Staatliche Beihilfen: Kommission leitet eingehende

Europäische Kommission - Pressemitteilung
Staatliche Beihilfen: Kommission leitet eingehende Untersuchung zur
staatlichen Förderung des Stahlproduzenten Ilva in Tarent (Italien) ein
Brüssel, 20. Januar 2016
Die Europäische Kommission hat eine eingehende Untersuchung eingeleitet, um zu prüfen,
ob die staatliche Unterstützung Italiens zugunsten des Stahlproduzenten Ilva mit den EUBeihilfevorschriften im Einklang steht.
In dem Beihilfeverfahren wird die Kommission unter anderem prüfen, ob Ilva durch bestimmte
Maßnahmen, die ihm den Zugang zu Finanzmitteln für die Modernisierung seines Stahlwerks in Tarent
erleichtert haben, ein ungerechtfertigter Vorteil gegenüber seinen Wettbewerbern verschafft wurde.
Angesichts der dringenden Notwendigkeit, den Standort von Ilva in Tarent zu dekontaminieren,
umfasst der Beschluss der Kommission auch Schutzklauseln, die es Italien ermöglichen, umgehend mit
den Dekontaminierungsmaßnahmen zu beginnen. Mit der Einleitung einer eingehenden Untersuchung
erhalten Beteiligte die Möglichkeit, zu den in Rede stehenden Maßnahmen Stellung zu nehmen. Das
Verfahren wird ergebnisoffen geführt.
Angesichts der Überkapazität der Stahlindustrie in der EU erlauben die EU-Beihilfevorschriften lediglich
die Förderung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit und der Effizienz von Stahlunternehmen, nicht
jedoch die Unterstützung von Stahlproduzenten, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden. Diese
Regeln werden in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten einheitlich angewandt.
Die für Wettbewerbspolitik zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager erklärte dazu: „Die
Stahlerzeuger in der gesamten EU haben mit weltweiten Überkapazitäten und massiven Importen zu
kämpfen – die Lösung für dieses Problem muss darin liegen, weltweit die langfristige
Wettbewerbsfähigkeit der Branche zu verbessern. Daher ermöglichen es die EU-Beihilfevorschriften den
Mitgliedstaaten zum Beispiel, Forschungstätigkeiten zu fördern oder die Stahlunternehmen von einem
Teil ihrer Energiekosten zu entlasten. Ferner geht die Kommission mit Antidumping- und
Antisubventionsmaßnahmen gegen Verzerrungen im internationalen Handel vor. Dies ist auch der
Grund, warum die EU-Mitgliedstaaten und die Kommission strenge Regeln zum Verbot staatlicher
Beihilfen für die Rettung und Umstrukturierung von Stahlunternehmen in Schwierigkeiten erlassen
haben. Auf diese Weise wird ein schädlicher Subventionswettlauf zwischen den EU-Mitgliedstaaten
verhindert und dafür gesorgt, dass unkontrollierte staatliche Beihilfen in einem EU-Mitgliedstaat nicht
Tausende von Arbeitsplätzen in der EU gefährden.
Im Falle von Ilva wird die Kommission nun prüfen, ob die italienischen Fördermaßnahmen mit den EUBeihilfevorschriften im Einklang stehen. Wir werden mit Italien zusammenarbeiten, um unsere
derzeitigen Bedenken auszuräumen. Die beste Garantie für eine nachhaltige Zukunft der
Stahlproduktion in der Provinz Tarent ist der Verkauf der Vermögenswerte von Ilva an einen Käufer,
der sie mit geltenden Umweltstandards in Einklang bringt und produktiv nutzt. Der heutige Beschluss
bestätigt dem italienischen Staat, dass er die Beseitigung der gravierenden Verschmutzungsprobleme
am Standort Tarent unterstützen darf, solange die Fördermittel anschließend vom Verursacher
zurückgefordert werden.“
Das Stahlwerk Ilva in Tarent ist das größte Stahlwerk der EU und könnte bei voll ausgeschöpfter
Kapazität so viel Stahl produzieren wie Bulgarien, Griechenland, Ungarn, Kroatien, Slowenien,
Rumänien und Luxemburg im Jahr 2015 zusammen.Die Kommission hat zahlreiche Beschwerden von
Beteiligten über mutmaßliche staatliche Beihilfemaßnahmen erhalten, die angeblich darauf abzielen,
Ilva künstlich am Leben zu erhalten, was angesichts der enormen Produktionskapazität des Werks zu
einer erheblichen Verzerrung des Wettbewerbs führen könnte.
Diese Maßnahmen belaufen sich insgesamt auf etwa 2 Mrd. EUR etwaiger staatlicher Beihilfen. Sie
umfassen staatliche Darlehensgarantien, ein Gesetz, das den Ilva gewährten Darlehen im Falle einer
Insolvenz absolute Zahlungspriorität einräumt (auch gegenüber Verbindlichkeiten öffentlicher Stellen),
ein Gesetz, das Ilva Zugang zu im Rahmen eines laufenden strafrechtlichen Verfahrens gegen
Anteilseigner von Ilva und die ehemalige Unternehmensspitze beschlagnahmten Finanzmitteln
ermöglicht, noch bevor festgestellt wurde, wem diese Mittel zustehen, sowie die Beilegung eines
langjährigen Rechtsstreits zwischen dem staatseigenen Unternehmen Fintecna und Ilva durch
Zahlungen an Ilva.
