Gebotsnorm, zumindest indirekte Strafandrohung gegenüber den Individuen sowie Ausschluss einer Straffreistellung (etwa infolge Immunität oder Handeln auf Befehl). Die Existenz von Bestimmungen, wie sie für einen Allgemeinen Teil des Strafrechts typisch sind (z.B. zu Vorsatz, Täterschaft und Teilnahme, Versuch, Unterlassen), stellten zusätzliche Indizien für die Strafbarkeit dar (S. 99). Auf diese Erfordernisse hin untersucht die Autorin demzufolge ausführlich völkerrechtliche Verträge, Gerichtsstatuten und -entscheidungen (S. 99 ff.) und stellt dabei fest: Im 1 ETS Nr. 210. Vgl. dazu nur Blume/Wegner, HRRS 2014, 357; Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, Kommentar, 62. Aufl. 2015, § 177 Rn. 39a f.; ders., ZIS 2015, 312; Herzog, KritV 2015, 18; Hörnle, ZIS 2015, 206; Isfen, ZIS 2015, 217. 2 _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com 147 Adams, Der Tatbestand der Vergewaltigung im Völkerstrafrecht Laubenthal _____________________________________________________________________________________ Kriegsvölkerrecht untersage Art. 46 HLKO zwar u.a. Vergewaltigungen, sehe aber keine Bestrafung von Verstößen vor (S. 102 f.). Anders verhalte sich dies wegen der Ahndung von Folter, unmenschlicher Behandlung, vorsätzlicher Verursachung großer Leiden und schwerer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit für Art. 27, 147 IV. Genfer Konvention (1949) nebst Zusatzprotokoll I (1977) – freilich beschränkt auf schwere Verletzungen der Abkommen und internationale bewaffnete Konflikte (S. 104121) – sowie für die UN-Völkermordkonvention 1948, soweit (Massen-) Vergewaltigungen zugleich die Voraussetzungen des Völkermords nach Art. 2 des Übereinkommens erfüllen, was nur hinsichtlich Art. 2 lit. e) (gewaltsame Überführung von Kindern einer Gruppe in eine andere) von vornherein ausscheide (S. 121-134). In den Statuten internationaler Gerichte (S. 134-205) wird die Verf. ebenfalls fündig, indem sie als erstes die Tatbestände Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 6 lit. b] und c]) im Nürnberger Statut dahingehend interpretiert, dass Vergewaltigung von beiden erfasst wurde (S. 134-142). Dasselbe gilt dann für das – allerdings auf zweifelhafter Grundlage errichtete – Tokioter Statut 1946 (S. 146-149) sowie erst recht für das KRG Nr. 10, nachdem in letzterem Vergewaltigung ausdrücklich als Beispiel für Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeführt ist (S. 143-146). Greifen die Statuten der Ad-hoc-Gerichtshöfe für Jugoslawien und Ruanda in den Genfer Abkommen pönalisierte und völkergewohnheitsrechtlich als strafbar akzeptierte Verhaltensweisen auf, dienen auch jene – ungeachtet der gegen die Errichtung der Tribunale durch den UNSicherheitsrat erhobenen Einwände – als Beleg für die in der Arbeit verfochtene Annahme der Strafbarkeit der Vergewaltigung nach Völkerrecht. Dabei bleibt allerdings zweifelhaft, ob die Überzeugung von der Strafbarkeit bei Handlungen in bürgerkriegsähnlichen Konflikten wie in Ruanda Anfang der 1990er Jahre schon Allgemeingut der Staatengemeinschaft war (S. 168 f.). Zudem hätte – so Adams – Vergewaltigung im internen bewaffneten Konflikt mangels hinlänglicher Übereinstimmung der Staatengemeinschaft nach wie vor nicht als Kriegsverbrechen, sondern nur als Völkermord und (in beiden Statuten ausdrücklich angeführtes) Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt werden dürfen. Anderslautende Rechtsprechung des Jugoslawien-Tribunals findet sich abgelehnt (dazu noch Fn. 629). In Beziehung auf Ruanda wurde dieser Gesichtspunkt allerdings nicht virulent; für diesen reinen Binnenkonflikt erstreckte sich das Statut gar nicht auf Kriegsverbrechen (S. 163-170). Aus dem Römischen Statut des IStGH 1998 (Art. 6, 7, 8 i.V.m. 25 Abs. 2) folgt – unter partieller Loslösung von einem bewaffneten Konflikt – ebenfalls die Strafbarkeit der Vergewaltigung als Teil von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ggf. Kriegsverbrechen (die beiden letztgenannten Tatbestände mit ausdrücklicher Nennung von