Analgetische Leiter der WHO: Ist sie für Gelenkschmerzen geeignet

• FACT SHEET No. 18
Analgetische Leiter der WHO:
Ist sie für Gelenkschmerzen geeignet? Von NSAIDs zu
Opioiden
Pascale Vergne-Salle, MD PhD
1986 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre ersten Empfehlungen zur Behandlung
von mit Krebs verbundenen Schmerzen. Diese Empfehlungen waren unzureichend und basierten auf der
„Schmerzleiter“ der WHO, einem stufenförmigen Ansatz zum Gebrauch von Analgetika, der vom
Schweregrad des Schmerzes abhängt. Dieses Schema berücksichtigte parallel den Schweregrad des
Schmerzes und die angenommene Wirksamkeit der Analgetika. Die WHO stratifizierte drei Schritte im
Rahmen dieses Ansatzes für Analgetika: Schritt I Gebrauch von Nicht-Opioid-Analgetika (Acetaminophen
oder nichtsteroidale Antirheumatika, NSAIDs), Schritt II mit „schwachen“ Opioiden (Hydrocodon, Codein
oder Tramadol) und Schritt III mit „starken“ Opioiden (Morphin, Hydromorphon, Oxycodon, Fentanyl
oder Methadon). Zusätzliche Arzneimittel (Adjuvantien) wurden eingesetzt, um Angstzustände zu
mindern.
Dieser therapeutische schrittweise Ansatz hat dazu geführt, dass viele Ärzte Nicht-Opioid-Analgetika für
Patienten mit leichten Schmerzen, schwache Opioide für Patienten mit mittelschweren Schmerzen und
starke Opioide für jene mit starken Schmerzen empfahlen. Die Empfehlungen der WHO legten die
Verschreibung eines Schritt-II-Analgetikums nahe, wenn die Behandlung mit einem Schritt-I-Analgetikum
unwirksam war, und eines Schritt-III-Analgetikums in den Fällen, in denen die Schmerzen trotz eines
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Schmerztherapie. Ihr Ziel ist es, weltweit das Wissen, die Forschung und Therapie im Bereich des Schmerzes
auszubauen und somit einer Verbesserung der Schmerzversorgung zu dienen.
Schritt-II-Analgetikums anhielten. Dieser Ansatz wurde danach auf nicht mit Krebs verbundene
Schmerzen, darunter auch Gelenkschmerzen, umgelegt. Bei akuten Gelenkschmerzen kann der
Schweregrad des Schmerzes den sofortigen Behandlungsbeginn mit einem schwachen oder starken
Opioid zur schnellen Schmerzlinderung rechtfertigen, wobei zu einem späteren Zeitpunkt, sobald der
Schmerz abklingt, die Umstellung auf ein Nicht-Opioid-Analgetikum zu erfolgen hat.
2015 besprach die wissenschaftliche Gemeinschaft diesen Ansatz und schlug andere Klassifizierungen
auf Basis der klinischen Wirksamkeit oder der Schmerzmechanismen vor. Ein mechanistischer Ansatz ist
wahrscheinlich geeigneter. David Lussier und Pierre Beaulieu schlugen in dem Buch Pharmacology of
Pain (IASP, 2010) eine neue rationale Taxonomie vor, die auf Schmerzmechanismen und den
molekularen Targets der Analgetika basiert. Was chronische Schmerzen betrifft, so könnten nozizeptive
entzündliche Schmerzen durch Reduzierung der Entzündung mithilfe von Steroiden oder NSAIDs
behandelt werden, nicht-entzündliche nozizeptive Schmerzen durch Opioid- sowie Nicht-OpioidAnalgetika und neuropathische Schmerzen durch Antidepressiva oder Antikonvulsiva, einschließlich
spezifischer Arzneimittel in bestimmten rheumatologischen klinischen Situationen, wie beispielsweise
Colchicin zur Behandlung von Gicht. Ein anderer Ansatz als die analgetische Leiter der WHO erlaubt den
Ärzten, den Schmerz entsprechend der klinischen Realität zu behandeln, und verhindert, dass man von
einer therapeutischen Eskalation stärkerer Arzneimittel abhängig ist.
Arthrose ist die Hauptursache für Schmerzen bei älteren Patienten, die häufig mehrere Medikamente
einnehmen und häufig an Komorbiditäten leiden, die bei der Wahl des Analgetikums berücksichtigt
werden müssen. Zuvor veröffentlichte Richtlinien und die kürzlich publizierten Empfehlungen der OARSI
(Osteoarthritis Research Society International) definierten geeignete Behandlungen als Acetaminophen,
NSAIDs und Duloxetin, abhängig von den Komorbiditäten. Die als nicht geeignet erachteten
Behandlungen waren unter anderem Opioidanalgetika. Opioidanalgetika sollten nur Patienten mit
refraktären arthrosebedingten Schmerzen bzw. mit Gegenanzeigen gegen die empfohlenen
Behandlungen oder Patienten verschrieben werden, die auf eine orthopädische Operation warten bzw.
in den Fällen, in denen eine Operation nicht möglich ist.
Der Schmerz bei Arthrose weist eine Vielzahl von Merkmalen auf, die verschiedene zugrundeliegende
Mechanismen nahelegen. Einige Patienten beschreiben ihren Schmerz als neuropathischen Schmerz mit
Verdacht auf eine periphere oder zentrale Sensitivierung. Bei diesem Subphänotyp von Patienten
könnte die Behandlung entweder auf die Reduzierung der peripheren und zentralen Sensitivierung oder
auf die Verstärkung der deszendierenden inhibitorischen Aktivität (d.h. Antikonvulsiva, Antidepressiva
oder Capsaicin) abzielen.
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Bei entzündlichen rheumatischen Erkrankungen sind NSAIDs und Kortikosteroide optimale
Schmerzbehandlungen. Opioid- und Nicht-Opioid-Analgetika sind vorzugsweise bei mechanischen
Schmerzen zu verschreiben, die durch eine Gelenkzerstörung induziert wurden. Mittlerweile sind auch
Biotherapien Teil von therapeutischen Ansätzen gegen Schmerzen bei entzündlichen rheumatischen
Erkrankungen und können zumindest als antinozizeptive Analgetika erachtet werden. Entsprechend den
Empfehlungen der EULAR (Europäische Rheumaliga) zur Ablagerung von Calciumpyrophosphat und
gemäß der dritten Gicht-Initiative bedarf es NSAIDs, Colchicins oder Kortikosteroiden für die optimale
Behandlung mikrokristalliner Arthritis.
Im Falle einer Fibromyalgie führen Nicht-Opioid- und schwache Opioidanalgetika nur zu einer leichten
Schmerzmilderung. Wenngleich die Beurteilung des Schmerzes oft hoch bei diesen Patienten ausfällt
und theoretisch zu einer Verschreibung starker Opioide auf Basis der WHO-Leiter führen sollte, gibt es
keine Nachweise für deren Wirksamkeit und die Ärzte sollten andere Behandlungsoptionen in Erwägung
ziehen. Die empfohlenen Behandlungen sind häufiger Modulatoren einer deszendierenden Hemmung.
Abschließend kann gesagt werden, dass die analgetische Leiter der WHO für das Management von
akuten oder chronischen Gelenkschmerzen nicht geeignet ist. Die Herausforderung für die Zukunft
besteht in der besseren Charakterisierung der verschiedenen Mechanismen des Gelenkschmerzes und in
der Anpassung von Arzneimitteln gemäß ihren molekularen Targets.
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