Die Kommission ist verpflichtet, Beschwerden über mögliche Verstöße gegen die EUBeihilfevorschriften nachzugehen. Sie wird nun im Detail prüfen, ob sich ihre anfänglichen Bedenken
bestätigen, d. h. ob diese Maßnahmen Ilva einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber seinen
Wettbewerbern verschaffen und somit nicht mit den EU-Beihilfevorschriften vereinbar sind.
Umwelt- und Gesundheitsprobleme in Tarent
Seit vielen Jahren hält Ilva die Umweltnormen nicht ein, was zu schwerwiegenden Umwelt- und
Gesundheitsproblemen in der Provinz Tarent geführt hat. Seit 2013 führt die Kommission ein
Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien, weil das Land bislang versäumt hat sicherzustellen, dass
Ilva die EU-Umweltnormen für Industrieemissionen einhält. Im Rahmen eines nationalen
strafrechtlichen Verfahrens wurden Mitglieder der Unternehmensspitze für die angebliche
Umweltkatastrophe verantwortlich gemacht und traten zurück. Seit Juni 2013 steht Ilva unter
Sonderverwaltung durch Bevollmächtigte der italienischen Regierung, um die industrielle Tätigkeit des
Werks weiterzuführen und das Werk gleichzeitig zu modernisieren, damit es geltenden Umweltnormen
entspricht.
Der heute erlassene Beschluss bringt deutlich die derzeitigen Bedenken der Kommission hinsichtlich
der Verwendung öffentlicher Mittel zur Modernisierung des Stahlwerks Ilva in Tarent zum Ausdruck,
hindert Italien jedoch nicht daran, dringend erforderliche Maßnahmen zur Beseitigung bzw.
Eindämmung der bestehenden Verschmutzung am Standort des Werks und in den umliegenden
Gebieten sowie Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit in der Provinz Tarent zu
fördern. Sobald die nationalen Justizbehörden einen Verursacher identifiziert haben, müssen die
italienischen Behörden diesen im Einklang mit dem Verursacherprinzip dazu auffordern, die für die
Beseitigung und Eindämmung der bestehenden Verschmutzung aufgewendeten öffentlichen Gelder
zurückzuzahlen. Diese Untersuchung wird das laufende Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien
wegen des Verstoßes gegen das EU-Umweltrecht nicht beeinträchtigen. Die Maßnahmen Italiens, mit
denen sichergestellt werden soll, dass Ilva die EU-Umweltnormen für Industrieemissionen einhält,
müssen mit den EU-Beihilfevorschriften im Einklang stehen.
Der Europäische Stahlsektor und das Beihilferecht
Die europäische Stahlindustrie erwirtschaftet einen Umsatz von rund 180 Milliarden Euro und
produziert mit etwa 360 000 Beschäftigten an mehr als 500 Standorten in 23 Mitgliedstaaten rund
170 Millionen Tonnen Stahl jährlich. Die tatsächlichen Überkapazitäten betrugen in der EU nach
Schätzungen ca. 10-15 %. Die europäischen Stahlhersteller stehen weltweit großen Herausforderungen
gegenüber: harter Wettbewerb durch Niedrigkostenländer, die ebenfalls erhebliche Überkapazitäten
aufweisen, Rückgang der weltweiten Nachfrage nach Stahl, steigende Energiekosten und hohe
Abhängigkeit von eingeführten Rohmaterialien.
Vor diesem Hintergrund wird im EU-Beihilferecht die Unterstützung der Rettung und Umstrukturierung
von in Schwierigkeiten geratenen Stahlunternehmen durch die öffentliche Hand untersagt. Die EUMitgliedstaaten und die Kommission hatten sich Mitte der 1990er Jahre geeinigt, Beihilfen an den
Stahlsektor nur in einem sehr begrenzten Umfang zuzulassen (Entscheidung Nr. 2496/96/EGKS der
Kommission). Seither hat die EU es vor allem dem Markt überlassen, die für eine rentable und
nachhaltige Stahlindustrie in Europa erforderlichen Kapazitätsanpassungen und Umstrukturierungen in
die Wege zu leiten. Die Kommission hat die Beihilfevorschriften konsequent angewandt, um einheitliche
Wettbewerbsvoraussetzungen für jene Stahlerzeuger zu gewährleisten, die eine schmerzhafte und
teure Umstrukturierung bereits hinter sich gebracht und mit privaten Mitteln finanziert haben. Zudem
würde eine Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfe den Wettbewerb verzerren und könnte einen
Subventionswettlauf zwischen den Mitgliedstaaten in Gang setzen, wie die Erfahrung gezeigt hat.