Vergewaltigung sowie als Novum u.a. sämtlichen vergleichbar schweren Formen von sexueller Gewalt). Dabei wird wiederum eine gründliche Subsumtion unter einzelne relevante Merkmale, etwa Verursachung von schwerem körperlichen oder seelischen Schaden, nebst einer Bestimmung des Schutzbereichs der einzelnen Verbote vorgenommen. Vergewaltigung gilt nunmehr im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt ebenso als Kriegsverbrechen (S. 170-199). Auch in diesem Zusammenhang reichen die Darlegungen erneut über das eigentliche Thema hinaus; Fn. 486, 493 ff. geben Aufschluss über die Entstehungsgeschichte von Institution und Statut. Schließlich bleibt das Statut des speziellen Gerichtshofs für Sierra Leone 2002 zu nennen, welches hinter das einmal erreichte Niveau jedenfalls hinsichtlich der ausdrücklichen Erfassung von sexueller Gewalt nicht zurückfällt (S. 199-205). Spiegelbildlich wird im Anschluss an die Würdigung der Rechtsgrundlagen deren Anwendung durch die einzelnen internationalen Tribunale untersucht (S. 205-289). Lassen sich den Urteilen des IMG wie der alliierten Gerichte in Europa keine ausdrücklichen Aussagen zu sexuellem Missbrauch entnehmen (S. 205-207), wurden solche Handlungen von den alliierten, namentlich niederländischen Gerichten in Asien in etlichen Fällen als Kriegsverbrechen geahndet (S. 208-218). Größere Bedeutung hat Vergewaltigung bzw. sexuelle Nötigung in der Judikatur des Jugoslawien- wie des Ruanda-Gerichtshofs erlangt (S. 218 ff.). Hier kam es zur Einordnung als schwere Verletzung der Genfer Konventionen (S. 222-230), als Verstoß gegen Kriegsgesetze und -gebräuche (S. 230-242, 281-284) sowie als Völkermord (S. 242-245, 267-275) sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit (S. 245-260, 275-281). Stand dabei die Subsumtion unter bestimmte Rahmenverbrechen und deren Varianten im Raum konnten einerseits – etwa als Folter – Begehungsformen erfasst werden, die keine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung darstellen, etwa die Androhung einer solchen oder das erzwungene Beobachten der eigentlichen Sexualtat, andererseits wurde aber Vergewaltigung als eigenständiges Kriegsverbrechen (S. 242) oder Foltermethode (S. 276) anerkannt. Die Autorin kritisiert allerdings die Tribunale u.a. dafür, dass sie Einzeltaten nicht die gebührende Beachtung geschenkt und stattdessen etwa mehrere Vergewaltigungen als einen Fall abgeurteilt, ferner dass sie teilweise orale und andere Penetration unterschiedlich behandelt hätten (S. 261-264, 284-286). Gilt Vergewaltigung damit als Straftat nach dem Völkerrecht, bleibt näher zu untersuchen, welchen Inhalt der Tatbestand im Einzelnen aufweist (S. 308 ff.), denn es muss dem Bestimmtheitsgrundsatz in seiner völkerstrafrechtlichen Ausprägung (S. 308-311) Genüge getan werden. Adams legt deshalb zunächst dar, dass die Definitionsversuche der Adhoc-Tribunale für Jugoslawien und Ruanda nicht einheitlich ausgefallen sind: Fasste man zwar generell die Penetration von Vagina oder Anus mit dem Penis oder einem anderen Objekt sowie das Eindringen mit dem Penis in den Mund als Vergewaltigung auf, bestand Uneinigkeit darüber, ob es weiter auf die Ausübung bzw. Androhung von Gewalt ankomme oder stattdessen auf fehlendes Einverständnis des Opfers, so dass auch die bloße Ausnutzung von Zwangsumständen, wie sie im Kontext von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder Völkermord regelmäßig vorliegen, genügte (S. 312-326). Wurde die zweite Sichtweise favorisiert, dürfte dies gerade im Hinblick auf die mit ihr einhergehenden Beweiserleichterungen erfolgt sein. Die Deutung, _____________________________________________________________________________________ ZIS 2/2016 148 Adams, Der Tatbestand der Vergewaltigung im Völkerstrafrecht Laubenthal _____________________________________________________________________________________ Opfer könnten nach dem Verständnis der Tribunale auch Männer sein und Täter Frauen, soweit es nicht auf den Einsatz des Penis ankomme (S. 324), überzeugt, selbst wenn sie sich