Kein Luftschloss bauen

Reutlinger General-Anzeiger vom 03.07.2015
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8 bis 8
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Fernstudium – Eine realistische Planung ist für Berufstätige die halbe Miete
Kein Luftschloss bauen
Arbeiten und nebenbei studieren? Ein
Fernstudium macht’s möglich. Pflichttermine sind im Fernstudium selten, die
Lernfreiheit ist groß. Schnell besteht da
die Gefahr, sich zu verzetteln. Klug ist,
wer dabei von Anfang an realistisch
plant.
Tolle Jobaussichten, der nächste Karrieresprung oder einfach nur den eigenen
Blickwinkel erweitern: Die Gründe für
ein berufsbegleitendes Fernstudium sind
vielfältig. Eines aber haben alle Fernlernenden gemeinsam: Sie bewältigen den
akademischen Stoff von zu Hause aus.
Für viele ist das eine echte Herausforderung. Der Weg zum erfolgreichen
Abschluss führt vor allem über vernünftige Planung und jede Menge Disziplin.
Ein berufsbegleitendes Fernstudium
setze außerdem ein gutes Zeitmanagement und eine hohe Motivation voraus,
sagt Prof. Ada Pellert, Präsidentin der
Deutschen Universität für Weiterbildung (DUW) in Berlin.
118 619 Fernstudenten zählte der Fachverband Forum DistancE-Learning
(FDL) im Jahr 2010. Mehr als drei Viertel davon waren an den 16 Fernuniversitäten und weiteren 86 Präsenzhochschulen mit Fernstudienangeboten eingeschrieben. 328 verschiedene Fernstudiengänge waren bundesweit zugelassen.
Dauer prüfen
»Vor dem Beginn sollte man sich unbedingt darüber informieren, wie viel Zeit
das Fernstudium in Anspruch nehmen
wird«, rät Martin Kurz, Präsident des
FDL. Denn: Manche Teilnehmer unterschätzten im Vorfeld den Aufwand
eines Fernstudiums.
»Der Hauptgrund für den Abbruch ist
vor allem in der zeitlichen Belastung zu
finden«, sagt Jens-Moges Holm vom
Anbieter Euro-FH in Hamburg. Problematisch wird es vor allem, wenn sich die
Lebensumstände durch Unvorhergesehenes im familiären oder beruflichen
Umfeld ändern, etwa die Geburt eines
Kindes oder eine Beförderung. Umso
wichtiger ist Pellert zufolge die richtige
Zeiteinteilung. Am Wochenende oder
nach Feierabend zu lernen, sei anstrengend.
»Gerade zu Beginn wird die zur Verfügung stehende Zeit oft überschätzt und
jede vermeintlich freie Minute
verplant«, sagt Martin Jung, Fachbuchautor aus Köln. Berücksichtigt werden
müssten in der Planung aber stets auch
ungeplante Aufgaben wie Arztbesuche,
Gespräche mit Freunden oder schlicht
die fehlende Konzentrationsfähigkeit
nach einem anstrengenden Arbeitstag.
»Weniger ist anfangs mehr – sonst verzettelt man sich leicht«, sagt Astrid
Berke-Schensar, Studienberaterin an der
Fernuni-Hagen.
Nicht jedes Wochenende
Wer jedes Wochenende durchpauken
will, wird Pellert zufolge irgendwann
die Motivation verlieren. Hier gilt: realistisch bleiben. »Keine Traumschlösser
bauen – Ziele im Fernstudium sollten
attraktiv und fordernd, aber auch
erreichbar sein«, rät Berke-Schensar.
Eine Grundregel für das Pensum könne
lauten: Mit der Hälfte der Zeit planen,
die neben dem Job übrig bleibt. »Die
andere Hälfte ist dann für Familie und
Freizeit reserviert«, erläutert Pellert.
Martin Kurz empfiehlt zudem, den Stoff
im Rahmen eines Lernplans einzuteilen.
»Dieser hilft, den Lernfortschritt zu kontrollieren und das Pensum anzupassen,
falls man merkt, dass man hinterherhinkt.« Sinnvoll ist es laut Pellert auch,
sich feste Lernzeiten zu setzen – besonders, wenn man sich dank mobiler Endgeräte und moderner Lernformate ortsunabhängig weiterbilden kann. Zu
Hause macht es Holm zufolge Sinn, sich
einen festen Lern- oder Arbeitsplatz einzurichten. Das beste Mittel gegen
Ablenkungen dort sind Jung zufolge
feste Regeln: »Am besten die Studienzeiten werden wie andere Termine im
Kalender notiert.«
Chef informieren
Bei beruflichen Weiterbildungen lohnt
es sich, die Wahl des Angebots in
Abstimmung mit dem Arbeitgeber zu
treffen, rät Martin Kurz, Präsident des
Fachverbandes Forum DistancE-Learning. Wer etwa eine Beförderung
anstrebt, könne auf diese Weise sicherstellen, dass die Studieninhalte und der
Abschluss zum gewünschten Karriereziel führen. »Viele Arbeitgeber unterstützen ein Fernstudium auch finanziell
oder indem sie den Arbeitnehmer an
Prüfungsterminen freistellen«, sagt
Kurz.
Daneben gelte es, das soziale Umfeld
und die Familie in das Studienvorhaben
einzubinden und mit ihnen die persönlichen Lernzeiten abzustimmen. »In diesen Zeiten ist man zwar zu Hause, aber
nicht ansprechbar. Da kann man auch
ganz klassisch mal ein Schild an die Tür
hängen.« Nach einiger Zeit sei es dann
völlig normal und eingespielt, wenn sich
der Fernstudent einige Stunden zum
Lernen zurückzieht, so Jörg Schweigard
vom Anbieter AKAD, dem bundesweit
größten privaten Fernhochschulverbund.
Wer einmal hinterherhinkt, sollte sich
nicht gleich verrückt machen – gerade
zu Beginn. »Während des Fernstudiums
gibt es immer wieder einmal Phasen, in
denen man sich nicht so intensiv wie
geplant um das Fernstudium kümmern
kann«, sagt Schweigard. Das sei meist
kein großes Problem, zumal man seinen
eigenen Rhythmus beim Lernen bestimmen kann. 15 bis 20 Stunden wöchentlich sollte man Jung zufolge für einen
akademischen Studiengang aufbringen.
Bei den meisten Angeboten sei es aber
möglich, auch langsamer zu studieren
und kostenlos zu verlängern. »Damit
verlängert sich zwar die Studiendauer,
dafür wird die Belastung aber erträglicher.« (dpa/tmn)
text: Kai Kürpick
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