Die Fabrik im Laden

Handelsblatt vom 06.08.2015
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Hofer, Joachim
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Unternehmen & Märkte
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Die Fabrik im Laden
In zwei Jahren will Europas größter Sportkonzern Adidas Schuhe direkt in seinen Geschäften
produzieren.
Joachim Hofer Herzogenaurach.
-- Später soll in den Stores auch Kleidung entstehen.
-- Vorstandschef Hainer braucht neue
Impulse.
Mit Ware aus dem Regal brauchen sich
die Fans von Adidas bald nicht mehr
zufriedenzugeben. Der Sportkonzern
will in zwei Jahren damit anfangen, in
seinen Geschäften nach den Wünschen
der Konsumenten zu produzieren. "Die
Kunden bekommen Schuhe, die genau
auf ihre Bedürfnisse abgestimmt sind
und perfekt zu ihren Füßen und ihrem
Bewegungsablauf passen", sagte Adidas-Vorstand Glenn Bennett dem Handelsblatt.
"Store Factory", also Ladenfabrik, nennt
Adidas das Projekt. Mit dem Vorhaben
will Europas größter Turnschuh-Hersteller eine neue Ära in der Sportbranche
beginnen. Mit viel High Tech sollen die
Käufer im Geschäft vermessen werden,
damit sie ein paar Minuten später ihre
individuell geformten und gestalteten
Schuhe aus dem Automaten mit nach
Hause nehmen können.
Adidas erhofft sich dadurch nicht nur
steigende Einnahmen, sondern auch ein
engeres Verhältnis zu den Konsumenten. "Wir lernen unsere Kunden so gut
kennen wie noch nie", hofft Vorstand
Bennett. Der Amerikaner ist in dem
Konzern für die Beschaffung zuständig.
Bislang lassen die großen Sportmarken
ihre Ware meist in riesigen Fabriken in
Asien fertigen. Das ist kostengünstig,
hat aber einen Nachteil: Die Labels
müssen lange im Voraus planen. Das
führt dazu, dass von manchen Schuhen
letztlich zu wenig da sind; andere Teile
lassen sich dagegen nur mit saftigen
Rabatten losschlagen, weil sie sich als
Ladenhüter herausstellen.
Bei der Schuhfabrik im Shop soll es
aber nicht bleiben. Künftig werde auch
Kleidung in den Läden hergestellt, "die
den Käufern perfekt passt und genau so
aussieht, wie sie es wollen", unterstrich
Bennett.
Es hat seinen Grund, dass Adidas ganz
neue Wege geht. Adidas-Chef Herbert
Hainer hat dieses Frühjahr ein großes
Versprechen abgegeben. Bis 2020 soll
der Umsatz Jahr für Jahr um bis zu neun
Prozent klettern, der Gewinn soll sogar
um 15 Prozent jährlich steigen.
Um das zu erreichen, möchte Adidas
schneller werden, urbaner und offen für
Ideen von außen. So hat es Hainer Ende
März am Stammsitz in Herzogenaurach
verkündet. "Creating the New" hat er
seine neue Strategie genannt.
Wichtiger Bestandteil der Strategie ist
die "Store Factory", an der ein 35-köpfiges Team tüftelt. Die Franken binden
ihre Zulieferer dabei eng ein, zum Beispiel Maschinenbauer und Rohstofflieferanten.
Die Fabrik im Laden ist nicht das einzige Vorhaben, mit dem Adidas Neuland betritt. Bald wird die sogenannte
"Speed Factory" in den Testbetrieb
gehen, eine hochautomatisierte Schuhproduktion. "Kommendes Jahr werden
wir die ersten 500 Paar Schuhe in einer
,Speed Factory' herstellen", betonte
Bennett. Ein Prototyp entsteht derzeit
beim Zulieferer Oechsler in Ansbach.
Bewährt sich die Fertigungslinie, könnte
sie künftig überall auf der Welt aufgestellt werden.
Es gibt viele Gründe dafür, dass Adidas
seine Ware nicht mehr nur in Fernost
produzieren will. Der wichtigste: Die
Franken wollen den Konsumenten etwas
Neues bieten. "Wir müssen die Kunden
jeden Tag überraschen", hat Konzernchef Hainer als Devise ausgegeben.
Doch das ist nicht alles, gerade China ist
als Produktionsstandort lange nicht
mehr so attraktiv. So steigen die Löhne
dort Jahr für Jahr zweistellig. Dazu
kommt, dass die Fabriken in Asien
lange Vorlaufzeiten haben und der
Transport mehrere Wochen dauert. Die
Sportmarken haben ihre Aufträge für
nächsten Sommer bereits in den vergangenen Wochen abgegeben, obwohl sie
heute noch gar nicht wissen, wie viel
diese Saison über die Ladentheken ging.
Adidas braucht neue Impulse auch, um
die Investoren bei der Stange zu halten.
Die vergangenen beiden Jahre waren
eine Enttäuschung für die Anteilseigner.
Die Franken haben ihre selbst gesetzten
Ziele weit verfehlt. "Wir waren nicht so
gut, wie wir uns das selbst erhofft hatten", gab sich Hainer im Frühjahr selbstkritisch. "Wir haben an Begehrlichkeit
verloren, weil wir uns nicht genug auf
die Bedürfnisse unserer Kunden konzentriert haben." 2014 gehörte Adidas zu
den schwächsten Werten im Dax.
Die Kunden überraschen, das geht am
einfachsten in den eigenen Läden, weil
die Franken da den vollen Zugriff
haben. Mehr als 60 Prozent vom Umsatz
will Adidas künftig auf selbst kontrollierten Flächen einspielen; bisher hat das
Label nur 50 Prozent angepeilt. Dadurch
soll die Marke mit den drei Streifen
auch zügiger auf Trends reagieren können. Zudem sind die Margen in den
eigenen Läden höher.
Adidas steht auch durch die Konkurrenz kräftig unter Druck, vor allem
Weltmarktführer Nike setzt den Deutschen zu. "Nike entwickelt sich nach
wie vor sehr positiv", sagt Jochen
Schnell, Vorstand der in Deutschland
führenden Sporthandelskette Intersport.
Vor zehn Jahren erzielte das Label von
der amerikanischen Westküste noch
etwa sechs Milliarden Euro mehr
Umsatz im Jahr als Adidas. Inzwischen
sind es zwölf Milliarden. Wenn Adidas
nicht in die zweite Liga absteigen will,
muss der Konzern schnell kräftig in
Fahrt kommen.
Nike denkt allerdings selbst darüber
nach, näher bei den Kunden zu produzieren. Bis zu 10 000 Jobs könnte der
Konzern aus Oregon in seiner amerika-
nischen Heimat schaffen, unterstrich
Nike-Chef Mark Parker im Frühjahr.
Dies würde aber nur gelingen, wenn das
transpazifische Freihandelsabkommen
unterzeichnet werde, schränkte der Konzernherr ein. Falls die Zölle fielen,
werde so viel Innovationskraft freige-
setzt, dass Nike erstmals in großem Stil wächst, und so brauchen wir zusätzliin den USA fertigen könnte.
che Kapazitäten", betont Einkaufschef
Die vielen Hunderttausend Beschäftig- Bennett.
ten in den Fabriken in Fernost werden
trotzdem auch künftig noch genug zu
tun haben, die Minifabriken ergänzen
die Massenproduktion nur. "Adidas
Sportartikelbranche: Aus welchem Land die wichtigsten Schuh- und Bekleidungsproduzenten kommen (MAR /
Grafik)
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Sneaker: Adidas will individuell geformte und gestaltete Schuhe anbieten.
Bloomberg
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