nicht auf Urteile der Gerichtshöfe stützt. Die als Auslegungshilfe für den IStGH formulierten Verbrechenselemente sind (noch) weiter gefasst hinsichtlich der tauglichen Tathandlungen und des Zwangselements, indem sie sogar Handlungen zum Nachteil zustimmungsunfähiger Personen erfassen, und sie wird geschlechtsneutral formuliert; für das Vorsatzerfordernis gilt Art. 30 des Statuts (S. 326-336). Ein Blick auf die Tatbestandsmerkmale der Vergewaltigung im – exemplarisch betrachteten – deutschen VStGB (§§ 7 Abs. 1 Nr. 6, 8 Abs. 1 Nr. 4) unter Hervorhebung von Diskrepanzen im Vergleich zum Statut des IStGH namentlich wegen der Voraussetzung von Körperkontakt zwischen Täter und Opfer sowie der Übernahme der Nötigungsvoraussetzungen aus dem StGB beschließt diesen Teil der Dissertation (S. 337-347). Im Folgenden stellt die Verf. die angekündigte rechtsvergleichende Untersuchung von Vergewaltigungstatbeständen des nationalen Rechts an (S. 347-565), wobei sie sich auf die als beispielhaft ausgewählten Regelungen in Deutschland, England, New York, Kalifornien, Frankreich und Spanien konzentriert (S. 347-355). Diese sind im Wortlaut wiedergegeben (S. 357-381), zudem wird der Tatbestandsaufbau im Common Law kurz allgemein erklärt (S. 355-357). Die als überholt bewerteten oder nicht in gängigen Fremdsprachen verfügbaren oder erläuterten Regelungen von Russland, China, Japan oder der islamischen und afrikanischen Welt bleiben so außer Betracht. Allerdings enthält ein ausführlicher Appendix einschlägige Normen zahlreicher, nicht näher berücksichtigter Staaten im Wortlaut (S. 602-694). Die Verf. geht so vor, dass der Gehalt der Normen nach wesentlichen Aspekten des objektiven wie des subjektiven Tatbestands verglichen wird; in einem weiteren Anhang werden die Ergebnisse tabellarisch dargestellt (S. 592-599). Als erstes befasst Adams sich mit dem Element der sexuellen Handlung (S. 381-425). Zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie bei § 177 StGB3 führt die Auslegung von Art. 222-23 CP, dem aber nur die sexuelle Penetration unterfällt, zumal das französische Sexualstrafecht eine ähnliche Entwicklung durchlaufen hat wie das deutsche (S. 394-398). Beim spanischen Gesetz sind trotz präziser Tatbestandsumschreibung einige Konstellationen umstritten (S. 398-404), nicht aber im englischen Recht (S. 405-408). Das amerikanische Recht zeichnet sich nicht nur durch eine Vielzahl detailliert formulierter Tatbestände aus – so existieren in Kalifornien nahezu identische Tatbestände für Ledige und Verheiratete –, sondern auch durch die Verquickung von Nötigung und Missbrauch (S. 409-417). Unter Vergewaltigung (bzw. Sondertatbestände nach angloamerikanischem Recht) in allen untersuchten Rechtsordnungen fallen damit vaginaler, analer und oraler Verkehr, das 3 Zu § 177 StGB (S. 381-393) wäre noch zu ergänzen, dass nach der Rechtsprechung das Ejakulieren auf den Körper des Opfers (S. 391) dann nicht unter Abs. 2 S. 2 Nr. 1 dieser Bestimmung subsumiert werden kann, wenn nur dessen Kleidung dadurch tangiert wird (siehe Laubenthal, Handbuch Sexualstraftaten, 2012, Rn. 120). Einführen von anderen Körperteilen oder Gegenständen in Vagina oder Anus sowie das Sich-Penetrieren-Lassen, wobei die sexuelle Handlung sich zwischen Täter und Opfer abspielen muss (S. 417-425). Täter kann jedermann sein; lediglich das englische und französische Recht sprechen für mit (vaginalem) Geschlechtsverkehr verbundene Handlungen nur Männern Täterqualität zu, was nach Meinung der Verf. aber bei der Gesamtbetrachtung ignoriert werden darf (S. 425428). Abgesehen von der sich aus dem eben Gesagten ergebenden Konsequenz sind die Normen im Hinblick auf das Opfer geschlechtsneutral formuliert; Handlungen in der Ehe werden nicht ausgenommen (S. 428 f.). Breiten Raum nehmen die Würdigung der in den jeweiligen Normen vorausgesetzten Nötigungshandlung bzw. – im Common Law – des Erfordernisses fehlenden Einverständnisses ein (S. 429-528). Für erstere gilt (S. 429-470): Während § 177 StGB zwischen den Zwangsmitteln