Gleichzeitig erlauben die Beihilfevorschriften der EU den Mitgliedstaaten jedoch staatliche Beihilfen für
Maßnahmen zur Förderung der weltweiten Wettbewerbsfähigkeit, also für Bereiche wie Forschung und
Entwicklung, Aus- und Weiterbildung, und für energieintensive Unternehmen. In den letzten Jahren
haben mehrere Mitgliedstaaten Maßnahmen ergriffen, die darauf abzielen, energieintensiven
Wirtschaftsteilnehmern wie z. B. Stahlerzeugern einen Ausgleich für die hohen Energiekosten zu
gewähren. Auch wenn diese Maßnahmen Auswirkungen auf den Wettbewerb im Stahlsektor haben,
fördern sie wichtige Ziele von gemeinsamem Interesse. Darüber hinaus gibt es klare Beschränkungen,
was die Höhe der zulässigen Beihilfen anbelangt.
Seit dem Verbot von Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen für in Schwierigkeiten geratene
Stahlerzeuger Mitte der 90er Jahre hat die Kommission zahlreiche Beihilfen in vielen EU-Ländern
(darunter Belgien, Deutschland, Italien und Polen) für unzulässig befunden (und oftmals die
Mitgliedstaaten angewiesen, die Beihilfen von den Emfängern zurückzufordern).
Sonstige Maßnahmen der Kommission in Bezug auf den Stahlsektor
Die Kommission trifft geeignete Maßnahmen, um dafür zu sorgen, dass für die Stahlerzeuger innerhalb
und außerhalb der EU gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen herrschen. Sie setzt sich nur dort für einen
offenen und fairen Handel ein, wo die Wettbewerbsgleichheit einheimischer wie nichteuropäischer
Hersteller gewährleistet ist. Handelspolitische Schutzinstrumente wie Antidumping- und
Antisubventionsverfahren dienen dem Schutz der EU vor Störungen des internationalen Handels und
unfairen Handelspraktiken. Derzeit gelten in der EU 34 endgültige Maßnahmen (wie Antidumping- oder
Ausgleichszölle) gegenüber Stahleinfuhren. Bei weiteren sechs Stahlerzeugnissen wurden neue
Antidumping- bzw. Antisubventionsuntersuchungen eingeleitet.
Die Kommission ist mit großem Nachdruck darum bemüht, die Gesamtwettbewerbsfähigkeit von
Europas industrieller Basis zu verbessern. Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Stahlindustrie ist
eines der wichtigsten Anliegen der europäischen Industriepolitik, und das Ziel der industriellen
Wettbewerbsfähigkeit fließt als Querschnittsaufgabe in alle politischen Initiativen auf europäischer
Ebene ein. Viele Herausforderungen sind der gesamten europäischen Industrie gemein: die
Modernisierung unter den Rahmenbedingungen eines digitalen Zeitalters, Energieeffizienz und
Einfügung in weltweite Wertschöpfungsketten. Die Initiativen, die auf die Binnenmarktstrategie von
2015 und die Strategie der EU für den digitalen Binnenmarkt folgen werden, werden die Praxis der
Integration verschiedener Politikbereiche fortsetzen und weiter dazu beitragen, althergebrachte
Grenzen und starre Strukturen aufzubrechen. Die Kommission hat eine hochrangige Expertengruppe zu
energieintensiven Industrien eingesetzt, die die Kommission in politischen Angelegenheiten beraten
und als Diskussionsforum der Interessenträger fungieren soll. Auf einer Spitzenkonferenz sollen am
15. Februar 2016 in Brüssel die gegenwärtigen Herausforderungen benannt und politische Maßnahmen
erörtert werden. Der Aktionsplan für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Stahlindustrie in Europa
aus dem Jahr 2013 wird von der Kommission weiterhin kontinuierlich umgesetzt.
Der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (EGF) wurde zur Unterstützung derer
eingerichtet, die unter den Folgen der Globalisierung zu leiden haben. Seit Aufnahme seiner Tätigkeit
im Jahr 2007 hat der Fonds mehr als 128 000 Arbeitnehmer mit ungefähr 550 Mio. EUR unterstützt.
Der EGF unterstützt entlassene Arbeitnehmer bei der Suche nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten
durch die Förderung von Berufsbildungsmaßnahmen, Nachschulungen, befristeten Anreizen und
Zulagen usw. Seit 2014 finanziert der EGF beispielsweise auch beschäftigungsfördernde Maßnahmen
zugunsten von Stahlarbeitern nach der Schließung von Standorten in Belgien.
Sobald alle Fragen im Zusammenhang mit dem Schutz vertraulicher Daten geklärt sind, wird die
nichtvertrauliche Fassung der Beschlüsse über das Beihilfenregister auf der Website der
GD Wettbewerb unter der Nummer SA.38613 zugänglich gemacht. Über neu im Internet und im
Amtsblatt der EU veröffentlichte Beihilfebeschlüsse informiert der elektronische Newsletter State aid
Weekly e-News.
IP/16/115
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