Gewalt, qualifizierter Drohung und Ausnutzung einer schutzlosen Lage differenziert (S. 429-440), unterscheidet das französische Recht zwischen – enger verstandener – Gewalt, (jeder) Drohung und – wohl keine eigenständige Bedeutung aufweisendem – Zwang (S. 441-445). Das spanische Gesetz kennt nur Gewalt und (auch einfache) Drohung (S. 445-449), wohingegen in England (mindestens zu einer Körperverletzung führende) Gewalt oder Drohung hiermit im Sinne einer Beweisvorschrift fehlendes Einverständnis belegen (S. 449-451). Das Statut New Yorks hebt auf Gewalt (wobei das erforderliche Ausmaß strittig bleibt) bzw. qualifizierte Drohung mit Körperverletzung, Entführung oder Tod ab sowie auf fehlendes Einverständnis (S. 451-457); in Kalifornien sind bei identischer Regelungstechnik die Zwangsmittel weiter ausdifferenziert (S. 458-462). Alle untersuchten Rechtsordnungen weisen somit die Gemeinsamkeit auf, dass eine nicht notwendig schwerwiegende Gewaltanwendung gegen das Opfer, die Drohung mit einem empfindlichen, gegenwärtigen Übel für das Opfer oder einen Dritten sowie der Kausalzusammenhang zwischen Nötigungsmittel und sexueller Handlung tatbestandsmäßig sind (S. 462-470). Zu Bedenken Anlass gibt allerdings die Begründung dafür, dass auch das Mittel schwerwiegender Gewaltanwendung gegen Sachen als Gemeinsamkeit vorliegen soll (Fn. 1383). Fehlendes, teilweise auch i.S.v. erschlichenem, Einverständnis des Opfers als Abgrenzungskriterium bzw. Beweisregel erlangt nicht nur im angloamerikanischen Rechtskreis Bedeutung (S. 472-501), sondern ebenso in Frankreich, indem neben dem Einsatz von Nötigungsmitteln auch die Ausnutzung einer Überraschung (etwa des behinderten, bewusstlosen, berauschten, schlafenden, sehr jungen oder getäuschten Tatopfers) zur Bejahung der Vergewaltigung führt (S. 470-472). In den vier Rechtsordnungen von Frankreich, England, New York und Kalifornien fehlt ein wirksames Einverständnis bei Gewalt oder Nötigung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel, bei Täuschung über relevante Faktoren der Sexualhandlung (d.h. nicht bei bloßen Motivirrtümern) ferner bei Schlaf, Bewusstlosigkeit, schwerer Trunkenheit oder Betäubung, geistiger Behinderung oder Beeinträchtigung, bei körperlicher Behinderung oder Hilflosigkeit sowie bei auf jungem Alter beruhendem fehlenden Verständnis des Charakters der Sexual- _____________________________________________________________________________________ Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com 149 Adams, Der Tatbestand der Vergewaltigung im Völkerstrafrecht Laubenthal _____________________________________________________________________________________ handlung (S. 501-509). Unter wertender rechtsvergleichender Betrachtung plädiert Adams unter Berufung auf den unterschiedlichen Unrechts- und Schuldgehalt, das Bestimmtheitsgebot, Aspekte der Nachweisbarkeit sowie die dadurch bedingte klare systematische Differenzierung zwischen Nötigungs- und Missbrauchskonstellationen sowie wegen der Beschränkung des Völkerstrafrechts auf die Ahndung schwerer Rechtsverletzungen in überzeugender Weise dafür, das Element fehlenden Einverständnisses nicht zum Bestandteil des völkerstrafrechtlichen Vergewaltigungstatbestands zu erheben, sondern nur kausale Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel (S. 509-527). Zum subjektiven Tatbestand gilt (S. 528-559): Vorsätzliches (in Deutschland quasi-vorsätzliches) Handeln bezüglich der – divergierenden – objektiven Voraussetzungen wird in allen untersuchten Rechtsordnungen verlangt und keine von diesen fordert ein darüber hinausreichendes zielgerichtetes Element (etwa die Absicht sexueller Befriedigung). Zudem muss der Täter die Möglichkeit eines fehlenden Einverständnisses erkannt und diese jedenfalls in Kauf genommen haben (S. 528-541). Ein Irrtum hinsichtlich des Einverständnisses führt allgemein zum Vorsatzausschluss; freilich kennt das angloamerikanische Recht insoweit gesetzliche Vermutungsklauseln und Beweislastregelungen (S. 541-559). Die bei der Rechtsvergleichung gewonnenen Ergebnisse werden sodann auf ihre Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht abgeglichen (S. 559-562). Nach deren Feststellung fasst Adams die als Bestandteil des völkerstrafrechtlichen Vergewaltigungstatbestands identifizierten Merkmale noch einmal zusammen (S. 562-565; vgl. auch die tabellarische Übersicht S. 591-601) und unterbreitet einen Formulierungsvorschlag (S. 563). Im abschließenden Kapitel wird dann zunächst (S. 566584) begründet, warum der auf der Basis der Rechtsvergleichung erarbeitete Tatbestand den Definitionsversuchen sowohl der Ad-hoc-Tribunale als auch der Elements of Crime zum Römischen Statut überlegen sei (S. 565): Einige gravierende Verletzungen der sexuellen Integrität werden von Letzteren nicht erfasst; zudem fehlt es an geschlechtsneutraler Fassung (S. 567-569). Erneut findet sich betont, dass die Beschränkung auf zwei allgemein anerkannte Nötigungsmittel einer Konzeption überlegen ist, die das in Details unklare Merkmal des Zwangs enthält oder nur auf fehlendes Einverständnis abhebt. Halte sie dies für geboten, könne sich die Völkergemeinschaft zusätzlich auf einen Missbrauchstatbestand verständigen, obwohl sich ein Bedürfnis dafür in den bewaffneten Konflikten der jüngeren Vergangenheit nicht gezeigt habe (S. 569-579). Mit Vorsatz- und Irrtumsproblemen waren die Tribunale gar nicht befasst; die Autorin trägt keine Bedenken, sich mit Eventualvorsatz zu begnügen (S. 579-582). Nach ihrer Einschätzung ist mit einer präziseren völkervertragsrechtlichen Kodifikation der Materie nicht zu rechnen, weshalb Adams empfiehlt, den erarbeiteten Tatbestand durch allseitige Anwendung zu Völkergewohnheitsrecht erstarken zu lassen (S. 584-587). In formeller Hinsicht gibt es bezüglich des Buches von Adams wenig zu erinnern: Ein Abkürzungsverzeichnis hätte es bisweilen erleichtert, zitierte Werke im (mehr als 30 Seiten umfassenden) Literatur- und Quellenverzeichnis (S. 695-728) aufzufinden. Allerdings enthält das Buch ein Stichwortverzeichnis (S. 729-740). Wurden zwar laut Vorwort Literatur und Rechtsprechung bis März 2013 berücksichtigt, befindet sich manches doch nicht auf diesem Stand. Die bisweilen vorgenommene Auslagerung der Darstellung und Diskussion von Meinungsstreitigkeiten in Fußnoten mag nicht traditionellem Verständnis entsprechen; eine andere Handhabung hätte die Lesbarkeit der für das Thema zentralen Gedanken jedoch über Gebühr beeinträchtigt. Auf jeden Fall lohnt die gründliche und sorgfältige Studie die Lektüre für jeden an Sexual- und Völkerstrafrecht Interessierten. Wer mit der Frage einer Strafbarkeit von Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten befasst ist, wird die Arbeit zu Rate ziehen. Die stets ausführlich begründeten Ergebnisse überzeugen weithin. Zu empfehlen ist die Beschäftigung mit dem Buch auch all denjenigen, die mit Reformarbeiten im deutschen Sexualstrafrecht zu tun haben. Insbesondere sollten im Rahmen der aktuellen Diskussion um eine Erstreckung des § 177 StGB auf andere Arten nicht konsentierter geschlechtlicher Betätigung nicht unberücksichtigt bleiben: die Erwägungen zum höheren Unrechts- und Schuldgehalt der „klassischen Vergewaltigung“ (Ausmaß der Traumatisierung bei Gewaltanwendung, höherer Einsatz von Kraft und Energie im Vergleich zum Missbrauchstäter, Willensbeugung gegenüber bloßer Missachtung des Opferwillens); der Gesichtspunkt, dass nach den Erfahrungen mit den US-Kodifikationen die Richter sich scheuten, für einen vom Opfer ungewollten, aber gewaltlosen Sexualkontakt so hohe Strafen zu verhängen wie für die gewaltsame Erzwingung seiner Ziele durch den Täter; zudem die im Common Law zu Tage getretene Unsicherheit in der Beurteilung des fehlenden Einverständnisses nebst den dort beobachteten, erneute Viktimisierung bewirkenden opferdiffamierenden Verteidigungsstrategien (S. 510-517). Prof. Dr. Klaus Laubenthal, Würzburg _____________________________________________________________________________________ ZIS 2/2016 150
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